I.

[403] Die Normannen. – Erik der Rothe. – Die Zeni. – Jean Cabot. – Cortereal. – Sebastian Cabot. – Willoughby. – Chancellor.


Durch die Entdeckung Islands, dem Thule der Sage und jenes »cronischen« Oceans, dessen Untiefen und Eis die Schifffahrt so gefährlich machen, wo die Nächte so hell sind wie bei uns die Dämmerung, hatte Pytheas den Skandinaven den Weg nach Norden eröffnet. Die Ueberlieferung der von den Alten ausgeführten Reisen bis zu den Arcaden, den Färöer und Island lebte bei den irländischen Mönchen fort, diesen gelehrten und muthigen Männern, von deren Unternehmungsgeiste die von ihnen auf allen Inseln gegründeten Niederlassungen Zeugniß geben. Sie waren gleichsam die Piloten der »Normannen«, ein Name, mit dem man im Allgemeinen die skandinavischen, d. h. die norwegischen und dänischen Seeräuber bezeichnet, welche sich im Mittelalter dem gesammten Europa so furchtbar machten. Sind auch alle Nachrichten der Alten, der Griechen und Römer, über diese hyperboräischen Länder nur sehr unbestimmt und sozusagen fabelhaft, so ist das nicht der Fall bezüglich der abenteuerlichen Fahrten jener »Männer des Nordens«. Die »Sagas« – so hießen die isländischen und dänischen Volkslieder mit historischem Inhalt – sind verläßlicher, als man zuerst annehmen mochte, und die zahlreichen Ueberlieferungen, welche wir ihnen verdanken, werden noch tagtäglich durch archäologische Entdeckungen in Grönland, Island, Norwegen und Dänemark bestätigt. Hier bietet sich eine lange Zeit unbekannte und jedenfalls nicht ausgenutzte Quelle der werthvollsten Aufschlüsse, deren Eröffnung man dem gelehrten Dänen C. C. Rafn verdankt und die uns über die vorcolumbische Entdeckung des amerikanischen Continents authentische Thatsachen von höchstem Interesse mittheilt.

Norwegen war ein armes, aber stark bevölkertes Land; dieser Umstand veranlaßte eine fortwährende Auswanderung, welche es einem nicht geringen Theile der Bewohner erlaubte, in gesegneteren Landstrichen die nothwendige[403] Nahrung zu suchen, die der eisige Boden des Vaterlandes nicht gedeihen ließ. Hatten die Auswanderer dann ein reicheres Land gefunden, das ihnen eine hinlängliche Beute lieferte, so zogen sie nach der Heimat zurück und mit dem nächsten Frühlinge wieder hinaus in Begleitung vieler, Solcher, welche das Verlangen nach Gewinn und die Liebe zu einem leichten, kämpfereichen Leben mit hinauslockte.

Unerschrockene Jäger und Fischer, gewöhnt an die Gefahren der Schifffahrt zwischen dem Festlande und jener Anhäufung von Inseln und Felsen, welche jenes umgürten, als wollten sie es gegen den Andrang des Meeres vertheidigen, durch jene engen und tiefen Fjorde, die von einem Riesenschwerte in das Land geschnitten erscheinen, fuhren sie auf Eichen-Schiffen hinaus und setzten die Anwohner der Nordsee und des Canals schon durch ihre Erscheinung in Furcht und Schrecken. Ihre Fahrzeuge besaßen oft nicht einmal ein Verdeck, waren groß oder klein, lang oder kurz gebaut, liefen am Vordertheile aber meist in einen ungeheuren Sporn aus, über den sich der Steven hoch aufbaute, so daß daraus etwa die Form eines S entstand. Die »Hällristningar« – so nannte man gewisse graphische Darstellungen, die sich an den Strandfelsen Norwegens und Schwedens vielfach vorfinden – geben uns eine genaue Vorstellung von jenen schnellen Fahrzeugen, welche oft eine starke Besatzung trugen, wie z.B. von der »langen Schlange« Olaf Trygyvason's, welche zweiunddreißig Ruderbänke und neunzig Mann Besatzung hatte, dem Schiffe Kanut's mit sechzig und den beiden Schiffen Olaf des Heiligen mit einer Mannschaft von zweihundert Köpfen. Die Könige des Meeres, wie man diese Abenteurer häufig nannte, lebten fast ausschließlich auf dem Ocean, siedelten sich niemals auf dem Lande an, zogen von der Plünderung eines Schlosses nur zur Einäscherung eines Klosters weiter, verwüsteten die Gestade Frankreichs, segelten die Flüsse hinauf, vorzüglich die Seine bis nach Paris, durchstreiften das Mittelmeer bis Konstantinopel, verweilten später bei Sicilien und ließen überall in der bekannten Welt die Spuren ihrer Raubzüge und ihres Aufenthaltes kennbar zurück.

Diese Seeräuber wurden damals, statt wie heute, vom Gesetze unerbittlich bestraft zu werden, unter jener barbarischen oder halbcivilisirten Gesellschaft nicht allein ermuthigt, sondern sogar von den »Skalden« besungen, welche jene ritterlichen Kämpfe, Abenteurerzüge und die Aeußerungen urwüchsiger Kraft mit enthusiastischen Lobpreisungen feierten. Vom 8. Jahrhundert ab[404] besuchten diese furchtbaren Seehelden die Orkaden, die Hebriden, die Shetlands-Inseln und die Färöer, wo sie irische Mönche antrafen, die sich daselbst schon seit einem Jahrhundert niedergelassen hatten, um die heidnischen Urbewohner zu bekehren.

Gegen 861 wurde ein norwegischer Pirat, Namens Naddod, vom Sturm nach einer schneebedeckten Insel verschlagen, die er Snöland (Schneeland) taufte, ein Name, der in späterer Zeit in Island (Eisland) umgeändert wurde. Auch hier begegneten die Normannen in den Bezirken von Papeya und Popili den irischen Mönchen, welche man Papis nannte.

Wenige Jahre später kam Ingolf in das Land und gründete Reijkiawik. Im Jahre 885 unterwarf Harold Haarfager ganz Norwegen seinen Waffen und sandte eine zahlreiche Flotte mit vielen Unzufriedenen nach Island. Hier bildete sich allmählich eine republikanische Regierung aus, welche im Mutterlande eben gestürzt worden war, und bestand auch bis 1261, zu welcher Zeit Island unter die Herrschaft der norwegischen Könige kam.

Kaum hatten sich jene abenteuerlustigen und durch Jagd auf Robben und Walrosse an weite Fahrten gewöhnten Leute in Island eingebürgert, als sie auch schon wieder ihre Irrfahrten anfingen und weit hinaus nach Westen segelten, wobei Guumbjörn, nur drei Jahre nach der Ankunft Ingolf's, die weißglänzenden Gebirgsspitzen Grönlands entdeckte. Fünf Jahre später fand Erik der Rothe, der von Island eines Mordes wegen verbannt worden war, unter 64. Grad nördlicher Breite die Küsten des von Guumbjörn gesehenen Landes wieder. Die Unfruchtbarkeit des Landes und die hier aufgethürmten Eismassen bestimmten ihn jedoch, weiter im Süden ein milderes Klima und offeneres, wildreicheres Land aufzusuchen. Er umschiffte also das Cap Farewell an der unteren Spitze Grönlands, ließ sich auf der Ostküste desselben nieder und errichtete hier für sich und seine Gefährten sehr geräumige Wohnstätten, deren Ueberreste von Jörgensen in unseren Tagen wieder aufgefunden wurden. Die Landschaft hier mochte wohl mit Recht den Namen, »Grünes Land« (Grönland) verdienen, den ihm die Normannen beilegten; seitdem freilich hat die jährlich beträchtliche Zunahme der Gletscher aus der ganzen Landschaft eine traurige Einöde gemacht.

Erik ging einmal nach Island, um seine Freunde aufzusuchen; im Jahre seiner Rückkehr nach Brattahalida (so hieß seine Niederlassung) schlossen sich ihm vierzehn Schiffe mit Auswanderern an. Das war ein wahrer Auszug,[405] der etwa in das Jahr 1000 zu setzen sein wird. In gleichem Schritt mit der Erweiterung der Hilfsquellen nahm auch die Bevölkerung Grönlands zu, und im Jahre 1121 wurde Gardar, die Hauptstadt des Landes, der Sitz eines Bischofs, der bis nach Columbus' Entdeckung der Antillen hier residirte.

Im Jahre 986 kam Björn Herjulfsson von Norwegen nach Island, um hier den Winter in Gesellschaft seines Vaters zu verbringen, stach aber, als er hörte, daß dieser mit Erik dem Rothen nach Grönland fortgezogen sei, sofort wieder in's Meer. Auf gut Glück hin suchte der junge Mann nun ein Land, dessen Lage er nicht einmal genau kannte, und die Strömungen trugen ihn nach Gestaden hin, welche man für Neu-Schottland oder Maine hält. Endlich gelangte er doch nach Grönland, wo ihm Erik, der mächtige, normannische »Jarl«, ernstliche Vorwürfe darüber machte, daß er die Länder, nach welchen ihn ein glücklicher Zufall geführt, nicht näher erforscht habe,

Erik hatte eben seinen Sohn Leif an den norwegischen Hof gesendet, ein Beweis, daß zwischen der Hauptstadt und den Kolonien ziemlich lebhafte Verbindungen bestanden haben mögen. Der König, der sich inzwischen zum Christenthum bekannt, hatte eben eine Gesandtschaft nach Island abgeschickt, um den Odhin-Cultus aufzuheben. Auch Leif gab er mehrere Priester mit, welche die Grönländer belehren und in den Grundwahrheiten des Christenthums unterrichten sollten; kaum in sein Vaterland zurückgekehrt, ließ der junge Abenteurer die frommen Männer unbekümmert an der Erfüllung ihres Auftrages arbeiten, setzte, als er von Björn's Entdeckung hörte, seine Schiffe wieder in Stand und zog zur Aufsuchung der von diesem gesehenen Länder aus. Er landet nacheinander an einer steinigen, trostlosen Ebene, der er den Namen Helluland gab und worin man ohne Schwierigkeit New-Foundland wiedererkennt, ferner an einer niedrigen, sandigen Küste, hinter der sich ein Saum dunkler, aber durch den Gesang unzähliger Vögel belebter Wälder hinstreckte. Zum dritten Male geht er in See und erreicht, nach Süden steuernd, die Bai von Rhode-Island, mit mildem Klima, deren Wasser so sehr von Lachsen wimmelte, daß er sich hier längere Zeit niederließ und aus Brettern und Planken große Gebäude errichtete, die er Leifsbudir (Leif's Haus) nannte. Hierauf beorderte er einige seiner Leute, die Umgegend in Augenschein zu nehmen, und diese kamen mit der frohen Botschaft zurück, daß im Innern des Landes der wilde Weinstock gedeihe, weshalb jenes den Namen »Vinland« erhielt. Im Frühlinge des Jahres 1001 fuhr Leif dann, nachdem[406] er seine Schiffe mit Fellen, Trauben, Holz und anderen Erzeugnissen des Landes reich beladen, nach Grönland zurück und hatte inzwischen auch beobachtet, daß der kürzeste Tag in Vinland noch neun Stunden währte, wodurch es möglich geworden ist, die Lage von Leifsbudir unter 41°24'10" zu bestimmen. Dieser gelungene Entdeckungszug, sowie die Rettung einer norwegischen Barke mit fünfzehn Mann, erwarb dem Sohne Erik's den Beinamen des Glücklichen.

Seine Expedition erregte allgemeines Aufsehen und die Erzählungen von den Wundern des Landes, in dem Leif verweilt hatte, veranlaßten seinen Bruder Thorwald, mit dreißig Mann dahin abzusegeln. Nachdem er den Winter in Leifsbudir zugebracht, untersuchte Thorwald die Küsten weiter nach Süden, kehrte im Herbst nach Vinland zurück und segelte im folgenden Jahre, 1004, längs des Ufers von Leifsbudir nach Norden. Während der Rückkehr trafen die Normannen zum ersten Male mit Eskimos zusammen, welche sie ohne Veranlassung unbarmherzig ermordeten. In der darauf folgenden Nacht sahen sie sich aber plötzlich von einer zahlreichen Flottille von Kayacs umringt, aus der eine Wolke von Pfeilen auf sie zuflog. Thorwald, der Führer der Expedition, wurde allein tödtlich verwundet, und seine Gefährten begruben ihn auf einem Vorgebirge, dem sie den Namen »das Vorgebirge des Kreuzes« gaben.

Am Golf von Boston fand man im 18. Jahrhundert ein ausgemauertes Grab mit Gebeinen und einem eisernen Säbelgefäß; da die Indianer dieses Metall nicht kannten, konnte dieses Skelet ihrem Stamme nicht angehören; ebenso konnte es sich hier nicht um die Ueberreste eines im 16. Jahrhundert gelandeten Europäers handeln, deren Säbel nicht diese so charakteristische Form hatten. Man hat darin vielmehr das Grab eines Skandinaven wiedererkennen wollen, wenn auch nicht gerade das Thorwald's, des Sohnes Erik's des Rothen.

Im Frühjahre 1007 verließen drei Schiffe mit hundertsechzig Mann und vielen Thieren den Eriksfjord, um eine dauernde Niederlassung zu begründen. Die Auswanderer bekamen Helluland, Markland und Vinland zu Gesicht und landeten an einer Insel, wo sie Baracken errichteten und schon die Bearbeitung des Bodens begannen. Man muß jedoch annehmen, daß sie hierbei nicht mit der nöthigen Umsicht und Vorsicht zu Werke gegangen seien, denn der Winter überraschte sie ohne Lebensmittelvorräthe, so daß sie arg[407] vom Hunger litten. Zum Glück kamen sie auf den Gedanken, einstweilen nach dem Festlande zurückzukehren, wo sie das Ende des Winters in leidlichen Verhältnissen abwarten konnten.

Zu Anfang des Jahres 1008 zogen sie wieder zur Aufsuchung von Leifsbudir aus und ließen sich an der Mount-Hope-Bai, und zwar an dem, Leif's früherer Ansiedlung gegenüberliegenden Ufer nieder. Hier wurden zuerst einige Verbindungen mit den in den Sagas »Skrellings« genannten Eingebornen angeknüpft, unter welch' Letzteren man die Eskimos ohne Schwierigkeit wiedererkennt. Die erste Begegnung mit denselben verlief ganz friedlich und es entwickelte sich ein, beide Theile zufriedenstellender Tauschhandel bis zu dem Tage, da das Verlangen der Eskimos nach eisernen Aexten, deren Auslieferung die Norweger stets verweigert hatten, jene zu feindlichen Angriffen und Gewalthätigkeiten trieb, welche die neuen Ansiedler nach dreijährigem Aufenthalt zur Rückkehr in ihr Vaterland veranlaßten, ohne von ihrer Niederlassung auf amerikanischem Boden auch nur eine Spur zu hinterlassen.

Wir können hier begreiflicher Weise nicht die Expeditionen alle einzeln aufzählen, die von Grönland aus nach den Küsten Labradors und der Vereinigten Staaten ausgeführt wurden. Diejenigen unserer Leser, welche sich hierüber eingehender zu unterrichten wünschen, verweisen wir auf die interessante Arbeit Gabriel Gravier's, dessen vollständigstem Werke über diesen Gegenstand wir auch selbst alles auf die Fahrten der Normannen Bezügliche entlehnen.

In demselben Jahre, wo Erik der Rothe nach Grönland kam, also 983, wurde ein gewisser Hari Marson durch Sturm von der gewöhnlichen Schiffsstraße nach einem Lande verschlagen, das den Namen des Landes der weißen Menschen führt und sich, nach Rafn, von der Cheasapeak-Bai bis Florida erstreckte.

Woher stammte wohl dieser Name? Wohnten etwa hier Landsleute Marson's schon früher? Nach den Worten der Chronik sollte man das fast voraussetzen. Es hätte offenbar ein großes Interesse, die Nationalität dieser ersten Ansiedler bestimmen zu können. Noch haben die Sagas ja nicht alle ihre Geheimnisse offenbart. Gewiß sind noch manche derselben unbekannt, und da die bis jetzt aufgefundenen alle vorher nur angenommenen Thatsachen bestätigt haben, darf man wohl die Hoffnung hegen, daß unsere Kenntnisse der isländischen Seezüge sich nach und nach vervollständigen werden.


Eisberge Grönlands. (S. 413.)
Eisberge Grönlands. (S. 413.)

Eine andere, zum Theil freilich sehr romantische Legende, welche aber jedenfalls einen Kern von Wahrheit enthält, erzählt, daß ein gewisser Björn, der in Folge einer unglücklichen Leidenschaft Island verlassen mußte, bis über Vinland hinaus geflüchtet sei, wo man im Jahr 1027 noch einige seiner Begleiter wiedergefunden habe.[408]

Bei einer anderen Expedition im Jahre 1051 wurde eine isländische Frau von den Skrellings erschlagen und im Jahre 1867 hat man ein Grab[409] mit Runen-Inschrift eröffnet, in dem sich Gebeine und einzelne Toilettegegenstände vorfanden, welche jetzt im Museum zu Washington aufbewahrt werden. Diesen Fund machte man übrigens genau an derselben Stelle, welche eine, diese Vorfälle behandelnde Sage, die man 1863 entdeckte, bezeichnet hatte.

Die in Island und Grönland hausenden Normannen waren indessen auch um das Jahr 1000 nicht die einzigen Besucher der amerikanischen Küsten, wie das der Name Groß-Irland – die andere Bezeichnung für das Land der weißen Menschen – darthut. Die Geschichte Madoc-op-Owens weist nach, daß hier Irländer und Gallier Kolonien angelegt hatten, über die wir freilich nur sehr spärliche Nachrichten besitzen. Trotz aller Ungewißheit stimmen aber d'Avezai und Gaffarel über die Wahrscheinlichkeit derselben vollkommen überein.

Von der Erwähnung dieser Züge und Ansiedlungsversuche der Normannen in Labrador, Vinland und den noch südlicheren Gegenden kehren wir nun nach dem Norden zurück. Die zuerst in der Nähe des Cap Farewell gegründeten Niederlassungen verbreiteten sich bald längs der Nordküste, welche damals beiweitem nicht einen so trostlosen Charakter hatte als heute, bis in hohe Breitengrade hinauf, zu denen man erst in unseren Tagen wieder vorgedrungen ist. Zu jener Zeit betrieb man den Robben-, Walrosse- und Walfischfang noch in der Bai von Diskö, und man zählte hundertneunzig Städte in der Westerbygd neben sechsundneunzig Städten in der Esterbygd Heute erreicht die Anzahl der Niederlassungen an jenen eisigen Küsten jene frühere nicht im mindesten.

Wahrscheinlich bestanden diese Städte allerdings nur aus kleinen Gruppen von hölzernen und steinernen Häusern, deren Ruinen man vom Cap Farewell bis Uppernavik unter 72°50' nördlicher Breite noch vielfach wiederfindet. Eine Menge Runen-Inschriften, deren Entzifferung später gelungen ist, hat jetzt über die so lange Zeit vergessenen Thatsachen völlig Licht verbreitet. Wie viele solche Spuren der Vergangenheit mögen aber noch immer zu entdecken sein! Wie viele werthvolle Zeugnisse von der Kühnheit und dem Unternehmungsgeiste der skandinavischen Race mögen wohl für immer unter den Gletscher-Riesen begraben liegen!

Man hat auch angenommen, daß selbst das Christenthum in Amerika und vorzüglich in Grönland schon Fuß gefaßt hatte. In letzterem Lande fanden auf Anordnung Papst Gregor's IX. regelmäßige Kirchenvisitationen[410] statt, um die neubekehrten Normannen im Glauben zu stärken und die Indianer- und Eskimostämme dem Christenthum zu gewinnen. Noch mehr; im Jahre 1865 hat Riant unwiderleglich bewiesen, daß in Grönland, vorzüglich im Bisthum Gardar, sowie auf den Inseln und in den benachbarten Ländern die Kreuzzüge gepredigt worden sind, und daß Grönland bis zum Jahre 1418 dem päpstlichen Stuhl einen Zehent und den gewöhnlichen Peterspfennig bezahlte, der für das genannte Jahr aus 2600 Pfund Walroßzähnen bestand.

Die norwegischen Kolonien verdanken ihren Zerfall und ihren Untergang verschiedenen Ursachen, wie der ungemein schnellen Ausdehnung der Gletscher – Hayes hat z.B. nachgewiesen, daß der Bruder »Johann«-Gletscher jährlich um 30 Meter zunahm –; der schlechten Politik des Mutterlandes, welche die Auswanderung nach den Kolonien einschränkte; der schwarzen Pest, die Grönlands Bevölkerung von 1347–1351 decimirte; endlich den Verwüstungen fremder Seeräuber, welche im Jahre 1418 die schon heruntergekommenen Ansiedlungen überfielen und in welchen man Bewohner der Orkaden und der Färöer, von denen später die Rede sein soll, zu erkennen geglaubt hat.

Einer der Genossen Wilhelm's des Eroberers, Saint-Clair oder Sinclair mit Namen, der sich durch den ihm zufallenden Antheil an Land nicht nach Verdienst belohnt hielt, zog nach Schottland auf Abenteuer aus und erwarb sich hier bald Ehren und Reichthümer. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts kamen die Orkaden unter die Herrschaft seiner Nachfolger.

. Im Jahre 1390 litt ein gewisser Nicolo Zeno, der Sproß einer der ältesten und vornehmsten Familien Venedigs, der auf seine Kosten ein Fahrzeug ausgerüstet hatte, nur um England und Flandern kennen zu lernen, im Archipel der Orkaden Schiffbruch. Schon war er in Gefahr, von den Bewohnern elend hingemordet zu werden, als ihn Graf Sinclair noch rechtzeitig in seinen Schutz nahm. Die Geschichte dieses Schiffbruchs, der Abenteuer und Entdeckungen, welche dessen Folge waren und deren auch Ramusio in seiner Sammlung Erwähnung thut, beschrieb, nach dem Zeugnisse des gelehrten Geographen Clemens Markham, das sich in seinen »Zugängen nach den ungekannten Ländern« findet, zuerst Antonio Zeno. Leider zerriß ein im Jahre 1515 geborner Nachkömmling desselben, Namens Nicolas Zeno, als Kind diese Papiere, deren Werth er ja nicht zu begreifen verstand. Da noch einige Blätter erhalten blieben, vermochte er diesen Bericht später wieder zu[411] ergänzen, und dieser spätere ist es, den wir jetzt in einem aus Venedig stammenden Drucke besitzen. In dem Palaste der Familie fand sich auch eine durch das Alter schon halb vermoderte Karte, welche jene Reise vor Augen führte. Er stellte von dieser eine Copie her, wobei er sie leider nach dem Texte seines Berichtes vervollständigte, was er für das Verständniß derselben für nothwendig erachtete. Da er aber hierbei in sehr unbesonnener Weise zu Werke ging und ohne die eingehenden geographischen Kenntnisse, die uns heute zu entscheiden erlauben, wo er sich irrte, so brachte er in das Ganze eine bedauernswerthe Unklarheit, während diejenigen Theile der Karte, die einer solchen Verstümmlung entgingen und noch das alte Original erkennen lassen, sich durch eine, selbst über die geographischen Kenntnisse der Zeit Nicolas Zeno's des Jüngeren weit hinausreichende Genauigkeit auszeichnen und die Lage der alten Kolonie von Grönland ganz unzweifelhaft feststellen. Es erklären sich hierdurch nicht allein die vielen, über diesen Gegenstand geführten Discussionen, sondern es wird damit auch die Authenticität des Berichtes selbst unwiderleglich dargethan, denn Nicolas Zeno der Jüngere war doch nicht im Stande, eine Geschichte zu erfinden, deren Wahrheit er gegenüber den Angaben der Karte aus Unkenntniß entstellt hätte.

Der Name Zichmin, unter welchem zeitgenössische Schriftsteller und unter ihnen vor Allem H. Major, der diese Ereignisse dem Bereiche der bloßen Fabeln entrückt hat, den Namen Sinclair's verstehen, scheint sich in der That nur auf diesen Beherrscher der Orkaden zu beziehen.

Zu dieser Zeit wurden die nördlichen Meere Europas vielfach von skandinavischen Seeräubern unsicher gemacht. Sinclair, der in Zeno bald einen geschickten Seemann erkannte, verbündete sich deshalb mit diesem zur Eroberung von Frisland, dem Neste der Seeräuber, die den ganzen Norden Schottlands verwüsteten. In den Hafenbüchern vom Ausgange des 15. Jahrhunderts und den Seekarten von Anfang des 16. Jahrhunderts bezeichnet dieser Name die Gruppe der Färöer, was höchst wahrscheinlich richtig ist, denn Buache hat in den heutigen Namen der Häfen und Inseln dieses Archipels eine ziemliche Menge der von Zeno angeführten alten Namen wiedererkannt. Dazu erweisen sich die Angaben des venetianischen Seehelden über die fischreichen Gewässer und die gefährlichen Untiefen zwischen den einzelnen Inseln auch noch heutzutage zutreffend.

Zufrieden mit seiner Lage, schrieb Zeno an seinen Bruder Antonio[412] und lud diesen zu sich ein. Während nun Sinclair mit der Eroberung der Färöer beschäftigt war, plünderten norwegische Piraten die Schettlands-Inseln, welche damals übrigens Eastland hießen Nicolo ging unter Segel, um jenen eine Schlacht zu liefern, mußte aber vor ihrer weit stärkeren Flotte entfliehen und suchte auf einer kleinen Insel an der Küste von Island Schutz.

Nachdem er hier überwintert, soll Zeno im folgenden Jahre nach der Ostküste von Grönland abgesegelt und unter dem 69. Breitengrade gelandet sein, wo sich »ein Kloster des Ordens der Prediger von St. Thomas und eine zugehörige Kirche befanden. Die Klosterzellen wurden hier durch eine heiße Quelle erwärmt, welche die Mönche auch zur Zubereitung ihrer Speisen und zum Backen des Brotes benutzten. Die Mönche besaßen auch Gärten, die während des Winters überdeckt und auf die nämliche Weise geheizt waren, so daß sie Blumen, Früchte und Kräuter ziehen konnten, als lebten sie in einem weit milderen Klima«. Diese Erzählung erhält eine merkwürdige Bestätigung dadurch, daß ein Kapitän der dänischen Marine in den Jahren 1828– 1830 unter dem neunundsechzigsten Grade der Breite eine aus 660 Köpfen bestehende Bevölkerung von durchweg europäischem Typus antraf.

Die abenteuerliche Fahrt in Gegenden, deren Klima dem Venedigs so wenig gleichkam, wurde für Zeno jedoch verderblich und er starb kurz nach seiner Rückkehr von Frisland.

Ein alter mit dem Venetianer zurückgekehrter Seemann, der, wie er sagte, in den Ländern des äußersten Westens lange Jahre als Gefangener zugebracht hatte, beschrieb Sinclair jene Länder so schön und fruchtbar, daß dieser den Entschluß faßte, dieselben mit Hilfe Antonio Zenos, der inzwischen der Einladung seines Bruders gefolgt war, zu erobern. Die Einwohner derselben erwiesen sich aber so feindselig und setzten der Landung der Fremden einen so heftigen Widerstand entgegen, daß Sinclair nach einer langen, gefährlichen Fahrt unverrichteter Dinge nach Frisland umkehren mußte.

Das ist Alles, was von jenen Ereignissen noch auf uns gekommen ist, und wir haben es gewiß sehr zu bedauern, daß Antonio Zeno's Briefe an seinen Vater verloren gegangen sind, welche hierüber sicher weitere Aufschlüsse und auch Nachrichten über ein Land lieferten, das Forster und Malte-Brun mit Neufundland identificiren.

Wer weiß, ob Columbus nicht bei Gelegenheit seiner Reisen nach[413] England und seiner Züge bis nach dem fernen Thule von diesen vorhergegangenen Fahrten der Normannen und der Zeni's reden hörte, und ob ihm nicht ebendieselben lückenhaften Nachrichten seine Theorien bestätigten und seine Ideen bestärkten, zu deren Durchführung er den König von England um Unterstützung anging?

Aus Allem, was wir hier kurz mitgetheilt haben, geht doch unzweifelhaft hervor, daß Amerika schon vor Columbus den Europäern bekannt und an einzelnen Stellen sogar kolonisirt war. In Folge verschiedener Umstände, in deren erster Reihe die Seltenheit der Verbindungen zu nennen ist, welche die Bevölkerungen des nördlichen Europas mit denen im Süden unterhielten, gelangten von den Entdeckungen der Normannen gewiß nur sehr spärliche und unzuverlässige Nachrichten bis nach Spanien und Portugal. Allem Anscheine nach wissen wir heutzutage hiervon weit mehr als die Zeitgenossen Columbus'. Kamen dem genuesischen Seemanne derlei Gerüchte zu Ohren, so stellte er sie jedenfalls mit den Anzeichen zusammen, die ihm bei den Inseln des Grünen Vorgebirges in die Augen fielen, und er verband sie wohl auch mit seinen classischen Erinnerungen von der fabelhaften Insel Antilia und der Atlantis Plato's. Die Uebereinstimmung solcher Andeutungen von den verschiedensten Seiten erzeugte in ihm jedenfalls die Gewißheit, daß man den Orient auch auf dem Wege nach Westen werde erreichen können. Doch wie dem auch sei, sein Ruhm bleibt ungeschmälert; er ist der eigentliche Entdecker von Amerika, nicht Jene, die der Zufall oder Sturm dahin verschlug, ohne die Absicht nach den Küsten Asiens zu gelangen, wie der große Columbus, dem Amerika nur den vorausgeahnten Weg versperrte.

Die Nachrichten, welche wir über die Familie Cortereal zu geben vermögen, sind, wenn auch weit vollständiger als die Angaben der biographischen Lexica, doch noch immer sehr oberflächlich und unbestimmt. Wir müssen uns jedoch damit begnügen, denn bis jetzt hat die Geschichtsforschung noch nicht mehr über dieses kühne Seefahrer-Geschlecht zu Tage gefördert.

Joao Vaz Cortereal war der Bastard eines Edelmannes Namens Vasco Annes da Costa, der wegen des prahlerischen Aufwandes seines Hauses und seiner Dienerschaft vom Könige von Portugal den Spottnamen Cortereal erhalten hatte. Wie so viele andere Edelleute seiner Zeit abenteuerlichen Seereisen zugethan, soll Joao Vaz in Galicien ein junges Mädchen, Namens Maria de Abarea, entführt haben, mit der er sich vermählte.[414]

Nachdem er längere Zeit eine Anstellung als Hussier des Infanten Don Fernand gehabt, schickte ihn der König mit Alvaro Martins Homen auf den nördlichen Atlantischen Ocean hinaus. Die beiden Seefahrer sollen da in Sicht einer Insel gekommen sein, welche seit jener Zeit mit dem Namen Terra das Bacalhaos, d. i. Stockfischland, bezeichnet wurde, und welche wahrscheinlich zu Neufundland gehörte. Die Zeit dieser Entdeckung ist wenigstens annähernd dadurch festzustellen, daß sie bei der Rückkehr in Terceira landeten, und, da die dortige Statthalterschaft durch Jacome de Bruges' Ableben gerade erledigt war, bei der Infantin Doña Brites, der Witwe des Infanten Don Fernand, um diese Stelle anhielten, welche sie ihnen unter der Bedingung verlieh, daß Beide dieselbe gemeinschaftlich einnähmen, eine Thatsache, die noch durch eine Schenkungsurkunde aus Evora vom 2. April 1464 bestätigt wird.

Ohne die Authencität dieser Entdeckung Amerikas verbürgen zu können, steht doch so viel fest, daß sich die Fahrt Cortereal's durch irgend ein besonderes Vorkommniß ausgezeichnet haben muß. Man pflegte mit großartigen Schenkungen nur Diejenigen zu belohnen, welche der Krone hervorragende Dienste geleistet hatten.

Nach seiner Niederlassung in Terceira ließ sich Vaz Cortereal in der Zeit von 1490 bis 1497 in der Stadt Angra einen prachtvollen Palast erbauen, den er mit seinen drei Kindern bewohnte. Gaspard, sein dritter Sohn, der zuerst im Dienste des Königs Emanuel stand, als dieser noch Herzog von Beja war, fühlte sich schon in frühen Jahren zu denselben wagehalsigen Unternehmungen hingezogen, welche den Ruhm seines Vaters begründet hatten. Durch einen aus Cintra vom 12. März 1500 datirten Erlaß machte der König Emanuel Gaspard Cortereal die Inseln und das Festland zum Geschenk, die er werde entdecken können, wobei der König noch sonderbarer Weise hinzufügte, daß »er jene schon früher auf seine eigenen Kosten aufzufinden versucht habe«.

Höchst wahrscheinlich beabsichtigte er seine Untersuchungen in der Richtung hin vorzunehmen, wo sein Vater die Stockfischinsel aufgefunden hatte.


Karte der Entdeckungen der Cabot's (Vater und Sohn).
Karte der Entdeckungen der Cabot's (Vater und Sohn).

Er rüstete also, wenn auch mit der Hilfe des Königs, doch in der Hauptsache auf eigene Kosten zu Anfang des Sommers 1500 zwei Schiffe aus, lief zuerst in denHafen von Terceira ein und segelte von hier aus nach Nordwesten. Zuerst entdeckte er ein Land, dessen pflanzenreiches, frischgrünes Aussehen ihn sehr bestochen haben mag. Es war das Canada. Er fand hier einen großen Strom, der Eisschollen herabwälzte, den St.-Lorenzo, den einige seiner Begleiter für einen Meeresarm hielten und dem er den Namen Rio-Nevado gab. »Der Ausfluß desselben ist so beträchtlich, daß dieses Land gewiß keine Insel sein kann, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß[417] jenes eine sehr starke Schneedecke tragen muß, um einen solchen gewaltigen Wasserlauf speisen zu können.«

Die Häuser in der Nähe waren aus Holz erbaut und mit Fellen und Häuten bedeckt. Das Eisen kannten die Bewohner derselben nicht, sondern bedienten sich als Hiebwaffen scharfkantiger Steine, während ihre Pfeile mit spitzigen Fischknochen oder ähnlich geformten Steinen bewehrt erschienen. Groß von Gestalt und wohl gebaut, hatten sie Gesicht und Körper mit bunten Farben bemalt, trugen Armbänder aus Gold oder Kupfer und eine Kleidung aus Pelzfellen.

Cortereal setzte seine Fahrt weiter fort und gelangte zum Cap der »Bacalhaos, einer Fischart, die sich hier in so beträchtlicher Menge tummelte, daß die Caravellen kaum vorwärts kommen konnten«. Dann folgte er der Küste in einer Ausdehnung von zweihundert Meilen, vom 56. bis zum 60. Breitengrade und viel leicht noch höher hinauf, und bezeichnete die Inseln, Ufer und Golfe, die er fand, wie Terra do Labrador, Bahia de Conceiçao u.s.w., wobei er wiederholt an's Land ging und sich mit den Ureinwohnern in Verbindung setzte. Die sehr strenge Kälte und ein Strom ungeheuerer Eismassen verhinderten das Geschwader, noch höhere Breiten zu erreichen, und so kehrte es, mit siebenundfünfzig Eingebornen an Bord, nach Portugal zurück.

Sobald er heimgekommen, erhielt Gaspard Cortereal, auf einen vom 15. April 1501 datirten Befehl, neuen Proviant und verließ Lissabon schon wieder am 15. Mai 1501, in der Hoffnung, den Kreis seiner Entdeckungen noch zu erweitern. Von dieser Zeit ab hörte man jedoch von ihm niemals wieder. Sein Bruder, Michel Cortereal, der erste Huissier des Königs, erhielt dann auf seine Bitte die Erlaubniß, nach jenem zu suchen und sein Unternehmen weiter zu führen. Durch ein Handschreiben vom 15. Januar 1502 wurde ihm die Hälfte der Inseln und des festen Landes, die sein Bruder entdeckt haben könnte, als Geschenk zugesichert. Am 10. Mai lichteten Michel Cortereal's drei Schiffe die Anker. Der Führer gelangte mit denselben glücklich nach Neufundland, wo er sein kleines Geschwader theilte, damit jedes Schiff für sich Nachforschungen anstellen könnte, und bestimmte auch einen Punkt als Stelldichein. Zur festgesetzten Zeit erschien er selbst hier aber nicht, und so schlugen die beiden anderen Schiffe, nachdem sie ihn bis zum 20. August vergeblich erwartet, den Rückweg nach Portugal ein.


Sebastian Cabot. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 419.)
Sebastian Cabot. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 419.)

Im Jahre 1503 schickte der König nochmals zwei Caravellen aus, um[418] Auskunft über die beiden Brüder zu erlangen; ihre Nachforschungen blieben jedoch erfolglos und sie kamen zurück, ohne das mindeste erfahren zu haben.

Auf diese traurige Nachricht hin beschloß der letzte der Gebrüder Cortereal, Vasco Annes, welcher Kapitän, Statthalter der Inseln St. Georg und Terceira und Alcalde der Stadt Tavilla war, auf seine Kosten ein Schiff auszurüsten und zur Aufsuchung seiner Brüder auszuziehen. Dem widersetzte sich aber der König aus Furcht, auch den Letzten des Hauses, das ihm so hervorragende Staatsdiener gegeben, bei einem solchen Unternehmen einzubüßen.

Auf den Karten jener Zeit findet man Canada oft mit dem Namen Terra des Cortereales bezeichnet, ein Name, der nicht selten auch für weit tieferliegende Gebiete angewendet wird und dann einen großen Theil Nordamerikas umfaßt.

Alle Nachrichten über Johann und Sebastian Cabot lagen noch bis auf die neueste Zeit sehr im Dunkel, das auch jetzt noch nicht völlig zerstreut ist, trotz der gewissenhaftesten Studien des Amerikaners Biddle, 1831, des Franzosen Avezac und des Engländers Nicholls, 1869, der unter Benutzung alles dessen, was er den Archiven Englands, Spaniens und Venedigs entlehnte, eine zwar hervorragende, doch nach manchen Seiten hin anfechtbare Arbeit geliefert hat. Den Werken der beiden Letztgenannten entnehmen wir auch die Unterlagen zu dieser kurzen Darstellung, vorzüglich aber der Arbeit Nicholls', der unter Benutzung des Avezac'schen Buches das ganze Leben Sebastian Cabot's schildert.

Man ist weder über den Namen, noch über die Nationalität Johann Cabot's einig, noch weniger über das richtige Datum seiner Geburt. Johann Cabota, Caboto oder Cabot soll, wenn nicht in Genua selbst, wie Avezac behauptet, doch in der Nähe dieser Stadt, vielleicht in Castiglione, etwa zu Ende des ersten Viertels im 15. Jahrhundert geboren sein. Einige Geschichtsschreiber machen aus ihm allerdings einen Engländer, und die nationale Eigenliebe hat wohl ihren Theil daran, wenn Nicholls sich dieser Meinung anschloß, wenigstens scheint das aus den von ihm gebrauchten Ausdrücken[419] hervorzugehen. Unzweifelhaft weiß man nur, daß Johann Cabot nach London kam, um Handelsgeschäfte zu betreiben, und sich bald darauf in Bristol, damals der zweiten Stadt des Königreichs, und zwar in einer der Vorstädte niederließ, welche den Namen Cathay (China) erhalten hatte, gewiß wegen der vielen Venetianer, welche darin wohnten, und wegen der Handelsbeziehungen, die diese mit den Ländern des fernsten Ostens unterhielten. Hier wären dann auch die beiden letzten Kinder Cabot's, Sebastian und Sanche, geboren worden, wenn man dem alten Chronisten Eden glauben darf, was er darüber äußert: »Sebastian Cabot sagte mir, daß er in Bristol geboren, im Alter von vier Jahren mit seinem Vater nach Venedig gekommen und wenige Jahre später mit ihm wieder nach England zurückgekehrt sei, weshalb man vielfach Venedig für seine Vaterstadt gehalten habe.« Im Jahre 1476 befand sich Johann Cabot bestimmt abermals in Venedig und erhielt daselbst am 29. März ein Naturalisations-Patent, wodurch bewiesen wird, daß er nicht aus derselben Stadt gebürtig sein konnte und diese Ehre wahrscheinlich durch wichtige Dienste zum Nutzen der Republik verdient haben mochte. Avezac neigt sich zu der Annahme, daß jener zuerst Kosmographie und Schifffahrtskunde getrieben habe, vielleicht gar zusammen mit dem berühmten Florentiner Paul Toscanelli, von dem er dann die damalige Theorie von der Vertheilung der Länder und Meere auf der Erdkugel kennen gelernt hätte. Dabei konnte er wohl auch von dem im Atlantischen Ocean gelegenen Inseln, Namens Antilia, das Siebenstädteland oder Brasilien, reden gehört haben. Beglaubigter ist aber, daß seine Handelsgeschäfte ihn nach der Levante, man sagt sogar bis Mekka führten, und daß er dort nähere Kunde von den Ländern erhielt, aus denen die Gewürze, damals der wichtigste Handelsartikel Venedigs, herstammten.

Wie dem nun auch sei, jedenfalls begründete Cabot in Bristol ein sehr großes Handelshaus. Sein Sohn Sebastian, der durch die ersten Reisen schon am Seeleben Geschmack gewann, unterrichtete sich emsig in allen Zweigen der Schifffahrtskunde und machte einige Fahrten über den Ocean, um seine erworbenen theoretischen Kenntnisse durch praktische Erfahrungen zu vervollständigen. »Seit sieben Jahren schon, schreibt der spanische Gesandte in einer Depesche vom 25. Juli 1498 bei Gelegenheit einer von Cabot geführten Expedition, rüsten diese Kaufleute aus Bristol zwei, drei, auch vier Caravellen aus, um nach der Insel Brasilien oder den Sieben Städten, je nach dem[420] Gutdünken jener Genuesen, zu segeln.« Zu jener Zeit erregten Columbus' großartige Entdeckungen eben das gewaltigste Aufsehen in ganz Europa. »Da regte sich in mir, sagt Sebastian Cabot in einem von Ramusio überlieferten Schriftstücke, der lebhafteste Wunsch, ja, ein brennendes Verlangen, mich durch etwas Aehnliches hervorzuthun, und da ich von der Anordnung unserer Erdkugel her wußte, daß ich, nach Westen segelnd, schneller als auf dem bisherigen Wege nach Indien gelangen müßte, legte ich Sr. Majestät meine Pläne vor und erfreute mich der schmeichelhaftesten Anerkennung.« Der König, an den sich Cabot wendete, war derselbe Heinrich VII, der wenige Jahre früher Christoph Columbus jede Unterstützung verweigert hatte. Es liegt auf der Hand, daß er das Project Johann und Sebastian Cabot's jetzt günstiger aufnahm, denn wenn Sebastian auch in dem oben citirten Fragmente allein die Ehre von dieser Unternehmung für sich zu beanspruchen scheint, so steht doch außer allem Zweifel, daß sein Vater der erste geistige Urheber derselben war, wie es auch das nachfolgende Patent, das wir im Auszuge mittheilen, hinlänglich beweist: »Wir, Heinrich... gestatten hiermit unserem lieben, getreuen Johann Cabot, Bürger der Stadt Venedig, und seinen Söhnen Louis, Sebastian und Sanche, unter unserer Flagge und mit fünf Fahrzeugen, deren Tonnengehalt und Mannschaft sie nach bestem Ermessen bestimmen mögen, auf eigene Kosten und Gefahr zur Entdeckung neuer Länder auszuziehen.... wir ermächtigen und bestätigen sie, sowie ihre Nachkommen und Rechtsnachfolger, zur Eroberung und im Besitze derselben .... unter der Bedingung, uns von den Erträgnissen, Vortheilen und Beneficien, welche sie durch dieses Unternehmen erlangen, in Gold oder Waaren ein Fünftel zu zahlen, und das auch von jeder späteren Reise, wenn sie nach dem Hafen von Bristol – welchen Hafen sie stets zuerst anzulaufen verpflichtet sein sollen – zurückkehren.... versprechen und versichern ihnen daß sie, ihre Erben und Rechtsnachfolger für immer von allen Zöllen befreit bleiben werden für die Waaren, die sie aus den neu entdeckten Ländern heimbringen.... verordnen und befehlen allen unseren Unterthanen zu Wasser und zu Lande, genannten Johann und seinen Söhnen bereitwillig Hilfe zu leisten.... Gegeben in... am 5. März 1495.«

So lautet das Patent, welches für Johann Cabot und seine Söhne bei ihrer Rückkehr von Amerika, nicht, wie verschiedene Schriftsteller wollen, vor dieser Reise ausgefertigt wurde. Sobald die Nachricht von Columbus'[421] glücklicher Entdeckung nach England drang, d.h. wahrscheinlich 1493, rüsteten Johann und Sebastian Cabot auf eigene Unkosten eine Expedition aus und segelten zu Anfang des Jahres 1494 mit der Absicht ab, Cathay und von da aus Indien zu erreichen. Es kann hierüber kein Zweifel obwalten, denn in der National-Bibliothek zu Paris wird noch jetzt das einzige Exemplar einer im Jahre 1544, also noch zu Lebzeiten Sebastian Cabot's, gestochenen Karte aufbewahrt, welche über diese Reise und das bestimmte Datum der Entdeckung des Cap Breton Aufschluß giebt.

Wahrscheinlich verschuldeten die Winkelzüge des spanischen Gesandten die Verzögerung der Expedition Cabot's, denn das Jahr 1496 verlief vollständig, ohne daß jene zu Stande kam.

Erst im folgenden Jahre reiste derselbe zu Anfang des Sommers ab. Nachdem er die Terra Prima-Vista zu Gesicht bekommen, segelte er längs der Küste weiter, die er zu seinem großen Bedauern immer nach Norden verlaufen sah. »Vergeblich folgte ich derselben weiter, um vielleicht eine Durchfahrt aufzufinden, und gelangte dabei bis zum 56. Grade der Breite. Hier sprang das Land gar nach Osten zu vor, so daß ich an meinem Vorhaben verzweifelte. Ich drehte nun um und steuerte nach dem Wendekreise zu, um die Küste nach dieser Seite hin zu erforschen und vielleicht hier einen offenen Seeweg nach Indien zu finden; dabei gelangte ich zu dem Lande, das man jetzt Florida nennt, mußte mich nun aber, wegen beginnenden Mangels an Nahrungsmitteln, zur Rückkehr nach England entschließen.« Den Bericht, dessen Anfang wir im Obigen mittheilten, erstattete Cabot an Fracastor erst vierzig bis fünfzig Jahre nach den Ereignissen selbst. Es scheint deshalb auch weniger erstaunlich, ihn hierbei zwei Fahrten, die von 1(94 mit der von 1497 vermengen zu sehen. Fügen wir zu diesem Berichte noch einige Anmerkungen hinzu: Das zuerst gesehene Land war ohne Zweifel das Cap Nord, an der nördlichen Spitze der Insel Cap Breton, und die gegenüberliegende Insel die Prinz-Eduards-Insel, welche auch lange Zeit hindurch St. Johann hieß. Cabot drang wahrscheinlich in die Mündung des St.-Lorenzo, den er für einen Meeresarm hielt, bis in die Nähe des heutigen Quebec ein und folgte der Nordküste des Golfes, so daß er die nach Osten verlaufenden Gestade Labradors wohl gar nicht gesehen hat. Er hielt Terra Nova (d. i. Neufundland) für eine Inselgruppe und setzte seinen Weg nach Süden, nicht nach Florida, wie er selbst sagt – denn die Dauer der Fahrt[422] widerspricht schon allein einer solchen Annahme – sondern nur bis zur Cheasapeaka-Bai fort. Die Länder in diesen Breiten nämlich sind es, welche die Spanier später »Terra de Estevam Gomez« nannten.

Am 3. Februar 1489 unterzeichnete König Heinrich VII. in Westminster neue Patentbriefe. Er autorisirte Johann Cabot oder seinen gebührend bevollmächtigten Stellvertreter, in den Häfen Englands sechs Fahrzeuge von je 200 Tonnen auszuwählen, Seeleute, Schiffsjungen und Hilfspersonal zu heuern, so viele eben sich freiwillig entschließen würden, ihm nach den unentdeckten Ländern und Inseln zu folgen, und die nöthigsten Ausrüstungsgegenstände für den nämlichen Preis wie die Krone einzukaufen. Johann Cabot bestritt selbst die Kosten für zwei Fahrzeuge, während drei andere mit den Kapitalien der Kaufleute von Bristol fertig gestellt wurden.

Aller Wahrscheinlichkeit hinderte Johann Cabot ein unerwarteter, plötzlicher Tod, die Führung der Expedition zu übernehmen. Sein Sohn Sebastian befehligte also die Flotte, welche dreihundert Mann und Lebensmittel für die Zeit eines Jahres mitnahm. Nachdem er unter dem 45. Grade in Sicht des Landes gekommen, folgte Sebastian Cabot der Küste bis zum 58. Breitengrade und vielleicht noch höher hinauf; dann wurde es aber so kalt und man begegnete so vielem Treibeise, daß es sich von selbst verbot, weiter nach Norden vorzudringen. Die Tage daselbst waren sehr lang und die Nächte auffallend hell, eine wegen der Bestimmung der Breite interessante Angabe, denn wir wissen, daß unter dem 60. Breitengrade die längsten Tage achtzehn Stunden dauern. Die eben angeführten Gründe bestimmten also Sebastian Cabot zu wenden und er berührte bald die Bacalhaos-Inseln, deren mit Thierfellen bekleidete Bewohner Bögen und Pfeile, Lanzen, Wurfspieße und hölzerne Schwerter als Waffen führten. Die Seefahrer singen hier eine große Menge Stockfische, welche, einem alten Berichte nach, so zahlreich vorhanden sein sollten, daß sie ein Schiff im Laufe aufhielten. Nach Untersuchung der amerikanischen Gestade bis herab zum 38. Grade, schlug Cabot den Weg nach England wieder ein, wo er Anfangs Herbst anlangte.

Diese Expedition verfolgte zwar den dreifachen Zweck der Länderentdeckung, des Handels und der Kolonisation, wie es aus der Zahl der Schiffe und der Stärke der Besatzung hervorgeht. Es scheint jedoch nicht so, als habe Cabot irgend Jemand ausgeschifft oder einen Niederlassungsversuch in Labrador oder der Hudsons-Bai gemacht, die er im Jahre 1517, unter der Regierung Heinrich's VIII., eingehender kennen lernen sollte, noch auch im Süden von den Bacalhaos-Inseln, welche Gebiete man im Allgemeinen als Neufundland bezeichnet.


Cabot führte den Vorsitz bei einer Versammlung von Kosmographen. (S. 427.)
Cabot führte den Vorsitz bei einer Versammlung von Kosmographen. (S. 427.)

Nach dieser fast vollständig fruchtlosen Expedition verlieren wir Sebastian Cabot bis zum Jahre 1517, wenn auch nicht ganz, doch soweit aus dem Gesicht,[423] daß die Nachrichten über seine Thaten und Reisen nur sehr spärlich fließen. Im Mai 1499 hatte Hojeda, dessen verschiedene Unternehmungen wir schon früher schilderten, Spanien verlassen.


Chancellor durch den Czar empfangen. (S. 434.)
Chancellor durch den Czar empfangen. (S. 434.)

Wir wissen, daß er auf dieser Reise in Caquibaco an der Küste Amerikas einem Engländer begegnete. Sollte das Cabot gewesen sein? Es herrscht über diese[424] Frage zwar völlige Unsicherheit, und doch muß man wohl glauben, daß jener nicht müßig gelegen,[425] sondern gewiß eine neue Reise unternommen haben wird. Wir wissen nur, daß der König von England, ohne Rücksicht auf die gegen Cabot eingegangenen feierlichen Verpflichtungen, mehreren Portugiesen und einigen Kaufleuten von Bristol in den von jenem entdeckten Ländern gewisse Handelsprivilegien zugestand. Diese unedle Art und Weise, geleistete Dienste zu belohnen, verletzten unseren Seefahrer und bestimmten ihn, die wiederholten Anerbietungen, in spanische Dienste zu treten, nun anzunehmen. Seit dem Ableben Vespucci's, im Jahre 1519, war Cabot zweifelsohne der berühmteste Reisende. Um ihn an sich zu fesseln, schrieb Ferdinand also am 13. September 1512 an Lord Willoughby, den Befehlshaber der nach Italien übergeführten Truppen, und beauftragte diesen, mit dem Venetianer zu verhandeln.

Bei seiner Ankunft in Castilien erhielt Cabot durch ein Handschreiben vom 20. October 1512 den Grad eines Kapitäns mit 5000 Maravedis Gehalt. Als Wohnsitz ward ihm Sevilla angewiesen, bis sich Gelegenheit bieten würde, seine Kenntnisse und reichen Erfahrungen zu verwenden. Er sollte eben den Oberbefehl einer bedeutenden Expedition übernehmen, als Ferdinand der Katholische am 21. Januar 1516 mit Tod abging. Cabot kehrte sofort nach England zu rück, wahrscheinlich nachdem er einen regelrechten Urlaub empfangen hatte.

Eden theilt mit, daß Cabot im folgenden Jahre mit Sir Thomas Pert das Commando einer Flotte erhalten habe, welche auf nordwestlichem Wege nach China segeln sollte.

Am 11. Juni befand er sich in der Hudsons-Bai unter 671/2° nördlicher Breite; das eisfreie Meer erstreckte sich so weit hinaus, daß eine glückliche Durchführung des Unternehmens in Aussicht schien, als die Furchtsamkeit seines Mitbefehlshabers und die Feigheit und Meuterei der Mannschaften, welche weiter zu segeln verweigerten, ihn nöthigten, nach England umzukehren. In seinem Theatrum orbis terrarum bringt Ortelius eine Karte der Hudsons-Bai, welche deren Gestalt ganz richtig wiedergiebt und an ihrem nördlichen Ende eine nach Norden verlaufende Meerenge andeutet. Woher besaß der Geograph die hierzu nöthigen genauen Unterlagen? Wer anders, sagt Nicholls, soll ihm dieselben geliefert haben, wenn nicht Cabot?

Bei seiner Rückkehr nach England fand Cabot dieses von einer furchtbaren Pest verwüstet, welche alle Handelsthätigkeit lahm legte. Mochte nun sein Urlaub verstrichen sein oder er der gefährlichen Geisel entfliehen[426] wollen, oder rief man ihn endlich nach Spanien zurück, jedenfalls traf er bald wieder in diesem Lande ein. Am 5. Februar 1518 wurde Cabot zum Piloto Major ernannt, mit einem Gehalte, der unter Hinzurechnung seiner übrigen Einkünfte 125.000 Maravedis oder gegen 7500 Mark erreichte. Sein eigentliches Amt übte er jedoch erst aus nach der Rückkehr Karl's V. von England. Es lag ihm nämlich ob, die Piloten zu prüfen, denen man nicht gestattete, nach Indien zu gehen, bevor sie nicht dieses Examen abgelegt hatten.

Großen Seeunternehmungen war die Zeit nicht günstig. Der zwischen Spanien und Frankreich ausgebrochene Krieg verzehrte beiden Ländern alle Hilfsquellen an Menschen und Geldmitteln. Cabot, dessen eigentliche Heimat vielmehr die Wissenschaft war, als irgend ein bestimmtes Land, wendete sich jetzt deshalb an den Gesandten Venedigs, Contarini, mit dem Angebote, bei der Flotte der Republik einzutreten; als hierauf jedoch die zustimmende Antwort des Rathes der Zehn eintraf, hatte er schon andere Pläne im Kopfe und ließ also die frühere Absicht fallen.

Im April 1524. führte Cabot den Vorsitz bei einer Versammlung von Seeleuten und Kosmographen, welche in Bajadoz zur Entscheidung der Frage zusammentrat, ob in Folge des berühmten Vertrages von Torsedillas die Molukken Spanien oder Portugal angehörten. Am 31. Mai wurde entschieden, daß die Molukken zwanzig Grade innerhalb der Grenze der spanischen Gewässer lägen. Vielleicht beeinflußte dieser Ausspruch der Junta, der Spanien einen großen Theil des Gewürzhandels überwies, den bald darauf veröffentlichten Beschluß des Rathes für Indien, in Folge dessen im September des nämlichen Jahres Cabot mit dem Titel eines General-Kapitäns der Befehl über drei Schiffe von je 100 Tonnen und eine kleine Caravelle, mit zusammen 150 Mann Besatzung, übertragen wurde.

Der ausgesprochene Zweck der Reise ging dahin, durch die Magellan-Straße zu fahren, die Westküsten Amerikas sorgfältig aufzunehmen und nach den Molukken zu segeln, wo man für die Rückfahrt eine Ladung Gewürze einnehmen sollte. Schon im August 1525 sollte die Abreise stattfinden, die Intriguen Portugals wußten dieselbe jedoch bis zum April 1526 zu verzögern.

Verschiedene Umstände traten beim Antritt der Fahrt als schlimme Vorzeichen derselben auf. Cabot besaß nur eine nominelle Autorität, und[427] der Verein von Kaufleuten, der die Unkosten der Ausrüstung getragen und ihn nicht aus freiem Willen zum Anführer bestellt hatte, wußte Mittel zu finden, alle Pläne des venetianischen Seefahrers zu kreuzen. So drängte man ihm z.B. an Stelle Desjenigen, den er als Unterbefehlshaber auswählte, einen Anderen auf und händigte jedem Kapitän Instructionen ein, deren Siegel erst auf offenem Meere gelöst werden durften. Sie enthielten unter Anderem auch die wahnwitzige Bestimmung, daß den General-Kapitän im Falle seines Todes elf Individuen der Reihe nach ersetzen sollten. Glich diese Vorschrift nicht geradezu einer Ermunterung zum Meuchelmord?

Kaum verlor man das Land aus dem Gesicht, als sich die Unzufriedenheit schon zeigte. Es entstand das Gerücht, der Kapitän sei diesem Unternehmen nicht gewachsen; da man bald einsah, daß ihn derlei Verleumdungen nicht berührten, behauptete man, auf der Flotte herrsche Knappheit an Proviant. Die Meuterei kam zum offenen Ausbruche, als man wieder an's Land kam; Cabot war aber nicht der Mann dazu, sich kleinmüthig einschüchtern und unterdrücken zu lassen; er hatte von der verächtlichen Handlungsweise Thomas Pert's zu schwer gelitten, um jetzt eine Mißachtung seiner Autorität zu dulden. Um das Uebel an der Wurzel zu fassen, bemächtigte er sich der meuchlerischen Kapitäne und ließ sie, trotz ihres großen Namens und früher geleisteter Dienste, am Lande aussetzen. Bier Monate später erst glückte es ihnen, von einer portugiesischen Expedition wieder aufgenommen zu werden, welche ausgesandt schien, die Absichten Cabot's zu vereiteln.

Der venetianische Seefahrer drang hierauf in den Rio de la Plata ein, dessen Untersuchung sein Vorgänger de Solis als Piloto Major begonnen hatte. Die Expedition bestand jetzt nur noch aus zwei Schiffen, da eines während der Reise verloren gegangen war. Cabot segelte den »Silberstrom« hinauf und entdeckte eine Insel, welche er Franz Gabriel nannte und auf der er ein Fort erbaute, in dem Antonio de Grajeda das Commando übernahm. Mit einer seiner Caravellen, von der der Kiel entfernt worden war, begab sich Cabot, gezogen von den Booten, auf den Parana, errichtete am Zusammenflusse des Carcarama und Terceiro ein zweites Fort und drang, nachdem er sich auf diese Weise seine Rückzugslinie gesichert, weiter in die genannten Wasserläufe ein. Bei der Vereinigung des Parana und Paraguay angelangt, folgte er dem zweiten, dessen Richtung seiner Absicht, nach dem Westen, der Productionsgegend des Silbers, zu gelangen, besser zu entsprechen schien.[428]

Inzwischen veränderte das Land sein Aussehen ebenso wie die Bewohner ihre bisherige Haltungsweise. Früher waren sie immer nur, erstaunt über den Anblick der Schiffe, zusammengelaufen; an den cultivirteren Ufern des Paraguay aber widersetzten sie sich entschlossen jeder Landung der Fremdlinge, und als drei Spanier versucht hatten, Früchte von einer Palme herabzuholen, kam es zu einem ernsthaften Kampfe, in dem dreihundert Eingeborne das Leben einbüßten, während auch fünfundzwanzig Spanier kampfunfähig gemacht wurden. Das war Cabot zu viel; schnell brachte er seine Verwundeten im Fort San Spirito unter und zog sich, unter Abwehrung immer wiederholter Angriffe, vorsichtig zurück.

Cabot hatte schon zwei seiner Untergebenen an den Kaiser geschickt, um diesem von der Widersetzlichkeit seiner Kapitäne und von den Gründen Meldung zu machen, die ihn gezwungen hatten, seine Reiseroute zu ändern, während er ihn gleichzeitig um Unterstützung durch Nachschub von Mannschaften und Lebensmitteln ersuchte. Endlich traf die Antwort ein. Der Kaiser billigte Cabot's Maßnahmen, befahl ihm, das Land, in dem er sich aufhielt, zu kolonisiren, sandte aber weder einen Mann, noch einen Maravedi zu Hilfe. Cabot versuchte nun, sich im Lande selbst die nöthigsten Hilfsquellen zu erschließen, und machte einige schüchterne Anfänge zur Cultur des Bodens. Um seine Truppen in Athem zu erhalten, unterwarf er sich die benachbarten Volksstämme, legte verschiedene Befestigungen an und zog in's Land hinein bis Potosie und zu den Wasserläufen der Anden, welche das Atlantische Becken speisen. Endlich traf er Vorbereitungen, bis Peru vorzudringen, von woher das Gold und Silber stammte, das er im Besitz der Eingebornen sah; zur Eroberung so ausgedehnter Gebiete bedurfte er jedoch einer stärkeren Truppenmacht, als er zusammenbringen konnte. Auch der Kaiser war freilich außer Stande, mehr Soldaten zu senden. Die Kriege in Europa erschöpften seine Hilfsquellen, die Cortes verweigerten weitere Geldmittel und die Molukken hatte sich gar Portugal schon angeeignet. Nachdem er unter so mißlichen Umständen fünf Jahre hindurch im Lande ausgehalten, immer in Erwartung der Hilfe, welche niemals eintreffen sollte, ließ Cabot seine Niederlassungen zum Theile räumen, und kehrte mit der größeren Anzahl seiner Leute nach Spanien zurück. Der Rest, nämlich hundertfünfundzwanzig Mann, der zur Bewachung des Forts San-Spirito zurückgeblieben war, kam nach vielen Wechselfällen, deren Erzählung uns hier zu weit führen würde, entweder von[429] der Hand der Indianer um oder mußte sich nach der Küste Brasiliens in die portugiesischen Niederlassungen flüchten. Von den Pferden, welche Cabot mitgebracht hatte, stammt die ausgezeichnete wilde Pferde-Race her, die heute in zahlreichen Heerden die Pampas von La Plata durchschwärmt, das ist aber auch das einzige dauernde Resultat dieser Expedition.

Bald nach seinem Wiedereintreffen in Spanien verzichtete Cabot auf seine Stellung und ließ sich wieder in Bristol nieder, gegen 1548, d. h. zu Anfang der Regierung Eduard's VI. Was die Veranlassung zu diesem Wechsel gewesen, ob Cabot unwillig darüber geworden, daß man ihn während obiger Expedition ganz auf seine eigenen Kräfte beschränkt gelassen hatte, oder er sich durch die Art und Weise, seine Dienste zu belohnen, beleidigt gefühlt, davon wissen wir nichts Zuverlässiges. Karl V. benutzte jedoch eiligst die Abreise Cabot's, um dessen Pension zu streichen, die Eduard VI. jenem allerdings ersetzte, indem er ihm jährlich 250 Mark, gleich etwas über 116 Pfund Sterling, eine für jene Zeit recht ansehnliche Summe aussetzte.

Der Stellung nach, welche Cabot in England einnahm, kann man ihn nur etwa als Marine-Intendanten bezeichnen, denn er hatte unter Autorität des Königs und des Stadtrathes die Aufsicht über Alles, was das Seewesen betraf. Er ertheilt Urlaub, examinirt die Piloten, setzt Instructionen für die Schiffer auf und entwirft die Seekarten, gewiß eine vielseitige Beschäftigung, für welche er, was ja selten vorkommen dürfte, die erforderlichen theoretischen und praktischen Kenntnisse wirklich besaß. Gleichzeitig unterrichtete er den jungen König in der Kosmographie, erläuterte ihm die Abweichung des Kompasses und wußte ihn für das Seewesen und den Ruhm zu gewinnen, der durch maritime Entdeckungen zu erwerben sei. Er nahm also eine hervorragende, in ihrer Art einzig dastehende Stellung ein. Cabot benutzte dieselbe zur Ausführung eines Projectes, das ihm schon lange am Herzen lag.

Jener Zeit gab es in England so gut wie gar keinen Welthandel. Die Hansestädte Antwerpen, Hamburg, Bremen u.s.w. beherrschten gänzlich den Verkehr. Diese Handelsgesellschaften hatten wiederholt für sich beträchtlich niedrigere Eingangszölle zu erlangen gewußt, bis sie den Handel Englands endlich ganz monopolisirten. Cabot meinte nun, die Engländer besäßen so gut wie jene das Zeug dazu, Fabrikanten zu werden, und die schon mächtige Marine des Landes werde ausgezeichnete Dienste leisten können, die Erzeugnisse[430] des Bodens und der Gewerbthätigkeit auszuführen. Weshalb zu Fremden seine Zuflucht nehmen, wenn man sich selbst genug war? War es auch noch nicht gelungen, China und Indien auf nordwestlichem Wege zu erreichen, warum sollte man diesen Versuch nicht auf nordöstlichem Wege wagen? Und selbst, wenn dieser nicht zum gewünschten Ziele führte, konnte man dabei nicht vielleicht auf weit handelsthätigere, civilisirtere Völkerschaften treffen, als jene elenden Eskimos der Gestade von Labrador und Neufundland? Cabot rief in London eine Versammlung der hervorragendsten Kaufleute zusammen, welche sich nach Anhörung seiner Pläne zu einer Gesellschaft vereinigten und ihn am 14. December 1551 zum lebenslänglichen Vorsitzenden derselben ernannten. Gleichzeitig suchte er eifrig auf den König einzuwirken und setzte auch, als er ihm die Nachtheile des Handelsmonopols der Ausländer für seine eigenen Unterthanen klar dargelegt, am 23. Februar 1552 die Aufhebung desselben durch, womit er die Praxis des Freihandels eigentlich in's Leben rief.

Die Gesellschaft der englischen Händler, welche den Namen der »Abenteuer-Fahrer« annahm, beeilte sich nun, Schiffe bauen zu lassen, die für die schwierigere Fahrt in den arktischen Meeren geeignet wären. Die erste von Cabot eingeführte Verbesserung der englischen Marine bestand in der Verdoppelung des Kieles, ein Verfahren, das er in Spanien gesehen, das sich in England aber noch nicht verbreitet hatte.

In Deptford vereinigte man eine Flotte von drei Fahrzeugen. Es waren das die »Buona-Speranza«, deren Führung Sir Hugh Willoughby, einem unerschrockenen kriegsgeübten Edelmanne, anvertraut wurde; die »Buona-Confidencia«, Kapitän Corvil Durforth, und die »Buonaventure«, Kapitän Richard Chancellor, ein gewandter Seemann und specieller Freund Cabot's, der den Titel des Ober-Steuermannes erhielt. Segelmeister der Buonaventure« war Stefan Burrough, ein durchgebildeter Seefahrer, der noch viele Male die nordischen Meere besuchen und später General-Pilot Englands werden sollte.

Wenn das vorgerückte Lebensalter und seine wichtigen Aemter Cabot verhinderten, sich selbst an die Spitze der Expedition zu stellen, so ließ er es sich doch angelegen sein, alle Details der Ausrüstung zu überwachen.


Schiffbruch des »Buonaventure«. (S. 435.)
Schiffbruch des »Buonaventure«. (S. 435.)

Er entwarf sogar Instructionen, die sich bis auf unsere Zeit erhalten haben und die Klugheit und Geschicklichkeit dieses hervorragenden Seefahrers erkennen lassen. Er empfiehlt den Gebrauch des Logs, eines Instrumentes[431] zur Messung der Fahrgeschwindigkeit eines Schiffes, verlangt vor Allem die regelmäßige Führung eines Tagebuches über alle Vorkommnisse auf dem Meere, und dringt darauf, alle Nachrichten über den Charakter, die Sitten, Gewohnheiten und Hülfsquellen der etwa besuchten Völker und die Erzeugnisse der fremden Länder schriftlich niederzulegen. Den Eingebornen sollte man nicht gewaltthätig, sondern stets zuvorkommend begegnen.


Gestalt der neuen Erde. (Facsimile. Alter Kupferstich.)
Gestalt der neuen Erde. (Facsimile. Alter Kupferstich.)

Alles Fluchen und Schwören ebenso wie Trunkenheit ist streng zu bestrafen. Die Religionsübungen sind genau vorgeschrieben; Morgens und Abends soll ein Gebet abgehalten, einmal des Tages die heilige Schrift gelesen werden. Schließlich legt er Allen Frieden und Eintracht besonders an's Herz, erinnert die Kapitäne an die große Bedeutung ihres Unternehmens und die Ehre, welche es ihnen zu bringen verspricht, unter der Versicherung, daß er sein Gebet für den glücklichen Ausgang des gemeinschaftlichen Werkes mit dem ihrigen vereinigen werde.

Am 20. Mai 1553 ging das Geschwader unter Segel, im Beisein des Hofes, der in Greenwich, wohin große Volksmassen zusammengelaufen waren, zusammenkam, während der König selbst an den vorhergehenden Festen und Lustbarkeiten kränklichkeitshalber nicht theilnehmen konnte. Nahe den Lofoten, an der Küste Norwegens und etwa in der Höhe von Wardhöus, wurde das Geschwader von der »Buonaventure« getrennt. Vom Sturme fortgetrieben, gelangten Willoughby's beide Schiffe jedenfalls bis Novaja-Semlja, wurden hier aber durch Eismassen genöthigt, nach Süden hin umzukehren. Am 18. September liefen sie in einen von der Mündung des Argina-Flusses gebildeten Hafen des östlichen Lapplands ein. Noch etwas später riß ein anderer Sturm auch die »Buona Confidencia« von Willoughby's Seite und jene kehrte nach England zurück; den letzteren fanden russische Schiffer im folgenden Jahre mitten im Eise. Die gesammte Besatzung war vor Kälte umgekommen. Diese Annahme erweckt wenigstens das, von dem unglücklichen Willoughby bis Januar 1554 geführte Schiffsjournal.

Chancellor, der die beiden Schwesterschiffe vergeblich an dem für den Fall einer unfreiwilligen Trennung vorher als Sammelplatz bestimmten Punkte erwartet hatte, glaubte von ihnen überholt zu sein, segelte nun, nach Umschiffung des Nordcaps, in einen weiten Golf hinein, der kein anderer als das Weiße Meer ist, und landete an der Mündung der Dwina, nahe dem Kloster Sanct-Nikolaus, etwa an der Stelle, wo sich später die Stadt Archangel erheben sollte. Die Bewohner dieser öden Gebiete theilten ihm mit, daß ihr Land unter der Herrschaft des Großfürsten von Rußland stehe. Er beschloß sofort, sich, trotz der ungeheuren Entfernung, selbst nach Moskau zu begeben. Den Thron hatte damals der Czar Ivan IV. Wassiliewitch, mit dem Beinamen »der Schreckliche«, inne. Seit einiger Zeit hatten die Russen schon das Joch der Tataren abgeschüttelt und es war Ivan gelungen, die verschiedenen[434] kleinen Herrschaften zu einem Staatskörper zusammenzufassen, dessen Macht sich schon recht ansehnlich entwickelte. Die ausschließlich continentale Lage Rußlands, die Entfernung von jedem Meere, die Abgeschiedenheit von dem übrigen Europa, zu dem es kaum gehörte – so vererbte sich in seinen Sitten und Gewohnheiten die asiatische Herkunft – versprachen Chancellor den besten Erfolg. Der Czar, der die europäischen Waaren nur auf dem Wege über Polen beziehen konnte und seine Herrschaft gern bis zu den deutschen Meeren ausgestreckt hätte, sah sehr gerne den Versuch einer Handelsanknüpfung seitens der Engländer, welche beiden Theilen zum Nutzen gereichen mußte. Er empfing Chancellor nicht nur mit großer Höflichkeit, sondern machte ihm auch die vortheilhaftesten Anerbietungen, bewilligte ihm ausgedehnte Privilegien und ermuthigte ihn durch die größte Leutseligkeit, seine Reise zu wiederholen. Chancellor verkaufte seine Waaren mit Gewinn, nahm dafür eine Ladung Pelzwaaren, Robbenöl, Leberthran, Kupfer und andere Producte ein und kehrte mit einem Briefe des Czar nach England zurück. Der Gewinn, den diese erste Reise der Gesellschaft der Abenteuer-Fahrer einbrachte, ermunterte sie, eine zweite zu versuchen. Chancellor segelte also im folgenden Jahre nochmals nach Archangel und nahm dabei nach Rußland zwei Agenten der Gesellschaft mit, die mit dem Czar einen vortheilhaften Vertrag abschlossen. Auf dem Rückwege nach England brachte er dagegen einen von Ivan nach Großbritannien geschickten Gesandten neben dessen Gefolge mit. Von den vier Schiffen seiner damaligen Flotte ging eines an der Küste Norwegens zu Grunde, ein anderes beim Auslaufen aus Drontheim, und die »Buonaventure«, welche Chancellor selbst nebst dem Gesandten trug, versank in der Bai von Pitsligo an der Ostküste Schottlands am 10. November 1556. Chancellor ertrank bei diesem Schiffbruche, während es dem moskowitischen Gesandten gelang, sich zu retten; die Geschenke und Waaren, welche er nach England brachte, gingen jedoch alle verloren.

Das sind die Anfänge der englisch-russischen Handelscompagnie. Im Laufe der Zeit wurden sehr viele Fahrten nach denselben Stellen ausgeführt, doch liegt deren Aufzählung außerhalb des Rahmens unserer Aufgabe. Wir kehren also zu Cabot zurück.

Marie, die Königin von England, hatte bekanntlich Philipp II., König von Spanien, geheirathet. Als Letzterer nach England kam, zeigte er sich sehr übel gestimmt gegen Cabot, weil dieser den spanischen Dienst verlassen und[435] jetzt England zu einer Handelsthätigkeit verhalf, welche die schon ansehnliche Seemacht des Landes bald merkbar zu verstärken versprach. Es ist also nicht zu verwundern, daß Cabot schon acht Tage nach der Landung des Königs von Spanien gezwungen ward, auf seine Stellung und Pension zu verzichten, die ihm früher von Eduard VI. lebenslänglich zugesichert worden waren. An seine Stelle wurde Worthington berufen Nicholls glaubt, dieser nicht besonders ehrenfeste Mann, der mit den Gerichten schon mehrfach in Berührung gekommen war, habe den heimlichen Auftrag erhalten, aus den Plänen, Karten, Instructionen und Projecten Cabot's Alles auszuscheiden, was für Spanien nützlich sein zu können schien. Thatsächlich sind diese Documente bis heute verloren, wenn sie sich nicht in den Archiven von Simancas wiederfinden sollten.

Von diesem Zeitpunkt ab verliert die Geschichte den alten Seemann gänzlich aus den Augen. Dasselbe Geheimniß, welches über seine Geburt waltet, verschleiert auch den Ort und die Zeit seines Todes. Seine großartigen Entdeckungen aber, seine kosmographischen Arbeiten, die Studien über die Abweichung der Magnetnadel, seine Gelehrsamkeit, Menschlichkeit und fleckenlose Ehrenhaftigkeit sichern Sebastian Cabot jedoch für immer eine hervorragende Stelle unter den Entdeckungsfahrern aller Zeiten. Während sein Bild bis in unsere Tage von dem Dunkel und der Woge der Legende verhüllt blieb, verdankt es Cabot seinen Biographen Biddle, Avezar und Nicholls, besser erkannt und geschätzt und überhaupt in das rechte Licht gestellt worden zu sein.

Quelle:
Jules Verne: Die Entdeckung der Erde. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXIX–XXX, Wien, Pest, Leipzig 1881, S. 403-436.
Lizenz:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon