I.

[117] Der normannische Edelmann. – Seine Eroberungsgedanken. – Was man von den Canarischen Inseln wußte. – Cadix. – Der Archipel der Canarischen Inseln. – Graciosa. – Lancerote. – Fortaventura. – Lobos. – Johann von Bethencourt kehrt nach Spanien zurück. – Berneval's Aufstand. – Zusammenkunft Johann von Bethencourt's und König Heinrich's III. – Gadifer besucht den Archipel der Canarischen Inseln. – Gran-Canaria. – Die Insel Ferro. – Die Palmeninsel.


Etwa im Jahre 1339 wurde in der Grafschaft Eu, in der Normandie, Johann von Bethencourt, Baron von Saint-Martin-le-Gaillard, geboren. Dieser Johann von Bethencourt stammte aus einem guten Hause, und da er sich im Kriege und auf dem Meere ausgezeichnet hatte, erhielt er eine Stelle als Kämmerer Karls VI. Ihn beseelte aber eine große Neigung zu neuen Entdeckungen, und da ihm, vorzüglich als der König in Wahnsinn verfiel, der Dienst am Hofe lästig ward und er sich im eigenen Hause nicht glücklich fühlte, so beschloß er, sein Vaterland zu verlassen und sich durch irgend eine abenteuerliche Eroberung einen Namen zu machen. Eine günstige Gelegenheit bot sich ihm durch Folgendes.[117]

Nahe der Küste Afrikas befindet sich eine Inselgruppe mit dem Namen der Canarischen Inseln, welche früher die Inseln der Glückseligkeit hießen. Juda, ein Sohn des Königs Numidias, sollte sie, der Sage nach, schon gegen das Jahr 776 der römischen Zeitrechnung nach besucht und erforscht haben. Im Mittelalter landeten, wie man aus Ueberlieferungen weiß, Araber, Genuesen, Portugiesen, Spanier und Biscayenser an dieser interessanten Inselgruppe. Im Jahre 1393 ging ein spanischer Señor, Almonaster, der Befehlshaber einer spanischen Flottenabtheilung, hier an's Land, durchstreifte Lancerote, eine der Canarien, und brachte außer einer Anzahl Gefangener eine Menge Naturerzeugnisse als Belege für die große Fruchtbarkeit des Archipels mit heim.

Diese Thatsachen trieben den normannischen Ritter zur Ausführung seiner Pläne. Die Eroberung der Canarien schwebte ihm vor den Augen und nebenbei wollte er als frommer Christ die Bewohner der Insel zum katholischen Glauben bekehren. Er war ein kühner, intelligenter, geschickter und an Hilfsquellen reicher Mann. So verließ er denn sein Hôtel de Grainville-la-Teinturière in Caux und begab sich nach la Rochelle. Dort traf er mit dem umherirrenden Ritter Gadifer de la Salle zusammen, der ebenfalls auf Abenteuer auszog. Johann von Bethencourt theilte Gadifer seine Absichten mit. Gadifer machte ihm den Vorschlag, sein Glück in Verbindung mit ihm zu versuchen. Zwischen Beiden wurden »ungeheuer viel schöne Worte« gewechselt und die Sache endgiltig beschlossen.

Inzwischen hatte Johann von Bethencourt seine Armee gesammelt. Er besaß gute Schiffe mit ausreichender Mannschaft und Proviant. Gadifer und er gingen unter Segel und kamen, nachdem sie bei der Insel Ré durch widrige Winde und noch mehr durch wiederholte Zwistigkeiten unter den Leuten längere Zeit aufgehalten worden waren, in den Hafen von Vivero, an der Küste von Galice, und später nach Corogne. Hier blieb Johann von Bethencourt mit seinen Biedermännern volle acht Tage. Die Franzosen hatten einige Streitigkeiten mit einem gewissen Grafen von Schottland, der ihren Anordnungen nicht Folge leisten wollte, doch ging Alles noch mit einem bloßen Wortwechsel ab. Der Baron stach wieder in See, schiffte um Cap Finisterre, folgte der portugiesischen Küste bis zum Cap Saint Vincent und gelangte nach dem Hafen von Cadix, in dem er ziemlich lange Halt machte. Daselbst entstanden auch einige Zänkereien mit genuesischen Kaufleuten, welche[118] ihn beschuldigten, sich unrechtmäßiger Weise ein Schiff angeeignet zu haben, in Folge dessen er sich sogar nach Sevilla begeben mußte, wo der König ihm jedoch volle Gerechtigkeit widerfahren ließ und ihn von der Anklage freisprach. Johann von Bethencourt kam also nach Cadix zurück und traf dort einen Theil seiner Mannschaft in heller Empörung an. Viele Matrosen wollten, erschreckt durch die Gefahren der Expedition, die Fahrt nicht weiter fortsetzen. Der französische Ritter behielt nur die Muthigen bei sich und ließ die anderen ihres Weges ziehen, dann setzte er sofort Segel bei und steuerte auf das hohe Meer hinaus.

Drei Tage lang wurde das Schiff des Barons durch Windstillen zurückgehalten; als sich das Wetter geändert hatte, erreichte er eine der kleineren Inseln der Gruppe der Canarien, nämlich Graciosa, und endlich eine bedeutendere Insel, Namens Lancerote, deren Länge vierundvierzig und deren Breite sechzehn Kilometer beträgt, die also ungefähr die Größe und nahezu die Form der Insel Rhodus hat. Lancerote ist reich an Weideplätzen und fruchtbarem Ackerlande, das sehr viel Gerste erzeugt. Wasserkünste und Cisternen liefern ihr reichliches gutes Wasser. Die Farbpflanze Orseille wächst hier im Ueberfluß. Die Einwohner dieser Insel, welche fast nackt zu gehen pflegen, sind groß und schön gewachsen, und ihre Frauen, welche Lederüberröcke tragen, die bis zur Erde reichen, sehr schön und ehrbar.

Johann von Bethencourt wollte sich, bevor er mit seinem Eroberungsprojecte offen hervortrat, wenigstens die Ergebenheit einer Anzahl der Bewohner versichern. Er kannte jedoch das Land nicht und die Sache bot unerwartete Schwierigkeiten. Er zog sich also einstweilen in den Schutz einer kleinen, mehr im Norden gelegenen Insel zurück, versammelte dort seinen Kriegsrath und legte diesem die Frage vor, was zu beginnen sei? Die allgemeine Meinung sprach sich bei dieser Gelegenheit dahin aus, daß man durch List oder Entführung sich einiger Landesbewohner bemächtigen müsse. Das Glück begünstigte den kühnen Rittersmann. Der König der Insel, Guardarfia, setzte sich mit ihm in Verbindung und schwor ihm Gehorsam als Freund, aber nicht als Unterthan. Johann von Bethencourt ließ darauf hin ein Castell oder richtiger ein Fort im südwestlichen Theile der Insel erbauen, besetzte es mit einigen Leuten unter dem Befehl Berthin Berneval's, eines Mannes von erprobtem Eifer, und brach mit dem Reste seiner Truppen auf, um die Insel Erbanie, d. i. das heutige Fortaventura, zu erobern.[119]

Gadifer rieth zu einer nächtlichen Landung, welche man auch unternahm: dann stellte er sich an die Spitze einer kleinen Abtheilung und durchstreifte acht Tage lang die ganze Insel, ohne einen Eingebornen zu Gesicht zu bekommen, da sich diese Alle in die Gebirge geflüchtet hatten.


Johann von Bethencourt. (S. 117.)
Johann von Bethencourt. (S. 117.)

Gadifer mußte wegen Mangels an Nahrungsmitteln zurückkehren und wandte sich nach der Insel Lobos, zwischen Lancerote und Fortaventura. Dort empörte sich aber[120] sein erster Schiffsführer gegen ihn und er kam nur mit Mühe nach dem Fort der Insel Lancerote zurück.

Johann von Bethencourt faßte nun den Entschluß, zunächst nach Spanien zu gehen, um Proviant und neue Mannschaft zu sammeln, denn auf seine jetzige Mannschaft konnte er sich nicht allzu sehr verlassen. Er übergab also das Obercommando der Insel an Gadifer; dann nahm er feierlich von Allen Abschied und segelte auf einem Schiffe Gadifer's nach Spanien.

Man erinnert sich, daß Johann von Bethencourt vorher Berthin von Berneval zum Commandanten des Forts auf der Insel Lancerote ernannt hatte. Dieser Berneval war ein persönlicher Feind Gadifer's. Der normannische Ritter war kaum abgereist, als Berneval schon seine Leute zum Ungehorsam aufreizte, und es gelang ihm auch, einen Theil derselben auf seine Seite zu bringen, darunter vorzüglich die Gascogner, welche sich in Folge dessen gegen den Gouverneur empörten. Ohne jeden Verdacht derartiger Machinationen seitens Berneval's hatte sich dieser mit seinem Freunde Remonnet von Leveden und mehreren Anderen zur Jagd auf Seebären nach der Insel Lobos begeben. Der genannte Remonnet war nach Lancerote zurückgegangen, um neue Lebensmittel zu besorgen, fand aber zu seinem Erstaunen daselbst Berneval nicht mehr vor, der mit seinen Complicen die Insel verlassen hatte und nach einem Hafen der Insel Graciosa entwichen war, wo ein durch seine Versprechungen bethörter Schiffspatron ihm sein Fahrzeug überlassen hatte. Von Graciosa aus kehrte der Verräther Berneval nach Lancerote zurück und setzte seinen Schurkereien damit die Krone auf, daß er ein Bündniß mit dem König der Canarischen Inseln abzuschließen suchte. Der König, dem es gar nicht in den Sinn kam, daß ein Officier des Herrn von Bethencourt, auf den dieser volles Vertrauen setzte, ihn betrügen könnte, lieferte sich mit achtzig Leuten Berneval ahnungslos aus. Letzterer ließ Alle, als sie eingeschifft waren, in Fesseln legen und nach dem Hafen von Graciosa überführen.

Als der König sich so schändlich hintergangen sah, sprengte er seine Fesseln und die von Dreien seiner Leute, denen es glückte, mit ihm zu entfliehen, ihre unglücklichen Gefährten blieben aber gefangen und wurden von Berneval spanischen Seeräubern übergeben, die sie zum Verkauf in fremde Länder mit fortnahmen.[121]

Zu diesen Infamien fügte Berneval aber auch noch weitere. Auf sein Geheiß bemächtigten sich seine Leute des Fahrzeuges, das Gadifer zur Einnahme von Nahrungsmitteln nach Lancerote gesendet hatte. Remonnet wollte gegen die Verräther ankämpfen, doch befand er sich mit den Seinen einer zu großen Uebermacht gegenüber. Ihre vereinten Bitten verhinderten nicht einmal Berneval's Bande und diesen selbst, die Lebensmittel-Vorräthe, Werkzeuge, Waffen, welche Johann von Bethencourt in Lancerote aufgespeichert hatte, zu berauben und unbrauchbar zu machen. An rohen Beschimpfungen des Gouverneurs fehlte es natürlich nicht und Berneval rief: »Ich wünsche, daß Gadifer de la Salle erfahre, daß ich ihn tödten würde, wenn er noch so jung wäre wie ich, da das jedoch nicht der Fall ist, werde ich es unterlassen. Wenn es mir aber einmal wieder einfallen sollte, werde ich ihn auf der Insel Lobos ins Meer tauchen, da mag er Seebären jagen, so viel er will.«

Inzwischen kamen Gadifer und seine zehn Begleiter wegen Mangels an Speise und Trank in Gefahr, auf Lobos elend umzukommen. Glücklicher Weise hatten sich die beiden Caplane des Forts von Lancerote nach dem Hafen von Graciosa begeben, wo sie einen Schiffspatron für sich gewannen, der über den Verrath Berneval's selbst aufgebracht war. Dieser Mann gab ihnen einen seiner Leute, Namens Ximenes, mit, der nach dem Fort von Lancerote zurückging. Dort befand sich ein zerbrechlicher Nachen, den Ximenes mit Lebensmitteln belud; dann bestieg er denselben in Gesellschaft von vier Getreuen Gadifer's und wagte sich damit auf's Meer, um die Insel Lobos zu erreichen, wobei er den vier Stunden langen Weg »durch die gefährlichste Stelle, welche das Meer hier als Passage bot«, zurücklegte.

Gadifer und die Seinen litten inzwischen furchtbar an Hunger und Durst. Ximenes traf gerade noch rechtzeitig ein, um sie vom Tode zu erretten. Als Gadifer von Berneval's Verrätherei hörte, schiffte er sich auf demselben kleinen Nachen ein, um nach dem Fort von Lancerote zurückzukehren. Er war auf's höchste erzürnt über Berneval's Auftreten gegenüber den armen Canariensern, denen Herr von Bethencourt und er selbst Schutz versprochen hatten. Niemals hätte er geglaubt, daß jener Mann, den man sonst für den Verläßlichsten unter Allen hielt, solcher Schurkenstreiche, solch' heimlicher Verrätherei fähig wäre.

Was begann aber Berneval selbst in dieser Zeit? Nachdem er seinem Vorgesetzten verrathen, verrieth er nicht minder seine eigenen Genossen, die[122] ihn bei der Durchführung seiner Schändlichkeiten beigestanden hatten; er ließ Zehn von ihnen an's Land setzen, ging unter Segel in der Absicht, Johann von Bethencourt in Spanien aufzusuchen und seine nachträgliche Zustimmung zu den von ihm getroffenen Maßnahmen einzuholen, indem er ihm das Vorgefallene in seiner Weise darzustellen gedachte. Natürlich lag es in seinem Interesse, sich unbequemer Zeugen zu entledigen, und so ließ er diese einfach zurück. Diese Unglücklichen hatten zuerst den Gedanken, die Großmuth des Gouverneurs anzurufen; sie vertrauten sich deshalb ihrem Caplane, der sie in jenem Vorsatze bestärkte. Die armen Leute fürchteten sich aber vor der Rache Gadifer's, bemächtigten sich eines Schiffes und entflohen in einem Augenblicke der Verzweiflung nach dem Lande der Mauren. Das Fahrzeug strandete an der Küste der Berberei. Zehn seiner Insassen kamen dabei im Wasser um, die Anderen fielen den Heiden in die Hände und wurden als Sklaven verkauft.

Zur Zeit, als die erzählten Ereignisse sich auf der Insel Lancerote abspielten, langte Johann von Bethencourt mit Gadifer's Schiffe in Cadix an Er ergriff zunächst strenge Maßregeln gegen seine murrende, widerspenstige Mannschaft und ließ zehn der Rädelsführer in Fesseln legen. Dann sandte er sein Schiff nach Sevilla, wo sich König Heinrich III. damals aufhielt; das Fahrzeug ging jedoch zum großen Nachtheil Gadifer's im Guadalquivir zu Grunde.

Als Johann von Bethencourt sich in Sevilla befand, empfing er dort den Besuch eines gewissen Francisco Calve, der so schnell als möglich von den Canarien gekommen war und sich anbot, mit neuen Provisionen und Waffen für den Gouverneur dahin zurückzukehren. Baron von Bethencourt wollte hierüber jedoch nicht eher eine Entschließung fassen, als bis er den König selbst gesprochen hätte.

Inzwischen langte auch Berneval mit seinen thätigsten Spießgesellen an und brachte einige Canarier mit, um diese als Sklaven zu verkaufen. Der Verräther hoffte seine Schändlichkeiten in einem solchen Lichte hinzustellen, daß ihm gar noch ein Dank für seine Maßregeln zu Theil würde, wenn es ihm gelang, Johann von Bethencourt zu täuschen; er hatte aber ohne einen gewissen Courtille gerechnet, der auf Gadifer's Seite stand, und sich gleichzeitig mit ihm einfand. Dieser wackere Soldat brachte die Betrügereien Bernevals an den Tag und auf seine Aussagen hin wurde der Verbrecher[123] im Gefängniß zu Cadix in Fesseln gelegt. Courtille theilte auch das Nöthige über die Lage der an Bord befindlichen Canarier mit. Der normannische Ritter konnte zwar Sevilla nicht selbst in dem Augenblicke verlassen, da er eine Audienz beim Könige haben sollte, doch gab er gemessenen Befehl, die Insulaner mit aller Rücksicht zu behandeln. Während dieser Verhandlungen war jedoch das Schiff, welches sie trug, schon nach Aragon geführt und die armen Leute wirklich als Sklaven verkauft worden.

Johann von Bethencourt hatte es nun erreicht, sich dem Könige von Castilien persönlich vorzustellen, und sagte, nachdem er den vorläufigen Erfolg seines kühnen Zuges geschildert, Folgendes: »Ich komme, Sire, um Sie um Unterstützung anzugehen und mir gleichzeitig die Genehmigung auszuwirken, die Bewohner der Länder, welche man die Canarischen Inseln nennt, zum christlichen Glauben zu bekehren, Sie als König und Herrn der genannten Gebiete nebst Umgebung ausrufen zu lassen, da Sie ja doch der nächst interessirte König sind, und zu bitten, daß Sie geruhen mögen, mich als Lehenspflichtigen anzuerkennen«. Sehr erfreut nahm der König das Anerbieten des normannischen Ritters an. Er belehnte ihn mit stellvertretender höchster Gewalt auf den Canarischen Inseln und bewilligte ihm unter Anderem den fünften Theil der von jenen Inseln nach Spanien kommenden Waaren. Außerdem machte er ihm ein Geschenk von 20.000 Maravedis (etwa 12.000 Mark – 6000 Gulden), um alle für den Gouverneur Gadifer nöthigen Ausrüstungsgegenstände, Lebensmittel u.s.w. einzukaufen, und verlieh ihm überdies das Recht, auf den Canarien selbst Geld zu prägen.

Leider wurden diese 20.000 Maravedis einem unzuverlässigen Mann übergeben, der nach Frankreich entfloh und das Geschenk des Königs von Castilien raubte.

Als Ersatz erhielt Johann von Bethencourt von Heinrich III. ein wohlausgerüstetes Fahrzeug mit vierundzwanzig Mann Besatzung und reicher Ladung an Nahrungsmitteln, Waffen und Werkzeugen aller Art.-Johann von Bethencourt schrieb unter dem Ausdruck des wärmsten Dankes für die Freigebigkeit des Königs an Gadifer, was ihm hier auszurichten gelungen sei, gab seiner Erregung und »Verblüffung« Ausdruck über Berneval's Schurkenstreiche, da er gerade diesen für ganz zuverlässig gehalten hatte, und meldete ihm die nahe bevorstehende Abfahrt des vom Könige von Castilien geschenkten Schiffes.[124]

Während dieser Zeit wurde aber die Insel Lancerote der Schauplatz sehr ernster Ereignisse. Der König Guardarfia, tief entrüstet über das Verfahren des Verräthers Berneval ihm gegenüber, hatte sich erhoben, und es waren in Folge dessen mehrere Leute Gadifer's von den Canariern umgebracht worden. Gadifer war im Begriff, die Bestrafung der Schuldigen zu fordern, als ein Verwandter des Königs, der Eingeborne Ache, ihm den Vorschlag machte, sich Guardarfia's zu bemächtigen und ihn zu seinen Gunsten zu entthronen. Dieser Ache war nichts als ein Betrüger, der, nachdem er seinen König verrathen, auch die Normannen hintergehen und sie wieder aus dem Lande treiben wollte. Da Gadifer diese schlechten Absichten nicht erkannte und den Tod seiner Leute rächen wollte, nahm er den Vorschlag Ache's an, und kurze Zeit darauf, am Tage der heiligen Katharina, wurde der König überfallen, nach dem Fort geschleppt und in Ketten gelegt.

Wenige Tage später aber überfiel der nun zum König ausgerufene Ache die Leute Gadifer's und verwundete mehrere tödtlich. Schon in der folgenden Nacht jedoch gelang es Guardarfia nochmals, zu entkommen, und nun brachte er Ache in seine Gewalt und ließ ihn ohne Umstände zu Tode steinigen und verbrennen.

Der über die Gewaltscenen, welche sich fast täglich auf der Insel abspielten, aufgebrachte Gouverneur beschloß jetzt, alle männlichen Bewohner des Landes zu tödten und nur die Frauen und Kinder zu schonen, um diese taufen zu lassen. Ungefähr zu eben dieser Zeit traf indeß das von Johann von Bethencourt abgesandte Schiff ein, wodurch Gadifer von anderen Dingen in Anspruch genommen wurde. Johann von Bethencourt theilte Gadifer officiell mit, daß er ein Lebensverhältniß der Canarischen Inseln mit dem Könige verabredet habe, worüber der Gouverneur keineswegs erfreut war, da auch er ein Anrecht auf die erwähnten Inseln zu haben glaubte. Er verheimlichte jedoch seine Mißstimmung und nahm die neuen Ankömmlinge so gut wie möglich auf.

Die Löschung der Ladung an Lebensmitteln und Waffen ging sofort vor sich, dann aber schiffte sich Gadifer auf jenem Fahrzeuge ein, um die benachbarten Inseln näher in Augenschein zu nehmen. Ihn begleiteten Remonnet und mehrere Andere, auch nahm er verschiedene Eingeborne mit, die ihm als Führer dienen sollten.[125]

Ohne Unfall kam Gadifer bei der Insel Fortaventura an. Einige Tage nach der Landung brach er mit dreißig Mann Bedeckung auf, um das Land selbst kennen zu lernen. Sehr bald aber verließ ihn ein großer Theil seiner Mannschaften und nur dreizehn Leute, darunter zwei Bogenschützen, hielten noch zu ihm. Gadifer unterbrach jedoch deshalb seinen Zug nicht. Nach Durchwatung eines ziemlich bedeutenden Wasserlaufes, kam er in ein prächtiges, von achthundert Palmen beschattetes kleines Thal. Hier wurde Rast gemacht und dann zog die Gesellschaft in der Nähe einer langgestreckten Küste weiter.

Da zeigten sich einige Fünfzig Eingeborne, welche die wenigen Portugiesen umzingelten und sie zu vernichten drohten. Gadifer hielt jedoch nebst seinen Leuten tapfer Stand, so daß es ihnen gelang, ihre Feinde in die Flucht zu schlagen, und sie gegen Abend ihr Schiff wieder erreichen konnten, wobei sie vier Frauen als Gefangene mitführten.

Am folgenden Tage verließ Gadifer Fortaventura und ankerte bei Gran-Canaria in einem Hafen zwischen Teldez und Argonnez. Fünfhundert Eingeborne sammelten sich um ihn, ohne feindselige Haltung zu zeigen; sie tauschten vielmehr gegen Angelhaken und Eisenwaaren ihre Landesproducte aus, wie z.B. Feigen und Drachenblut, eine vom Drachenblutbaume herstammende harzige Substanz mit balsamischem, höchst angenehmem Geruche. Die Canarier bewahrten den Fremden gegenüber jedoch eine vorsichtige Zurückhaltung, denn sie erinnerten sich noch der schonungslosen Behandlung, die sie zwanzig Jahre früher von Lopez und dessen Leuten bei Gelegenheit eines Einfalls derselben in ihre Insel erfahren hatten, und gestatteten deshalb Gadifer auch nicht, an's Land zu gehen.

Der Gouverneur mußte also wieder in See gehen, ohne Gran-Canaria näher untersucht zu haben, und begab sich nun nach der Eiseninsel (Hierro oder Ferro); hier berührte er indeß kaum die Küste und ging mit seinem Schiffe noch nach der Insel Gomera, auf der er die Feuer der Eingebornen leuchten sah. Mit Tagesanbruch wollten einige von Gadifer's Leuten an's Land gehen; die wegen ihrer Kampfgeschicklichkeit und Unerschrockenheit gar nicht zu verachtenden Gomeriten aber drangen auf die Castilianer ein, welche in aller Eile sich wieder an Bord zurückziehen mußten.

Sehr enttäuscht durch den Empfang der wilden Canarier, beschloß Gadifer, sein Heil noch einmal auf der Insel Ferro zu versuchen. Er lichtete[126] also die Anker und kam noch bei Tage vor jener Insel an. Hier konnte er, ohne Widerstand zu finden, landen und verweilte auch zweiundzwanzig Tage lang an derselben Stelle.

Im Innern bot diese Insel einen wahrhaft herrlichen Anblick durch mehr als hunderttausend schlanke Pinien. Klare und wasserreiche Bäche bewässerten die Landschaft. Wachteln gab es im Ueberfluß und Schweine, Ziegen und Schafe traf man in großer Menge an.

Von diesem gastfreundlichen Lande aus zogen die Eroberer nach der Insel Palma und ankerten daselbst in einem Hafen zur rechten Hand eines bedeutenden Flusses. Diese Insel lag am weitesten in den Atlantischen Ocean hinaus. Bedeckt mit Pinien und Drachenbäumen, bewässert von schönen Flüssen und geschmückt mit einer saftigen Grasdecke schien sie für jede Art Cultur geeignet; ihre großen, kräftigen und wohlgebauten Bewohner zeichneten sich durch hübsche Gesichtszüge und auffallend weißen Teint aus.

Gadifer verweilte hier nicht lange; seine Matrosen versorgten sich mit Wasser für die Rückfahrt, und nachdem man binnen zwei Tagen und zwei Nächten längs der übrigen Inseln des Archipels hingesegelt war, ohne dabei an's Land zu gehen, kamen Alle nach dem Fort von Lancerote zurück. Drei Monate lang hatte ihre Abwesenheit gedauert.

Während dieser Zeit hatten ihre Gefährten, welche im fortwährenden Streite mit den Eingebornen standen, eine große Anzahl Gefangene gemacht, und tagtäglich trafen viele der nun entmuthigten Canarier ein, um sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben und sich taufen zu lassen.

Erfreut über diese Erfolge, sandte Gadifer einen seiner Edelleute nach Spanien, um Johann von Bethencourt über die jetzigen Verhältnisse der canarischen Colonie Bericht zu erstatten.

Quelle:
Jules Verne: Die Entdeckung der Erde. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXIX–XXX, Wien, Pest, Leipzig 1881, S. 117-127.
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