Zweites Kapitel.

Ein öffentlicher Wettbewerb.

Morgans erste Sorge am folgenden Morgen, am 26. April, war es, das Plakat wieder aufzusuchen, das ihm am Tage vorher gleichsam als Dolmetscher der Vorsehung in die Augen gefallen war. Ja, diesen Weg mußte er unbedingt machen.

Die Straße fand er leicht wieder, ebenso die Strecke der düstern Mauer und die Stelle, wo er vom Platzregen so tüchtig eingeweicht worden war, das Plakat selbst war aber schwerer wieder zu erkennen. Obwohl sein Format noch dasselbe war, hatte es doch ein ganz verändertes Aussehen. Der vorher graue Grund sah jetzt schreiend blau aus und die früher schwarzen Buchstaben leuchteten in blendendem Scharlachrot. Das Bakersche Reisebureau hatte es jedenfalls erneuert, da die Anstellung Morgans die letzte Zeile mit dem Gesuch eines sprachkundigen Führers überflüssig gemacht hatte.

Er suchte danach nahe dem untern Rande des großen Blattes. Plötzlich schnellte er erstaunt in die Höhe.

Eine angefügte Zeile fand sich da nämlich auch heute, sie lautete jedoch wesentlich anders, denn sie meldete, daß ein Begleiter, der »aller Sprachen mächtig« sei, für die Lustreise gewonnen wäre.

»Aller Sprachen! rief Morgan; davon habe ich doch kein Sterbenswörtchen gesagt!«

Da wurde er schon in der Kundgebung seiner Unzufriedenheit durch eine weitere Entdeckung unterbrochen: als er die Blicke über den obern Teil des Plakates schweifen ließ, bemerkte er da die Firma eines Kompagniegeschäftes, auf der der Name Bakers nicht vorkam.

»Agentur Thompson and Co.«, las der junge Mann voller Erstaunen, und erkannte nun, daß die Mitteilung wegen des Dolmetschers sich nicht auf ihn beziehen konnte.

Das vorliegende Rätsel sollte er bald lösen. Wenn ihm die Sache überhaupt einen Augenblick rätselhaft erschienen war, lag das daran, daß die Farben,[12] die dieser Thompson gewählt hatte, auf Kosten der Umgebung unwiderstehlich die Augen auf sich zogen. Zur Seite dieser neuen Ankündigung befand sich, Rand an Rand, noch immer das Plakat Bakers.

»Schön, sagte Morgan für sich, als er die Blicke wieder dem andern weitleuchtenden Maueranschlag zuwendete. Warum habe ich den aber gestern nicht bemerkt? Na, wenn zwei Plakate vorhanden sind, werden wohl auch zwei Lustfahrten geplant sein.«

Durch eine flüchtige Vergleichung kam er darüber bald ins Reine. Außer der Firmenangabe, dem Namen des Schiffes und dem des Kapitäns waren die beiden Plakate einander völlig gleich: der vorzügliche Dampfer The Seamew trat hier an Stelle des ausgezeichneten Dampfers The Traveller, und der tüchtige Kapitän Pip folgte hier, d. h. auf dem neuen Plakate, dem erprobten Kapitän Mathews, das war der ganze Unterschied. Im übrigen war das zweite Plakat nur ein Nachdruck des ersten.

Es handelte sich also um zwei, von verschiedenen Unternehmern in Aussicht genommene Fahrten.

»Etwas auffällig und merkwürdig,« dachte Morgan, ohne recht zu wissen warum.

Seine Unruhe wuchs aber noch, als er auch noch einen vierten und letzten Unterschied der beiden Ankündigungen entdeckte.

Während Baker and Co. von ihren Passagieren 78 Pfund Sterling verlangten, begnügten sich Thompson and Co. mit 76.1 Der geringe Preisunterschied von zwei Pfund Sterling (40 M. oder 49 K 40 h österr. W.) konnte aber doch in den Augen vieler Leute die Wagschale zugunsten dieser Seite senken. Man sieht, Morgan vertrat schon die Interessen seiner »Chefs«.

Die Sache beschäftigte ihn dermaßen, daß er schon am Nachmittage die Zwillingsplakate wieder aufsuchte. Was er da sah, beruhigte ihn jedoch: Baker nahm den Kampf auf.

Sein weniger auffallendes Plakat war durch ein neues ersetzt, das jedermann noch mehr in die Augen stach, als das der konkurrierenden Agentur. Was den Fahrpreis betraf, war der Thompsons nicht nur erreicht, sondern sogar noch unterboten. Baker verkündigte urbi et orbi, daß er die Vergnügungsreise nach den Archipelen für 75 Pfd. Sterl. (1500 M. = 1765 K österr. W.) anböte.[13]

Morgan legte sich daraufhin sorglos zum Schlummer nieder. Nichtsdestoweniger war der Wettstreit noch nicht zu Ende. Thompson and Co. konnte ja auf die letzte Ankündigung mit einer weitern Herabsetzung des Fahrpreises antworten.

Am nächsten Morgen erkannte er auch wirklich, daß seine Befürchtungen begründet waren. Schon früh um acht war quer über das Plakat Thompsons ein weißer Papierstreifen geklebt, der nur die Worte enthielt:

»Preis der Fahrt, alle Unkosten inbegriffen, 74 Pfd. Sterl.«2

Die neue Herabsetzung erschien jedoch weniger beunruhigend. Da Baker den Fehdehandschuh einmal aufgenommen hatte, würde er sich ja auch weiter verteidigen. Und richtig, während Morgan im Laufe des Tages die Plakate sorgsam im Auge behielt, sah er, wie immer wieder nur weiße Streifen aufgeklebt wurden, deren letzter stets die frühern bedeckte.

Halb elf Uhr erniedrigte die Agentur Baker ihren Preis bis auf 73 Pfund Sterling, fünfzehn Minuten nach zwölf verlangte Thompson nur noch 72 Pfd., um ein Uhr vierzig Minuten erklärte Baker, daß eine Summe von 71 Pfd. völlig hinreichen werde, an der Lustfahrt teilnehmen zu können, und Punkt drei Uhr versicherte Thompson, 70 Pfd. (1400 M. = 1647 K) wären dazu übrig genug.

Allmählich singen alle Vorübergehenden an, sich, belustigt durch die Schlag auf Schlag erfolgenden Unterbietungen, für den Wettkampf zu interessieren. Sie blieben ein paar Augenblicke stehen, warfen einen Blick auf die großen Anschlagzettel, lächelten und gingen dann weiter.

Der Kampf, bei dem Angriff und Abwehr einander die Wage hielten, ging inzwischen lustig weiter, der Tag endete jedoch mit einem Siege der Agentur Baker, die zuletzt nicht mehr als 67 Pfd. (1340 M. = 1576 K 50 h österr. W.) verlangt hatte.

Nun bemächtigten sich die Tageszeitungen der Angelegenheit, die sie übrigens ziemlich verschieden beurteilten. Die Times z. B. tadelten das Reisebureau Thompson and Co., diesen wilden Krieg veranlaßt zu haben. Die Pall Mall Gazette und mit ihr das Daily Chronicle billigten dessen Vorgehen. Zuletzt hätte ja doch das Publikum den Nutzen von dieser scharfen Konkurrenz.

Doch, wie dem auch sein mochte: ungemein vorteilhaft mußte die seltsame Reklame für die der beiden Firmen ausfallen, die den endlichen Sieg davontragen[14] würde. Das wurde schon vom Morgen des 28. an offenbar. Die Plakate waren an diesem Tage ununterbrochen von einer dichten Menschenmenge belagert, unter der schlechte Witze hin- und herflogen.

Der Kampf ging inzwischen nur noch hitziger, man könnte sagen, zum Handgemenge ausgeartet weiter. Jetzt verlief nicht mehr als eine Stunde zwischen Angriff und Gegenangriff, und die weißen Streifen häuften sich allmählich zu ansehnlicher Dicke übereinander.

Gegen Mittag konnte die Agentur Baker auf Grund ihres letzten Angebotes ruhig frühstücken. Ihrer Berechnung nach konnte die Reise nun schon für den Preis von 61 Pfd. (1220 M. = 1435 K österr. W.) bestritten werden.

»Ich dächte gar! So viel Geld! rief ein rassereiner Londoner, ich nehme mein Billett nicht eher, als bis es für eine Guinee (21 M. 45 Pf. = 25 K österr. W.) zu haben ist. Merken Sie meine Adresse: 175, White Chapel, Toby Laupher... Esquire!« setzte der Mann, die Backen aufblasend, hinzu.

Ein schallendes Gelächter belohnte den Possenreißer. Besser unterrichtete Leute, als dieser Londoner Pflastertreter, hätten jedoch, gleich ihm und mit größerem Rechte, wohl auf einen solchen Preissturz rechnen können. Dafür lieferte ja z. B. der wütende Wettbewerb amerikanischer Eisenbahnen, wie die der Lake-, Shore- und Nickel-Plate-Gesellschaft, schlagende Beweise, vorzüglich aber der verzweifelte Kampf zwischen den Trunklinien, bei dem die Gesellschaften zuletzt den Fahrpreis über die 1700 Kilometer lange Strecke zwischen New York und Saint-Louis bis auf einen einzigen Dollar (4 M. 20 Pf. = K österr. W.) herabgesetzt hatten!

Wenn die Agentur Baker auf Grund ihres letzten Vormittagsangebotes ruhig frühstücken konnte, so konnte das Reisebureau Thompson sich am Abend ebenso ruhig zum Schlafe niederlegen. Doch, um welchen Preis! Zu dieser Stunde konnte sich an der Reise beteiligen, wer nur 56 Pfd. (1120 M. = 1300 K österr. W.) im Vermögen hatte.

Als dieses Angebot öffentlich bekannt gegeben wurde, war es kaum Nachmittag fünf Uhr. Baker hätte also noch Zeit gehabt, dagegen in die Bresche zu springen. Es erfolgte aber nichts dergleichen. Ermüdet von dem eintönigen Wettstreit, ruhte er jedenfalls einmal aus, ehe er zu einem letzten Schlage ausholte.

Das vermutete wenigstens Robert Morgan, der sich für diesen neumodischen Wettlauf leidenschaftlich interessierte.[15]

Die weitere Entwicklung der Sache sollte ihm recht geben. Am Morgen des 29. stand er vor den Plakaten, als die Zettelträger der Agentur Baker einen letzten Streifen darauf hefteten. Diesmal war der Anfall noch heftiger. Mit einem einzigen Abschlag um 6 Pfd. (120 M. = 141 K österr. W.) fiel der Preis auf runde 50 Pfd. Sterl. (1000 M. = 1176 K österr. W). Thompson and Co. sollten offenbar niedergeschmettert werden; konnten sie denn vernünftigerweise auch nur noch um einen Shilling heruntergehen?

Der Tag verging auch wirklich, ohne daß sie ein Lebenszeichen von sich gaben. Robert Morgan hielt die Schlacht für gewonnen.

Da überraschte ihn aber am 30. eine schlimme Enttäuschung. In der Nacht war das Plakat Thompsons entfernt und durch ein neues, so grellfarbiges ersetzt worden, daß es einem fast in die Augen stach. Auf dem Blatte in Groß-Elefantformat las man aber in übergroßen Lettern die Worte:

Fahrpreis, alle Unkosten inbegriffen, 40 Pfd. Sterl. (800 M. = 983 K)

Wenn Baker gehofft hatte, Thompson niederzuschmettern, so hatte dieser seinen Gegner jetzt zerquetschen wollen... und das war ihm auch bestens gelungen.

Tausend Francs für eine Reise von siebenunddreißig Tagen, das heißt also für den Tag ungefähr siebenundzwanzig Francs (212/3 M. = 253/4 K)! Ein Minimum, das doch wirklich nicht noch weiter herab gedrückt werden konnte. Damit schien sich auch die Agentur Baker abgefunden zu haben, denn der ganze Tag verstrich, ohne daß man von ihr etwas zu sehen oder zu hören bekam.

Morgan hoffte noch immer. Er erwartete für morgen einen entscheidenden, mörderischen Überfall. Ein Brief aber, den er noch denselben Abend erhielt, raubte ihm auch diese Illusion.

Ohne weitere Erklärung ersuchte man um sein Erscheinen am nächsten Morgen, am 1. Mai, früh neun Uhr, und nach den ihm bekannten Vorgängen konnte er von dieser Aufforderung gerade nichts Gutes erwarten.

Natürlich fand er sich in der Agentur zur bestimmten Stunde ein.

»Mir ist dieser Brief hier zugegangen,« begann er, sich an den Subdirektor wendend, der ihn zum zweiten Male empfing.

Der unterbrach ihn aber; er war ein Feind unnützer Worte.

»Ja ja.... schon richtig. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, daß wir auf die Reise nach den drei Inselgruppen verzichtet haben.

– Was Sie sagen! rief Morgan, erschreckt über die Ruhe, womit ihm diese Neuigkeit verkündigt wurde.[16]

– Ja, so ist es; und wenn Sie einige der betreffenden Plakate gesehen haben....


 »Ich nehme mein Billett nicht eher, als bis es für eine Guinee zu haben ist!« (S. 15.)
»Ich nehme mein Billett nicht eher, als bis es für eine Guinee zu haben ist!« (S. 15.)

– Gewiß hab' ich die gesehen, fiel Morgan ein.

– Nun, so werden Sie auch begreifen, daß wir auf diesem Wege nicht weiter mitgehen konnten. Für den Preis von vierzig Pfund zu einer.... na, wie soll ich sagen.... zu einer Prellerei entweder für das Bureau oder für die Reisenden, wahrscheinlich jedoch für beide. Wer unter diesen Verhältnissen[17] ein solches Anerbieten zu machen wagt, der ist entweder ein Schwindler oder ein Dummkopf. Etwas dazwischen gibt es nicht!

– Nun aber das Thompsonsche Bureau? warf Morgan ein.

– Das Thompsonsche Reisebureau, erklärte der Subdirektor mit scharfer Betonung, steht entweder unter der Leitung eines Possenreißers, der Dummheiten macht, oder unter der eines Dummkopfs, der sich einen Possenstreich erlaubt. Dazwischen kann man ja wählen.«

Robert Morgan mußte unwillkürlich lachen.

»Doch Ihre Reisenden? fragte er noch.

– Die haben ihre Anzahlung, und um sie zu entschädigen, sogar doppelt, schon durch die Post wiedererhalten, und was Sie betrifft, wollte ich eben jetzt die Sache in Ordnung bringen«

Robert Morgan verzichtete jedoch auf eine Entschädigung. Für eine geleistete Arbeit Bezahlung anzunehmen, das war ja selbstverständlich, irgendwie aber die Schwierigkeiten der Agentur, die ihn engagiert hatte, spekulativ auszubeuten, das verbot ihm sein Feingefühl denn doch.

»Sehr hübsch von Ihnen, erwiderte der Subdirektor, ohne auf diese Sache weiter einzugehen. Übrigens kann ich Ihnen dafür wenigstens einen guten Rat geben.

– Und der wäre?

– Nun, ganz einfach der, stellen Sie sich in dem Reisebureau von Thompson und Kompagnie vor, und übernehmen Sie da die Rolle, die Ihnen bei uns zugedacht war. Ich ermächtige Sie auch, sich dort auf unsre Agentur zu berufen.

– Das ist leider zu spät, antwortete Morgan, die Stelle ist schon besetzt.

– Bah!... Schon?... Woher wissen Sie das?

– Von den Plakaten. Das Thompsonsche Bureau erwähnt darauf schon einen Dolmetscher, mit dem ich mich voraussichtlich nicht messen könnte.

– Das haben Sie also nur durch die Plakate erfahren?

– Nur durch diese.

– O, in diesem Falle, schloß der Subdirektor sich erhebend, versuchen Sie nur getrost Ihr Glück; es wird noch nicht zu spät sein.«

Robert Morgan befand sich – sehr niedergeschlagen – wieder auf der Straße. Die Stelle, die er kaum erhalten hatte, war ihm ja entgangen. So schlenderte er aufs neue ziellos dahin, denn wozu sollte es dienen, dem Rate[18] der Agentur Baker zu folgen. Der Platz würde ja doch nicht mehr frei sein. Und doch, war er nicht fast gezwungen, jeder Aussicht, die ihm zu winken schien, nachzugehen?

In dieser Unentschlossenheit ließ er sich einfach vom Zufall führen. Der Himmel hatte ihn aber entschieden unter seinen besondern Schutz genommen, denn plötzlich, auf einem benachbarten Turme schlug es eben zehn, sah er sich vor den Bureaux von Thompson and Co. stehen.

Ohne große Hoffnung öffnete er die Tür und gelangte dann sofort in eine geräumige, luxuriös ausgestattete Vorhalle, die durch eine halbkreisförmige Wand mit vielen Schalterfenstern – gewiß wenigstens fünfzehn – abgeschlossen war. Durch eines davon – übrigens das einzige, das offen stand – konnte man einen jungen Mann sehen, der ganz in seine Arbeit vertieft zu sein schien.

In der Mitte des für das Publikum bestimmten Raumes ging ein Mann, der einen Prospekt las und dazu Anmerkungen niederschrieb, mit großen Schritten auf und ab. An der Hand, die den Bleistift hielt, schimmerten drei Ringe, einer am kleinen und zwei am Ringfinger, an der, die das Papier hielt, glänzte noch ein vierter. Von Mittelgröße und untersetzter Gestalt, wandelte der Mann lebhaft hin und her, so daß seine schwere goldene Kette mit vielen Anhängseln über seinem etwas hervortretenden Bauche klimperte. Bald senkte sich sein Kopf tiefer auf das Papier, bald wandte er sich der Decke der Halle zu, als wollte er dort Erleuchtung suchen. Alle seine Bewegungen waren heftig. Offenbar gehörte er zu den stets erregten, unruhigen Persönlichkeiten, die sich nur wohl fühlen, sobald ihnen etwas Ungewöhnliches zustößt oder sie größere Schwierigkeiten zu überwinden haben.

Am auffallendsten erschien an ihm, daß er Engländer war. Nach seiner Wohlbeleibtheit, der dunkeln Färbung seiner Haut, dem pechschwarzen Schnurrbart und dem allgemeinen Eindruck von seiner, scheinbar immer unter Dampfdruck stehenden Persönlichkeit hätte man ihn weit eher für einen Italiener gehalten. Das einzelne würde den Eindruck von der ganzen Erscheinung nur bestätigt haben, die lächelnden Augen und die etwas aufgestülpte Nase ebenso, wie die unter dichten, krausen Haaren abfallende Stirn, alles verriet so etwas wie eine ein wenig vulgäre Feinheit.

Als der Mann Robert Morgan bemerkte, machte er, seine Lektüre unterbrechend, Halt, ging dann auf ihn zu, grüßte mit überschwenglicher Freundlichkeit und begann sofort:[19]

»Wird uns vielleicht die Ehre zuteil, mein Herr, Ihnen in irgendwelcher Weise nützlich sein zu können?«

Morgan fand nicht gleich eine passende Antwort. Der andre fuhr darauf fort:

»Sie kommen doch wohl wegen unsrer Vergnügungsreise nach den drei Archipelen?«

– Ganz recht, sagte Morgan, doch...«

Da wurde er schon unterbrochen.

»Eine herrliche Reise, sage ich Ihnen, eine prächtige Reise! rief der redselige Mann. Und wir veranstalten sie für so wenig Geld wie möglich. Hier, mein Herr, betrachten Sie gefälligst diese Karte – er wies dabei nach einem großen Blatt an der Wand – da sehen Sie gleich, wohin die Fahrt überall gehen wird. Nun, und das alles bieten wir für wieviel? Für zweihundert Pfund? Für hundertfünfzig? Für hundert Pfund? Nein, lieber Herr, für die lächerliche Summe von vierzig Pfund Sterling, alles inbegriffen: Verpflegung ersten Ranges, einen prächtigen Dampfer mit den bequemsten Kojen, mein Herr; dazu Führer und Träger für alle Ausflüge und Unterkommen nur in Hotels erster Klasse!«

Er deklamierte seinen ganzen Prospekt.

Morgan versuchte vergeblich, diesen Redestrom zu hemmen. Halte nur einer einen Schnellzug auf, der unter Volldampf dahinsaust!

»Ja... ja wohl... Sie kennen diese Einzelheiten jedenfalls schon aus den Plakaten; dann werden Sie auch wissen, welch harten Kampf wir auszufechten gehabt haben. Aber einen für uns glorreichen Kampf, das kann niemand leugnen!«

Das wäre nun wohl noch stundenlang so weitergegangen, wenn Morgan, der allmählich die Geduld verloren hatte, dem nicht endlich Einhalt getan hätte.

»Habe ich die Ehre, Herrn Thompson zu sprechen? fragte er trockenen Tones.

– Er steht vor Ihnen und ist mit Vergnügen zu Ihren Diensten, antwortete der schwatzhafte Agent.

– Wollen Sie mir dann gefälligst sagen, ob es richtig ist, daß Sie, wie man mir versichert hat, für die Fahrt schon einen sprachkundigen Führer haben?

– Aber ich bitte Sie! rief Thompson. Zweifeln Sie vielleicht daran? Wie wäre eine solche Reise ohne einen gewandten Dolmetscher möglich? Natürlich haben wir einen, und zwar einen ganz vorzüglichen Dolmetscher, der alle Sprachen ohne Ausnahme beherrscht.[20]

– Dann, sagte Morgan, habe ich Sie nur wegen der Ihnen verursachten Störung um Entschuldigung zu bitten.

– Wieso? fragte Thompson etwas verdutzt.

– Ich wollte mich gerade um diese Stelle bewerben... doch da sie schon besetzt ist...«

Bei diesen Worten grüßte Morgan höflich und wendete sich schon der Türe zu.

Er erreichte sie jedoch nicht. Thompson war ihm nachgeeilt und sagte:

»Ah... deshalb kamen Sie also!... Man spricht sich aber doch aus, sapperment!... Was für ein kurz angebundener Mann! Doch gemach; wollen Sie mir gefälligst folgen.

– Wozu könnte das dienen?« entgegnete Morgan.

Thompson wiederholte seine Aufforderung.

»O, das weiß man nicht im voraus. Kommen Sie, kommen Sie nur mit mir.«

Morgan ließ sich nach der ersten Etage führen und hier in ein recht bescheiden ausgestattetes Zimmer, das sich von dem Luxus im Erdgeschosse auffallend unterschied. Darin befanden sich nur ein alter Mahagonitisch mit abgenutzter Politur und zwei Stühle mit Strohsitzen... nichts weiter.

Thompson setzte sich und bedeutete Morgan, sich ebenfalls zu setzen.

»Jetzt, wo wir unter vier Augen sind, begann er, gestehe ich Ihnen frank und frei, daß wir noch keinen Dolmetscher haben.

– Sie erklärten aber doch, warf Morgan ein, kaum vor fünf Minuten...

– O, fiel ihm Thompson ins Wort, das kann ja vor fünf Minuten gewesen sein, doch nur, weil ich Sie für einen Kunden ansah.«

Er lachte dazu so herzlich, daß Morgan, er mochte wollen oder nicht, seine Heiterkeit teilen mußte.

Thompson nahm gleich wieder das Wort.

»Der Platz ist also noch frei. Doch vor allen Dingen, haben Sie Empfehlungen?

– Ich glaube, die werden Sie nicht brauchen, wenn ich Ihnen sage, daß ich dieselbe Stellung erst vor einer Stunde bei der Agentur Baker und Kompagnie aufgegeben habe.

– Ah, Sie kommen von unserm Gegner, dem Baker?«

Robert Morgan mußte nun Punkt für Punkt berichten, was dort vorgegangen war.[21]

Thompson frohlockte. Die rivalisierende Agentur bis auf deren Dolmetscher zu schneiden, das war der Gipfel des Triumphs. Er lachte, klopfte sich auf die Schenkel, stand auf und setzte sich wieder, hielt aber niemals auf demselben Platze aus. Und dazu seine Ausrufe: »Herrlich! Prächtig! Verteufelt drollig!«

»Nun, wenn es so steht, fuhr er fort, nachdem er sich etwas beruhigt hatte, dann ist die Sache abgemacht. Doch sagen Sie mir, werter Herr, was war Ihre Tätigkeit, bevor Sie sich bei dem armen Baker meldeten?

– Ich war Lehrer... Professor nannte man mich, antwortete Morgan. Ich gab Unterricht in meiner Muttersprache.

– Und die war...? fragte Thompson weiter.

– Die französische.

– Schön, recht schön, bemerkte Thompson. Kennen Sie denn auch andere Sprachen?

– Das versteht sich, antwortete Morgan lachend, ich kenne sie zwar nicht »alle« wie ihr »vorzüglicher Dolmetscher«, doch wenigstens noch die englische Sprache, wie Sie ja hören, und außerdem die spanische und portugiesische Sprache. Das ist alles.

– Das ist ja wunderhübsch, rief Thompson, der sich nur auf englisch und das noch nicht einmal fehlerfrei ausdrücken konnte.

– Wenn Ihnen meine Kenntnisse genügen, so wäre der eine Punkt ja erledigt, sagte Morgan.

– Ja, so lassen Sie uns, fuhr Thompson fort, also ein wenig von Ihrem Honorare sprechen. Erscheint es indiskret, wenn ich frage, wieviel Sie bei Baker erhalten sollten?

– Keineswegs, antwortete Morgan. Mir war ein Gehalt von dreihundert Francs, alles frei, zugesagt.«

Thompson setzte eine nachdenkliche Miene auf.

»Ja ja, murmelte er, dreihundert Francs, das war ja nicht allzuviel.«

Damit erhob er sich vom Stuhle.

»Nein, wahrhaftig, gewiß nicht zu viel,« wiederholte er bestimmter.

Mit dieser Bemerkung setzte er sich wieder und vertiefte sich in die Betrachtung eines seiner Ringe.

»Da wir jedoch den Fahrpreis bis zur letztmöglichen Grenze – verstehen Sie recht, bis zur letztmöglichen – herabgesetzt haben, erscheint mir das Honorar doch ein bißchen hoch.[22]

– Da würde ich mir also eine Verminderung gefallen lassen sollen? fragte Morgan.

– Ja... vielleicht? flüsterte Thompson. Eine Verminderung... nur eine unwesentliche Verminderung.«

Thompson erhob sich und schritt im Zimmer umher.

»Mein Gott, ich stelle Ihnen das ganz anheim, lieber Herr. Sie hatten ja dem schweren Kampf beigewohnt, den wir mit diesen verdammten Bakers bestanden haben.

– Kurz, so daß also... unterbrach ihn Morgan.

– Nun ja, so daß wir schließlich auf fünfzig Prozent von dem ursprünglichen Preise verzichten mußten. Ist das nicht richtig, Verehrtester? Nicht ebenso richtig, wie daß zweimal zwei vier ist? Um uns aber dieses Opfer zu ermöglichen, müssen uns freilich auch unsere Mitarbeiter beistehen, müssen unserm Beispiele folgen, uns nachahmen...

– Das heißt, ihre Forderungen ebenfalls um fünfzig Prozent herabsetzen,« beendigte Morgan diesen Wink mit dem Zaunpfahle, während der Agent eine zustimmende Bewegung machte.

Morgan verzog etwas das Gesicht. Da pflanzte sich Thompson dicht vor ihm auf und öffnete wieder die Schleusen seines Redestromes.

Man müsse doch – so sagte er etwa – immer das allgemeine Interesse im Auge behalten, und läge hier nicht ein solches von großer Bedeutung vor? Eine früher so kostspielige Reise fast für nichts unternehmen zu können, so viele, sonst nur wenigen Bevorzugten zugängliche Vergnügungen der großen Masse zu ermöglichen, wäre das nicht ein Opfer wert?


 »Eine herrliche Reise, sage ich Ihnen, eine prächtige Reise!« (S. 20.)
»Eine herrliche Reise, sage ich Ihnen, eine prächtige Reise!« (S. 20.)

Hier handelte es sich ja um eine Frage hoher Philanthropie, der gegenüber ein angebornes gutes Herz doch nicht kalt und gleichgültig bleiben könne.

Morgan ließ sich durch diese schönen Reden nicht gleich rühren. Er überlegte sich die Sache erst reiflich, und wenn er darauf beschloß, die Flagge zu streichen, so geschah das mit zielbewußter Absicht.


Der Kapitän Pip.
Der Kapitän Pip.

Nach kurzer Verhandlung willigte er in das Honorar von hundertfünfzig Francs ein, und Thompson besiegelte den Vertrag durch einen warmen Händedruck.

Morgan begab sich, immerhin ziemlich befriedigt, auf den Heimweg. Obgleich seine erhoffte Einnahme sich stark vermindert hatte, blieb die Annehmlichkeit der Reise ja doch dieselbe, und alles in allem war sie von Vorteil für einen jungen Mann in so unsichrer Lage wie er. Nur eins war noch zu befürchten:[23] daß vielleicht noch eine dritte konkurrierende Firma auf den Plan träte und nach dieser etwa gar eine vierte usw. Kein Mensch könnte ja behaupten, daß der Wettkampf jetzt wirklich zu Ende sei.

Zu welch lächerlicher Summe schrumpfte dann aber das Honorar eines »sprachkundigen Führers« zusammen?[24]

Fußnoten

1 1520 M. = 1790 K österr. W.


2 1480 M. = 1741 K 50 h österr. W.


Quelle:
Michel Verne: Das Reisebüro Thompson und Comp. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XCI–XCII, Wien, Pest, Leipzig 1909.
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