Empfindungen

An einem Frühlings-Morgen

[127] O welche frische Luft haucht vom bebüschten Hügel!

Welch angenehmer West durchzieht

Mit rauschendem bethauten Flügel

Dieß holde Thal, wo alles grünt und blüht!


Hier, wo die Grazien sich ihre Bluhmen hohlen,

Hier seh ich, wie der Morgen lacht,

Der unter düftenden Violen

Und beym Gesang der Vögel aufgewacht.
[127]

Das kleinste Gräschen blitzt vom farbenreichen Thaue!

Wie himmlisch lächelt die Natur,

Wohin ich um und bey mir schaue,

Dort im Gesträuch und hier auf grüner Flur!


Die ganze Schöpfung zeugt von weiser Güte Händen;

Mit Schönheit pranget unsre Welt.

Muß nur der Mensch die Schöpfung schänden,

Der sich so gern für ihre Zierde hält?


Der Mensch darf sich nur sehn, damit er sich nicht brüste,

Wie, an der Thorheit Brust gesäugt,

Er sich im Taumel wilder Lüste

Bald lächerlich und bald abscheulich zeigt.


Um Tand und Puppenwerk vertauscht er seine Rechte

Zu glänzender Unsterblichkeit,

Erniedrigt sich und sein Geschlechte,

Sucht kurze Lust und findet ewig Leid.


Ein denkendes Geschöpf kann so verderblich wählen,

Als wär es nur zum Thier bestimmt?

Herrscht solche Blindheit über Seelen,

In welchen doch der Gottheit Funke glimmt?


Umsonst! weil dieser Strahl nur wenig Weisen funkelt!

Er wird von Leidenschaft und Wahn

In tausend Sterblichen verdunkelt,

Oft eh er sich siegprangend kundgethan:
[128]

Wie, wann die Sonne kaum dem Ocean entfliehet,

Des dunkeln Mondes Zwischenlauf

Ihr flammend Antlitz uns entziehet:

Vor ihrem Thron steigt schwarzer Schatten auf.


Die Vögel hemmen schnell die angefangnen Lieder;

Der halbverirrte Wandrer bebt,

Indeß mit schreckendem Gefieder

Die frühe Nacht um Erd und Himmel schwebt:


Bis Titans froher Blick, nach überwundnen Schatten,

Itzt wieder unverfinstert strahlt,

Und in den aufgehellten Matten

Um Floren lacht und ihre Bluhmen mahlt.


So strahlet unser Geist, mit angebohrnem Lichte,

Durch dicke Finsterniß hervor,

Wenn vor der Weisheit Angesichte

Die Nebel fliehn, worinn er sich verlohr.


Geh auf mit vollem Tag, und herrsch' in Glanz und Ehre,

Und herrsch', o Weisheit! unbegränzt,

Von einem bis zum andern Meere,

Ja weiter noch, als unsre Sonne glänzt!


Wie lang soll Finsterniß den Erdkreiß überziehen?

Es müsse, wer im Schatten sitzt,

Auf deine lichten Höhen fliehen,

Wo Klarheit uns in Aug und Seele blitzt!


Die Seele, die alsdann kein äussrer Schmuck betrüget,

Dringt in das nackte Wesen ein,

Und was beständig sie vergnüget,

Muß edel, groß, muß ihrer würdig seyn.
[129]

Sie suchet nicht ihr Glück in schimmerreichen Bürden,

In Ehre, Gold und ekler Pracht,

Nicht bey den thierischen Begierden,

Durch die ein Geist sich Thieren ähnlich macht.


Sie sucht und findet es in reiner Tugend Armen,

Die sich für Andrer Wohl vergisst,

Und, reich an göttlichem Erbarmen,

Vom Himmel stammt, und selbst ein Himmel ist.

Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 127-130.
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Sämtliche poetische Werke. Hrsg. von A. Sauer

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