Der verlohrne Amor

[72] Amor hat sich jüngst verlohren;

Und nun will, die ihn gebohren,

Ihren Flüchtling wieder küssen;

Und man hat ihn suchen müssen.

In dem Schatten dunkler Linden,

Wo wir Dichter Amorn finden;

Unter froher Dichter Myrthen,

In den Städten, bey den Hirten,

Kann man nichts von ihm erfragen.

Mädchen! wollt ihr mirs nicht sagen?

Denn ihr hegt den Gott der Sorgen:

Hat er sich bey euch verborgen?

In den Rosen eurer Wangen,

Die mit frischer Jugend prangen?[72]

Oder auf den Liljenhügeln,

Wo der Gott mit leisen Flügeln

Sich schon öfters hingestohlen?

Darf ich suchen und ihn hohlen?

Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 72-73.
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Sämtliche poetische Werke. Hrsg. von A. Sauer