I.

[257] Entdeckungen Boudet de Lozier's in den südlichen Meeren. – Surville. – Das Land der Arsaciden. – Die Ereignisse im Hafen Praslin. – Ankunft an der Küste von Neuseeland. – Surville's Tod. – Marion's Entdeckungen im antarktischen Meere. – Das Blutbad auf Neuseeland. – Kerguelen im Island und in den südlichen Ländern. – Die Uhren-Fahrten: Fleurieu und Verdun de la Crenne.


Der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gehört eine Entdeckung an, welche auf die Fortschritte der Geographie von hochwichtigem Einflusse werden sollte. Einem Schiffskapitän der Indischen Compagnie, Jean Baptiste Charles Bouvet de Lozier, ließ der ungeheure leere Raum rings um den Südpol, den die Geographen »Terra australis incognita« nannten, keine Ruhe; je länger, je mehr erwachte in ihm das ehrgeizige Bestreben, jene unbekannten Länder wirklich zu entdecken. Lange Zeit blieben seine Bemühungen ohne Erfolg; im Jahre 1738 schenkte ihm die Direction der Gesellschaft endlich Gehör in der Hoffnung, ihrer Handelsthätigkeit damit neue Gebiete zu eröffnen.

Unter dem Befehle Bouvet de Lozier's liefen am 19. Juli 1738 zwei kleine, zweckentsprechend ausgerüstete Fregatten, die »Aigle« und die »Marie«, von Brest aus. Einen Monat lang lagen sie bei der Insel St. Katharina, nahe der Küste Brasiliens, vor Anker und gingen am 13. November, einen südöstlichen Kurs steuernd, wieder in See.

Am 26. November überfiel die beiden Fregatten ein so dichter Nebel, daß sie sich nur durch zeitweilig gelöste Kanonenschüsse bei einander zu halten vermochten, wobei es nothwendig wurde, wiederholt die Fahrtrichtung zu ändern,[257] so daß ein Zusammenstoß jeden Augenblick zu befürchten stand. So unmöglich es erschien, nahm dieser Nebel am 5. December doch noch weiter zu, so daß man einmal auf der »Aigle« Alles, was auf der »Marie« vorging, deutlich hören, das Schiff selbst aber nicht im mindesten wahrnehmen konnte. Im Wasser trieben viele See-Eichen und darüber flatterten Schaaren von hühnerartigen Vögeln, welche sich niemals weit vom Lande entfernen.

»Am 15. December, sagt Fabre in seinem Werke über die Bouvet'sche Reise, bemerkte man unter 48°50' südlicher Breite (nebenbei bemerkt, die Breite von Paris im Norden des Aequators) und 7° östlicher Länge von Teneriffa, zwischen fünf und sechs Uhr des Morgens einen gewaltigen Eisberg; später noch mehrere andere, umgeben von Eisshotten jeder Form und Größe. Die Fregatte ›Marie‹ signalisirte die drohende Gefahr und drehte eiligst bei. Bouvet, den dieses, das Zusammenhalten der beiden Schiffe gefährdende Manöver sehr beunruhigte, ließ auf der ›Aigle‹ alle Leinwand beisetzen und gab, dicht an Bord der ›Marie‹ vorüberfahrend, seine Absicht kund, trotz dieser Hindernisse nach Süden weiter zu segeln. Zur Beruhigung der erschrockenen Mannschaft sagte er, daß man die Begegnung von Eisbergen eher als ein günstiges Vorzeichen zu betrachten habe, da dieses auf die Nähe eines Landes hindeutete.«

Wiederum schlug man also einen südlichen Kurs ein, und bald wurde Bouvet's Ausdauer durch Auffindung eines Landes belohnt, das er »Cap Circoncision« nannte. Dasselbe war sehr hoch, mit Schnee bedeckt und von Eismassen umgürtet, welche es unmöglich machten, näher als sieben bis acht Meilen von der Küste heranzukommen. Es schien von Norden nach Süden eine Ausdehnung von vier bis fünf Meilen zu haben.

»Man bestimmte die Lage dieses Landes, sagt Fabre, nach den Karten Pitergos', deren sich Bouvet bediente, zu 54° südlicher Breite und 26 bis 27° östlicher Länge von Teneriffa (= 5°30' bis 6°30' östlich von Paris).

Bouvet hätte das vor ihm liegende Land gern näher in Augenschein genommen und wenigstens mit Booten das Ufer zu erreichen gesucht, dichter Nebel und widrige Winde vereitelten aber ein derartiges Unternehmen, und er mußte sich begnügen, dasselbe aus der Ferne zu betrachten.

Am 3. Januar 1739, meldet Bouvet in seinem Berichte an die Compagnie, gewannen wir die während der letzten Tage eingebüßte Distanz wieder, und vermochten gegen vier Uhr Nachmittags, bei minder bedecktem Himmel, das Land schärfer zu erkennen; die in ihrer ganzen Ausdehnung ziemlich steile Küste[258] bildete mehrere Buchten; der Gipfel der Berge lag in Schnee verhüllt, doch schienen die Abhänge derselben bewaldet.«

Nach wiederholten fruchtlosen Versuchen, an's Ufer zu kommen, mußte Bouvet diese Absicht aufgeben. Seine Matrosen waren erschöpft von den Strapazen, entmuthigt und vom Skorbut entkräftet. Die »Marie« ward also nach der Isle de France entsendet, während die »Aigle« nach dem Cap der Guten Hoffnung steuerte, das sie am 28. Februar erreichte.

»Wir haben, sagt Bouvet in dem schon citirten Berichte, auf unbekannten Meeren zwölf- bis fünfzehnhundert Meilen zurückgelegt. Fast siebzig Tage lang litten wir durch einen gleichbleibenden, dichten Nebel. Vierzig Tage lang kreuzten wir zwischen dem Eise, beinahe täglich von Hagelschauern und Schneefällen überschüttet. Häufig waren Deck und Segelwerk dick mit Schnee bedeckt. Wanten und Tauwerk starrten in einer Eiskruste. Am 10. Januar gelang es nicht einmal, das kleine Marssegel zu streichen. Die Kälte war für meine nur mangelhaft bekleideten Leute, welche aus warmen Ländern herstammten, gar zu streng. Mehrere erfroren dabei die Hände oder die Füße. Und dennoch maßten wir immer manövriren, brassen oder Segel beisetzen und mindestens einmal täglich sondiren. Ein Matrose der ›Aigle‹ fiel, als er die Raa des kleinen Marssegels herabgelassen hatte, von der Kälte überwältigt, in das Marssegel des Fockmastes, so daß wir ihn mittelst eines Jölltaues herunterholen mußten und viele Mühe hatten, ihn wieder zu erwärmen. Anderen brachen die Thränen aus den Augen, wenn sie die Sondenleine aufholten. Trotzdem befanden wir uns damals in der besten Jahreszeit, und ich gab mir übrigens alle Mühe, der Mannschaft nach Kräften jede mögliche Erleichterung zu gewähren.«

Selbstverständlich konnte ein so geringfügiges Resultat die Indische Compagnie zu weiteren Unternehmungen in jene Gegenden nicht anspornen. Ohne nennenswerthe Vortheile zu bieten, drohten sie vielmehr Schiffen und Menschen mit dem Verderben. Immerhin bildete Bouvet's Entdeckung den ersten erschütternden Schlag gegen den Glauben an das Vorhandensein eines südlichen Festlandes. Ein Beispiel war gegeben, dem mehrere Seefahrer, darunter zwei Franzosen, bald folgen sollten. Wir erwähnten obiger, sonst wenig bekannt gewordener Expedition nur deshalb mit einigen Worten, um dem Manne eine Anerkennung zu zollen, der als Pionnier für die Südpolfahrten zu betrachten ist, und dem der Ruhm zukommt, dem großen englischen Seefahrer James Cook den Weg vorgezeichnet zu haben.[259]

Ein anderer Kapitän der Indischen Compagnie, der sich früher in manchem Treffen mit den Engländern ausgezeichnet hatte, Jean François Marie de Surville, sollte dreißig Jahre später in Oceanien werthvollere Entdeckungen machen und fast gleichzeitig mit Cook das früher von Tasman entdeckte und von diesem Staatenland getaufte Gebiet wieder auffinden. Das geschah aber unter folgenden Umständen:

Die Herren Law und Chevalier, zwei Administratoren in Französisch-Indien, hatten beschlossen, auf eigene Kosten ein Schiff zu Handelszwecken in den südlichen Meeren auszurüsten. Sie gewannen Surville für ihre Absichten und sendeten ihn nach Frankreich, um bei der Compagnie die nothwendige Erlaubniß zu ihrem Vorhaben auszuwirken und die Fertigstellung des betreffenden Schiffes zu überwachen. Die »St. Jean Baptiste« wurde hierauf in Nantes ausgerüstet und außer einem Lebensmittel-Vorrath für drei Jahre mit Allem versehen, was für eine so weite und lange Reise nothwendig und wünschenswerth zu sein schien. Hierauf begab sich Surville zunächst nach Indien, wo Law ihm vierundzwanzig eingeborne Soldaten zutheilte. Am 3. März 1769 lief die »St. Jean Baptiste« aus der Bai von Angely aus und besuchte nach und nach Masulipatam, Yanaon und Pondichery zum Zweck der Vervollständigung ihrer Ladung.

Am 2. Juni verließ Surville die letztgenannte Stadt und begab sich nach den Philippinen. Er ankerte am 20. August bei den Bashers- oder Baschy-Inseln, ein Name, den ihnen Dampier beigelegt hat und der dem eines berauschenden Getränkes entspricht, das die Insulaner aus dem Safte des Zuckerrohres, in welchem man gewisse schwarze Körner mehrere Tage über liegen läßt, herzustellen wissen.

Auf diesen Inseln waren früher mehrere Matrosen Dampier's desertirt, jeder hatte von den Bewohnern eine Frau, ein Stück Land und Ackergeräthe erhalten. In Erinnerung hieran wollten drei Matrosen der »St. Jean Baptiste« diesem Beispiele folgen. Surville war aber nicht der Mann dazu, den Bestand seiner Besatzung so ruhig zerbröckeln zu lassen. Er ließ also sechsundzwanzig Indianer ergreifen, die er bis zur Zurückführung seiner Leute als Geißeln behalten wollte.

»Unter diesen an den Händen leicht gefesselten Indianern, sagt Crozet in seinem Berichte über Survil le's Reise, waren einige verwegen genug, sich trotz der Fesseln in's Meer zu stürzen, und es gelang ihnen auch, zum höchsten Erstaunen der Mannschaft, bis zu den Piroguen ihrer Stammesgenossen zu[260] schwimmen, welche sich soweit entfernt hielten, daß sie von dem Schiffe nichts zu fürchten hatten.«

Man suchte den Wilden begreiflich zu machen, daß gegen sie nur deshalb in dieser Weise verfahren worden sei, um ihre Kameraden zur Wiederauslieferung der drei Deserteure zu bestimmen. Da sie durch Zeichen zu verstehen gaben, daß sie verständen, um was es sich handle, wurden Alle freigelassen bis auf sechs, die man aus anderen Gründen am Lande gefangen hatte. Die Eile, mit der sie das Schiff verließen und sich in ihre Piroguen stürzten, ließen kaum vermuthen, daß sie zurückkehren würden. Desto größer war das Erstaunen, als man sie nach einiger Zeit mit, Freudengeschrei wiederkommen sah. Natürlich glaubte Jedermann, daß sie dem Commandanten die drei Deserteure wieder zuführten. Wirklich stiegen sie an Bord und legten – drei gebundene, geknebelte und geschnürte Schweine nieder.

Surville fand diesen Scherz, wenn es einer sein sollte, sehr am unrechten Platze; erzürnt jagte er die Eingebornen fort, welche in ihre Piroguen sprangen und auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Vierundzwanzig Stunden später verließ die »St. Jean Baptiste« die Bashers und führte als Ersatz der Deserteure drei gefangene Indianer mit weg.

Nach langer, südöstlicher Fahrt entdeckte man am 7. October Land unter 6°56' südlicher Breite und 151°30' östlicher Länge von Paris, dem man den Namen »Isle de la Première-Vue« beilegte.

»Bis zum 13. October segelte man längs der Küste desselben hin, an welchem Tage man einen, gegen alle Winde geschützten, von einer Menge kleiner Inseln gebildeten Hafen auffand, der den Namen ›Port Praslin‹ erhielt; dieser liegt unter 7°25' südlicher Breite und 151°55' östlicher Länge von Paris.«

Beim Einfahren in diesen Hafen bemerkten die Franzosen einige mit Lanzen bewaffnete Indianer, welche eine Art Schild auf dem Rücken trugen. Bald wurde die »St. Jean Baptiste« von vielen Piroguen mit einer Menge Eingeborner umringt, die nichts Gutes im Schilde zu führen schienen, doch gelang es, sie von Feindseligkeiten abzuhalten. Etwa dreißig der Kühnsten kletterten an Bord und betrachteten mit großer Aufmerksamkeit Alles, was sie hier fanden. Diesem Beispiele wollten darauf so viele Andere folgen, daß man Mühe hatte, sich ihrer zu erwehren, um bei dem durch Krankheit stark verminderten Bestand an Mannschaft nicht eine zu große Anzahl Eingeborner auf einmal zuzulassen. Trotz des ihnen zu theil gewordenen freundlichen Empfanges schienen sich die[261] Wilden doch nicht für sicher zu halten, wenigstens legten sie durch ihr Verhalten stets ein entschiedenes Mißtrauen an den Tag. Bei der geringsten unerwarteten Bewegung auf dem Schiffe sprangen sie in ihre Piroguen oder unmittelbar in's Meer. Nur ein Einziger trat etwas vertrauensvoller auf. Surville ließ ihm einige Geschenke überreichen. Der Indianer stattete seine Erkenntlichkeit dafür dadurch ab, daß er durch Geberden eine Stelle im Grunde der Bai bezeichnete, wo man Wasser finden könne.

Der Commandant gab darauf hin Befehl, die Boote klar zu machen, deren Führung er seinem zweiten Officier, Namens Labbé, anvertraute.

»Die Wilden schienen nur auf die Abfahrt der Boote vom Schiffe zu warten, sagt Fleurieu in seinen ›Entdeckungen der Franzosen‹, denn jene hatten kaum abgestoßen, als ihnen auch schon alle Piroguen nachfolgten. Eine der letzteren schien die übrigen zu führen; es war diejenige, in welcher sich der Indianer befand, der Surville über die Lage eines Wasserplatzes unterrichtete. Im Hintertheile derselben stand ein Mann aufrecht mit belaubten Zweigen in den Händen, die er in Kopfhöhe hielt und tactmäßig hin und her schwenkte. Ja der Mitte der nämlichen Pirogue stand auch noch ein junger Mann, gestützt auf einen langen Spieß, mit ruhig-ernster Würde aufrecht. Seine Ohren und Nasenscheidewand waren mit rothen Blumen geschmückt und das Haar weiß gepudert.«

Gewisse auffällige Bewegungen erweckten indeß bald den Verdacht der Franzosen, welche sahen, daß sie in eine Art Sackgasse gelockt werden sollten, in der sich, den Versicherungen der Wilden nach, ein Süßwasserquell befände. Trotz des Drängens der Eingebornen hütete sich Labbé doch, seine Boote bei nur zwei bis drei Fuß Wasser über schlammigem Grunde weiter vorwärts gehen zu lassen. Er sendete zur näheren Untersuchung vielmehr nur einen Korporal mit vier Mann voraus. Diese kehrten sehr bald mit der Meldung zurück, daß sie statt der vorgeblichen Quelle nur einen Morast gefunden hätten, in dem man bis zum Gürtel einsinke. Offenbar planten die Wilden also einen Verrath. Labbé ließ ihnen jedoch nicht merken, daß er ihre Absicht durchschaut habe, sondern begehrte von ihnen nur die Nachweisung eines Wasserplatzes.

Die Eingebornen führten die Boote hierauf nach einer drei Meilen entfernten Stelle, von der aus man die Schiffe nicht sehen konnte. Noch einmal wurde der Korporal mit einigen Leuten an das Land gesendet; er fand daselbst aber eine sehr dürftige Quelle, die kaum zur Stillung des Durstes für ihn und seine wenigen Begleiter ausreichte. Während seiner Abwesenheit versuchten die[262] Eingebornen auf jede Weise, Labbé zum Betreten des Landes zu bewegen, indem sie auf den Ueberfluß an Cocosnüssen und anderen Früchten hinwiesen, während sie sich sogar des Stoggers oder Bootshakens der Schaluppe zu bemächtigen suchten.

»Ueberzweihundertfünfzig Insulaner, heißt es in dem Berichte, ausgerüstet mit Lanzen von sechs bis sieben Fuß Länge, mit hölzernen Keulen, Bogen und Steinen versehen, manche davon durch Schilde gedeckt, waren am Strande versammelt und beobachteten die Bewegungen der Boote. Als das kleine, aus fünf Mann bestehende Detachement wieder vom Ufer abstoßen wollte, sprangen die Wilden auf dasselbe zu, verwundeten einen Soldaten durch Keulenschläge, den Korporal durch einen Lanzenstich und die Anderen auf verschiedene Weise. Labbé selbst trafen zwei Pfeile in die Schenkel und ein Stein an den Fuß. Jetzt gab man Feuer auf die Verräther. Schon die erste Salve machte sie erstarren, vorzüglich weil die in ganz kurzer Entfernung abgegebenen Schüsse eine verheerende Wirkung hervorbrachten. Dadurch gewann man Zeit, ein zweites Mal zu laden und zu feuern, wodurch die Gegner in die Flucht getrieben wurden und wobei sie der Tod ihres Häuptlings noch mehr zur Eile zu drängen schien. Labbé selbst hatte diesen nämlich daraus erkannt, daß er von den Kriegern getrennt stand, die Hände gen Himmel erhob und wie zur Anfeuerung der Krieger an seine Brust schlug; Labbé zielte und streckte ihn durch einen glücklichen Schuß nieder. Die Wilden schleppten ihre Verwundeten mit hinweg, ließen aber zwischen dreißig und vierzig Todte am Platze. Jetzt gingen die Franzosen an's Land, sammelten die da und dort verstreuten Waffen der Feinde, verbrannten die vorgefundenen Piroguen und nahmen nur eine derselben im Schlepptau mit.«

Surville wünschte indessen lebhaft, einen Eingebornen in seine Gewalt zu bringen, der ihm als Führer dienen und, nach gewonnener Einsicht in die Ueberlegenheit europäischer Waffen, seine Landsleute bestimmen könnte, gegen die Franzosen nichts weiter zu unternehmen. Zur Erreichung dieses Zweckes verfiel er auf ein etwas ungewöhnliches Mittel. Er besetzte nämlich die eingebrachte Pirogue mit zwei Neger-Matrosen, denen man die Köpfe weiß gepudert und eine Kleidung angelegt hatte, welche die Eingebornen leicht irre führen mußte.

Wirklich ruderte bald eine Pirogue auf die »St. Jean Baptiste« zu, deren Insassen sich, als sie Zwei der Ihrigen scheinbar im Tauschhandel mit dem Schiffe sahen, nur noch argloser näherten. Als die Franzosen das Gelingen ihres Planes gesichert glaubten, schickten sie zwei Boote zum Einfangen der[263] Wilden ab. Diese witterten Unheil und entflohen, wobei sie bald offenbar an Distanz gewannen, so daß ihre Verfolger sich entschlossen zu feuern, um sie zum Anhalten zu zwingen. Einer der Eingebornen fiel auf der Stelle und brachte die Pirogue, als er in's Wasser stürzte, zum Kentern, während der Andere, ein Bursche von vierzehn bis fünfzehn Jahren, schwimmend den Strand zu erreichen suchte.

»Endlich erhascht, vertheidigte er sich heldenmüthig und verwundete noch Die mit den Zähnen, welche ihn zu bändigen suchten. An Händen und Füßen gebunden, brachte man ihn nach dem Schiffe. Hier stellte er sich eine volle Stunde lang todt; als man ihn aber aufrecht hinsetzte und er, seiner Rolle getreu, sofort umfiel, bemerkte man recht wohl seine Bemühung, mit der Schulter eher als mit dem Kopfe auf das Verdeck aufzuschlagen. Als er seiner Rolle müde wurde, öffnete er die Augen, und verlangte, da er die Mannschaft essen sah, nach Schiffszwieback, den er, seinen ausdrucksvollen Zeichen nach, mit größtem Appetit verzehrte. Aber auch jetzt sorgte man dafür, ihn soweit gefesselt zu halten, daß er nicht unversehens in's Meer springen konnte.«

Im Laufe der Nacht war man genöthigt, die andrängenden Piroguen, welche das Schiff überrumpeln wollten, mit Gewehrschüssen zu vertreiben. Am folgenden Tage nahm man den jungen Eingebornen mit in ein Boot und brachte ihn nach einem Eilande, das seitdem den Namen »Insel de l'Aiguade« erhielt. Kaum hatte jener das Land betreten, als man noch rechtzeitig bemerkte, daß es ihm gelungen war, seine Fesseln mit einer scharfrandigen Muschelschale fast vollständig zu zerschneiden.

Der junge Wilde wurde später auf einem anderen Wege wieder nach dem Ufer des Meeres geführt, warf sich aber, als er bemerkte, daß man ihn wieder mit einschiffen wollte, zu Boden und wälzte sich heulend und die Zähne in den Sand eindrückend umher.

Die Matrosen entdeckten nach mancher vergeblichen Bemühung eine reichliche Quelle, an der sie Wasser fassen und Holz holen konnten. Ein in der Nähe stehender Baum, den man fällte, schien geeignet zum Färben, denn Meerwasser nahm von ihm eine blutrothe Farbe an. Man kochte versuchsweise dessen Rinde aus, und auch Baumwolle, welche in den Absud getaucht wurde, färbte sich darin schön roth.

Etwas Palmenkohl, schmackhafte Austern und andere genießbare Muscheln lieferten der Mannschaft recht werthvolle Nahrungsmittel. Auf der »St. Jean[264] Baptiste« befanden sich eben ziemlich viele Skorbutkranke. Surville hatte gehofft daß diese Rast ihre Wiederherstellung beschleunigen sollte; der sechs volle Tage anhaltende starke Regen verschlimmerte dagegen deren Zustand eher nach weiter, so daß Drei derselben vor der Wiederabfahrt mit Tode abgingen.

Der Ankerplatz erhielt den Namen der »Praslin- Hafen«, und die große Insel oder der Archipel, zu dem er gehört, wegen der Falschheit der Bewohner den des »Landes der Arsaciden«.


Man sammelte die hie und da verstreuten Waffen. (S. 259)
Man sammelte die hie und da verstreuten Waffen. (S. 259)

»Der Praslin-Hafen, sagt Fleurieu, würde einer der besten der Welt sein, wenn er nur einen günstigeren Ankergrund besäße. Er ist fast kreisrund, mindestens[265] wenn man ihm die von der Haltestelle der ›St. Jean Baptiste‹ aus sichtbaren Inseln hinzurechnet.... Der bösartige Charakter der Stämme, welche in dieser Gegend hausen, gestattete es leider nicht, in das Landesinnere etwas weiter vorzudringen, so daß sich die Beschreibung auf die Strecken längs der Seeküste beschränken muß. Angebauten Boden fand man nirgends, weder am Strande, den die Boote bis zum Grunde des Hafens passirten, noch auf der, mehrfach in ihrer ganzen Ausdehnung untersuchten Insel de l'Aiguade.«

Das sind die ganzen, ziemlich oberflächlichen Nachrichten, welche Surville theils selbst sammelte und theils durch seine Leute erhielt. Vervollständigt wurden dieselben nach manchen Seiten durch den gefangenen jungen Eingebornen, Namens Lova-Salega, der sich für die Erlernung einer fremden Sprache sehr gut beanlagt erwies.

Nach den Aussagen desselben erzeugte die Insel viel Palmenkohl, Cocosnüsse und verschiedene Mandelfrüchte; ebenso gediehen daselbst der wilde Kaffeebaum, der Ebenholzbaum, der »Tacamaca«, nebst anderen harz-, respective gummireichen Baumarten, ferner die Banane, das Zuckerrohr, die Yamswurzel, der Anis und endlich eine, von den Urbewohnern »Binao« genannte Pflanze, deren Früchte bei denselben die Stelle des Brotes vertraten. In den Wäldern lebten ganze Schwärme von Kakadus, Lauris, Holztauben und Amseln, letztere etwas größer als unsere europäische Gattung. In sumpfigen Niederungen tummelten sich Curlis, See-Lerchen, verschiedene Schnepfenarten und Enten umher. An Vierfüßlern ernährte die Insel dagegen nur Ziegen und halbwilde Schweine.

»Die Bewohner des Praslin-Hafens, sagt Fleurieu auf Grund handschriftlicher Mittheilungen, sind von mittlerer Größe, aber muskulös und stark. Sie scheinen – wohl zu beachten! – nicht ein und desselben Ursprungs zu sein, da die Einen vollkommen schwarze, Andere kupferbraune Hautfarbe haben. Das Haar der ersteren ist kraus, aber sein und weich, die Stirn niedrig, die Augen liegen etwas tief und das Gesicht läuft nach unten spitzig aus mit nur schwachem Bartwuchs am Kinn; ihre ganze Erscheinung trägt den Stempel der Wildheit. Viele der Kupferfarbigen haben dagegen schlichtes Haar, das sie rings um den Kopf bis in die Höhe der Ohren zu verschneiden pflegen. Doch tragen es Einige kurzgeschoren wie ein eng anliegendes Käppchen auf dem Scheitel, während sie sich rings um diese Stelle mit einem zugeschärften Steine zu scheeren lieben und[266] darunter nur einen zollbreiten Kreis von Haaren stehen zu lassen. Haar und Augenbrauen pudern sie sich übrigens mit einer Art Kalkmehl, so daß diese fast gelbgefärbt erscheinen.«

Männer und Weiber gehen vollkommen nackt, doch macht diese Sitte beiweitem nicht den abstoßenden Eindruck, als wenn etwa ein Europäer unbekleidet umherliefe, denn Gesicht, Arme und überhaupt fast alle Theile des Körpers werden tätowirt mit allerlei Zeichnungen, die nicht selten einen eigenthümlichen Geschmack verrathen. Die Ohren durchbohren sie ebenso wie die Nasenscheidewand, deren Knorpel unter dem Gewichte der daran gehängten Gegenstände häufig über die Oberlippe herabgezogen erscheint.

Der gebräuchlichste Schmuck der Einwohner des Praslin-Hafens besteht in einem Rosenkranz aus Menschenzähnen. Man schloß schon daraus auf die unter ihnen herrschende Sitte der Anthropophagie, obwohl dieselbe Mode häufiger bei Völkerschaften angetroffen wurde, welche dem Kannibalismus bestimmt nicht huldigten; Lova's verlegene Antworten aber, als man ihn wegen eines halbgerösteten Menschenkopfes fragte, den Bougainville seiner Zeit auf der Insel Choiseul fand, lassen über das Vorkommen dieses abscheulichen Gebrauches leider keinen Zweifel.

Am 21. October das heißt nach neuntägigem Aufenthalte, verließ die »St. Jean Baptiste« den Praslin-Hafen. Während der nächstfolgenden Tage blieb stets ein hohes, gebirgiges Land in Sicht. Am 2. November entdeckte Surville eine Insel, welche den Namen »Insel der Widerwärtigkeiten« erhielt, weil hier ungünstige Winde drei volle Tage lang die Fahrt des Schiffes hemmten.

Diese Insel bot einen herrlichen Anblick. Sie war sorgsam angebaut und wahrscheinlich stark bevölkert, wenigstens nach der großen Menge Piroguen zu urtheilen, welche die »St. Jean Baptiste« unaufhörlich umschwärmten.

Die Eingebornen konnte man nur mit Mühe dazu bewegen, an Bord zu kommen. Endlich kletterte ein Häuptling derselben auf das Deck. Da war es seine erste Sorge, sich die Koppelriemen eines Matrosen anzueignen, zu deren Rückgabe er sich nur schwierig verstand. Darauf lief er nach dem Hintertheile des Schiffes und holte die weiße Flagge herab, welche ihm besonders zu gefallen schien. Auch diese vermochte man ihm nur mit Mühe wieder zu entwinden. Endlich erkletterte er den Mastkorb des Besans, betrachtete von dem erhöhten Standpunkte aus das ganze Schiff und sprang, als er wieder herabgestiegen, lustig umher; dann wendete er sich an seine, in den Piroguen zurückgebliebenen[267] Stammesgenossen und lud diese durch Worte und sonderbare, aber bezeichnende Geberden ein, ihm nachzufolgen.

Ein Dutzend derselben entschlossen sich zu dem Wagstücke. Diese ähnelten zwar den Bewohnern des Praslin-Hafens, redeten aber eine andere Sprache und konnten sich Lova-Salega nicht verständlich machen. An Bord verweilten sie nicht lange; denn als der Eine eine erhaschte Flasche in's Meer geworfen und der Commandant seine Mißbilligung darüber zu erkennen gegeben hatte, beeilten sich Alle, wieder in ihre Piroguen zu gelangen.

Das Bild des Landes erschien so lachend und die Skorbutischen bedurften einer Erholung so dringend, daß Surville eine Schaluppe an's Ufer sendete, um zu sehen, wie sich die Bewohner dabei benehmen würden.

Kaum war die Schaluppe abgestoßen, als sie auch schon von mehreren, mit Bewaffneten bemannten Booten umringt wurde, so daß es, um schlimmeren Kämpfen vorzubeugen, nothwendig wurde, die Angreifenden mittelst einiger Flintenschüsse zu vertreiben. Während der Nacht versuchte eine ganze Flottille, sich nach der »St. Jean Baptiste« heranzuschleichen; geleitet von einem gewissen Gefühle von Menschlichkeit, wartete Surville jedoch nicht, bis die Eingebornen ganz nahe herankamen, sondern jagte sie durch eine zeitig abgegebene Kartätschenladung in die Flucht.

Da sich eine Landung als ganz unthunlich erwies, stach Surville wieder in See und entdeckte nun nach einander die Inseln der drei Schwestern, des Golfes und die der Errettung, die letzten der Gruppe.

Der Archipel, durch den Surville kam, war kein an derer als der der Salomons-Inseln, deren erste Entdeckung durch Mendana wir schon früher geschildert haben. Der geschickte Seemann hatte hundertvierzig Meilen Küste sorgfältig aufgenommen und in die Karten eingetragen, außerdem auch noch eine Reihe von vierzehn sehr interessanten Ansichten der Uferlandschaften geliefert.

Um jeden Preis mußte nun Surville aber, wenn er seine Mannschaft nicht decimirt sehen wollte, ein Land zu erreichen suchen, wo er seine Kranken ausschiffen und ihnen frische Nahrungsmittel zukommen lassen konnte. Er entschloß sich also dafür, nach Neuseeland zu segeln, das seit Tasman noch Niemand wieder besucht hatte.

Am 12. December 1769 bekam Surville unter 35°37' südlicher Breite dessen Küsten in Sicht und ging fünf Tage später in einer von ihm »Bai Lauriston« genannten Bucht vor Anker. In deren Grunde befand sich noch ein[268] kleinerer Landeinschnitt, der zu Ehren eines der Gönner und Beförderer der Expedition den Namen »Chevalier« erhielt. Wir bemerken hierbei, daß Kapitän Cook, seit Anfang October mit der Erforschung dieses Landes beschäftigt, einige Tage vor der Lauriston-Bai verweilte, ohne das französische Schiff wahrzunehmen.

Während der Rast in der Chevalier-Bucht wurde Surville von einem furchtbaren Sturme befallen, der ihm den Untergang drohte; die Matrosen vertrauten aber so sicher auf seine seemännische Erfahrung, daß sie nicht einen Augenblick den Kopf verloren und alle Befehle ihres Kapitäns mit bewundernswerther Kaltblütigkeit ausführten, deren einzige Zeugen leider nur die Neuseeländer waren.

Die Schaluppe, welche die Kranken an's Ufer beförderte, gewann nicht einmal die Zeit, zum Schiffe zurückzukehren, als das Unwetter losbrach, das dieselbe in eine andere, die später so genannte »Bucht der Zuflucht« hineintrieb. Matrosen und Kranke fanden eine sehr wohlwollende Aufnahme bei einem Häuptling, Namens Naginui, der ihnen seine Hütte überließ und sie mit allen, während ihres Aufenthaltes nur beizutreibenden Erfrischungen fast überhäufte.

Eine der hinter der »St. Jean Baptiste« geschleppten Pinassen wurde von den Wogen entführt. Surville bemerkte, daß sie in der Bucht der Zuflucht gestrandet war. Als er sie wieder holen lassen wollte, fand sich davon nur noch eine Leine derselben; das Boot hatten die Eingebornen heimlich weggeschafft. Umsonst suchte man darnach längs des Ufers; keine Spur desselben fand sich wieder. Surville gedachte diesen Diebstahl nicht unbestraft hingehen zu lassen; er veranlaßte also einige neben ihren Piroguen stehende Indianer, zu ihm zu kommen. Der Eine derselben, der wirklich herbeilief, ward ergriffen und an Bord gebracht. Die Anderen retteten sich durch die Flucht.

»Man bemächtigte sich einer Pirogue, sagt Crozet, verbrannte die übrigen, legte Feuer an die Wohnhütten und begab sich wieder auf das Schiff zurück. Der eingefangene Indianer wurde von dem Arzte als der Häuptling wiedererkannt, der ihnen während des Sturmes so edelmüthige Hilfe geleistet hatte; es war der unglückliche Naginui, der nach seinen so erfolgreichen Liebesdiensten gewiß nicht im Geringsten glaubte, eine solche Behandlung zu erfahren, als er Surville's einladenden Zeichen Folge gab.«

Nahe der Insel Juan Fernandez ging derselbe am 14. März 1770 mit Tode ab.[269]

Die Beobachtungen des französischen Seefahrers über Bewohner und Erzeugnisse Neuseelands übergehen wir hier mit Stillschweigen, weil sie mit denen Cook's vollkommen übereinstimmen.

In der Ueberzeugung, daß er sich auch hier die nothwendigen Lebensmittel nicht werde beschaffen können, lichtete Surville nach einigen Tagen auf's Neue die Anker und hielt einen Kurs zwischen dem 27. und 28. Grade südlicher Breite ein; der Skorbut aber, der tagtäglich neue Verheerungen anrichtete, nöthigte ihn nun, so schnell als möglich Peru aufzusuchen. Er erblickte dessen Küste zuerst am 5. April 1770, und ging drei Tage später, vor der Barre von Chilca, am Einlaufe nach Callao vor Anker.

In seinem Eifer, an das Land zu kommen und für seine Kranken Hilfe zu suchen, entsendete Surville Niemanden zur Begrüßung des Statthalters. Unglücklicherweise wurde sein Boot von den an der Barre sich brechenden Wellen umgeschlagen und nur ein einziger Matrose daraus vermochte sich zu retten. Surville und alle Uebrigen ertranken.

So fand der erfahrene und geschickte Seemann, viel zu früh für die Wissenschaft und sein Vaterland, denen er gewiß noch ersprießliche Dienste geleistet hätte, ein trauriges Ende. Die »St. Jean Baptiste« wurde vor Lima durch die unendlichen Zollplackereien der Spanier »drei volle Jahre« zurückbehalten. Die Führung derselben übernahm Labbo, der sie am 23. August 1773 nach Lorient zurückbrachte.

Wie wir schon früher erzählten, hatte Bougainville einen Tahitier, Namens Auturu, nach Europa mitgenommen. Als dieser den Wunsch zu erkennen gab, nach seiner Heimat zurückzukehren, sendete ihn die französische Regierung nach Isle de France mit dem Auftrage an die Verwaltungsbehörde dieser Kolonie, ihm die Rückkehr nach Tahiti thunlichst zu erleichtern.

Ein Officier der Kriegsmarine, Marion-Dufresne, ergriff begierig diese Gelegenheit, Poivre, dem Intendanten der Inseln de France und de Bourbon, vorzuschlagen, er erbiete sich, den jungen Auturu auf seine Kosten und auf einem ihm selbst gehörigen Fahrzeuge nach Tahiti zu befördern. Er bat nur darum, daß ein Schiff der Regierung ihm als Begleitung beigegeben und zu den Kosten der ersten Ausrüstung staatlicherseits ein Vorschuß geleistet werden möge.

Nikolaus Thomas Marion-Dufresne, geboren zu St. Malo am 22. December 1739, war sehr jung in die Marine eingetreten. Am 16. October 1746 zum Fregatten-Lieutenant ernannt, bekleidete er jener Zeit die Stellung eines BranderKapitäns.[270] Er hatte zwar überall mit Auszeichnung, aber nirgends mit so vielem Glücke gedient als in den Meeren Indiens.

Die Mission, zu deren Ausführung er sich erbot, benutzte er nur als Vorwand zu einer, in den oceanischen Meeren beabsichtigten Entdeckungsreise. Seine Vorschläge fanden die Billigung Poivre's, eines intelligenten und fortschrittsfreundlichen Beamten, der ihm genaue Instructionen für die Nachforschungen einhändigte, die er in der südlichen Halbkugel vorhatte. Damals war Cook's Beweis von dem Nichtvorhandensein eines südlichen Festlandes noch nicht bekannt.

Poivre wünschte nun lebhaft, die nördlichen Theile dieses Continents entdeckt zu sehen, da er sie für benachbart den französischen Besitzungen hielt und dort ein gemäßigteres Klima anzutreffen hoffte. Ebenso glaubte er, daselbst geeignetes Holz zum Schiffbau und überhaupt viele Hilfsmittel zu finden, die er jetzt mit großen Unkosten aus dem Vaterlande beziehen mußte; vielleicht existirte dort auch ein sicherer Hafen zum Schutze für die Schiffe gegen die Orkane, welche die Inseln de France und de Bourbon fast periodisch verheeren. Zufällig hatte auch der Hof eben einen Schiffslieutenant, de Kerguelen, in diese unerforschten Meere auf Entdeckungen ausgeschickt, Marion's Expedition, die einen anderen Weg als jene einschlagen sollte, konnte also der Lösung des größten Problems jener Zeit nur förderlich sein.

Am 18. October 1771 gingen die »Mascarin«, geführt von Marion und die »Marquis de Castries«, unter dem Befehl des Schiffsfähnrichs Ritter Du Clesmeur, unter Segel. Sie liefen zuerst Bourbon an und nahmen daselbst Auturu auf, der leider den Keim zu den Pocken in sich trug, den er schon auf Isle de France in sich aufgenommen hatte. Da seine Krankheit hier zum Ausbruche kam, mußte man Bourbon eiligst verlassen, um die Bevölkerung selbst nicht anzustecken. Die beiden Schiffe begaben sich also nach dem Fort Dauphin an der Küste von Madagascar, um den Verlauf der Krankheit vor der Landung am Cap abzuwarten, wo noch weiterer Proviant eingenommen werden sollte. Der junge Auturu erlag bald seinen Leiden.


Piroguen der Admiralitäts-Inseln. [Facsimile. Alter Kupferstich.]
Piroguen der Admiralitäts-Inseln. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Der Gedanke, nun nach Isle de France zurückzukehren, die Schiffe abzutakeln und die Fahrt aufzugeben, kam Marion gar nicht in den Sinn. Da er sich jetzt nach keiner Seite mehr beschränkt fühlte, faßte er sein eigentliches Ziel, sich durch eine kühne Reise auszuzeichnen, nur desto mehr in's Auge und wußte auch in seinen Leuten den Enthusiasmus, der ihn beseelte, anzufachen. Er steuerte also nach dem Cap der Guten Hoffnung, wo es binnen wenigen Tagen[271] gelang, den für eine Reise von achtzehn Monaten erforderlichen Proviant herbeizuschaffen.


Auch diesen wurde ein brennendes Stück Holz angeboten (S. 276.)
Auch diesen wurde ein brennendes Stück Holz angeboten (S. 276.)

Von hier aus schlug man sofort eine Richtung nach den von Bouvet de Lozier im Jahre 1739 entdeckten Ländern ein, die man östlich von dem Meridian von Madagascar zu suchen hatte.

Vom 28. December 1771, an welchem Tage die Schiffe das Cap verließen, bis zum 11. Januar kam etwas Bemerkenswerthes auf der Fahrt nicht vor. Man überzeugte sich kurz vorher durch Aufnahme der Breitenposition unter[272] 20°43' östlicher Länge von Paris, daß man sich (40 bis 41° der Breite) unter der Parallele jener Inseln befinden müsse, welche in Van Keulen's Karten unter den Namen »Dina« und »Marvezen« eingetragen sind, während sie auf den französischen Karten fehlten.

Obwohl ganze Schwärme von Landvögeln die Nachbarschaft dieser Inseln zu bestätigen schienen, hielt sich Marion hier doch nicht weiter auf, um das eigentliche Ziel seiner Aufmerksamkeit, die Auffindung des südlichen Continents, nicht aus den Augen zu verlieren.[273]

Am 11. Januar, also in der Zeit des Sommers dieser Gegenden, segelte man unter 45°43' südlicher Breite, nichtsdestoweniger herrschte, bei fortwährenden Schneefällen, eine ganz empfindliche Kälte. Zwei Tage später entdeckte Marion unter dichtem Nebel, dem ein seiner Sprühregen folgte, ein Land, das sich in der Richtung Westsüdwest zu Ostnordost vier bis fünf Meilen hin ausdehnte. Die Sonde ergab bei vierundzwanzig Faden Tiefe einen grobsandigen, mit Korallen untermischten Grund. Diesem Lande folgte man, bis es hinter den Schiffen lag, das heißt, etwa sechs bis sieben Meilen weit. Es schien sehr hoch und gebirgig zu sein und erhielt den Namen »Land der Hoffnung«, eine Bezeichnung, welche Marion's Sehnsucht, einen südlichen Continent zu erreichen, deutlich genug kennzeichnet. Dieselbe Insel taufte Cook übrigens vier Jahre später »Prinz Eduards-Insel«.

Im Norden derselben lag noch ein anderes Land.

»Ich bemerkte, sagt Crozet, der Verfasser der Reisebeschreibung Marion's, als wir neben dieser Insel hinsegelten, an deren nordöstlichem Theile eine geräumige Bucht und dieser gegenüber auf dem Lande eine große Höhle. In der Umgebung der letzteren zeigte sich eine Menge weißlicher Flecken, die man aus der Ferne als von einer Schafheerde herrührend ansehen konnte. Bei genügender Zeit hätten wir gegenüber jener Höhle gewiß einen recht guten Ankerplatz gefunden. Ich glaubte daselbst auch einen von den Bergen herabstürzenden Wasserfall zu erkennen. Beim weiteren Umschiffen der Insel fanden wir auch noch drei, zu derselben gehörige Eilande, zwei davon innerhalb einer anderen tiefen Einbuchtung der Insel, das dritte an deren nördlichster Spitze. Sie erschien im Uebrigen unfruchtbar, sieben bis acht Meilen im Umfange groß, ohne Vegetation und das Ufer gefahrlos. Marion nannte sie die ›Insel der Höhle‹.«

Diese beiden Landstücke liegen unter 45°45' südlicher Breite und 34°31' östlich von Paris, einen halben Grad seitwärts von Bouvet's Kurse. Am folgenden Tage nahm man eine etwa sechs Meilen lange, mit Grün bedeckte Küstenstrecke des Landes der Hoffnung näher in Augenschein Die beschneiten Berggipfel stiegen zu ansehnlicher Höhe empor. Man beschäftigte sich eben mit der Aufsuchung eines geeigneten Ankerplatzes, als die beiden Schiffe während des Sondirens mit einander collidirten und sich gegenseitig nicht unerheblich beschädigten. Die Ausbesserung derselben nahm drei volle Tage in Anspruch. Das bis dahin ziemlich günstige Wetter schlug nun um und der Wind wurde heftiger, so daß man genöthigt war, unter dem sechsundvierzigsten Breitengrade weiterzusegeln.[274]

Am 24. Januar kam wiederum Land in Sicht.

»Zunächst schien uns dasselbe zwei Inseln zu bilden, sagt Crozet; ich entwarf davon eine Zeichnung von acht Meilen Entfernung aus gesehen; bald erkannte man diese aber als zwei Vorgebirge, welche in der Ferne durch Landmassen verbunden waren. Sie liegen übrigens unter 45°5' südlicher Breite und 42° östlicher Länge von Paris. Marion nannte sie die ›Kalten Inseln‹.

Obwohl man während der Nacht nur wenig Weg zurücklegte, konnte man dieselben am nächsten Tage doch nicht wieder auffinden. Da meldete die ›Castries‹ wieder Land in Sicht, das zehn bis zwölf Meilen im Ostsüdosten von dem Schiffe lag. Ein dichter Nebel aber, der nicht weniger als zwölf Stunden andauerte, der unaufhörliche Regen und die lebhafte, für die unzulänglich bekleidete Mannschaft sehr empfindliche Kälte verhinderten eine weitere Annäherung als auf sechs bis sieben Meilen.

Am nächsten Tage sah man diese Küste noch einmal, ebenso wie ein weiteres Land, das den Namen ›Dürre Insel‹ erhielt, heutzutage aber als ›Insel Crozet‹ bekannt ist. Endlich gelang es nun Marion, ein Boot auszusetzen, mit dem er Crozet zur Besitznahme der größeren der beiden Inseln entsendete, welche unter 46°30' südlicher Breite und 43° östlicher Länge von Paris liegt.

Marion nannte dieselbe ›Insel der Besitznahme‹. (Jetzt bezeichnet man sie als ›Insel Marion‹.) Es war das die sechste Insel, die wir in dieser südlichen Gegend entdeckten.... Ich erreichte auf derselben bald eine Anhöhe, von der aus noch Schnee an den Thalgeländen zu sehen war; der Erdboden schien ziemlich dürr und nur mit seinem, schwachem Graswuchs bedeckt.... Einen Baum oder Strauch konnte ich nirgends wahrnehmen.... Diese, der fortwährenden Einwirkung stürmischer Westwinde ausgesetzte Insel scheint, da jene wohl das ganze Jahr über vorherrschen, so gut wie unbewohnbar zu sein. Ich fand hier nur Seewölfe, Pinguine, Captauben, Tauchrenten und überhaupt alle jene Vogelarten, welchen man bei Umschiffung des Caps der Guten Hoffnung auf offenem Meere begegnet. Offenbar hatten die Thiere noch nie einen Menschen gesehen, denn sie zeigten sich so wenig scheu, daß man sie mit der Hand fangen konnte. Die Weibchen der Vögel blieben ruhig brütend auf den Eiern sitzen; andere fütterten die Jungen; die Seewölfe sprangen und spielten weiter ohne alle Furcht und als ob wir gar nicht vorhanden wären.«

Marion folgte also dem 46. und 47. Breitengrade mitten durch einen so intensiven Nebel, daß man kaum von einem Ende des Schiffes bis zum anderen[275] sehen konnte und in kurzen Zwischenräumen Kanonenschüsse abfeuern mußte, um einander nicht zu verlieren.

Am 2. Februar befanden sich die beiden Fahrzeuge unter 47°22' östlicher Länge, das heißt 1°18' von dem Lande entfernt, das die königlichen Fluten, die »Fortune« und »Gros-Ventre«, unter dem Befehle de Kerguelen's und St. Allouarn's am 13. desselben Monats entdeckten. Ohne den der »Castries« zugestoßenen Unfall hätte Marion jene gewiß hier getroffen.

Als er den 90. Grad östlich von dem Meridiane von Paris erreicht, änderte Marion seinen Kurs und steuerte auf Van-Diemens-Land zu. Die Ueberfahrt verlief ganz glücklich und die beiden Fahrzeuge gingen in der Friedrich-Heinrichs-Bai vor Anker.

Sofort wurden die Boote klar gemacht, mit denen sich eine starke Abtheilung an's Land begab, wo man etwa dreißig Eingeborne antraf, während die Umgebung, nach der Anzahl der beobachteten Feuer- oder Rauchsäulen zu urtheilen, nur schwach bevölkert sein konnte.

»Die Bewohner des Landes, sagt Crozet, zeigten sich sehr entgegenkommend; sie trugen Holz zu einer Art Scheiterhaufen zusammen. Dann boten sie den neuen Ankömmlingen je ein Stück dürres angezündetes Holz an und bedeuteten sie durch Zeichen, den Scheiterhaufen in Brand zu setzen. Ohne den Sinn dieser Ceremonie zu verstehen, that man doch ihren Willen. Die Wilden zeigten über unsere Ankunft keine besondere Verwunderung und blieben mit ihren Frauen und Kindern ohne weitere Zeichen der Freundschaft oder Feindschaft in unserer Nähe. Männer und Frauen waren von mittlerer Größe; einzelne Frauen trugen ihre Kinder mit Binsenseilen gebunden auf dem Rücken. Die Männer waren alle mit zugespitzten Stangen und einigen Steinen bewaffnet, die uns scharf wie das Eisen der Aexte zu sein schienen.

Wir versuchten sie durch kleine Geschenke zuthunlicher zu machen; sie wiesen aber Alles, was man ihnen anbot, verächtlich zurück, selbst Eisen, Spiegel, Taschentücher und Leinwandstücke. Man zeigte ihnen darauf mehrere, von den Schiffen herbeigebrachte Hühner und Enten, um begreiflich zu machen, daß man von ihnen kaufen wolle. Sie nahmen zwar die ihnen scheinbar unbekannten Thiere, schleuderten sie aber gleich zornig wieder weg.«

Schon eine Stunde lang bemühte man sich vergeblich, die Freundschaft der Wilden zu gewinnen, als Marion und Du Clesmeur ebenfalls an's Land kamen. Auch diesen wurde ein brennendes Stück Holz angeboten, und sie zündeten,[276] in der Ueberzeugung, damit einen gewünschten Freundschaftsbeweis zu geben, einen anderen kleinen Scheiterhaufen an. Damit täuschten sie sich jedoch gewaltig, denn die Wilden wichen sofort zurück und schleuderten eine Menge Steine über die Franzosen, deren zwei Commandanten selbst dabei verwundet wurden. Als Antwort feuerte man einige Flintenschüsse auf die Angreifer und schiffte sich wieder ein.

Bei Gelegenheit eines wiederholten Landungsversuches, dem sich die Wilden sehr entschlossen widersetzten, mußte man ihren Angriff durch eine Gewehrsalve beantworten, welche mehrere verwundete und einen tödtete. Darauf gingen die Leute an's Land und verfolgten die Eingebornen, die keinen ferneren Widerstand zu leisten wagten.

Jetzt wurden sofort zwei Abtheilungen beordert, die eine einen Wasserplatz zu suchen, die andere, um geeignete Bäume zum Ersatz des Mastwerkes der »Castries« ausfindig zu machen. Sechs Tage vergingen unter fruchtlosem Suchen. Für die Wissenschaft ging diese Zeit jedoch nicht nutzlos verloren, denn man machte hier viele interessante Beobachtungen.

»Aus den beträchtlichen Anhäufungen von Muschelschalen, die sich da und dort fanden, sagt Crozet, schlossen wir, daß die gewöhnliche Nahrung der Wilden aus Mies-, Stock-, Chienmuscheln und ähnlichen Salatenthieren bestehen möge.«

Erscheint es nicht auffallend, nahe Neuseeland die an den skandinavischen Küsten so gewöhnlichen Haufen von Küchenabfällen (in Dänemark »Kjökkenmöddings« genannt) wiederzufinden, denen wir auch bei dem Isthmus von Panama begegneten? Ist der Mensch nicht überall derselbe und bestimmen ihn die nämlichen Bedürfnisse nicht stets zu dem nämlichen Verfahren?

Da er sich überzeugte, daß es nur Zeitvergeudung wäre, hier nach länger nach Wasser oder nach geeignetem Holze zu suchen, um die »Castries« wieder frisch zu bemasten und den Rumpf der »Mascarin« auszubessern, der manche undichte Stellen hatte, so segelte Marion am 10. März nach Neuseeland ab, das er erst vierzehn Tage später erreichte.

Entdeckt im Jahre 1642 von Tasman und wiederbesucht von Cook und Surville im Jahre 1772, wurde dieses Land schon allgemach bekannter.

Die beiden Schiffe wollten in der Nähe des Mont Egmont landen, das Ufer war an der betreffenden Stelle aber so steil, daß Marion nach der offenen See zurückkehrte und sich dem Lande erst am 31. März unter 36°30' der Breite wieder näherte. Er hielt sich nun längs der Küste und segelte trotz[277] widriger Winde an derselben nach Norden hinauf bis zu den Drei Königs-Inseln. Auch hier gelang es ihm nicht zu landen. Er mußte also nach der Hauptinsel zurückkehren und warf nahe beim Cap Maria-Van-Diemen, dem nördlichsten Ausläufer Neuseelands, Anker. Der Meeresgrund erwies sich hier, wie man bald bemerkte, nicht günstig, Marion hielt sich deshalb auch nicht auf und unterbrach seine Fahrt, nach mehreren vergeblichen Versuchen, erst am 11. Mai in der Bai der Inseln Cook's wieder.

Auf einer dieser Inseln, wo sich Wasser und Holz vorfanden, wurden nun Zelte aufgeschlagen und die Kranken, durch eine starke Abtheilung Bewaffneter geschützt, darin untergebracht. Die Eingebornen kamen sofort an Bord, einzelne übernachteten sogar daselbst und der Tauschhandel begann, erleichtert durch ein tahitisches Wörterbuch, bald im großen Maßstabe.

»Ich bemerkte, sagt Crozet, unter den seit den ersten Tagen an Bord gekommenen Wilden zu meinem Erstaunen drei verschiedene Stämme, von denen der eine, aller Wahrscheinlichkeit nach der der wirklichen Urbewohner, weißen, in's Gelbliche, spielenden Teint hatte. Die Zugehörigen dieses Stammes sind die größten der Bewohner; ihr Körper mißt gewöhnlich 5 Fuß und 9 bis 10 Zoll, ihre Haare sind glatt und schlicht; Andere haben dunklere Hautfarbe, etwas gekräuseltes Haar und geringere Größe; die Kleinsten endlich sind wollhaarige Neger mit breit entwickelter Brust. Die erstgenannten haben sehr wenig, die Neger sehr starken Bartwuchs.«

Die Richtigkeit dieser merkwürdigen Beobachtung sollte später volle Bestätigung finden.

Es erscheint unnütz, sich hier ausführlicher über die Sitten der Neuseeländer, über ihre befestigten Dörfer, von welchen Marion eine sehr eingehende Beschreibung liefert, über Waffen, Bekleidung und Nahrung derselben zu verbreiten, diese Details sind unseren Lesern schon aus den Reisen Cook's u. A. bekannt.

Die Franzosen hatten drei Lagerposten auf dem Lande: den der Kranken auf der Insel Matuaro; einen zweiten auf der Hauptinsel, der als Sammelstelle, Niederlage und als Verbindungsglied für den Dritten, nämlich den der Zimmerleute diente, der zwei Meilen weiter, mitten im Walde errichtet war. Verlockt durch das freundschaftliche Benehmen der Wilden, unternahmen einzelne Leute von der Besatzung sehr ausgedehnte Ausflüge in das Landesinnere und hatten sich überall eines wirklich herzlichen Empfanges zu erfreuen. Dadurch[278] nahm das gute Vertrauen so sehr zu, daß Marion, trotz Crozet's Widerspruch, befahl, die an's Land gehenden Schaluppen und Boote nicht mehr zu bewaffnen. Gewiß die unverzeihlichste Unklugheit in einem Lande, wo Tasman, die erste Stelle, die er seinerzeit anlief, doch nicht ohne Ursache die »Bai der Mörder« nannte, und wo Cook Anthropophagen antraf und bald selbst umgebracht worden wäre!

Am 8. Juni ging Marion persönlich an's Land und wurde mit ganz außergewöhnlichen Freundschafts-Bezeugungen empfangen. Man rief ihn zum Oberhäuptling des Landes aus und die Eingebornen steckten ihm vier weiße Blumen als Zeichen der Souveränität in's Haar. Vier Tage später ging Marion wiederum an's Land mit zwei jungen Officieren, de Vaudricourt und Le Houx, einem Volontär, dem Rüstmeister und einigen Matrosen, zusammen siebzehn Mann.

Abends kehrte Niemand nach dem Schiffe zurück, ohne daß dies Jemand beunruhigt hätte, da man die fast aufdringliche Gastfreundschaft der Wilden kannte. Man nahm vielmehr an, Marion werde gleich auf dem Lande geschlafen haben, um am nächsten Tage den Arbeitsplatz der Zimmerleute bequemer besuchen zu können.

Am 13. Juni lief die Schaluppe der »Castries« aus, um den Tagesbedarf an Holz und Wasser zu holen. Da sah man um neun Uhr einen Mann auf die Schiffe zuschwimmen; man sandte ihm eine Jolle zu Hilfe. Es war einer der Leute aus der Schaluppe, der allein bei der Niedermetzlung seiner Kameraden entkommen war. Er hatte zwei Lanzenstiche in der Seite und versauedene Spuren erlittener Mißhandlung am Körper.

Seiner Erzählung nach erwiesen sich die Eingebornen bei Annäherung der Schaluppe ebenso freundlich wie immer und trugen sogar die Matrosen, welche sich nicht durchnässen wollten, auf den Schultern an's Ufer. Als letztere sich aber zum Einsammeln von Holz zerstreut hatten, erschienen die Eingebornen, bewaffnet mit Lanzen, Stöcken und Keulen, in großer Anzahl wieder und stürzten sich je Sechs bis Sieben auf einen Matrosen. Ihn selbst überfielen nur zwei Männer, die ihm einige Lanzenstiche beibrachten, und denen er nur deshalb glücklicher Weise entfliehen konnte, weil er sich in der Nähe des Meeres befand, wo ihn ein Gebüsch von weiterer Verfolgung schützte. Von da aus sah er die Hinmordung aller seiner Kameraden mit an. Die Wilden hatten die Leichen sofort der Kleidung beraubt denselben die Bauchhöhle aufgeschlitzt und begannen sie eben zu zerstückeln, als er geräuschlos sein Versteck verließ und in der[279] Hoffnung, sein Schiff schwimmend wieder zu erreichen, trotz Erschöpfung in's Wasser sprang.


Der war bei der Niedermetzlung seiner Kameraden entkommen. (S. 279.)
Der war bei der Niedermetzlung seiner Kameraden entkommen. (S. 279.)

Hatten die sechzehn Mann, welche Marion begleiteten und von denen bis jetzt jede Nachricht fehlte, dasselbe Schicksal erlitten? Das war leider anzunehmen. Jedenfalls galt es jetzt, keine Minute zu verlieren und Alles aufzubieten, um die drei Posten auf dem Lande zu retten. Chevalier du Clesmeur übernahm die Ausführung der nöthigen Maßregeln, und nur seiner Energie ist es zu verdanken, daß das Unheil nicht noch größere Dimensionen annahm.


Man fand einen gerösteten Menschenkopf. (S. 283.)
Man fand einen gerösteten Menschenkopf. (S. 283.)

Sofort wurde die Schaluppe der »Mascarin« ausge[280] rüstet und zur Aufsuchung der Schaluppe Marion's und dessen Begleitbootes ausgesendet mit dem Auftrag, alle Posten dem entferntesten, wo Masten und Raaen hergestellt wurden, zu Hilfe zu senden. Unterwegs sah man auf dem Ufer, nahe dem Dorfe Tacouri's, die beiden vermißten Boote, umringt und geplündert von Wilden, welche die Matrosen umgebracht hatten.

Ohne sich durch die Wiederwegnahme der Fahrzeuge aufzuhalten, spannte der Officier alle Kräfte seiner Leute an, nm möglichst schnell nach dem Zimmerplatze[281] zu gelangen. Dieser war zum Glück noch von einem Angriffe verschont geblieben. Natürlich wurden die Arbeiten sofort eingestellt, Werkzeuge und Waffen gesammelt, die Flinten scharf geladen und die Gegenstände, welche man nicht mitnehmen konnte, unter den Trümmern der in Brand gesetzten Baracke begraben.

Nun erfolgte der Rückzug mitten durch mehrere Haufen Wilder, die immer die unseligen Worte riefen: »Tacouri mate Marion!« (Tacouri hat Marion erschlagen!) So zog man zwei Meilen weit hin, ohne daß ein Angriff auf die aus sechzig Mann bestehende Abtheilung erfolgt wäre.

Erst als man in die Nähe der Schaluppe kam, drängten die Wilden heran. Crozet ließ nun zuerst die mit Packeten belasteten Matrosen einsteigen und machte den Wilden, indem er auf der Erde eine Linie zog, verständlich, daß Jeder, der es wagen würde, diese zu überschreiten, dem sicheren Tode entgegengehe. Dann erfolgte der Befehl zum Einsteigen, und es war gewiß ein merkwürdiges Schauspiel, die Tausende von Wilden widerspruchslos gehorchen zu sehen, trotz ihres Verlangens, sich auf eine sicher geglaubte Beute zu stürzen, die sie sich jetzt entgehen sahen.

Crozet schiffte sich zuletzt ein. Kaum hatte er den Fuß in das Boot gesetzt, als ein wüstes Kriegsgeschrei erschallte und Wurfspieße und Steine von allen Seiten herbeiflogen. Die Wilden gingen nun zu offenen Feindseligkeiten über und wateten sogar in's Wasser, um ihren Gegnern besser beizukommen. Crozet sah sich endlich gezwungen, den Bethörten das Uebergewicht seiner Waffen fühlbar zu machen, und ließ Feuer geben. Als die Neuseeländer ihre Kameraden todt oder verwundet zusammenbrechen sahen, scheinbar ohne von einer Waffe berührt worden zu sein, hielten sie stutzend inne. Sicherlich wären Alle im nächsten Umkreise getödtet worden, wenn Crozet nicht selbst dem Blutbade ein Ziel setzte.

Die Kranken wurden ohne Unfall an Bord zurückgebracht und die verstärkte und jetzt doppelt vorsichtige Wache bei denselben nicht weiter belästigt.

Am nächsten Tage versuchten die Eingebornen, die auf der Insel Matuaro ein ansehnliches Dorf besaßen, doch wieder, die Matrosen am Einholen des nöthigen Wassers und Holzes zu hindern. Diese drangen aber mit gefälltem Bajonnet auf die Wilden ein und vertrieben dieselben bis nach dem erwähnten Dorfe, wohin sie sich zurückzogen. Da vernahm man die Stimme der Häuptlinge, die sie zum Kampfe reizten. In Pistolenschußweite von dem Eingange des Dorfes eröffnete man nun das Feuer, als dessen erste Opfer die Häuptlinge[282] fielen. Darüber erschrocken, ergriffen die Eingebornen die Flucht. Man streckte noch etwa fünfzig zu Boden, jagte die Uebrigen in's Meer und legte das Dorf in Asche.

Es war natürlich nicht daran zu denken, die schönen Maste aus Cedernstämmen, deren Fällung so viele Mühe gemacht hatte, nach dem Strande zu schaffen, und man mußte sich zur Vervollständigung des Mastwerkes damit begnügen, einzelne, auf den Schiffen vorhandene Holzstücke möglichst haltbar zu vereinigen. Die Beschaffung des für die Weiterreise unumgänglichen Vorrathes von siebenhundert Tonnen Wasser und siebzig Klaftern Brennholz nahm, da man nur noch über eine einzige Schaluppe verfügte, einen vollen Monat in Anspruch.

Noch immer hatte man aber über das Schicksal Marion's und der ihn begleitenden Leute keine volle Aufklärung. Zur Erlangung einer solchen begab sich zunächst eine starke, wohl bewaffnete Abtheilung nach dem Dorfe Tacouris.

Dasselbe erwies sich verlassen. Nur einige schwächliche Greise, die ihren fliehenden Landsleuten gewiß nicht zu folgen vermochten, saßen da und dort vor den Hütten. Man versuchte sie zu fangen. Da stieß einer derselben, ohne sich lange zu besinnen, mit dem Wurfspieß, den er in der Hand hielt, nach einem Soldaten. Man bestrafte ihn dafür mit dem Tode, ließ aber die anderen unbehelligt in ihrem Dorfe. Alle Wohnungen wurden sorgfältig durchsucht. In der Küche Tacouri's fand sich ein erst vor wenig Tagen gerösteter Menschenkopf mit noch einigen Fleischresten, an denen man den Eindruck von Zähnen sah; ferner, an einem hölzernen Bratspieß befestigt, ein zu drei Viertheilen aufgezehrter Oberschenkel.

In einer anderen Hätte fand man ein Hemd, das als ein dem unglücklichen Marion gehöriges erkannt wurde. Der Halstheil desselben war ganz blutig und zeigte drei oder vier, an den Rändern ebenfalls blutbefleckte Löcher. In verschiedenen anderen Häusern entdeckte man noch einen Theil der Kleider und die Pistolen des jungen de Vaudricourt, der seinen Commandanten begleitet hatte, ferner mehrere Waffen aus dem zweiten Boote und einen Haufen Fetzen von den Jacken der unglücklichen Matrosen.

Jetzt war kein längerer Zweifel möglich. Ueber den Tod der Opfer wurde ein Protokoll aufgesetzt, und Du Clesmeur suchte sich aus Marion's Papieren über dessen weitere Reiseziele zu unterrichten, fand aber nichts als die von dem Statthalter auf Isle de France herrührenden Instructionen.[283]

Das versammelte Officiercorps entschied sich angesichts des kläglichen Zustandes der Fahrzeuge dahin, von der Aufsuchung unbekannter Länder abzusehen, erst nach den Inseln Rotterdam und Amsterdam, dann nach den Mariannen und den Philippinen zu segeln, wo man die eingenommene Ladung vor der Rückkehr nach Isle de France veräußern zu können hoffte.

Am 14. Juli verließ Du Clesmeur den von ihm sogenannten »Hafen des Verrathes« und die Schiffe steuerten nach den Inseln Amsterdam und Rotterdam zu, an denen sie, etwas nördlich von ihnen, am 6. August vorüberkamen. Glücklicher Weise begünstigte diese Fahrt das herrlichste Wetter, denn der Scorbut hatte unter den Matrosen so sehr gewüthet, daß nur noch wenige derselben dienstfähig waren.

Am 20. September wurde endlich die Insel Guaham, die größte der Mariannen, erreicht, an der man doch erst sieben Tage später vor Anker gehen konnte. Der von Crozet verfaßte Bericht enthält eine sehr schätzbare und eingehende Schilderung dieser Insel, wie ihrer Erzeugnisse und Bewohner. Wir geben hier daraus nur folgenden, ebenso kurzen wie bezeichnenden Passus wieder:

»Die Insel Guaham, heißt es, erschien uns wie ein irdisches Paradies; die Luft hier ist erquickend, das Wasser ausgezeichnet, Gemüse und Früchte sind vortrefflich, Rinder-, Ziegen- und Schweineheerden unzählbar; alle Arten Geflügel vermehren sich sehr stark.«

Unter den Erzeugnissen hebt Crozet die »Rima« besonders hervor, deren Frucht eßbar wird, wenn sie ihre volle Ausbildung erlangt hat, aber noch grün ist.

»In diesem Zustande, sagt er, ernten sie die Eingebornen zum Verspeisen; sie beseitigen die rauhe Schale und schneiden sie wie Brot in Stücke. Zum Zweck des Aufbewahrens schneiden sie daraus runde Scheiben und lassen diese, in Form sehr dünner Brotkuchen, an der Sonne oder am Feuer dörren. Dieser Naturzwieback behält seine nährende Eigenschaft mehrere Jahre lang und jedenfalls weit länger als unser bester Schiffszwieback.«

Vom Hafen von Agana aus segelte Crozet nach den Philippinen, wo er bei Cavite, in der Bai von Manilla, vor Anker ging. Hier trennten sich nun die »Castries« und die »Mascarin«, um einzeln nach Isle de France zurückzukehren. –

Einige Jahre früher schon hatte ein kühner Officier der Kriegsmarine, der Chevalier Jacques Raymond de Giron de Grenier, der wohl auch dem[284] glänzenden Siebengestirn berühmter Männer, den Chazelle, Borda, Fleurieu, Du Maitz de Grimpo, Chabert und Verdun de la Grenne zugezählt zu werden verdiente, die sich so eifrig für alle Fortschritte der Schifffahrt und Erdkunde bemühten, seine Muße während des Aufenthaltes auf Isle de France dazu benutzt, die benachbarten Meere zu durchforschen. Mit der Corvette »Heure Du Berger« unternahm er eine recht erfolgreiche Kreuzfahrt, bei der er die Positionen des Saint Brandon-Risses, der Saya de Malha-Bank berichtigte, in den Seschellen die Inseln St. Michel, Rocquepire, Agalega eingehend erforschte und die Karte der Inseln Adu und Diego Garcia verbesserte. Unter Berücksichtigung des sich gegenseitig bedingenden Verhältnisses zwischen den Meeresströmungen und den Moussons (Jahreszeit-Winden) brachte er einen kürzeren und sichereren Weg von Isle de France nach Indien in Vorschlag. Die Ersparniß an demselben sollte achthundert (See-) Meilen betragen; die Sache schien einer ernsten Untersuchung nicht unwerth.

Als der Marine-Minister bei der See-Akademie für de Grenier's Vorschlag eine günstige Stimmung fand, beschloß er die Prüfung desselben einem See-Officier zu übertragen, der mit derartigen Arbeiten vertraut war.

Seine Wahl fiel auf Yves Joseph de Kerguelen. Während der beiden, in den Jahren 1767 und 1768 zur Hebung und zum Schutze des Stockfischfanges nach den Küsten von Island unternommenen Fahrten hatte dieser Seemann Skizzen einer großen Anzahl von Häfen und Rheden aufgenommen, viele astronomische Beobachtungen gesammelt, die Karte von Island berichtigt und über das bis dahin nur wenig bekannte Land eine Fülle genauer und interessanter Beobachtungen aufgezeichnet. Ihm verdankte man die erste eingehende und verläßliche Schilderung der »Geyser«, jener Quellen heißen Wassers, welche manchmal ziemlich hoch aufsteigen, die merkwürdigen Nachrichten über das Vorkommen fossilen Holzes und damit den Beweis, daß das letzt jedes Baumwuchses entbehrende Island in vorgeschichtlicher Zeit mit ungeheuren Wäldern bedeckt gewesen sein muß.

Gleichzeitig veröffentlichte Kerguelen damals viele noch unbekannte Einzelheiten über Sitten und Gebräuche der Bewohner.

»Die Frauen, sagte er, tragen Röcke, Leibchen und Schürzen aus einem in Island selbst gefertigten und ›Wadmel‹ genannten Stoffe (noch heute in Skandinavien als ›Vadmal‹, das ist etwa: selbstgefertigter Fries, bekannt); über das Leibchen ziehen sie einen sehr weiten Rock, ähnlich dem der Jesuiten,[285] der aber nicht so weit herabreicht wie die Unterkleider, welche er noch sehen läßt. Dieser Ueberrock ist von verschiedener Farbe, meist jedoch einfach schwarz; man nennt ihn ›Hempe‹. Er wird mit Sammetband oder anderem Ausputz verziert... Ihre Haartracht gleicht einer Pyramide oder einem zwei bis drei Fuß hohen Zuckerbrote. Sie flechten sich dabei ein großes Taschentuch von grobem Leinengewebe ein, welches genügende Steifigkeit besitzt und, von einem feineren bedeckt, die oben erwähnte Form hervorbringt...«

Endlich verstand jener Officier sehr wichtige Nachrichten über Dänemark, die Lappen, die Samojeden zu sammeln und beschrieb auch die Archipele der Faröer, der Orcaden und der Shetlands-Inseln, welche er genau untersuchte.

Betraut mit der Erprobung des von Grenier vorgeschlagenen Seeweges, ging Kerguelen den Minister um die Erlaubniß an, mit dem ihm zu übergebenden Schiffe gleichzeitig die Wiederaufsuchung der von Bouvet de Lozier im Jahre 1739 entdeckten südlichen Länder versuchen zu dürfen.

Der Abbé Terray, der Nachfolger des Herzogs von Praslin, übergab ihm das Commando des Schiffes »Le Betryer«, das von Lorient Lebensmittel für vierzehn Monate, dreihundert Mann Besatzung und einige für Isle de France bestimmte Munition mitnahm. Der Abbé Rochon begleitete dabei Kerguelen, um die astronomischen Beobachtungen zu leiten.

Gleich nach seiner Ankunft bei Isle de France, am 20. August 1771, vertauschte Kerguelen die »Berryer« gegen die Flute »Fortune«, mit der noch die kleine Flute »Gros-Ventre« von sechzehn Kanonen mit hundert Mann Besatzung unter dem Befehle de Saint Allouarn's vereinigt wurde.

Sobald die beiden Schiffe segelfertig waren, fuhr Kerguelen ab und steuerte nördlich nach dem Archipel der Mahe-Inseln. Während eines wüthenden Sturmes ergaben da die Sondirungen der »Fortune« eine bedrohlich abnehmende Wassertiefe von dreißig auf neunzehn, siebzehn und vierzehn Faden. Nun ließ man einen Anker fallen, der in erwünschter Weise eingriff und auch das ganze Unwetter über aushielt.

»Der kommende Tag befreite uns endlich aus dieser unerquicklichen Lage, schreibt Kerguelen, da wir weder Land noch Felsen sahen. Die ›Gros-Ventre‹ trieb drei Meilen von uns unter dem Winde. Sie konnte gar nicht begreifen, daß ich vor Anker lag, da der rollende Donner und die flammenden Blitze das Erkennen oder Hören aller meiner Signale verhindert hatte.... Es giebt wohl in der That auch kein Beispiel dafür, daß ein Schiff während einer stürmischen[286] Nacht auf offenem Meere an einer unbekannten Bank geankert hätte. Ich machte mich wieder frei, um sondirend weiter zu treiben. Lange Zeit fand ich vierzehn, dann zwanzig, fünf- und achtundzwanzig Faden Wasser. Plötzlich verlor sich der Grund gänzlich, der Beweis, daß wir nur über einem Berggipfel schwammen. Diese neue Bank, welche ich die ›Bank der Fortune‹ nannte, erstreckt sich von Nordwest nach Südost unter 7°16' südlicher Breite und 55°50' östlicher Länge.«

Die »Fortune« und »Gros-Ventre« segelten nun bis zum fünften Breitengrade der von Chevalier de Grenier empfohlenen Route hinaus. Die beiden Befehlshaber überzeugten sich, daß die Winde zu jener Jahreszeit stets aus Osten wehten, sie erreichten die Malediven und passirten Ceylon von der Pointe de Galles bis zur Trinquemalay-Bucht. Bei der Rückkehr war der Mousson umgeschlagen. Die vorherrschenden Winde kamen, der Voraussage de Grenier's entsprechend, jetzt aus Westen und Südwesten. Der von diesem vorgeschlagene Weg bot also unzweifelhafte Vortheile. Die Erfahrung hat diese auch fernerhin so vielfach bestätigt, daß man dort überhaupt keinen anderen mehr einschlägt.

Am 8. December nach Isle de France zurückgekehrt, beschleunigte Kerguelen die Vorbereitungen zu seiner weiteren Reise derart, daß er schon am 12. Januar 1772 die Anker lichten konnte. Er steuerte geraden Weges nach Süden, denn wenn er in dieser Richtung Land entdeckte, mußte ja das nächstgelegene für die alte französische Kolonie am werthvollsten sein.

Am 1. Februar schienen zahlreiche Vogelschwärme auf die Nachbarschaft von Land hinzudeuten. Auf das eben herrschende Schneewetter folgten jetzt Hagelschauer. Man hatte gleichzeitig mit schlechtem Wetter, widrigem Winde und grober See zu kämpfen. Das erste Land kam am 12. in Sicht. Am nächsten Tage sah man ein zweites und bald darauf ein ziemlich hohes Vorgebirge. Als die Sonne am folgenden Tage Morgens um sieben Uhr die Wolken zerstreute, erkannte man deutlich eine sich auf fünfundzwanzig Meilen erstreckende Küstenlinie. Die Schiffe befanden sich da unter 49°40' südlicher Breite und 61°10' östlicher Länge.

Leider folgte jetzt nur ein Sturm auf den anderen und die Fahrzeuge hatten große Mühe, sich nicht an der Küste festhalten zu lassen. Kerguelen wurde, als er eben ein Boot zum Zwecke eines Landungsversuches abcommandirt hatte, von heftigen Strömungen weit nach Norden verschlagen.

»Als ich mich vom Lande so weit entfernt sah, berichtet Kerguelen, überlegten wir, was nun zu thun sei; in Anbetracht des Zustandes meines Mastwerkes[287] mußte ich mir sagen, daß ich nicht genügende Segel führen könne, um mich sicher von der Küste frei zu halten, an der uns, wegen Mangels einer Schaluppe zur Auslegung der Anker, die ernstlichsten Gefahren bedrohten; daß es bei der nebeligen Witterung so gut wie unmöglich sein werde, die ›Gros-Ventre‹ wieder aufzufinden, von der ich schon seit mehreren Tagen getrennt war, zumal da der Wind sehr häufig wechselte und wir einen tüchtigen Sturm abgewettert hatten... Diese Betrachtungen und dazu die Ueberzeugung, daß die ›Gros-Ventre‹ ein vortreffliches Schiff und für sieben Monate mit Lebensmitteln versehen sei, bestimmten mich, nach Isle de France zurückzukehren, wo ich am 16. März eintraf.«

Glücklicherweise war auch der »Gros-Ventre« kein Unfall zugestoßen. Ihr Boot konnte zu derselben wieder zurückgelangen. De Boisguehenneuc, der an's Land gegangen war, hatte unter Beachtung aller herkömmlichen Formalitäten von demselben Besitz genommen und ein Protokoll darüber in einer Flasche zurückgelassen, welche Kapitän Cook im Jahre 1776 wieder auffand.

Kerguelen kehrte nach Frankreich zurück, wo der Erfolg seiner Reise ihm nicht wenig Feinde erworben hatte. Ihre Gehässigkeit gegen ihn nahm nur noch mehr zu, als er am 1. Januar 1772 vom Könige zum Schiffskapitän und Ritter des heiligen Ludwig ernannt wurde. Bald verbreiteten sich die schmählichsten Verleumdungen, welche sich sogar bis zu der Beschuldigung erhoben, er habe die begleitende »Gros-Ventre« absichtlich zugrunde gehen lassen, um allein die Belohnung für jene Entdeckungen zu genießen, die er mit de Saint Allouarn gemacht hatte.

All' dieses Geschrei verhallte jedoch spurlos bei dem Minister, der Kerguelen vielmehr die Leitung einer zweiten Expedition anvertraute. Das Vollschiff »Roland« und die Fregatte »l'Oiseau« verließen Brest unter dem Befehle de Saux de Rosnevet's am 26. März 1772.

Nach dem Cap gekommen, sah Kerguelen sich genöthigt, vierzig Tage lang still zu liegen. Die ganze Mannschaft war in Folge der Feuchtigkeit des neuen Schiffes an putridem Fieber erkrankt.


Karte der Verwüstungs-Inseln. [Facsimile. Alter Kupferstich.]
Karte der Verwüstungs-Inseln. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Es erscheint das um so begründeter, heißt es in dem Berichte, weil alle trockenen Gemüse, wie Erbsen, Bohnen, Schminkbohnen und Linsen, in den Vorrathskammern des Raumes ebenso verdorben waren, wie der Reis und ein Theil des Zwiebacks; die Gemüse hatten sich im Schiffsraume fast in einen Misthaufen umgewandelt, der Alles verpestete; auch wimmelte es in denselben von einer Masse weißer Würmer....

Am 11. Juli verließ die »Roland« das Cap, wurde aber gleich darauf von einem furchtbaren Sturme heimgesucht, der ihr zwei Marsstengen, einen Fock, den kleinen Fockmast und den Besan kostete. Endlich erreichte man mit Nothmasten Isle de France.

An Stelle des Roches' und Poivre's, der eifrigen Beförderer der ersten Expedition, waren hier inzwischen de Ternay und der Intendant Maillard getreten. Die Letzteren schienen es sich geradezu zur Aufgabe zu machen, der Ausführung der Aufträge Kerguelen's alle nur erdenkbaren Hindernisse zu bereiten. Sie lieferten ihm z.B. weder frische Nahrungsmittel, deren die Mannschaft so nothwendig bedurfte, und suchten ihm auch das nöthige Holz vorzuenthalten, das zum Ersatz der verlorenen Maste gebraucht wurde; dazu traten sie ihm für dreiundvierzig im Hospital zurückbleibende Matrosen nur lauter bestrafte und unzuverlässige Soldaten ab, deren sie sich sehnsüchtig zu entledigen trachteten. Eine unter solchen Verhältnissen unternommene Fahrt nach den Südseeländern konnte wohl schwerlich ein gutes Ende nehmen. Leider sollte das zur traurigen Wahrheit werden!

Am 5. Januar bekam Kerguelen die schon während seiner ersten Reise entdeckten Länder wieder zu Gesicht und besuchte bis zum 16. mehrere Punkte derselben, wie die Inseln de Croy, Rounion und Roland, welche seinen Messungen nach eine Küstenausdehnung von achtzig Meilen besaßen. Die Witterung blieb stets sehr ungünstig; dichte Nebel, Schnee, Hagelschauer und heftige Windstöße wechselten mit einander ab. Am 21. konnten sich die Schiffe nur durch zeitweilig gelöste Kanonenschüsse in der nöthigen Nähe erhalten. Am nämlichen Tage wurde die Kälte so streng, daß mehrere Matrosen auf dem Verdeck bewußtlos zusammenbrachen....

»Die Officiere, so berichtet Kerguelen, erklärten, daß die bisherige tägliche Ration an Schiffszwieback unzureichend sei und die Besatzung ohne Vermehrung derselben bei diesem kalten, dunstigen Wetter nicht ausdauern könne. Ich legte also der Ration für jeden Mann täglich vier Unzen Zwieback zu.«

Am 8. Januar 1774 vereinigte sich die »Roland« wieder mit der Fregatte vor der Insel Réunion. De Rosnevet machte dabei die Mittheilung, daß er einen Ankerplatz oder eine Bucht hinter dem Cap der Franzosen gefunden und am 6. ein Boot zum Sondiren ausgesendet habe, wobei seine Leute an's Land[290] gegangen wären, von demselben Besitz ergriffen und auch mehrere Pinguine und einen Seelöwen erlegt hätten.

Aber auch diesmal hinderte Kerguelen die tiefe Erschöpfung seiner Mannschaft, die schlechte Qualität der Nahrungsmittel und der klägliche Zustand der Schiffe selbst, diesen verlassenen Archipel eingehender zu untersuchen. Er mußte leider umkehren. Statt aber nach Isle de France zurückzusegeln, steuerte er nach der Bai von Antogil bei Madagaskar. Es war ihm bekannt, daß er daselbst an Citronen, Limonien, Ananas und anderen antiscorbutischen Mitteln, ebenso wie an frischem Fleisch Ueberfluß finden werde.

Ein Abenteurer mit ziemlich merkwürdiger Lebensgeschichte, Beniowski, hatte hier zu Gunsten Frankreichs eine Niederlassung gegründet, der es freilich selbst am Nothwendigsten fehlte. Kerguelen lieferte ihm Feldlafetten, Ziegelsteine, eiserne Werkzeuge, Hemden und Decken und ließ durch seine eigenen Zimmerer ein Lebensmittel-Magazin errichten.

Fünfunddreißig Mann von der Besatzung der »Roland« waren schon mit Tode abgegangen, seit er die südlichen Länder verließ. Hätte sich Kerguelen nur noch acht Tage hier aufgehalten, so wären gewiß hundert Mann davon umgekommen.

Bei seiner Rückkehr nach Frankreich erntete Kerguelen für alle die muthig ertragenen Strapazen nichts als Haß und niedrige Verleumdung, die Erbitterung gegen ihn war so groß, daß einer seiner Officiere selbst nicht vor der Veröffentlichung einer Denkschrift zurückscheute, in der Alles vom ungünstigsten Gesichtspunkte aus angesehen und Kerguelen allein für den Mißerfolg verantwortlich gemacht wurde. Wenn Letzterer auch nicht vollkommen freizusprechen ist, so halten wir doch das kriegsgerichtliche Urtheil, das ihn seiner Stelle entsetzte und mit Gefängniß im Schlosse von Saumur bestrafte, für entschieden ungerecht. Auch die Regierung erkannte diese Verurtheilung als zu hart und mehr von persönlicher Gereiztheit als von lauterer Gerechtigkeit dictirt, denn Kerguelen erhielt schon wenige Monate später seine Freiheit wieder. Die schlimmste ihm beigemessene Beschuldigung bestand in dem angeblichen Verlassen eines Bootes in den südlichen Ländern, dessen Mannschaft nur durch die unvermuthete, zufällige Rückkehr der »Fortune« gerettet wurde. Aber auch diese Sache scheint böswillig entstellt worden zu sein, denn man kennt einen Brief eines dabei zurückgelassenen Officiers, des späteren Vice-Admirals de Rosily, in dem dieser darum ersucht, wieder unter Kerguelen's Commando dienen zu dürfen.[291]

Als Quelle für die Darstellung dieser beiden Reisen diente uns in der Hauptsache Kerguelen's eigene, während der Gefangenschaft verfaßte Vertheidigungsschrift, welche, in Folge eines von der Regierung sehr bald erlassenen Verbotes derselben, jetzt nur sehr selten vorkommt.

Wir haben nun noch diejenigen Expeditionen zu erwähnen, welche, ohne Vermehrung der bisherigen Entdeckungen, doch deshalb hochwichtig geworden sind, weil sie sowohl zur Berichtigung der Karten und zu den Fortschritten in der Schifffahrtskunde und Geographie wesentlich beitrugen, als auch vorzüglich ein lang gesuchtes Problem, die Bestimmung der geographischen Länge auf offener See, seiner Lösung entgegenführten.

Zur Lagenbestimmung eines gegebenen Punktes bedarf es der Kenntniß der Breite, das ist des nördlichen oder südlichen Abstandes vom Aequator, und der Länge, das ist seiner östlichen oder westlichen Entfernung von einem bekannten Meridiane.

Um die Position eines Schiffes zu bestimmen, besaß man jener Zeit nur das Log, das, in's Meer geworfen, die Strecke maß, welche jenes in einer halben Minute zurückgelegt hatte; darnach schätzte man auch die jedesmalige Schnelligkeit der Fahrt ab; das Log bleibt aber keineswegs ganz unbeweglich und die Schnelligkeit eines Schiffes nicht immer dieselbe. Schon hierin liegen also zwei sehr in's Gewicht fallende Fehlerquellen.

Der gesegelte Kurs wurde nach der Boussole oder dem Compaß bestimmt. Nun weiß aber Jedermann, daß der Compaß wechselnden Abweichungen unterworfen ist und ein Schiff nicht immer die von ihm angegebene Richtung wirklich steuert; es ist aber niemals leicht, den Werth dieser Abweichung richtig abzuschätzen.

Nach Erkennung dieser Mängel handelte es sich also darum, eine verläßlichere Methode zu finden.

Mit Hadley's Octanten gelang es wohl, die Breite bis auf die Minute, das heißt bis auf eine Drittelmeile, genau zu messen; man durfte aber noch gar nicht daran denken, die Länge mit ähnlicher Zuverlässigkeit bestimmen zu wollen.

Das wäre leicht gewesen, wenn es gelang, die verschiedenen Erscheinungen der Magnetnadel-Abweichung auf einfache, unveränderliche Gesetze zurückzuführen. Dazu fehlte jedoch jede Unterlage. Man wußte zwar, daß in den indischen Meeren, zwischen Bourbon, Madagaskar und Rodriguez, eine Abweichung von vier Graden in der Richtung der Magnetnadel ungefähr einen Längenunterschied von fünf Graden entsprach; dagegen war auch bekannt, daß die Declination der[292] Magnetnadel an ein und demselben Orte Veränderungen unterlag, deren Ursachen man nicht zu ergründen vermochte.

»Eine Declination von zwölf Graden, von Norden nach Westen, entsprach vor zwanzig Jahren, schrieb Verdun de la Crenne im Jahre 1778, unter einer gewissen Breite einer Länge von 61° westlich von Paris; es ist leicht möglich, daß die Declination sich seit diesen zwanzig Jahren um zwei Grad verändert hat, was einen Irrthum von zweiundeinhalb Grad oder nahezu fünfzig Seemeilen in der Länge ergäbe, den man auf Grund dieser Abweichung herausrechnen würde.«

Wenn man die Zeit auf dem Schiffe kennt, das heißt die richtige Stunde für den Meridian, auf dem sich das Schiff im Moment der Beobachtung befindet, und man kennt gleichzeitig ebenso die Tagesstunde des Hafens, von dem man abfuhr oder die eines bekannten Meridians, so ergiebt der Unterschied der Stunden auch diejenige der beiden betreffenden Meridiane, da jede Stunde Unterschied fünfzehn Längengraden entspricht. Das Problem der genauen Längenbestimmung fällt zuletzt also damit zusammen, wissen zu können, welche Zeit es über einem gegebenen Meridiane in jedem Augenblicke ist.

Hierzu erschien es als nöthig, eine Taschen- oder Wanduhr zu besitzen, welche bei jedem Zustande des Meeres und jedem Wechsel der Temperatur einen vollkommenen isochronischen Gang behielt.

Nach dieser Seite hin waren schon vielerlei Versuche angestellt worden. Im 16. Jahrhundert hatten Besson, im 17. Huyghens und später Sully, Harrison, Dutertre, Gallonde, Rivas, Le Roy und Ferdinand Berthoud die Lösung dieses Problems versucht oder arbeiteten noch an derselben.

Ueberzeugt von der Wichtigkeit eines solchen vollkommenen Instrumentes, hatten die englische und die französische Regierung hohe Belohnungen dafür ausgesetzt und auch die Akademie der Wissenschaften eröffnete ein förmliches Preisausschreiben. Im Jahre 1765 lieferte Le Roy zwei Uhren zur Prüfung ein, während der im Auftrage des Königs arbeitende Berthoud noch von der Bewerbung zurückstehen mußte. Le Roy's Uhren bestanden tadellos alle Proben, die man auf dem Lande mit ihnen anstellte. Jetzt galt es zu prüfen, ob sie sich auf dem Meere ebenso gut bewähren würden.

Zu diesem Zwecke ließ der Marquis von Courtanvaux die leichte Fregatte »l'Aurore« auf seine Kosten ausrüsten. Le Roy meinte aber selbst, daß eine Seereise, die mit Einschluß des Aufenthaltes in Calais, Dunkirchen, Rotterdam,[293] Amsterdam und Boulogne vom 25. Mai bis 29. August gedauert hatte, viel zu kurz sei, und wünschte deshalb eine zweite Probe. Nun brachte man seine Uhren auf die Fregatte »l'Enjouée«, welche von Havre abfuhr, bei Saint-Pierre, nahe Neufundland, dann bei Sale in Afrika, ferner in Cadix vor Anker ging und nach vier und einem halben Monat dauernder Seefahrt nach Brest zurückkehrte. Diese Prüfung vollzog sich also, bei wechselndem Zustande des Meeres, in sehr verschiedenen Breiten. Wenn Le Roy's Uhrenconstruction sich hierbei bewährte, so verdiente sie den Preis. Dieser wurde derselben auch zu Theil.

Die Akademie wußte indeß, daß sich noch andere Künstler mit den nämlichen Versuchen beschäftigten und aus mancherlei Gründen bei der Preisbewerbung noch nicht hatten auftreten können. Sie schrieb für dieselbe Aufgabe also im Jahre 1771 noch einmal einen Preis aus und verdoppelte diesen gar im Jahre 1773.

F. Berthoud glaubte nun alle wünschenswerthe Vollkommenheit erreicht zu haben, doch fehlte seiner Uhr noch die Erprobung auf einer weiten Reise.

In den letzten Monaten des Jahres 1768 wurde in Rochefort eine Fregatte von 18 Kanonen, die »Isis«, in Dienst gestellt, deren Führung Chevalier d'Eveux de Fleurieu, später bekannt unter dem Namen Claret de Fleurieu, übernahm. Damals noch Schiffsfähnrich, war derselbe trotz seiner dreißig Jahre doch schon ein hervorragender Gelehrter. Wir hatten schon Gelegenheit, seinen Namen zu erwähnen, und werden ihm später noch wiederholt begegnen. Damals hatte der für die Mechanik eingenommene Fleurieu sich an Berthoud's Arbeiten betheiligt; um jeden Verdacht einer Voreingenommenheit seinerseits abzulenken, übertrug er die Beobachtung der ihm anvertrauten Uhr gleichzeitig mehreren begleitenden Officieren.

Nach der Abfahrt im November 1768 ankerte die »Isis« nach und nach in Cadix, bei den Canarien, in Gorée, an den Inseln des Grünen Vorgebirges, bei Martinique, St. Domingo, Neufundland, den Canarien und Cadix, und kehrte am 31. October 1769 nach der Insel Aix zurück.

In kalten, heißen und gemäßigten Klimaten waren die Uhren jeder Temperatur ausgesetzt gewesen und hatten auch die stärkste Wellenbewegung während der rauhen Jahreszeit ausgehalten. In Folge dieser mit Ehren bestandenen Probe erhielt Berthoud ein Patent und die Stelle eines Inspectors der See-Uhren.

Die erwähnte Probefahrt lieferte aber auch noch andere, uns näher berührende Resultate. Fleurieu hatte viele astronomische Beobachtungen und[294] hydrographische Aufnahmen ausgeführt, die ihn berechtigten, auf Grund eigener Erkenntniß die gebräuchlichen Karten jener Zeit zu be-, aber auch zu verurtheilen.

»Ich habe mich lange gesträubt, schreibt er in seinem Reiseberichte, die Karten des Depots einer eingehenden Kritik zu unterziehen, und wollte mich darauf beschränken, auf die neuen Messungen hinzuweisen, nach denen jene verbessert werden könnten; ihre Fehler sind aber so zahlreich und gefährlich, daß es ein Vergehen gegen alle Seefahrer wäre, wenn ich ihnen diese wichtigen Mittheilungen vorenthielte...«

Weiter kritisirt er mit gutem Grunde die Karten eines seinerzeit sehr angesehenen Geographen.

»Ich lasse mich nicht darauf ein, sagt er, hier auf alle in Bellin's Karten gefundenen Fehler hinzuweisen, denn diese sind unzählig. Zum Beweise der Nothwendigkeit der von mir unternommenen Arbeit begnüge ich mich, nur die hervorzuheben, welche von allgemeinem Interesse sind, ob man z.B. die Lage gewisser Orte auf seinen Karten vergleicht mit der, die sie haben sollten, ›wenn Bellin die zu verschiedenen Zeiten veröffentlichten astronomischen Beobachtungen hätte benutzen wollen‹, oder die Lage anderer betrachtet, die wir erst durch eigene Messungen festgestellt haben.«

Er schließt dann mit der Aufzählung eines langen Verzeichnisses der fehlerhaften Lagenangaben der besuchtesten Küstenpunkte Europas, Afrikas und Amerikas mit folgenden bezeichnenden Worten:

»Berücksichtigt man die vielen Fehler, auf welche ich in Bellin's Karten hingewiesen habe, so fühlt man sich unwillkürlich zu einer zwar niederschlagenden, aber doch nicht zu vernachlässigenden Betrachtung gedrängt. Wenn nämlich die Karten, welche die bekanntesten Theile der Erdkugel wiedergeben und über die die meisten Beobachtungen vorhanden sind, so wenig verläßlich erscheinen, was sollen wir dann von den Karten erwarten, welche das nach sehr dehnbaren Schätzungen und oft unbegründeten Samißfolgerungen entworfene Bild wenig besuchter Inseln und Küstenstrecken darstellen?«


Porträt von de Lapérouse. [Facsimile. Alter Kupferstich.] (S. 299.)
Porträt von de Lapérouse. [Facsimile. Alter Kupferstich.] (S. 299.)

Bisher hatte man die Uhren einzeln und durch verschiedene Beobachter prüfen lassen. Jetzt handelte es sich darum, sie gleichzeitig denselben Proben zu unterwerfen und zu sehen, welche diese siegreich bestehen würden. Zu diesem Zwecke wurde in Brest die Frregatte »la Flora« ausgerüstet und deren Commando einem ausgezeichneten Officier, Verdun de la Erenne, übertragen, der ihm Jahre 1786 zum Geschwaderchef emporstieg. Bei dieser Probefahrt wurden[295] Cadix, Madeira, die Salvagen, Teneriffa, Gorée, Martinique, Guadeloupe, Domingo, die meisten der kleinen Antillen, Saint-Pierre, Neufundland, Island, das man nur mit Mühe auffand, die Faröer, Dänemark und Dünkirchen berührt. Der von Verdun de la Crenne darüber erstattete Bericht ist, wie der Fleurieu's, überreich an Berichtigungen jeder Art. Man sieht daraus, mit welcher Sorgfalt und Regelmäßigkeit die Sondirungen wiederholt und die Küsten aufgenommen wurden. Dabei begegnet man aber auch, was dem Bericht Fleurieu's abgeht,[296] einer Schilderung der besuchtesten Länder und Betrachtungen über die Sitten und Gebräuche der verschiedenen Länder.

Unter den in zwei starken Quartbänden zerstreuten Mittheilungen verdienen besonders die über die Canarien und ihre Ureinwohner, über die Sereren und die Yolofs, über Island und den dänischen Staat ebenso Beachtung, wie Verdun's noch heute vollgiltige Bemerkungen über den Meridian der Insel Ferro.
[297]

Die Kleidung der Bewohner von Conception. [Facsimile Alter Kupferstich.] (S. 303.)
Die Kleidung der Bewohner von Conception. [Facsimile Alter Kupferstich.] (S. 303.)

»Es ist das die Mittagslinie der westlichsten dieser Inseln, sagt er, die Ptolomäus als den ersten Meridian erwählte.... Ohne Zweifel hätte er als solchen leicht den von Alexandrien bestimmen können; der große Mann sah aber ein, daß eine solche Wahl für sein Land von keinerlei reellem Werth sein könne; Rom und noch andere Städte würden ihm gewiß diese eingebildete Ehre streitig zu machen suchen; und wenn dann gar jeder Geograph, jeder Verfasser einer Reisebeschreibung willkürlich irgend einen Meridian als den ersten angenommen hätte, so müßte das bei jedem Leser nur Verlegenheiten und die größte Verwirrung zur Folge haben...«

Man sieht, daß Verdun diese Frage von höherem Gesichtspunkte betrachtete, den alle vorurtheilsfreien Leser noch heute theilen. Es ist das ein Grund mehr, ihm unsere Sympathie zu sichern.

Wir schließen dieses Thema mit den Worten des genannten Autors: »Die Uhren bestanden die Probe sehr gut; sie hatten Hitze und Kälte, Unbewegtheit und Stöße – sowohl die vom Schiffe selbst, als es bei Antigoa strandete, wie die vom Abfeuern der Geschütze – ausgehalten; mit einem Worte, sie entsprachen den an sie gestellten Erwartungen, verdienen also das volle Vertrauen der Seefahrer und eignen sich vortrefflich zur Bestimmung der geographischen Länge auf offenem Meere.«

Die Lösung des Problems war gefunden.[298]

Quelle:
Jules Verne: Die großen Seefahrer des 18. Jahrhunderts. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXXIII–XXXIV, Wien, Pest, Leipzig 1881, S. 257-299.
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