Siebenzehntes Capitel.
Die Pampas.

[138] Die argentinischen Pampas erstrecken sich vom vierunddreißigsten bis zum vierzigsten Grade östlicher Länge. Das Wort »Pampa« ist araucanischen Ursprungs und bezeichnet »voll Gras und Kräuter«, so daß es für diese Gegenden vollkommen paßt. Die baumartigen Mimosen der Westseite und die Kräuter der Ostseite verleihen ihnen ein eigenthümliches Aussehen. Diese Vegetation wurzelt in einer Erdschicht, welche den röthlichen oder gelben, thonigsandigen Boden bedeckt. Ein Geolog würde reiche Ausbeute haben, wenn er diese der Tertiärperiode angehörigen Landstrecken durchforschte. Darunter liegt eine unendliche Menge antediluvianischer Knochen, welche die Indianer von sehr großen, ausgestorbenen Tatus herleiten, und unter jener Decke von Pflanzen liegt die Urgeschichte jener Gegenden begraben.

Die südamerikanische Pampa ist eine geographische Eigenthümlichkeit, gleich den Savannen bei den »Großen Seen« oder den Steppen Sibiriens. Ihr Klima weist höhere Wärme und strengere Kälte auf und hat also mehr continentalen Charakter, als das der Provinz Buenos-Ayres. Denn, wie Paganel erläuterte, die vom Ocean aufgesaugte und in demselben gleichsam aufgespeicherte Sonnenwärme giebt dieser im Winter langsam an die Atmosphäre[138] zurück. Eine Folge davon ist, daß Inseln immer eine gleichmäßigere Temperatur zeigen, als das Innere der Continente.1 So hat auch der westliche Strich des Pampa-Landes nicht jene Gleichmäßigkeit, welche die Küsten, Dank der Nachbarschaft des Atlantischen Oceans, darbieten. Es unterliegt vielmehr grellen Aenderungen, welche die Quecksilbersäule des Thermometers unaufhörlich von einem Grade zum andern treiben. Während der Monate April und Mai giebt es häufige und heftige Regen. In der damaligen Jahreszeit dagegen war die Witterung sehr trocken und die Wärme sehr hoch.

Mit dem Aufgang der Sonne brach man auf, nachdem die Richtung des Weges festgestellt war. Der von niedrigen Bäumen und Strauchwerk eingefaßte Boden war ganz gleichmäßig fest; keine Medanos zeigten sich mehr, noch der Sand, der sie bildete, noch endlich jener seine Staub, den der Wind in der Luft schwebend erhielt.

Die Pferde hielten einen guten Schritt zwischen den Büschen von »Pajabrava«, dem specifischen Pampagrase, welches den Indianern bei Orkanen als Schutz dient. In gewissen Zwischenräumen, die aber immer größer wurden, wuchsen in feuchten Niederungen einige Weidenbäume und eine gewisse Pflanzenart, Gignerium argenteum, das die Nachbarschaft süßen Wassers liebt. Die Pferde erquickten sich dann nach Herzenslust und schienen den Durst gleich für die Zukunft zu löschen, indem sie das Gute nahmen, wo es sich eben fand. Thalcave war voraus und klopfte auf die Büsche. Damit verscheuchte er die »Cholinas«, eine sehr gefährliche Vipernart, deren Biß einen Ochsen in weniger als einer Stunde zu tödten vermag. Die gewandte Thaouka sprang über die niedrigen Gebüsche hin und half so ihrem Herrn den nachfolgenden Pferden den Weg bahnen.

Die Reise über die flachen und geraden Ebenen ging leicht und schnell vor sich. In der Natur des Wiesengrundes trat kein Wechsel ein; kein Stein, kein Kiesel fand sich auf hundert Meilen in der Runde. Nirgends traf man wieder eine solche Einförmigkeit von so hartnäckiger Ausdehnung. Von Landschaft, von Zwischenfällen, natürlichen Ueberraschungen – keine Spur! Um an den Einzelheiten des Weges Interesse zu finden, dazu gehörte ein Paganel, einer jener Schwärmer für die Wissenschaft, die da Etwas sehen, wo Nichts zu sehen ist. Dafür genügte schon ein Strauch, etwa auch ein Grashalm,[139] um seine unerschöpfliche Beredtsamkeit zu reizen und Robert zu belehren, der ihm gerne zuhörte.

Während dieses Tages, am 29. October, erstreckte sich die durchzogene Ebene vor den Reisenden mit unbegrenzter Eintönigkeit weiter. Gegen zwei Uhr fanden sich weithin unter den Hufen der Pferde Spuren und Reste von Thieren. Es waren die Knochenreste einer unzählbaren Büffelheerde aufgehäuft und gebleicht. Diese Trümmer lagen nicht in langer, gebogener Linie, wie man sie von Thieren findet, die aus Entkräftung nach und nach auf dem Wege fallen. Niemand vermochte sich diese Ansammlung von Skeletten auf diesem verhältnißmäßig beschränkten Raume zu erklären, und Paganel, trotz seiner Kenntnisse, so wenig wie die Andern. Er befragte also Thalcave, der um die Antwort gar nicht verlegen war.

Ein »Unmöglich!« von Seiten des Gelehrten und eine klar sprechende Handbewegung des Patagoniers machten die Genossen neugierig.

»Was giebt es denn? fragten diese.

– Das Feuer vom Himmel, erwiderte der Geograph.

– Wie! Der Blitz sollte eine derartige Verheerung angerichtet haben, sagte Tom Austin; eine Heerde von fünfhundert Köpfen niederzuschmettern?

– Thalcave sagt es und Thalcave irrt sich nicht. Uebrigens glaube ich es auch, denn die Unwetter in den Pampas zeichnen sich vor allen durch ihre Heftigkeit aus. Wenn wir nur nicht einmal selbst ein solches auszuhalten haben!

– Nun, es ist sehr heiß, meinte Wilson.

– Das Thermometer, bemerkte Paganel, wird dreißig Grad im Schatten zeigen.

– Mich verwundert das nicht, sagte Glenarvan, ich fühle die Wirkung der Elektricität in meinem ganzen Wesen. Hoffentlich hält diese Temperatur nicht an.

– O, fiel Paganel ein, auf einen Witterungswechsel ist jetzt nicht zu rechnen, da der Horizont ganz dunstfrei ist.

– Desto schlimmer, setzte Glenarvan hinzu, denn unsere Pferde sind von der Gluth sehr angegriffen. Ist es Dir nicht zu heiß, mein Sohn? wendete er sich an Robert.

– Nein, Mylord, antwortete der Knabe, ich liebe die Wärme, sie ist ein schönes Ding.[140]

– Vorzüglich im Winter«, bemerkte verständig der Major, indem er den Rauch seiner Cigarre in die Höhe blies.

Abends rastete man an einem verlassenen »Rancho«, einem Zweiggeslechte, das mit Koth verkittet und mit Stroh bedeckt war; diese Hütte stieß an einen mit halbverfaulten Pfählen umschlossenen Raum, der den Pferden während der Nacht immerhin genügend Schutz gegen einen Ueberfall der Füchse bot. Nicht für jene selbst hatten sie zwar von diesen Thieren zu fürchten, aber die schlauen Geschöpfe zernagen gern die Halftern der Pferde, so daß dann diese leicht davonlaufen.

Einige Schritte von dem Rancho befand sich auch ein ausgegrabenes Loch, das zur Küche gedient hatte und noch einige erkaltete Asche enthielt.


17. Capitel

In demselben befand sich eine Bank, ein Lager von Büffelfellen, ein Fleischtopf, ein Bratspieß und ein Siedekessel zum Maisabkochen. Der Mais liefert ein in Süd-Amerika sehr gebräuchliches Getränk. Es ist der Thee der Indianer. Er besteht in einem heißen Aufguß auf getrocknete Blätter, den man, wie bei amerikanischen Getränken gewöhnlich, durch einen Strohhalm aufsaugt. Auf Paganel's Aufforderung bereitete Thalcave einige Tassen dieses Trankes, der zu dem gewöhnlichen Nahrungsmittel recht gut zu passen schien und für ausgezeichnet erklärt wurde.

Am anderen Tage, dem 30. October, erhob sich die Sonne aus glühendem Morgennebel und sandte ihre heißesten Strahlen herab. Die Hitze dieses Tages war wirklich ganz übermäßig, und zum Unglück bot die Ebene nirgends[141] irgend welchen Schutz. Dennoch setzte man unverdrossen den Weg nach Osten weiter fort. Oefters stieß die Gesellschaft auch auf ungeheure Viehheerden, die nicht im Stande waren, bei der ungeheuren Hitze zu weiden und die einfach hingestreckt liegen blieben. Von Wächtern, oder vielmehr Viehhütern, war keine Rede. Hunde, welche die Gewohnheit haben, wenn der Durst sie quält, den Schafen ihre Milch auszusaugen, bewachten allein diese zahlreichen Haufen von Milchkühen, Stieren und Ochsen. Uebrigens sind diese Thiere von weit sanfterer Natur, und haben auch nicht jenen instinctiven Abscheu vor der rothen Farbe, wie ihre europäischen Stammesgenossen.

»Das kommt ohne Zweifel daher, daß sie die Wiesen einer Republik weiden!« sagte Paganel, der über seinen Scherz, von vielleicht etwas zu stark französischem Geschmacke, ganz erfreut war.

Gegen Mittag änderte sich das Ansehen der Pampas dergestalt, daß es den durch die ewige Eintönigkeit ermüdeten Augen nicht entgehen konnte. Die grasartigen Gewächse wurden seltener. Sie machten mageren Kletten Platz und riesigen, bis neun Fuß hohen Disteln, woran sich alle Esel der Erde hätten erquicken können. Hier und dort sproßten dunkelgrüne Stachelgebüsche empor, die den trockenen Gegenden eigen sind. Bis hierher hatte eine gewisse Feuchtigkeit, welche in dem Lehmboden der Prairie enthalten war, den Weideplätzen Nahrung gegeben; der Rasenteppich war fett und üppig. Weiterhin zeigten aber einzelne Stellen, wo dieser Sammt abgenutzt oder ganz herausgerissen war, den Einschlag und die Armseligkeit des Erdbodens. Die Anzeichen einer zunehmenden Dürre waren unverkennbar, und Thalcave machte auch darauf aufmerksam.

»Diese Abwechslung ist mir gar nicht unleidlich, sagte Tom Austin, immer Gras und ewig Gras, das wirkt doch auf die Dauer sehr langweilig.

– Ja, aber man hat dann auch immer Gras, immer Wasser, warf der Major ein.

– O, so schlimm sind wir nicht daran, sagte Wilson, wir werden auf unserem Wege mehr als einmal einem Flusse begegnen.«

Hätte Paganel diese Antwort gehört, so würde er gewiß ausgesprochen haben, daß Flüsse zwischen dem Colorado und den Sierras der Provinz Argentina sehr selten vorkommen; in diesem Augenblicke erklärte er aber Glenarvan irgend Etwas, worauf dieser seine Aufmerksamkeit gelenkt hatte.

Einige Zeit schon schien in der Luft ein Rauchgeruch verbreitet. Doch[142] war rings am Horizonte kein Feuer zu sehen und keine Rauchwolke verrieth eine entfernte Feuersbrunst. Dennoch mußte diese Erscheinung eine natürliche Ursache haben. Bald verstärkte sich dieser Geruch verbrannten Grases dermaßen, daß er alle Reisenden, außer Paganel und Thalcave, in Verwunderung setzte. Der Geograph, der niemals um die Erklärung irgend eines Ereignisses verlegen war, sagte zu seinen Begleitern:

»Das Feuer sehen wir zwar nicht, aber wir bemerken doch den Rauch. Das Sprichwort: ›Ohne Feuer ist kein Rauch‹, ist in Amerika nicht minder zutreffend, als in Europa. Irgendwo muß also doch ein Feuer sein. Diese Pampas aber sind so eben, daß Nichts die Luftströmung ablenkt und man den Geruch von verbrennendem Grase oft auf eine Entfernung von dreihundert Kilometer noch verspürt.

– Dreihundert Kilometer? wiederholte der Major mit dem Tone leisen Zweifels.

– Ganz so weit, versicherte Paganel. Ich bemerke noch, daß die Feuersbrünste sich oft äußerst schnell weiter verbreiten und sich sehr weit ausdehnen.

– Wer legt aber Feuer an die Prairien? fragte Robert.

– Manchmal thut es der Blitz, wenn das Gras durch die Hitze sehr ausgetrocknet ist; manchmal auch die Hand der Indianer.

– Aber aus welchem Grunde?

– Sie nehmen an, – ich weiß zwar nicht, in wie weit diese Annahme berechtigt ist –, daß das Gras nach einem Prairiebrande desto besser wachse. Es sollte also das Verbrennen ein Mittel sein, den Boden durch den Einfluß der Asche zu kräftigen. Ich für meinen Theil glaube vielmehr, daß diese Brände zur Vernichtung der Milliarden von Ixoden dienen, einer Art parasitischer Insecten, welche vorzüglich die Heerden belästigen.

– Aber dieses energische Mittel, sagte der Major, wird auch manchem Stück Vieh in der Ebene das Leben kosten.

– Ja wohl; es verbrennen manche, aber was thut das gegenüber ihrer Anzahl?

– Nun, ich trete nicht für diese ein, erwiderte Mac Nabbs, das ist eben ihre Sache, aber für die Menschen, welche durch die Pampas reisen. Kann es nicht vorkommen, daß diese überrascht und von den Flammen eingeschlossen werden?[143]

– Ei doch! rief Paganel mit sichtbarer Befriedigung, das kommt manchmal vor, und es würde mir nicht unangenehm sein, einem solchen Schauspiel beizuwohnen.

– Da seht einmal unseren Weisen, fiel Glenarvan ein, er treibt die Liebe zur Wissenschaft so weit, daß er sich lebendig verbrennen ließe.

– O nein, mein lieber Glenarvan; aber man hat seinen Cooper gelesen, und Bas de Cuir lehrt das Mittel, sich die Flammen vom Leibe zu halten, indem man einige Toisen weit rings um sich das Gras ausreißt. Es giebt[144] ja nichts Einfacheres. Uebrigens zweifle ich nicht, daß sich uns ein Prairiebrand nähert, und ich wünsche ihn von ganzem Herzen herbei!«


Die Pferde gingen einen guten Schritt. (S. 139.)
Die Pferde gingen einen guten Schritt. (S. 139.)

Paganel's Wunsch sollte jedoch nicht in Erfüllung gehen, und wenn er doch halb gebraten wurde, so geschah das nur durch die Hitze der Sonnenstrahlen, welche eine unerträgliche Gluth verbreiteten. Die Pferde keuchten unter dem Drucke dieser Temperatur. Auf Schatten war nirgends zu rechnen, wenn ihn nicht dann und wann einmal eine Wolke spendete, die die flammende Scheibe verhüllte; dann eilte ein Schatten auf dem ebenen Boden hin, und die Reiter, welche ihre Thiere anspornten, versuchten Schritt zu halten mit der schattigeren Stelle, die der Westwind vor ihnen hertrieb. Aber die Pferde, welche nicht Schritt halten konnten, blieben zurück, und das unverhüllte Gestirn goß einen neuen Feuerregen über das verkalkte Terrain der Pampas.

Wenn Wilson aber behauptet hatte, es werde an Trinkwasser nicht fehlen, so brachte er nicht den unauslöschlichen Durst in Anschlag, welcher seine Begleiter während dieses Tages verzehrte, und indem er hinzufügte, man werde unterwegs einen Fluß finden, hatte er zu viel versprochen. In Wirklichkeit fehlten nicht nur Flüsse, denen die vollständige Ebenheit des Bodens kein geeignetes Bett bot, gänzlich, sondern auch die von den Händen der Indianer künstlich ausgegrabenen Wasserlachen waren vollständig vertrocknet. Als Paganel diese Anzeichen von Meile zu Meile zunehmender Trockenheit sah, machte er gegen Thalcave einige Bemerkungen darüber, und fragte ihn, wo er Wasser zu finden hoffe.

»Am See Salinas, erwiderte der Indianer.

– Und wann kommen wir da an?

– Morgen Abend.«

Gewöhnlich graben die Argentiner, wenn sie die Pampas bereisen, Brunnen aus und treffen nur wenige Toisen unter dem Erdboden auf Wasser. Unsere Reisenden aber, denen die hierzu nöthigen Werkzeuge fehlten, mußten diese Hilfsquelle entbehren. Man mußte sich also auf gewisse Rationen beschränken, und wenn auch Niemand von quälendem Durst ganz und gar zu leiden hatte, so konnte doch auch Keiner denselben vollständig stillen.

Am Abend machte man Halt, nachdem man dreißig Meilen in einem Zug zurückgelegt hatte. Jedermann rechnete auf eine ruhige Nacht, um sich von den Strapazen des Tages zu erholen, und gerade diese wurde durch eine[145] sehr lästige Wolke von Mosquitos und Schnaken gestört. Ihre Anwesenheit deutete auf eine Aenderung des Windes, der wirklich mit einer Drehung um ein Viertheil nach Norden umschlug. Diese verwünschten Insecten verschwinden nämlich bei Süd- oder Südwestwind sogleich.

Wenn der Major selbst bei den kleinen Unannehmlichkeiten des Lebens seine Ruhe bewahrte, so war dagegen Paganel über die kleinen Nadelstiche des Geschicks sehr ungehalten. Er wünschte die Mosquitos und Schnaken zum Teufel und bedauerte sehr, kein gesäuertes Wasser zur Hand zu haben, um damit das Brennen der Tausende von Stichen zu mildern. Wenn ihm auch der Major den Trost einzureden suchte, sie könnten sich glücklich schätzen, daß sie es nur mit zwei Arten von den 300,000 Insectenarten, welche die Naturforscher aufzählen, zu thun hätten, so stand dieser doch mit sehr übler Laune auf.

Dennoch ließ er sich nicht lange bitten, mit der Morgenröthe wieder aufzubrechen, denn es handelte sich darum, noch an dem nämlichen Tage den See Salinas zu erreichen. Die Pferde waren sehr erschöpft; sie kamen vor Durst fast um, und wenn sich die Reiter auch um ihretwillen selbst einschränkten, so fiel doch ihr Antheil an Wasser sehr knapp aus. Die Trockenheit nahm noch mehr zu und die Hitze war bei dem staubigen Nordwinde, jenem Samum der Pampas, nicht weniger unerträglich.

An diesem Tage wurde die Einförmigkeit des Zuges auf einen Augenblick unterbrochen. Mulrady, welcher vorausritt, kehrte plötzlich um, und meldete die Annäherung einer Anzahl Indianer. Diese Begegnung wurde sehr verschieden aufgenommen. Glenarvan dachte dabei an die Nachrichten, welche ihm diese Eingeborenen über die Schiffbrüchigen von der »Britannia« mittheilen könnten. Thalcave war seinerseits weniger erfreut, auf seinem Wege nomadisirende Prairie-Indianer zu finden; er hielt sie für Räuber und Diebe, und suchte sie möglichst zu vermeiden. Nach seinen Anordnungen zog sich die kleine Gesellschaft dicht zusammen und setzte die Waffen in Bereitschaft. Man mußte eben auf jeden Fall gerüstet sein.

Bald kam ihnen die Indianertruppe zu Gesicht. Sie bestand nur aus etwa zehn Eingeborenen, was den Patagonier wieder beruhigte. Die Indianer kamen bis auf hundert Schritte nahe. Man konnte sie leicht unterscheiden. Sie gehörten jener Pamparace an, welche General Rosas im Jahre 1833 zu Paaren trieb; ihre hohe und gewölbte Stirn, ihr mächtiger Wuchs und ihre[146] Olivenfarbe machten sie zu schönen Typen des Indianerstammes. Sie waren mit den Fellen von Guanacos oder Stinkthieren bekleidet und führten eine zwanzig Fuß lange Lanze, Messer, Schleudern, Bolas und Lassos bei sich. Ihre Geschicklichkeit in der Behandlung der Pferde verrieth die geübten Reiter.

Auf hundert Schritt Entfernung hielten sie an und schienen schreiend und gesticulirend zu berathen. Glenarvan bewegte sich auf sie zu. Kaum war er aber sechs Schritte vorwärts, als sie auf einmal umkehrten und mit unglaublicher Schnelligkeit verschwanden. Die abgetriebenen Pferde der Reisenden hätten sie nie zu erreichen vermocht.

»Diese Feiglinge! rief Paganel.

– Für ehrliche Leute nehmen sie zu schnell Reiß aus, sagte Mac Nabbs.


17. Capitel

– Was sind das für Indianer, fragte Paganel Thalcave.

– Gauchos, erwiderte der Patagonier.

– Gauchos! wiederholte Paganel, sich an seine Gefährten wendend, Gauchos! Da hatten wir nicht nöthig, soviel Vorsichtsmaßregeln zu treffen; da war Nichts zu fürchten.

– In wiefern? fragte der Major.

– Weil die Gauchos ganz friedliche Landleute sind.

– Das glauben Sie, Paganel?

– Ganz gewiß. Die da haben uns für Räuber gehalten und sind deshalb entflohen.[147]

– Ich glaube vielmehr, daß sie nicht wagten, uns anzugreifen, antwortete Glenarvan, der sehr ärgerlich war, daß er mit den Eingeborenen, sie mochten nun sein, wie sie wollten, nicht hatte in Verkehr treten können.

– Das ist auch meine Ansicht, meinte der Major, denn wenn ich mich nicht täusche, sind die Gauchos, weit entfernt, harmloser Natur zu sein, freche Räuber, die man zu fürchten hat.

– Das wäre arg!« rief Paganel.

Er ging sogleich auf eine lebhafte Besprechung dieser ethnologischen Frage ein, auf eine so lebhafte Weise, daß er dadurch den Major völlig in Aufregung brachte, und sich die in den Besprechungen Mac Nabbs' nicht eben gewöhnliche Antwort zuzog:

»Ich glaube, Sie haben Unrecht, Paganel.

– Unrecht? versetzte der Gelehrte.

– Ja. Thalcave selbst hat diese Indianer für Diebe gehalten, und er weiß gewiß, worauf er seine Ansicht stützt.

– Nun, so hat sich Thalcave diesmal geirrt, entgegnete offenbar ärgerlich Paganel. Die Gauchos sind Ackerbauer, Hirten, sonst nichts, und ich selbst habe das in einer Aufsehen erregenden Broschüre über die Ureinwohner der Pampas geschrieben.

– Nun wohl, so haben Sie einen Irrthum begangen, Herr Paganel.

– Ich? Einen Irrthum, Herr Mac Nabbs?

– Aus Zerstreuung, wenn Sie wollen, entgegnete auf seiner Meinung bestehend der Major, und Sie werden gut thun, wenn Sie in der nächsten Ausgabe einige Irrthümer verbessern.«

Paganel, sehr gekränkt, über seine geographischen Kenntnisse streiten und gar scherzen zu hören, fühlte, wie ihm die Galle überlief.

»Wissen Sie, mein Herr, sagte er, daß meine Bücher derartiger Fehlerverzeichnisse nicht bedürfen.

– Gewiß! Aber wenigstens bei dieser Gelegenheit, versetzte Mac Nabbs, der seinerseits eigensinnig darauf beharrte.

– Mein Herr, ich finde Sie heute sehr starrköpfig, erwiderte Paganel.

– Und ich Sie sehr mürrisch!« antwortete der Major.

Die Discussion nahm offenbar einen unerwarteten Fortgang, und das über einen Gegenstand, der nicht der Mühe werth war. Glenarvan hielt es an der Zeit, sich in's Mittel zu schlagen.[148]

»Sicher spricht hier, sagte er, auf einer Seite der Eigensinn, auf der andern der Unmuth, was mich bei Ihnen beiderseits Wunder nimmt.«

Der Patagonier hatte, ohne die Ursache des Wortwechsels zu kennen, doch verstanden, daß beide Freunde in Streit waren. Er begann zu lachen und sagte ruhig:

»Das macht der Nordwind.

– Der Nordwind, fuhr Paganel auf, was hat der Nordwind mit alledem zu thun?

– Ja wohl, so ist's, erwiderte Glenarvan, der Nordwind ist die Ursache Ihrer üblen Stimmung! Ich habe sagen hören, daß er in Süd-Amerika das Nervensystem ganz besonders aufrege.

– Beim heiligen Patrick, Edward, Sie haben Recht«, sagte der Major und brach in helles Lachen aus.

Paganel aber, der einmal in der Stimmung war, wollte von der Auseinandersetzung nicht ablassen, wandte sich an Glenarvan, dessen Zwischentreten ihm etwas unbescheiden erschien.

»Ja wirklich, Mylord, sagte er, ich habe ein erregtes Nervensystem, nicht wahr?

– Ja, Paganel, das macht der Nordwind, ein Wind, unter dessen Einfluß in den Pampas viele Vergehen vorkommen, wie unter dem der Tramontana in der römischen Campagna.

– Vergehen! wiederholte der Gelehrte, ich habe wohl das Aussehen eines Menschen, der zu Vergehungen geneigt ist?

– Das will ich nicht gerade sagen.

– Sagen Sie doch schnell, daß ich fähig wäre, Sie umzubringen!

– O, erwiderte Glenarvan, welcher das Lachen nicht unterdrücken konnte, davor fürchte ich mich. Glücklicher Weise hält der Nordwind nur einen Tag lang an!«

Alle Anwesenden zollten dieser Antwort Glenarvan's lauten Beifall. Nun gab sich Paganel und ging, seine üble Laune verrauchen zu lassen, von dannen. Eine Viertelstunde nachher dachte er nicht mehr daran.

So trat der gute Charakter des Gelehrten zwar einen Augenblick in Schatten, doch mußte das, wie Glenarvan ganz richtig gesagt hatte, auf eine äußere Ursache zurückgeführt werden.

Um acht Uhr Abends meldete Thalcave, der ein Stück vorausgeritten war,[149] daß er die Bodensenkung des herbeigesehnten Sees wahrnehme. Eine Viertelstunde später stieg die kleine Gesellschaft den Uferrand des Salinas hinab. Aber dort wartete ihrer eine große Enttäuschung; – der See war ausgetrocknet.

Fußnoten

1 Die Winter Islands sind aus diesem Grunde milder, als die der lombardischen Ebene.


Quelle:
Jules Verne: Die Kinder des Kapitän Grant. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XI–XIII, Wien, Pest, Leipzig 1876, S. 150.
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