Zweites Capitel.
Harris und Negoro.

[236] Am nächsten Morgen des Tages, da Dick Sand und seine Begleiter zum letzten Male ihr Lager im Urwald aufgeschlagen zu haben glaubten, trafen sich, offenbar in Folge vorgängiger Verabredung, zwei Männer, etwa drei Meilen von dem Ruheplatze der Reisegesellschaft.[236]

Diese beiden Männer waren Harris und Negoro, und der Leser wird aus dem Folgenden ersehen, inwiefern der Zufall eine Rolle spielte, der den von Neu-Seeland kommenden Portugiesen mit dem Amerikaner, der in Folge seines Geschäftes als Sklavenhändler diese Provinz West-Afrikas häufig zu durchreisen genöthigt war, an der Küste von Angola zusammenführte.

Negoro und Harris hatten sich am Fuße einer mächtigen Banane niedergesetzt, am geneigten Ufer eines brausenden Bergbaches, der zwischen einer Doppelreihe von Papyrusstauden dahinfloß.

Die Unterhaltung begann eben, denn der Portugiese und der Amerikaner hatten sich nur diesen Augenblick erst getroffen, und betraf zunächst die Vorkommnisse der letzten Stunden.

»Nun, Harris, sagte Negoro, Du vermochtest also die kleine Gesellschaft des Kapitän Sand, wie sie den fünfzehnjährigen Jungen zu nennen belieben, nicht tiefer nach Angola hineinzuführen?

– Nein, Kamerad, erwiderte Harris, es wundert mich sogar, daß es mir gelang, sie mindestens hundert Meilen von der Küste wegzuschleppen. Seit einigen Tagen beobachtete mich mein Freund Dick Sand mit sehr unruhigen Blicken, sein Verdacht bildete sich allmälig zur Gewißheit aus, und meiner Treu...

– Noch hundert Meilen, und jene Leute wären noch sicherer unserer Gewalt verfallen gewesen. Doch entwischen dürfen sie uns auf keinen Fall!

– O, wie könnten sie das? antwortete Harris achselzuckend. Doch ich wiederhole Dir, Negoro, es war höchste Zeit, sich aus ihrer Gesellschaft wegzustehlen. In meines jungen Freundes Augen las ich es zehnmal, daß er nicht übel Luft hatte, mir eine Kugel in den Leib zu jagen, und ich habe einen zu schwachen Magen, um solche Bohnen, zwölf auf's Pfund, zu verdauen!

– Schon gut! meinte Negoro; ich für meine Person habe mit jenem Novizen auch noch ein Hühnchen zu rupfen...

– Was Du mit ihm, wie es Deinem Interesse entspricht, abmachen wirst. Was mich betrifft, so bemühte ich mich während der ersten Reisetage, und zwar mit Erfolg, ihm diese Provinz für die Einöde von Atacama, die ich früher einmal besucht habe, auszugeben; da meldete sich aber der kleine Knirps, der seine Kautschukbäume und Kolibris haben wollte, da verlangte[237] seine Mutter nach Chinabäumen, und der Herr Vetter, der sich's nun einmal in den Kopf gesetzt hatte, Cocuyos fangen zu wollen!... wahrhaftig, ich war mit meinem Latein zu Ende, und nachdem ich ihnen noch mit Müh' und Noth Giraffen für Strauße aufgeschwatzt hatte – ja, das ist meine Entdeckung, Negoro! – wußte ich wahrlich nichts mehr zu erfinden. Ich sah übrigens recht gut, daß mein junger Freund von allen meinen Erklärungen kein Wort mehr glaubte. Dann trafen wir gar noch auf Wegspuren von Elefanten! Weiterhin kommen uns auch noch Flußpferde in die Quere, und Du weißt wohl, Negoro, Flußpferde und Elefanten in Amerika giebt's ebensoviel wie Ehrenmänner unter den Sträflingen von Benguela! Um das Maß ganz voll zu machen, stöbert der alte Neger am Fuße eines Baumes auch einige Ketten und Fesseln auf, von denen sich ein Paar Sklaven auf der Flucht befreit haben mochten. Gleichzeitig brüllt unnützer Weise ein Löwe, daß es ringsum widerhallt, und es ist eine verteufelte Aufgabe, Jemandem einzureden, daß sein Gebrüll von einer unschuldigen Katze herrühre – mit einem Worte, ich mußte eilen, mein Pferd zu erlangen und hierher zu kommen!

– Ich verstehe, antwortete Negoro. Alles in Allem hätte ich sie aber doch lieber hundert Meilen weiter im Lande!

– Man thut eben, was man kann, Kamerad, erwiderte Harris. Du hast, während Du unserem Zuge von der Küste her folgtest, gut daran gethan, gehörige Distanz zu halten. Man witterte Dich in der Nähe! Da war ein gewisser Dingo, der Dir gar nicht grün zu sein schien. Was hast Du dem Thiere denn gethan?

– Ich – nichts, erklärte Negoro, aber eine Kugel kriegt er bald vor den Kopf.

– So wie's Dir durch Dick Sand ergangen wäre, wenn Du Dich nur zum kleinsten Theile zweihundert Schritt vor seiner Büchse hättest sehen lassen. O, er schießt recht gut, mein junger Freund, und, unter uns, ich muß gestehen, daß er in seiner Art ein ganz tüchtiger Kerl ist.

– Das thut nichts, Harris, er soll mir seine Anmaßung noch theuer bezahlen, antwortete Negoro, dessen Physiognomie den Ausdruck unversöhnlicher Grausamkeit annahm.

– Schön, murmelte Harris, mein Kamerad ist noch der alte geblieben, wie ich ihn von jeher kannte. Das Reisen hat ihn nicht umgewandelt!«[238]

Dann fuhr er nach kurzem Stillschweigen fort:

»Nun sag' mir aber, Negoro – als ich Dir da unten an dem Schauplatze des Schiffbruches, an der Mündung der Longa begegnete, hattest Du ja kaum Zeit, mir jene wackeren Leute zu empfehlen, mit dem Ersuchen, sie möglichst tief in das vorgebliche Bolivia hineinzuführen – erzähle mir, was Du seit zwei Jahren gemacht hast. In unserem ereignißvollen Leben sind zwei Jahre eine lange Zeit! Da hast Du so eines schönen Tages nach übernommener Führung einer Sklaven-Karawane für den alten Alvez, dessen dienstfertige Agenten wir ja sind, Cassange verlassen und Niemand hat ein Sterbenswörtchen wieder von Dir gehört! Ich glaubte schon, Du hättest mit den englischen Kreuzern eine kleine Unannehmlichkeit gehabt und eine fest zusammengedrehte Hanfcravate um den Hals bekommen.

– Es fehlte nicht viel, Harris.

– O, das kommt noch, Negoro

– Ich danke!

– Was willst Du? antwortete Harris mit wahrhaft philosophischem Gleichmuth, das ist eine der Annehmlichkeiten unseres Geschäftes. Sklavenhandel treibt man an der Küste Afrikas nicht, ohne die verlockende Aussicht, anderswo als in seinem eigenen Bette zu sterben. Doch erzähle, Du bist abgefangen worden!

– Ja.

– Von den Engländern?

– Nein, von den Portugiesen.

– Vor oder nach Ablieferung Deines Cargo?

– Nachher... erwiderte Negoro, der mit der Antwort ein wenig zögerte Diese Portugiesen spielen jetzt die Empfindsamen! Sie wollen keine Sklaverei mehr, nachdem sie von dieser so lange Zeit ihren Nutzen gehabt haben. Ich war denuncirt, überwacht. Man hat mich gefangen...

– Und verurtheilt?...

– In San Pablo de Loanda meine Tage als Sträfling zu beschließen.

– Tausend Teufel! rief Harris, in der Strafanstalt! Das ist ein ungesundes Gasthaus für Leute, die gleich uns daran gewöhnt, in freier Luft zu leben. Ich für meinen Theil hätte es vielleicht vorgezogen, gehenkt zu werden![239]

– Vom Galgen giebt's keine Flucht mehr, entgegnete Negoro, doch aus dem Gefängniß...

– Ah, Du bist durchgegangen?...

– Ja wohl, Harris! Schon vierzehn Tage nach meiner Einlieferung in den Bagno gelang es mir, mich im Raume eines nach Auckland auf Neu-Seeland abfahrenden Dampfers zu verbergen. Ein Faß mit Wasser und eine Kiste mit Conserven, zwischen welchen beiden ich mich vergraben hatte, lieferten mir Nahrung während der ganzen Ueberfahrt. O, ich habe viel ausgestanden, um mich, als wir auf offener See waren, nicht zu zeigen. Wäre ich aber so thöricht gewesen, es zu thun, so hätte man mich einfach wieder in den Raum eingesperrt und die Tortur blieb dieselbe. Bei der Ankunft in Auckland hätte man mich jedenfalls den britischen Behörden übergeben und endlich nach der Verbrecher-Kolonie von Loanda zurückgeschickt, oder wie Du meintest, vielleicht gar aufgeknüpft – aus allen diesen Gründen zog ich es also vor, incognito zu reisen.

– Und ohne für die Ueberfahrt zu bezahlen! rief Harris lachend. Ei, ei, Kamerad, das ist nicht honett, sich gratis transportiren und füttern zu lassen!

– Mag sein, bestätigte Negoro, aber eine Reise von dreißig Tagen in einem Schiffsraume macht Vieles quitt!

– Na, jedenfalls ist's nun einmal geschehen, Negoro. Du bist also nach Neu-Seeland, in das Land der Maoris gereist. Doch, Du kehrtest auch zurück; geschah das wohl unter denselben Verhältnissen?

– Ei nein, Harris, Du meinst wohl, ich habe da unten nur den einen Gedanken gehabt, nach Angola zurückzukehren und mein Metier als Sklavenhändler wieder aufzunehmen?

– Gewiß, antwortete Harris, man liebt sein Handwerk, so aus Gewohnheit!

– Achtzehn Monate lang...«

Kaum waren diese Worte über seine Lippen gekommen, als Negoro plötzlich innehielt. Er hatte den Arm seines Gefährten ergriffen und lauschte.

»Harris, sagte er mit gedämpfter Stimme, kommt Dir's nicht vor, als bewegte sich dort etwas in den Papyrus?


»Es ist nichts!« erklärte Harris bald darauf. (S. 241.)
»Es ist nichts!« erklärte Harris bald darauf. (S. 241.)

– Wahrhaftig!« bestätigte Harris, der sein Gewehr ergriff und sich schußfertig machte.

Negoro und er erhoben sich, schauten rings umher und lauschten mit gespanntester Aufmerksamkeit.[240]

»Es ist nichts, erklärte Harris bald darauf. Der Bach ist in Folge des letzten Gewitters angeschwollen und fließt jetzt mit lauterem Rauschen[241] dahin. Binnen zwei Jahren, Kamerad, hast Du die Sprache der Wälder verlernt; wirst Dich schon wieder daran gewöhnen. Erzähle Deine Abenteuer ruhig weiter. Wenn ich Deine Vergangenheit kennen gelernt, wollen wir über die Zukunft sprechen!«

Negoro und Harris hatten sich am Fuße der Banane wieder niedergesetzt. Der Portugiese fuhr also fort:

»Achtzehn Monate lang vegetirte ich in Auckland. Nach Ankunft des Dampfers konnte ich unbemerkt von Bord gehen; aber keinen Piaster, keinen Dollar in der Tasche! Um leben zu können, mußte ich jedes Geschäft ergreifen...

– Auch das eines ehrlichen Mannes, Negoro?

– Wie Du sagst, Harris.

– Armer Junge!

– Ich wartete dabei immer auf eine Reisegelegenheit, welche doch gar nicht kommen wollte, bis der Walfischfänger, der »Pilgrim«, im Hafen von Auckland einlief.

– Derselbe, der an der Küste von Angola auffuhr?

– Derselbe, Harris, und auf dem gleichzeitig Mrs. Weldon, ihr Kind und ihr Vetter überfahren wollten. Als gefahrener Seemann, denn ich war ja selbst einmal zweiter Officier an Bord eines Sklavenschiffes, brachte es mich nicht in Verlegenheit, auf einem Fahrzeuge Dienst zu nehmen. Ich stellte mich demnach dem Kapitän des »Pilgrim« vor, dessen Mannschaft freilich schon complet war. Zu meinem Glücke hatte sich der Koch der Brigg-Goëlette heimlich davon gemacht. Einen Seemann, der nicht in der Küche Bescheid wüßte, giebt es bekanntlich nicht. Ich bot mich also als Schiffskoch an. In Ermangelung eines Besseren wurde ich als solcher angestellt und wenige Tage darauf schon hatte der »Pilgrim« Neu-Seeland außer Sicht verloren.

– Nach dem aber, warf Harris ein, was mein junger Freund gelegentlich erzählte, segelte der »Pilgrim« keineswegs nach der Küste von Afrika. Wie kam er nun hierher?

– Das wird Dick Sand freilich noch nicht durchschaut haben und es voraussichtlich niemals einsehen, antwortete Negoro; Dir, Harris, will ich's jedoch erklären, und wenn Dir's Vergnügen macht, kannst Du es Deinem jungen Freunde ja einmal wieder mittheilen.[242]

– Also wie? fragte Harris noch einmal, erzähle, Kamerad!

– Der »Pilgrim«, begann Negoro, steuerte auf Valparaiso. Als ich mich einschiffte, dachte ich auch nur, dadurch bis Chile zu gelangen. Das war immerhin die gute Hälfte des Weges von Neu-Seeland nach Angola und ich näherte mich damit der Küste Afrikas ja um mehrere tausend Meilen. Da traf es sich, daß Kapitän Hull, der Befehlshaber des »Pilgrim«, drei Wochen nach der Abfahrt von Auckland bei Gelegenheit einer Walfischjagd mit der ganzen Mannschaft zu Grunde ging! Seitdem befanden sich nur noch zwei eigentliche Seeleute an Bord, der Leichtmatrose und der Koch Negoro.

– Und Du übernahmst die Führung des Schiffes? fragte Harris.

– Daran dachte ich wohl im ersten Augenblick, doch ich sah, daß man mir nicht traute. An Bord befanden sich nämlich auch fünf stämmige, freie Neger. Ich hätte mich nicht als Befehlshaber behaupten können und blieb nach reiflicher Ueberlegung, was ich vorher gewesen, der Koch auf dem »Pilgrim«.

– Demnach wäre das Schiff nur zufällig nach der Küste Afrikas gelangt?

– O nein, Harris, antwortete Negoro, dem Zufall ist hierbei nichts weiter zu verdanken, als daß ich Dich auf einem Deiner Streifzüge gerade an demjenigen Küstenpunkte treffen mußte, wo der »Pilgrim« scheiterte. Daß wir aber nach Angola gekommen sind, das geschah nach meinem unbemerkt wirkenden Willen. Dein junger Freund ist noch etwas gar zu sehr Neuling in der Navigation und vermochte seine Position nur mittelst Log und Boussole zu bestimmen. Nun, siehst Du, eines Tages ging das Log auf den Grund und in einer dunklen Nacht ward der Compaß in seiner Weisung gestört, so daß der von heftigem Sturme getriebene »Pilgrim« einen falschen Kurs einhielt. Die lange Dauer der Ueberfahrt erschien Dick Sand freilich unbegreiflich, was dem erfahrensten Seemanne nicht anders ergangen wäre. Ohne daß unser Leichtmatrose es wissen oder nur muthmaßen konnte, ward das Cap Horn doublirt, wobei ich es übrigens mitten im Nebel ganz sicher erkannte. Nachher nahm die Compaßnadel durch meine Veranstaltung wieder die wahre Richtung an und das von einem beispiellosen Orkane gejagte Schiff flog nach Nordosten und ging an der Küste von Angola, nach der ich ja zu gelangen strebte, jämmerlich zu Grunde.[243]

– Und genau zu der Zeit, Negoro, fuhr nun Harris fort, führte mich der Zufall eben dorthin, um Dich zu empfangen und jene wackeren Leute in's Innere zu führen. Sie glaubten – sie konnten ja nicht anders – in Amerika zu sein, und es gelang mir leicht, diese Provinz für Unter-Bolivia auszugeben, mit der sie wirklich einige Aehnlichkeit hat.

– Gewiß, sie glaubten das ebenso, wie Dein junger Freund die Osterinsel vor sich zu haben wähnte, als wir Tristan d'Acunha in Sicht hatten!

– Darin hätte sich jeder Andere ebenso getäuscht, Negoro.

– Ich weiß, Harris, und ich rechnete nicht wenig darauf, aus diesem Irrthum Nutzen zu ziehen. Nun, jetzt haben wir ja Mistreß Weldon und ihre Begleiter hundert Meilen im Innern von Afrika, wohin ich sie bringen wollte.

– Aber, meinte Harris, sie wissen nun, wo sie sind.

– O, das hat jetzt auch nichts mehr zu bedeuten! rief Negoro.

– Und was denkst Du mit ihnen zu beginnen? fragte Harris.

– Was ich mit ihnen anfange, wiederholte Negoro... Ja, bevor wir davon sprechen, erzähle Du mir von unserem alten Herrn, dem Sklavenhändler Alvez, den ich seit zwei Jahren nicht gesehen habe.

– O, der alte Spitzbube befindet sich vorzüglich gut, sagte Harris, und wird sich freuen, Dich wieder zu sehen.

– Ist er etwa auf dem Markte in Bihe? fragte Negoro.

– Nein, Kamerad, seit einem Jahre verlegte er sein Etablissement nach Kazonnde.

– Und das Geschäft blüht?

– Ja, bei allen Teufeln! rief Harris, obwohl der Sklavenhandel, mindestens an dieser Küste, von Tag zu Tag schwieriger wird. Die portugiesischen Behörden auf der einen und die englischen Kreuzer auf der anderen Seite bereiten dem Export immer mehr Schwierigkeiten. Nur in der Umgebung von Messamedes, im Süden von Angola, ist die Einschiffung von Negern noch mit einiger Aussicht auf Erfolg zu versuchen. Eben jetzt sind die Baracken vollgestopft mit Sklaven, welche die Schiffe zu ihrer Ueberführung nach spanischen Besitzungen erwarten. Sie über Benguela oder San Pablo de Loanda zu führen, ist jetzt rein unmöglich. Die Gouverneure[244] nehmen keine Vernunft mehr an, und die Chefs (Titel der portugiesischen Statthalter in den Niederlassungen zweiten Ranges) ebenso. Man mußte sich aus diesem Grunde nach den Factorien des Binnenlandes wenden, und das gedenkt der alte Alvez ebenfalls zu thun. Er will nun längs des N'yangwe und Taganyika seine Stoffe gegen Elfenbein und Sklaven austauschen. Mit Ober-Egypten und der Küste von Mozambique, welche Madagaskar versorgt, sind noch immer gute Geschäfte zu machen. Immerhin fürchte ich, wird die Zeit kommen, da es mit dem Sklavenhandel zu Ende ist. Die Missionäre dringen immer weiter vor und untergraben uns den Boden. Dieser Livingstone, den Gott verderben möge, will sich, wie man sagt, nach Durchforschung des Gebietes der großen Seen nach Angola wenden. Dann verlautet auch von einem Lieutenant Cameron, er wolle den Continent von Osten nach Westen durchwandern. Nebenbei fürchtet man von dem Amerikaner Stanley dasselbe. Diese Besuche müssen unsere Operationen unzweifelhaft schädigen, Negoro, und wenn wir noch eine Empfindung für unsere Interessen besitzen, darf keiner jener Reisenden nach Europa zurückkehren, um dort indiscreter Weise zu berichten, was er in Afrika gesehen hat!«

Glaubt man nicht, wenn man diese Schurken so reden hört, die Verhandlungen achtbarer Kaufleute zu vernehmen, deren Thätigkeit eine Handelskrise für den Augenblick bedroht und lahm legt? Wer kommt auf den Gedanken, daß es sich hier statt um Kaffeeballen und Zuckerfässer um den Export menschlicher Wesen handelt? Für Recht und Unrecht haben diese Sklavenhändler kein Gefühl. Die Moral fehlt ihnen ganz und gar, und besäßen sie solche zuerst wirklich, inmitten der teuflischen Grausamkeiten des afrikanischen Negerhandels ginge sie ihnen doch schnell und unmerklich verloren.

Darin allerdings hatte Harris Recht, daß die Civilisation dem Fuße jener kühnen Pionniere, deren Namen unaufhörlich mit der Geschichte der Erforschung des äquatorialen Afrika verwebt sind, langsam, aber stetig nachfolgt. Voran David Livingstone, nach ihm Grant, Speke, Vogel, Burton, Cameron, Stanley – Alle hinterlassen den unvergänglichsten Nachruhm als opferfreudige Wohlthäter der Menschheit.

Harris kannte jetzt die letzten zwei Jahre aus dem Leben Negoro's. Der langjährige Agent des Sklavenhändlers Alvez, der Flüchtling aus dem Bagno von Loanda, erschien noch ganz ebenso, wie er sich früher gezeigt,[245] d.h. bereit und entschlossen zu Allem. Noch wußte Harris jedoch nicht, was Negoro mit den Schiffbrüchigen vom »Pilgrim« im Sinne hatte und fragte ihn deshalb darüber.

»Was denkst Du nun, sagte er, mit jenen Leuten zu beginnen?

– Ich trenne sie zunächst in zwei Theile, antwortete Negoro im Tone eines Mannes, dessen Plan schon lange im Kopfe fertig ist, erstens diejenigen, welche als Sklaven verkauft werden sollen, und die...«

Der Portugiese vollendete seinen Satz zwar nicht, doch seine trotzig wilde Physiognomie sprach für ihn deutlich genug.

»Welche von jenen denkst Du zu verkaufen? fragte Harris.

– Natürlich die Neger, welche Mistreß Weldon begleiten, erklärte Negoro. Der alte Tom hat vielleicht keinen großen Werth, die anderen Bier aber sind stämmige Burschen, aus denen auf dem Markte zu Kazonnde ein gut Stück Geld herauszuschlagen ist.

– Das will ich glauben, Negoro! stimmte Harris bei, das sind ja vier wohlgebaute, an Arbeit gewöhnte Neger, welche sich von dem aus dem Inneren kommenden – Vieh recht vortheilhaft unterscheiden. Gewiß, diese wirst Du theuer verkaufen. In Amerika geborne und nach dem Markte von Kazonnde abgeführte Sklaven sind eine seltene Waare! – Doch, setzte der Amerikaner hinzu, Du sagtest mir noch gar nicht, ob sich an Bord des »Pilgrim« nicht auch einiges Geld vorfand?

– O, nur wenige hundert Dollars, die ich zu retten vermochte. Zum Glück rechne ich auf gewisse Einkünfte...

– Und welche denn, Kamerad? fragte Harris neugierig.

– Ah, nichts... nichts! antwortete Negoro, der schon zu bedauern schien, daß er mehr, als ihm lieb war, gesprochen hatte.

– Es bleibt also unsere nächste Aufgabe, diese ganze Waare für möglichst hohen Preis abzusetzen, sagte Harris.

– Sollte das so schwer sein? fragte Negoro.

– Nein, Kamerad. An der Coanza, nur zehn Meilen von hier, lagert eine von dem Araber Ibn Hamis geführte Sklaven-Karawane, welche nur meine Rückkehr abwartet, um nach Kazonnde aufzubrechen. Dort befinden sich mehr eingeborne Soldaten, als zur Gefangennahme Dick Sand's und seiner Genossen nöthig sind. Dazu gehörte also nur, daß mein junger Freund auf den Gedanken käme, sich nach der Coanza zu wenden...[246]

– Wird das aber der Fall sein? fragte Negoro.

– Gewiß, behauptete Harris, da er intelligent ist und die ihm hier drohende Gefahr nicht argwöhnen kann. Dick Sand kann gar nicht daran denken, auf dem von uns gemeinschaftlich verfolgten Wege zurückzukehren; er müßte sich inmitten jener unbegrenzten Wälder verirren. Ohne Zweifel wird er also einen nach der Küste zu strömenden Fluß zu erreichen und auf diesem mittelst Flosses abwärts zu fahren versuchen. Er kann keinen anderen Ausweg ergreifen, er wird es thun.

– Ja... vielleicht!... meinte Negoro nachdenklich.

– Nicht »vielleicht«, »bestimmt« mußt Du sagen, erwiderte Harris. Siehst Du, Negoro, das liegt Alles so, als hätte ich mit meinem jungen Freunde am Ufer der Coanza ein Stelldichein verabredet.

– Gut denn, antwortete Negoro, brechen wir also auf! Ich kenne Dick Sand. Er wird keine Stunde zögern; wir müssen ihm zuvorkommen.

– Vorwärts, Kamerad!«

Harris und Negoro erhoben sich, als das Geräusch, das die Aufmerksamkeit des Portugiesen schon einmal erregt hatte, sich von Neuem hören ließ. Es rührte von einer Bewegung der Stengel in den hohen Papyrusstauden her.

Negoro stand still und ergriff Harris' Hand.

Plötzlich ließ sich ein verhaltenes Knurren vernehmen. An dem schrägen Bachesufer erschien, zum Sprunge bereit, ein Hund mit geöffneter Schnauze.

»Dingo! rief Harris.

– Ah, diesmal soll er mir nicht davon kommen!« antwortete Negoro.


Dingo verschwand zwischen der Doppelwand von Büschen. (S. 247.)
Dingo verschwand zwischen der Doppelwand von Büschen. (S. 247.)

Eben wollte sich Dingo auf ihn stürzen, als Negoro, der Harris' Gewehr ergriffen hatte, schnell anlegte und Feuer gab.

Ein langes, schmerzliches Geheul antwortete dem Krachen des Schusses und Dingo verschwand zwischen der Doppelwand von Büschen am Ufer des Baches.


 »Ihr habt das Brüllen gehört?« (S. 252.)
»Ihr habt das Brüllen gehört?« (S. 252.)

Negoro eilte sofort nach jener Stelle.

An den Papyrusstengeln zeigten sich einzelne Blutflecken und eine lange röthliche Spur verlief über die Kiesel des Baches.[247]

»Endlich hat das verdammte Thier seine Rechnung bezahlt bekommen!« rief Negoro.

Ohne ein Wort zu sprechen, hatte Harris dem ganzen Vorgange beigewohnt.

»Alle Kuckuck, Negoro, sagte er, der Hund schien es ganz besonders auf Dich abgesehen zu haben?[248]

– So scheint es, Harris, doch letzt hat er seinen Theil.

– Und warum hegte er einen solchen Haß gegen Dich, Kamerad?

– O, das rührt noch von einer alten Geschichte zwischen ihm und mir her.

– Von einer alten Geschichte?...« wiederholte Harris.[249]

Negoro gab keine weitere Antwort und Harris schloß daraus, daß ihm der Portugiese irgend einen Vorfall aus der Vergangenheit verheimlicht habe; doch ließ er die Sache ruhen.

Wenige Minuten später wandten sich Beide von dem Bette des Baches weg quer durch den Wald nach der Coanza.

Quelle:
Jules Verne: Ein Kapitän von fünfzehn Jahren. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXVII–XXVIII, Wien, Pest, Leipzig 1879, S. 236-250.
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