Erstes Capitel.
Der Sklavenhandel.

[225] Sklavenhandel! Ein Jeder kennt die Bedeutung dieses Wortes, das in der menschlichen Sprache nie hätte Bürgerrecht erhalten sollen. Schon seit einer Reihe von Jahren ist dieser verabscheuungswürdige Handel, der lange Zeit zum Vortheil europäischer Mächte mit überseeischen Kolonialbesitzungen getrieben wurde, zwar streng verboten, dennoch blüht er noch immer, vorzüglich in Central-Afrika, in sehr großem Maßstabe. Mitten im 19. Jahrhundert sind doch noch mehrere Staaten, welche sich ausdrücklich christliche nennen, mit der Emancipation ihrer Sklaven noch nicht vorgegangen.

Man könnte glauben, daß wenigstens der offene Handel unterdrückt sei und das widerliche Feilschen um Menschenfleisch aufgehört habe. Dem ist leider nicht so, und der Leser muß diese Verhältnisse kennen lernen, um sich für den zweiten Theil unserer Erzählung zu interessiren. Er muß erfahren, was jene Menschenhetzen thatsächlich sind, welche einen ganzen Erdtheil zu entvölkern drohen, um einige Sklaven-Kolonien zu unterhalten, und auf welche Weise jene barbarischen Razzias ausgeführt werden, wie viel Blut sie kosten, welche Verwüstungen sie durch Mord, Brand und Plünderung erzeugen und zu wessen Nutzen sie noch unternommen werden.

Erst im 15. Jahrhundert tritt der Sklavenhandel zum ersten Male auf und er entstand nämlich unter folgenden Umständen:

Nach ihrer Vertreibung aus Spanien waren die Muselmänner über die Meerenge von Gibraltar nach der afrikanischen Küste entflohen. Die Portugiesen,[225] welche jenes Uferland damals besaßen, verfolgten sie mit Ungestüm. Eine gewisse Anzahl jener Flüchtlinge ward gefangen und nach Portugal zurückgeschleppt. Diese verfielen dem harten Lose der Sklaverei und bildeten somit den ersten Kern afrikanischer Sklaven, der seit der christlichen Aera in West-Europa entstand.

Nun gehörten die gefangenen Mauren aber meist reichen Familien an, welche die Ihrigen um Gold wiederkaufen wollten. Die Portugiesen dagegen schlugen jedes, auch noch so hoch bemessene Lösegeld einfach aus. Für Gold hatten sie keine Verwendung. Ihnen fehlten vor Allem tüchtige Arme zur Arbeit in den aufblühenden Kolonien – um es kurz zu sagen.. – Sklavenarme!

Da es den maurischen Familien nicht gelang, ihre Angehörigen durch Geldopfer zu befreien, boten sie zum Austausch eine größere Zahl afrikanischer Neger an, welche sie sich ziemlich leicht verschaffen konnten. Die Portugiesen erkannten bei diesem Tausche ihren Vortheil nur zu gut und gingen also auf das Angebot ein – das war der Ursprung des ersten Sklavenhandels in Europa.

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts fand dieser verächtliche Schacher allgemeine Anerkennung, welche bei den damaligen barbarischen Sitten ziemlich erklärlich erscheint. Alle Staaten begünstigten ihn geradezu, um die Kolonisirung der in der Neuen Welt erworbenen Inseln schneller und sicherer durchzuführen. In der That vermochten die Negersklaven da zu bestehen, wo nicht acclimatisirte und der tropischen Hitze ungewohnte weiße Arbeiter zu Tausenden dahingerafft worden wären. Der Transport der Neger nach den amerikanischen Kolonien geschah regelmäßig mittelst besonderer Schiffe, und bald führte dieser Zweig des atlantischen Handels die Gründung großartiger Comptoirs an verschiedenen Punkten der afrikanischen Küste herbei. Die »Waare« kostete im Productionslande nur wenig und der Verdienst war dabei ein sehr ergiebiger.

So nothwendig von den verschiedensten Gesichtspunkten aus die Gründung überseeischer Kolonien aber auch erscheinen mochte, so konnte sie doch nimmermehr jenen Handel mit Menschenfleisch rechtfertigen. Bald ließen sich auch edelmüthige Stimmen vernehmen, welche gegen den Negerhandel Einspruch erhoben und dessen Abschaffung im Namen der Menschlichkeit von den europäischen Regierungen forderten.[226]

Im Jahre 1751 stellten sich die Quäker an die Spitze der abolitionistischen Bewegung, und zwar im Herzen Nordamerikas, wo ein ganzes Jahrhundert später der Secessionskrieg ausbrach, dem die Frage der Sklaven-Emancipation bekanntlich nicht fremd war. Mehrere Staaten des Nordens, Virginien, Connecticut, Massachusets, Pennsylvanien verfügten die Abschaffung des Sklavenhandels und befreiten die früher mit großen Unkosten nach ihren Gebieten eingeführten Sklaven.

Dieser von den Quäkern eröffnete Feldzug beschränkte sich jedoch nicht auf die Grenzen der nördlichen Provinzen der Neuen Welt. Die Sklavenhalter und Freunde der Sklaverei wurden selbst jenseits des Atlantischen Oceans lebhaft angegriffen. Aus Frankreich und vor Allem aus England recrutirten sich die Anhänger des Spruches: »Eher als ein richtiges Princip mögen die Kolonien untergehen!« So lautete das edelmüthige Feldgeschrei in der ganzen Alten Welt, und trotz der dabei in Frage kommenden großen politischen und commerciellen Interessen machte sich seine Wirkung durch ganz Europa hin bemerkbar.

Der Anstoß war gegeben. England schaffte 1807 in seinen Kolonien den Sklavenhandel ab und 1814 folgte Frankreich seinem Beispiele. Die beiden mächtigen Nationen einigten sich über einen diesbezüglichen Vertrag, den Napoleon während der Hundert Tage bestätigte.

Freilich hatte dieser Vertrag Alles in Allem keinen höheren Werth als den einer rein theoretischen Erklärung. Die Negerschiffe segelten nach wie vor über die Meere und löschten ihren »Cargo an Ebenholz« in den Häfen der Kolonien.

Um jenem Handel ein Ende zu machen, bedurfte es mehr praktischer Maßnahmen. Es erklärten zunächst die Vereinigten Staaten im Jahre 1820 und England 1824 den Sklavenhandel als Räuberei und als dem Gesetze verfallene Seeräuber Diejenigen, welche ihn betrieben. Als solche drohte ihnen die Todesstrafe und jedenfalls setzten sie sich der hartnäckigsten Verfolgung aus. Frankreich beeilte sich, diesem neuen Vertrage beizutreten. Die Staaten Südamerikas dagegen, vorzüglich die spanischen und portugiesischen Kolonien, schlossen sich dieser Abolitionsacte nicht an und die Ausfuhr von Negern nahm zu ihren Gunsten den gleichen Fortgang, trotz des allgemein anerkannten Visitationsrechtes, welches sich darauf beschränkte, festzustellen, ob die verdächtigen Schiffe unter wahrer oder falscher Flagge segelten.[227]

Das neue Abolitionsgesetz hatte indeß keine rückwirkende Kraft. Man ließ wohl keine neuen Sklaven zu, doch die früheren hatten damit noch nicht ihre Freiheit wiedererhalten.

Auch nach dieser Seite ging England mit gutem Beispiele voran. Eine Generaldeclaration vom 14. Mai 1833 emancipirte alle Sklaven der britischen Kolonien und im August 1838 wurden wirklich 670.000 Sklaven für frei erklärt.

Zehn Jahre später, also 1848, emancipirte die Republik die Sklaven der französischen Kolonien, d.h. gegen 260.000 Neger.

Der 1859 zwischen den Föderirten und den Conföderirten der Vereinigten Staaten ausgebrochene blutige Krieg vollendete das Werk der Emancipation und verbreitete es über das gesammte Nordamerika.

Die drei großen Seemächte hatten jenes Werk der Menschlichkeit also glücklich durchgeführt. Heute florirt der schändliche Sklavenhandel nur noch in den spanischen oder portugiesischen Besitzungen oder zur Deckung des Bedürfnisses für die türkischen oder arabischen Völker des Ostens.

Wenn Brasilien auch seinen Sklaven noch nicht die Freiheit schenkte, so läßt es doch mindestens keine neuen zu und sichert auch den im Lande gebornen Negerkindern die Freiheit.

Im Innern von Afrika sind in Folge der blutigen Raubzüge, welche afrikanische Häuptlinge zum Zwecke der Menschenjagd anzustellen pflegten, ganze Völkerstämme in Sklaverei gerathen. Die betreffenden Karawanen bewegen sich dann aus dem Binnenlande nach zweierlei Richtungen; entweder östlich nach der portugiesischen Kolonie Angola, oder westlich nach Mozambique. Die unglücklichen Sklaven, von denen übrigens nur ein kleiner Theil seinen Bestimmungsort wirklich erreicht, werden entweder nach Kuba oder nach Madagaskar übergeführt; andere wieder schleppt man nach den arabischen oder türkischen Ländern in Asien, nach Mekka oder Maskat. Die englischen und französischen Kreuzer vermögen diesem Handel nur unzulänglich zu steuern, da eine wirksame Ueberwachung jener ausgedehnten Küstenstriche allzu große Schwierigkeiten bietet.

Erreicht wohl die Ziffer dieses verabscheuungswerthen Exportes noch immer eine beträchtliche Höhe?

Leider ja! Man schätzt die Zahl der jährlich an den Ausfuhrplätzen anlangenden Sklaven auf 80.000, und diese Zahl repräsentirt dem Anscheine[228] nach nur etwa den zehnten Theil der daneben hingemordeten Eingebornen. Nach solchen grauenvollen Schlächtereien liegen die verwüsteten Felder verlassen, sind die niedergebrannten Flecken menschenleer, schwemmen die Ströme Massen von Leichen hinab und nehmen die wilden Thiere von den verwüsteten Ländereien Besitz. Als Livingstone bald nach einer Menschenjagd in eine solche Gegend kam, erkannte er diese nicht wieder, obwohl er sie erst einige Monate vorher bereist hatte. Alle anderen Reisenden, wie Grant, Speke, Burton, Cameron und Stanley, schildern das bewaldete Plateau Inner-Afrikas, den Schauplatz der zwischen den Häuptlingen geführten mörderischen Kriege, in ganz ähnlicher Weise. In dem Gebiete der großen Seen, in den weitausgedehnten Ländereien, welche die Quellenländer des Zanzibar darstellen, in Bornu und Fezzan, weiter im Süden, längs des Nyassa- und Zambesistromes, weiter im Osten, in den Districten des oberen Zaïra, welche Stanley unlängst todesmuthig durchwanderte – dasselbe Bild von Ruinen, dieselben Anzeichen des Massenmordes und der Entvölkerung! Sollte die Sklaverei in Afrika wirklich erst mit dem Untergange der schwarzen Race ein Ende nehmen, wie es mit der australischen Race in Neu-Holland der Fall war?

Und doch, der Markt in den spanischen und portugiesischen Kolonien maß sich in unseren Tagen schließen, der Absatz dahin wird unterbunden werden; die civilisirte Welt kann den Sklavenhandel nicht länger dulden.

Ja, dieses Jahr 1878 wird Zeuge der Befreiung aller in christlichen Staaten noch vorhandenen Sklaven sein. Die mohamedanischen Völker werden freilich diesen abscheulichen, den afrikanischen Continent entvölkernden Handel noch lange genug fortsetzen. Nach jenen Ländern findet in der That die weitaus bedeutendste Ueberführung von Negern statt, da die Zahl der, ihrer Heimat entführten und nach der Ostküste geschleppten Eingebornen jährlich 40.000 noch überschreiten soll. Vor dem Feldzuge nach Egypten wurden die Neger von Sennaar zu Tausenden an die von Darfur, und letztere umgekehrt an jene verkauft. General Buonaparte konnte damals eine große Menge dieser Neger käuflich erwerben, welche er zu einzelnen Corps, nach Art der Mameluken, organisirte. Während dieses Jahrhunderts, von dem vier Fünftel nun verflossen sind, hat der Sklavenhandel aber nicht ab-, sondern im Gegentheil zugenommen.[229]

In der That begünstigte der Islam diesen Menschenschacher. Der schwarze Sklave mußte in dem muselmännischen Reiche den weißen Sklaven der früheren Zeit ersetzen. So betreiben denn Händler aus aller Herren Länder dieses verabscheuungswürdige Geschäft in größtem Maßstabe. Sie führen ein Supplement an Bevölkerung jenen Racen zu, welche dereinst verschwinden werden, da sie sich nicht durch die Arbeit regeneriren. Ganz wie zu Buonaparte's Zeit werden diese Sklaven oft Soldaten. Bei einzelnen Völkern am oberen Niger bilden sie wohl die Hälfte der Heerhaufen der afrikanischen Regenten. In diesem Falle ist ihr Los übrigens kaum ein schlimmeres als das der freien Männer. Ist der Sklave aber nicht Soldat, so hat er einen Werth als Münze, welche selbst in Egypten Kurs hat, und in Bornu werden, nach der Mittheilung Wilhelm Lejean's als Augenzeugen, Officiere und Beamte oft mit solchem Gelde bezahlt.

Sollen wir noch hinzufügen, daß nicht wenige Vertreter der europäischen Großmächte sich nicht scheuen, diesem Schacher gegenüber eine bedauernswerthe Nachsicht an den Tag zu legen? Leider ist es an dem, und obwohl kreuzende Schiffe die Küsten des Atlantischen und Indischen Oceans unausgesetzt bewachen, so blüht der Handel im Innern ruhig weiter, ziehen die Karawanen unter den Augen gewisser Regierungsagenten ungehindert dahin und wiederholen sich die gräßlichen Schlächtereien, bei denen zehn Neger ermordet werden, um einen Sklaven zu erbeuten, immer in bestimmten Zwischenräumen.

Der Leser begreift nun wohl die schreckliche Wirkung der Worte Dick Sand's, als er ausrief:

»Afrika! Das äquatoriale Afrika! Das Land der Sklavenhändler und der Sklaven!«

Er täuschte sich wirklich nicht: das war Afrika mit allen, ihm und seinen Gefährten drohenden Gefahren.

An welcher Stelle des afrikanischen Continentes aber hatte ein wirklich unerklärliches Geschick ihn aus Land geworfen? Offenbar an einem Punkte der Westküste und leider – glaubte der junge Leichtmatrose annehmen zu müssen, daß der »Pilgrim« an dem Gestade von Angola gescheitert sei, d.h. gerade an dem Ausfuhrplatze, nach welchen die, diesen Theil Afrikas so schwer schädigenden Karawanen zu ziehen pflegen.[230]

In der That, hier war es. Es war das Land, welches Cameron im Süden und Stanley im Norden einige Jahre später, aber um den Preis welcher Mühsale und Entbehrungen, durchzogen! Von diesem ausgedehnten, aus den drei Provinzen Benguela, Congo und Angola bestehenden Gebiete kannte man bisher nur den Landstrich an der Küste. Er erstreckt sich von dem Nourse im Süden bis zum Zaïre oder Congo im Norden, während zwei bedeutendere Städte, nämlich Benguela und San Pablo de Loanda, die Hauptplätze der zu Portugal gehörigen Kolonie, dessen Häfen bilden.

Weiter im Innern war diese Gegend bisher so gut wie unbekannt. Nur ganz vereinzelte Reisende hatten dieselbe zu betreten gewagt. Ein verderbliches Klima, feuchtwarme Ländereien, welche die Brutstätten der Fieber sind, wilde Eingeborne, von denen nicht wenige noch zu den Kannibalen gehören, der Krieg ohne Ende von Stamm zu Stamm, das lauernde Mißtrauen der Sklavenhändler gegenüber jedem Fremden welcher ihnen stets nur in die Geheimnisse ihres fluchbeladenen Handels eindringen zu wollen scheint, das sind so die zu überwindenden Schwierigkeiten, die zu besiegenden Gefahren in der Provinz Angola, dem gefahrenreichsten Landestheile des ganzen äquatorialen Afrika.

Im Jahre 1816 war Turkey längs der Ufer des Congo bis über die Wasserfälle von Yellala, d.h. eine Strecke von höchstens zweihundert (englischen) Meilen vorgedrungen. Eine eingehendere Kenntniß des Landes wurde durch diesen kurzen Zug natürlich nicht gewonnen, und doch kostete er den meisten Gelehrten und Officieren, welche jene Expedition unternahmen, das Leben.

Siebenunddreißig Jahre später wagte sich Livingstone vom Cap der Guten Hoffnung aus bis nach dem oberen Zambesi. Von dort aus durchreiste er, seit November 1853, mit bisher unübertroffener Kühnheit Afrika von Süden nach Nordwesten, überschritt den Coango, einen der Nebenströme des Congo, und kam am 31. Mai 1854 in San Pablo de Loanda an. Das war die erste Reise durch das unbekannte Hinterland der großen portugiesischen Kolonie.

Achtzehn Jahre später unternahmen es zwei kühne Entdeckungsreisende, Afrika von Osten nach Westen zu durchstreifen und unter Nichtachtung geradezu unerhörter Schwierigkeiten, der Eine im Süden, der Andere im Norden von Angola die entgegengesetzte Küste zu erreichen.


Die wilden Thiere nahmen von den verwüsteten Ländereien Besitz. (S. 229.)
Die wilden Thiere nahmen von den verwüsteten Ländereien Besitz. (S. 229.)

Der erste der Genannten war der Lieutenant in der englischen Marine Verney-Howet Cameron. Im Jahre 1872 hatte man alle Ursache, die zur Aufsuchung Livingstone's nach dem Gebiete der großen Seen entsendete Expedition des Amerikaners Stanley gefährdet zu glauben. Lieutenant Cameron erbot sich, diesen wie[231] der aufzusuchen. Das Anerbieten ward angenommen. Cameron reiste in Begleitung des Doctor Dillon, des Lieutenant[232] Cecil Murphy und Robert Massats, eines Neffen Livingstones, von Zanzibar ab.


Die Unterhaltung begann eben. (S. 237.)
Die Unterhaltung begann eben. (S. 237.)

Nach Ueberschreitung des Ouyogo traf er die irdischen Ueberreste Livingstone's, welche dessen treue Diener nach der Ostküste zurückführten. Mit dem felsenfesten Vorsatze, das Land von der einen Küste quer bis zur anderen zu durchreisen, setzte er nach jenem Zusammentreffen seinen Weg fort, passirte Unianyembe, Ugunda, Kahnela, wo er die Papiere des großen[233] Reisenden vorfand und rettete, überschritt den Tanganyika, die Bergkette von Bambarre, den Loualaba, dessen Strombette er nach Besichtigung der angrenzenden, durch Krieg und Sklavenhandel entvölkerten Länder nicht weiter verfolgen konnte, durchzog ferner Kilemba, Uluda und Lavalé, nachdem er Coanze und jene ungeheuren Waldgebiete, in welche Harris Dick Sand und dessen Begleiter tief hineingeführt hatte, durchwandert, bis der energische Cameron den Atlantischen Ocean erblickte und endlich in San Felipe de Benguela eintraf. Diese drei Jahre und vier Monate andauernde Reise hatte zwei seiner Gefährten, dem Doctor Dillon und Robert Massat, das Leben gekostet.

Dem Engländer Cameron folgte der Amerikaner Henry Moreland Stanley auf dieser Entdeckungsreise fast auf dem Fuße. Bekanntlich zog dieser unerschrockene Correspondent des »New-York Herald« seiner Zeit aus, zunächst um Livingstone aufzusuchen, den er am 30. October 1871 in Ujiji am Ufer des Taganyïka-Sees, antraf. Was er aber vom Gesichtspunkte der Humanität aus so glücklich erreicht, das wollte Stanley im Interesse der geographischen Wissenschaften weiterführen. Sein Ziel war die möglichst eingehende Erforschung von Loualaba, welches er nur flüchtig gesehen hatte. Noch wanderte Cameron halb verloren in den Provinzen Inner-Afrikas dahin, als Stanley im November 1874 Bagamoya an der Ostküste verließ, einundzwanzig Monate später, am 24. August 1876, von dem durch eine Pocken-Epidemie verheerten Ujiji aufbrach, in vierundsiebzig Tagen die Strecke von jenem See bis N'yangwé, dem großen, schon von Livingstone und Cameron besuchten Sklavenmarkte, zurücklegte und im Lande der Marungu und der Manyuema wider Willen den abscheulichsten, von den Officieren des Sultans von Zanzibar geleiteten Razzias beiwohnte.

Von hier aus bereitete sich Stanley vor, den Lauf des Loualaba zu erforschen und diesem Strome bis zu seiner Mündung zu folgen. Hundertvierzig in N'yangwé angenommene Träger und nicht weniger als neunzehn Boote bildeten das Personal und Material seiner Expedition. Gleich zu Anfang der Reise hatte er mit den Anthropophagen von Ugusu zu kämpfen und mußte auch alle Boote durch Träger fortschaffen lassen, um die unfahrbaren Katarakte des genannten Stromes zu umgehen. Unter dem Aequator, an der Stelle, wo der Loualâba nach Nordnordosten abbiegt, griffen vierundfünfzig Boote mit mehreren hundert Eingebornen die kleine Flottille[234] Stanley's an, dem es jedoch gelang, jene in die Flucht zu schlagen. Der muthige Amerikaner constatirte dann, indem er bis zum zweiten Grade nördlicher Breite hinausdrang, daß der Loualaba identisch sei mit dem Oberlauf des Zaïre oder Congo, und daß er, seinem Laufe folgend, direct nach dem Meere hinab gelangen müsse. Das that er denn auch, freilich nur unter fast täglichen Gefechten mit den Uferbewohnern des Stromes. Bei der Passage der Katarakte von Massassa, am 3. Juni 1877, verlor er einen seiner Begleiter, Francis Pocock, er selbst aber wurde am 18. Juli mit seinem Boote die Fälle von M'belo hinuntergerissen und entging nur wie durch ein Wunder dem drohenden Tode.

Am 6. August endlich langte Stanley in dem Flecken Ni Sanda, vier Tagereisen von der Küste, an. Zwei Tage darauf fand er in der Banza M'buko, die von zwei Kaufleuten in Eneboma entgegengesendeten Provisionen und gönnte sich endlich in genannter Küstenstadt einige Rast, nachdem er, durch Mühsal und Entbehrung mit fünfunddreißig Jahren schon gealtert, binnen zwei Jahren und neun Monaten das ganze Festland Afrikas durchzogen hatte. Die Feststellung des Laufes des Loualaba bis zum Ocean hinab war eine Frucht dieser beschwerlichen, gefahrenreichen Reise, und wenn der Nil als die große Pulsader des Nordens, der Zambesi als die des Ostens zu betrachten ist, so weiß man jetzt, daß Afrika ferner im Westen den dritten der größten Ströme der Welt besitzt, der mit einer Flußlänge von 2900 Meilen (= 4658 Kilometer) unter verschiedenen Namen, als Loualaba, Zaïra und Congo, die Gegend der großen Seen mit dem Atlantischen Meere verbindet.

Zwischen den beiden Reise-Routen Stanley's und Cameron's nun lag jene im Jahre 1873, zur Zeit als der »Pilgrim« an Afrikas Küste scheiterte, noch so gut wie unbekannte Provinz Angola. Was man von ihr wußte, beschränkte sich darauf, daß sie der Schauplatz des westlichen Sklavenhandels war, den die bedeutenden Märkte in Bihe, Cassange und Kazonnde begünstigten.

In diese Gegend nun war Dick Sand bis 100 Meilen von der Küste hineingeführt worden, mit einer von Anstrengungen und Schmerzen erschöpften Frau, einem sterbenskranken Kinde und seinen Gefährten, einigen Negern von Geburt, d.h. einer wie für die Habgier der Sklavenhändler geschaffenen Beute.[235]

Ja, das war hier Afrika, und nicht jenes Amerika, wo weder die Eingebornen, noch die wilden Thiere oder das Klima ernstlich zu fürchten sind. Das war nicht jener gesegnete Landstrich zwischen den Cordilleren und der Küste mit seinen vielen Ortschaften und den für jeden Reisenden ohne Unterschied gastfreundlich geöffneten Missionen. O, sie lagen so weit von hier, jene Gestade von Peru und Bolivia, nach welchen hin der langandauernde Sturm den »Pilgrim« ohne Zweifel getrieben hätte, wenn ihn damals nicht eine verbrecherische Hand auf falschen Kurs lenkte, jene Länder, wo die Schiffbrüchigen ohne Schwierigkeit Gelegenheit gefunden hätten, in ihre Heimat zurückzukehren.

Das war das schreckliche Angola, und dazu nicht einmal jener von den portugiesischen Behörden einigermaßen überwachte Theil der Küste, sondern das Innere der Kolonie, welches die Sklaven-Karawanen unter der Peitsche der Havlidars durchziehen.

Was wußte Dick Sand wohl von dem Lande, nach dem der Verrath ihn gebracht hatte? Nur wenig, er kannte die Berichte der Missionäre des 16. und 17. Jahrhunderts, die dürftigen Nachrichten der Händler, welche von San Pablo de Loanda über San Salvador nach Zaïre ziehen, und das, was Doctor Livingstone bei Gelegenheit seiner Reise vom Jahre 1853 darüber veröffentlicht hatte, hätte hingereicht, eine minder starke Seele als die seine gänzlich niederzudrücken.

In der That, die augenblickliche Lage war entsetzlich!

Quelle:
Jules Verne: Ein Kapitän von fünfzehn Jahren. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXVII–XXVIII, Wien, Pest, Leipzig 1879, S. 225-236.
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