Der Winter

[105] Die Erde drückt ein tiefer Schnee:

Es glänzt ein blendend Weiß um ihre nackten Glieder:

Es glänzen Wald, Gefild und See.[105]

Kein muntrer Vogel singt:

Die trübe Schwermuth schwingt

Ihr trauriges Gefieder.


Der Weise bleibt sich immer gleich:

Er ist in seiner Lust kein Sklave schöner Tage,

Und stets an innrer Wollust reich.

Was Zephyrs Unbestand,

Was ihm die Zeit entwandt,

Verliert er ohne Klage.


Wer euch, ihr süssen Musen! liebt,

Der scherzt an eurer Hand in bluhmenvollen Feldern,

Wann Boreas die Lüfte trübt.

Der Frühling mag verblühn!

Ihm lacht ein ewig Grün

In euern Lorbeer-Wäldern.


Und wie? Lyäus flieht ja nicht,

Um dessen Epheü-Stab die leichten Scherze schweben!

Noch glüht sein purpurnes Gesicht:

Noch will er guten Muth

Und ächte Dichterglut,

Trotz rauhen Froste, geben.


Dem Weingott ist es nie zu kalt,

Und auch der Liebe nicht, lockt Venus gleich nicht immer

In einen grünbelaubten Wald.

In Büschen rauscht kein Kuß:

Doch Amors zarter Fuß

Entweicht in warme Zimmer.


Ihm dient ein weiches Canapee

So gut und besser noch, als im geheimen Hayne

Beblühmtes Gras und sanfter Klee.[106]

O welche Welt von Lust

An einer Phyllis Brust

Und, Freund, bey altem Weine!


Stoß an! es leb' ein holdes Kind,

Von Grazien gepflegt, erzogen unter Musen

Und schätzbarer, als Phrynen sind,

Durch Unschuld, klugen Scherz

Und durch ein gutes Herz

In einem schönen Busen!

Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 105-107.
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Sämtliche poetische Werke. Hrsg. von A. Sauer