Fünfzehntes Kapitel.

Schluß.

[476] Mit dem siegreichen Angriffe der französischen Soldaten geht die Geschichte der von der Agentur Thompson und Kompagnie so vorzüglich organisierten »Vergnügungs«-Reise tatsächlich zu Ende.

Bis Saint-Louis war der Weg ja recht schwierig und peinlich. Die den Mauren wieder abgenommene Beute mußte die Wanderung dahin aber wesentlich erleichtern. Da diese noch von den Meharas getragen wurde, konnte man den ganzen Wasservorrat der »Santa-Maria« mitnehmen, und wenn der erschöpft wäre, den Frauen und den Kranken ein bequemeres Fortkommen ermöglichen. Unter solchen verhältnismäßig guten Umständen gewannen Hamilton und Blockhead bald ihre frühere Gesundheit wieder und wurden schnell wieder zu dem, was sie vorher waren: der eine zum Optimisten, der andre zum nie zufriednen Brummbären.

Jack Lindsay war von den Europäern glücklicherweise das einzige Opfer, das das überraschende Scharmützel gefordert hatte. Da die Umstände seines plötzlichen Todes unbekannt geblieben waren, fehlte es der Mrs. Lindsay nicht an Beileidskundgebungen, und diese nahm den einstimmigen Ausdruck der Teilnahme auch so auf, daß das traurige Familiendrama ein Geheimnis blieb.

Kein andrer der Touristen war von einer Kugel der Mauren getroffen worden, und der angerichtete Schade beschränkte sich auf zwei so leicht verletzte Soldaten, daß sie schon drei Tage nach dem Vorfall ihren Dienst wieder aufnehmen konnten.

Nicht daß nicht jeder seine Pflicht getan hätte. Im Gegenteil hatte die kaum bewaffnete Schar der Schiffbrüchigen der kleinen Abteilung französischer Soldaten recht schätzenswerte Hilfe geleistet, und hatten sich alle, Morgan, Roger de Sorgues, Baker, Piperboomund der Pfarrer Cooley, selbst der spleenige Tigg, dessen Unerschrockenheit ganz besonders bemerkt wurde, in das tollste Kampfgewühl gestürzt.

Warum aber ein Leben, das man so hassenswert findet, doch so glühend verteidigen?[476]

»Sapperment, konnte sich Baker am Tage nach dem Kampfe nicht enthalten, ihm zuzurufen, das muß man anerkennen, daß Sie für einen, der sich aus dem Leben nichts macht, tüchtig ins Zeug gegangen sind!

– Doch warum, zum Teufel, sollte mir das Leben nicht wert sein? fragte Tigg mit sichtlicher Verwunderung.

– Weiß ich das? antwortete Baker. Ihre Gründe kenne ich ja nicht; ich glaube aber gern, daß Sie gute Gründe an dem Tage gehabt haben, wo sie in den Klub der Selbstmörder eintraten.

– Ich...?«

Baker, der jetzt an der Reihe war, zu erstaunen, sah sein Gegenüber mit mehr Aufmerksamkeit an, als er dem je vorher geschenkt hatte. Er war da gezwungen, zu gestehen, daß diese roten Lippen, diese lachlustigen Augen, dieses Gesicht mit den ruhigen, freundlichen Zügen nichts Todtrauriges an sich hatten.

»Nun, es steht aber doch fest, fuhr er fort, daß Sie die Absicht hatten, freiwillig aus dem Leben zu scheiden?

– Ist mir niemals eingefallen!

– Und daß sie Mitglied des Klubs der Selbstmörder sind!

– Welch tolle Idee!« rief Tigg, indem er unruhig den andern ansah, den er für etwas übergeschnappt hielt.

Dieser aber beruhigte ihn über seine Befürchtung durch die Mitteilung, wie und infolge welcher Umstände sich die von ihm eben wiedergegebene Meinung unter den Touristen festgesetzt hatte. Tigg lachte darüber unbändig.

»Ich weiß nicht, sagte er endlich, woher jene Zeitung ihre Nachricht genommen und auf wen sich der Buchstabe T zu beziehen hatte. Das eine steht fest: gewiß nicht auf mich, der vor allem danach trachtet, hundert Jahre, und wenn's geht, noch etwas älter zu werden.«

Die von Baker weitergetragene Erklärung rief unter der Karawane eine große Heiterkeit hervor. Nur Miß Beß und Miß Mary Blockhead schienen sie ganz anders aufzunehmen.

»Ja ja, wir wußten es recht gut, daß dieser Herr... antwortete Miß Mary ihrer Mutter, als diese ihr die überraschende Neuigkeit erzählte.

–... ein Betrüger wäre,« vollendete Miß Beß den Satz, indem sie die Lippen zusammenkniff.

Und beide warfen einen alles Wohlwollens baren Blick auf das frühere Objekt ihrer Zuneigung, auf Tigg, der gleichzeitig mit Miß Margaret Hamilton[477] in einem Gespräch unter vier Augen begriffen war, worin er dieser versicherte, daß er das Leben nur hassen würde, wenn er es ihr nicht widmen dürfte. Es sah aber kaum so aus, als ob Miß Margaret ihn in diese schlimme Lage zu versetzen gewillt wäre. Ja, es war daran kein Zweifel möglich, wenn man die ermutigende Weise sah, womit sie ihm zuhörte.

Außer den Misses Blockhead waren in der Karawane also alle glücklich, was ja sehr natürlich ist, wenn man einem so entsetzlichen Schicksale, wie das den Touristen drohende, eben mit knapper Not entgangen war. Morgan lebte im Anblick Alicens, Roger lachte vom Morgen bis zum Abend mit Dolly, Baker ließ seine Gelenke allegro knacken, und der Pfarrer Cooley schickte Dank gebete zum Himmel empor. Van Piperboom – aus Rotterdam – der aß. Nur zwei Gesichter blieben traurig unter all den heitern Gesichtern.

Der eine Träger eines solchen wandelte sorgenvoll zwischen den Gefährten umher, indem er an den Verlust einer gewissen Geldtasche dachte, den er ewig beweinen würde. Der andre, dem seine gewöhnliche Portion Alkohol fehlte, wunderte sich, daß er immer so nüchtern wäre, und meinte, im Weltall müsse da etwas aus den Fugen gegangen sein, oder wenigstens, die Erde möchte sich wohl nicht mehr drehen.

Da bot sich Thompson die Gelegenheit, das Glück vielleicht beim Schopfe ergreifen zu können. Johnson hätte sicherlich die verlorne Geldtasche für einen Vorrat der Getränkesorten ersetzt, an denen sein Herz so zärtlich hing. Leider hätte dem Kaufmann nur die Ware gefehlt, da der Anführer der französischen Hilfstruppe die Mitnahme von Alkohol nicht für nötig erachtet hatte.

Johnson mußte folglich auf seine Lieblingsgetränke verzichten, und das zwanzig Tage lang, die es dauerte, bis Saint-Louis erreicht wurde. Doch wie entschädigte er sich dafür! Kaum zwischen den Häusern der Stadt, hatte er seine Gefährten schon verlassen, und die, die ihm am Abend begegneten, sahen auf den ersten Blick, daß er die verlorne Zeit gewissenhaft eingeholt hatte.

Wenn auch nicht ohne Beschwerden, verlief die Rückreise unter dem Schutze der französischen Bajonette doch ohne Gefahr. Kein bemerkenswerter Unfall ereignete sich während der dreihundertfünfzig Kilometer langen Wanderung durch die Sahara.

In Saint-Louis fehlte es nicht an Teilnahme, alle Welt bemühte sich da, den so grausam geprüften Touristen auf jede Weise behilflich zu sein. Diese hatten es aber eilig, in ihr Vaterland und ihre Heimstätten zurückzukehren, und[478] bald beförderte ein bequemes Paketboot die Kunden der Agentur Thompson und auch den unglücklichen General-Unternehmer nach Hause.

Weniger als einen Monat, nachdem sie so glücklich den Mauren und den Tuaregs entgangen waren, landeten alle unversehrt am Kai der Themse.

Thompson gereichte das zu einer wahren Erleichterung; er sah sich endlich von Piperboom befreit. Der friedliebende Holländer, dessen Reiseeindrücke erraten zu haben sich keiner rühmen konnte, ließ seinen Pflegevater im Stiche, sobald er das Londoner Pflaster unter den Füßen spürte. Den Reisesack in der Hand, verschwand er in der nächsten Straße und sein Geheimnis mit ihm.

Seinem Beispiele folgten die übrigen Touristen und stoben auseinander, die einen zu neuem Vergnügen, die andern zu ihren Pflichten.

Der Pfarrer Cooley fand die Herde seiner Getreuen unverändert wieder, nachdem diese ihren Seelsorger schon längere Zeit beweint hatte.

Der Kapitän Pip, dem Artimon wie immer auf den Fersen blieb, Mister Bishop, Mr. Flyship und die andern Seeleute gingen nur ans Land, um sich schleunigst wieder dem unsichern Meere anzuvertrauen, und Mr. Roastbeaf und Mr. Sandweach zögerten auch nicht, sich wieder in den Dienst manchmal zufriedner und häufig unzufriedner Passagiere zu begeben.

Ehe er aber seine Freiheit wieder erlangte, mußte der Kapitän Pip noch die Dankesbezeugungen der frühern Touristen von der »Seamew« über sich ergehen lassen. Diese wollten ihren Kommandanten nicht verlassen, ohne ihm ihre Anerkennung für alles das auszudrücken, was er für sie getan hatte. Der Kapitän kam dadurch nur in Verlegenheit; er schielte auffallend und schwor beim Barte seiner Mutter, daß sein Artimon dasselbe auch getan haben würde. Aus seiner Zurückhaltung trat er nur ein wenig heraus, als er von Robert Morgan Abschied nahm. Er drückte ihm dabei die Hand mit einer Wärme, die besser als viele schöne Worte bewies, welche besonders hohe Achtung er vor dem frühern Dolmetscher der »Seamew« hegte, und Morgan fühlte sich tief erregt durch die herzliche Anerkennung eines in Sachen der Ehre und des Mutes so kompetenten Richters.

Was die Familie Hamilton angeht, hatte diese sich sofort wieder mit all ihrem Hochmut gepanzert, sobald sie sich endgültig in Sicherheit wußte. Ohne ein Wort an die zu richten, mit denen der gleichmachende Zufall eine Zeitlang ihre aristokratische Existenz in Berührung gebracht hatte, beeilten sich Sir Georges Hamilton, Lady Evangelina und Miß Margaret, ihrem vornehmen »home« in[479] einem schönen Wagen zuzusteuern, worin auch Tigg eingeladen wurde Platz zu nehmen, was er mit großem Vergnügen zu tun schien. Über das Geschick der beiden jüngern Wageninsassen war die Entscheidung offenbar schon gefallen.

Im Gegensatz hierzu war sie allein, die Familie Blockhead, als sie sich verabschiedete, nachdem ihr Herr und Gebieter alle Hände gedrückt hatte, deren er habhaft werden konnte. Kein Vertreter des stärkern Geschlechts, der etwa in heitratsfähigem Alter stand, nahm in dem Mietwagen Platz, der sie, die Familie samt ihrem Gepäck, entführte. Allein kam sie in ihrer cottage an und allein führte sie hier ihr Leben: Mr. Absyrthus, indem er seine Muße damit ausfüllte, seinen Bekannten von der Reise – »eine außerordentliche Reise, meine Herren!« – woran er teilgenommen hatte, zu erzählen. Mrs. Georgina widmete sich wie immer der Erziehung ihres Sohnes Abel, und Miß Beß sowie Miß Mary der Hetzjagd nach einem unfindbaren Ehegespons. Derlei Wild ist aber selten. Miß Beß und Miß Mary sind bisher bei dieser beschwerlichen Jagd Schneider geblieben, sie schreiben das aber erbittert nur einer schamlosen Wilddieberei zu.

Roger de Sorgues, der sofort nach Frankreich mußte, um über die unmäßige Überschreitung seines Urlaubs Aufschluß zu geben, hielt sich in England nicht im mindesten auf. Er reiste aus London noch am Tage der Ankunft ab und befand sich wenige Stunden später in Paris.

Nachdem seine Militärangelegenheiten ohne viele Umstände geregelt waren, erbat er sich und erhielt er einen neuen Urlaub, dank dem Gewicht der Gründe, die er für sein Gesuch ins Feld führen konnte. Wie hätte man einen Urlaub auch dem verweigern können, der im Begriffe stand, sich zu verheiraten? Und für Roger traf das zu. Es war zwischen ihm und Dolly mit wenigen Worten als eine Sache verabredet worden, die sich von selbst verstand und keiner weitern Verhandlung bedurfte.

Die Feierlichkeit ging am 3. September vor sich, und an demselben Tage vertauschte auch Alice ihren Familiennamen mit dem Morgans oder richtiger dem Gramons.

Von dieser Stunde an haben die vier glücklichen Herzen eigentlich keine Geschichte mehr. Für sie folgen die Tage friedlich einer dem andern, und der nächste Morgen beschert ihnen nur aufs neue ein Glück wie das des vorigen Tages.

Die Marquise de Gramon und die Gräfin de Sorgues haben eine Doppelvilla an der Allee des Bois de Boulogne in Paris erworben.


 »Nun ja: so sind einmal die Frauen!« knurrte Baker... (S. 485.)
»Nun ja: so sind einmal die Frauen!« knurrte Baker... (S. 485.)

[480] Hier wachsen ihre Kinder auf, und die beiden Nachbarinnen sind ebenso gute Freundinnen und liebevolle Schwestern geblieben wie je vorher.

Ost erinnern sie sich lebhaft der Ereignisse, die ihrer Verheiratung vorhergegangen waren, und häufig sprechen sie davon unter vier Augen, schöpfen daraus aber nur neue Gründe, die von ihnen gewählten Gatten aufrichtig zu lieben. Bei solchen Plaudereien tauchen zuweilen auch die Namen ihrer Reise- und Unglücksgenossen wieder auf. Man kann ja die nicht ganz vergessen, in deren Gesellschaft man gelitten hat, und mit mehreren von diesen standen die[481] beiden Familien auch später noch in freundschaftlicher Verbindung. Vier Jahre nach Beendigung der von der Agentur Thompson veranstalteten Reise klingelten zwei dieser bevorzugten frühern Genossen gleichzeitig zur Essensstunde am Portal der Villa der Marquise de Gramon.

»Beim Barte meiner Mutter, ich bin höllisch erfreut, Sie einmal wiederzusehen, Herr Saunders,« rief einer der Besucher.

– Herr Baker, verbesserte der andre, ist nicht minder erfreut, mit dem Kapitän Pip zusammenzutreffen,« und damit streckte dieser dem braven Kapitän der ehemaligen »Seamew« freundschaftlich die Hand entgegen.

Gerade an diesem Tage kamen die beiden Familien bei Madame de Gramon allwöchentlich zusammen. Herr und Madame de Sorgues nahmen an dem Tische Platz, an dem der Kapitän und Baker schon saßen.

Da diese die Vorgeschichte ihres Gastfreundes und dessen liebreizender Gattin schon kannten. waren sie nicht erstaunt über den Luxus der jetzt den ehemaligen Dolmetscher der Agentur Thompson und Kompagnie umgab. Übrigens hatten sie im Laufe ihres Lebens zu vielgesehen, um so leicht in Verwunderung zu geraten, und der Kapitän Pip, der sich auf Menschen gut verstand, war überzeugt, daß sein Gastgeber aller Gaben Frau Fortunas würdig sei.

Offenbar war es nicht das erste Mal, daß die beiden an der gastlichen Tafel waren, wo die Lakaien diskret bedienten. Vom Umständemachen war hier nichts zu bemerken, es herrschte vielmehr die Zwanglosigkeit, die unter wahren Freunden ja selbstverständlich ist.

Hinter dem Stuhle des Kapitäns saß in voller Würde Artimon, der diesen Platz mit Recht beanspruchte und sich durch keinen Weltuntergang davon hätte vertreiben lassen. Daran dachte hier auch übrigens niemand, und der Kapitän genierte sich in keiner Weise, ihm wiederholt einen leckern Bissen zuzustecken, den Artimon mit großem Ernste annahm. Er war gealtert, der kluge Artimon, doch sein Herz war jung geblieben. Seine Augen richteten sich noch ebenso verständnisvoll und ebenso lebhaft auf die seines Herrn, dessen Ansprachen er, mit den langen Ohren wedelnd, sichtlich interessiert anhörte. Auch er kannte sehr gut das Haus, wohin er heute Abend mit eingeladen war. Verhätschelt von der Frau des Hauses, die den Retter ihres Gatten nicht vergaß, und von der Dienerschaft wie eine Großmacht respektiert, wußte er auch einen guten Tisch zu schätzen, und billigte energisch die Absicht seines Herrn und Meisters, als dieser ihm anvertraut hatte, einen Abstecher nach Paris zu machen.[482]

»Aus welchem Land kommen Sie denn diesmal, Herr Kapitän? fragte Gramon im Laufe des Essens.

– Ach, nur von New York, antwortete der Kapitän, der jetzt bei der Cunard-Linie angestellt war, die ewigen Überfahrten zwischen England und Amerika aber recht herzlich satt hatte. Ich sage Ihnen, das wird unsereinem bald höllisch langweilig, Herr Marquis!

– Nun, einen Tag oder den andern werden wir Ihnen schon wieder begegnen, fuhr Gramon fort. Unsre beiden Frauen haben den Wunsch ausgesprochen, bald einmal wieder zur See zu gehen, obwohl sie damit ja ziemlich schlechte Erfahrungen gemacht haben. Jetzt lassen wir auf einer Werft in Havre eine Jacht etwa von tausend Tonnen bauen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch die Frage an Sie richten, ob Sie uns vielleicht einen zuverlässigen Seemann als Kapitän empfehlen können.

– Ja, da kenne ich nur einen, antwortete Pip treuherzig, das ist ein gewisser Pip, der, wie man sagt, kein so schlechter Seefahrer sein soll. Mit dem hat es nur eine besondre Schwierigkeit. Dieser Pip hat sich verheiratet, ohne eine Frau zu nehmen. Mit ihm muß auch ein Hund engagiert werden. Das arme Tier ist leider schon alt und wird's nicht mehr allzulange treiben. Fünfzehn Jahre fährt er schon mit in der Welt umher, und das ist ein hohes Alter für einen Hund, setzte er mit einem Blick von melancholischer Traurigkeit an Artimon gewendet hinzu.

– Wie, Kapitän, Sie wären wirklich erbötig...? rief de Gramon.

– Das will ich meinen, versicherte der Kapitän. Ich bin die großen Passagierschiffe herzlich überdrüssig. Das ist eine zu lästige Ware. Und obendrein jahraus jahrein nur von Liverpool nach New York und von New York nach Liverpool zu dampfen, das – Sie können's mir glauben, Herr Marquis – das halte der Kuckuck lange aus.

– So wäre unsre Angelegenheit also abgemacht, sagten de Gramon und de Sorgues gleichzeitig.

– Abgemacht, wiederholte der Kapitän. Artimon wird dann in Pension treten an Bord der... ja, halt einmal, haben Sie Ihr Schiff denn schon getauft?

– Zum Andenken an die »Seamew« (Seemöwe), sagte Dolly, haben es meine Schwester und ich »La Mouette« (die Möwe) genannt.

– Ein herrlicher Gedanke! rief Baker ironisch. Ich sehe Sie bereits auf dem Wege nach Timbuktu![483]

– Na, wir werden versuchen, diesem Malheur aus dem Wege zu gehen, erwiderte der Kapitän. Doch, bei Erwähnung der »Seamew«, erraten Sie wohl, wem ich da erst noch gestern in London begegnet bin?

– Nun doch wohl Thompson! riefen alle Tischgenossen wie aus einem Munde.

– Richtig: Thompson. Hübsch wie der junge Tag, elegant, munter, lebhaft und mit Goldkinkerlitzchen behängt wie ehemals. Der muß doch noch eine andre Geldtasche besessen haben, die dem Scheik entgangen ist. Oder hätten Sie vielleicht Ihre Drohungen nicht ausgeführt? fragte der Kapitän zu Baker gewendet.

– Sprechen Sie davon lieber nicht! sagte dieser mit gestörter Laune. Dieser Thompson ist ein Teufelskerl, der mich noch unter die Erde bringt. Natürlich habe ich meine Drohungen gehalten. Ich und zwanzig andre Passagiere haben den Possenreißer mit Prozessen überschüttet, die wir ohne Ausnahme gewonnen haben. Da Thompson außerstande war, zu zahlen, mußte er Konkurs anmelden. Seine Kontore hat er schließen müssen und auf der Liste der Reiseunternehmer ist sein Name gestrichen worden. Meine Befriedigung ist aber doch nicht vollkommen. Jeden Augenblick läuft mir der Mensch in den Weg. So viel ich weiß, tut und verdient er gar nichts, gleichwohl sieht er aus, als ob er in Gold schwömme. Er verhöhnt mich noch, der Kerl! Ich bin fest überzeugt, daß er verborgene Schätze besitzt und daß ich der... Geprellte bin.«

Während dieser Abhandlung Bakers lächelten die beiden Schwestern einander an.

»Beruhigen Sie sich nur, mein lieber Herr Baker, ließ sich Alice endlich vernehmen. Thompson ist ja gründlich aufs Trockene gesetzt und nicht mehr in der Lage, Ihnen jemals wieder Konkurrenz zu machen.

– Wovon sollte er dann aber in seiner Weise leben? warf Baker ungläubig ein.

– Ja, wer weiß das! antwortete Frau de Sorgues lächelnd. Vielleicht von einer Unterstützung, die ihm ein dankbarer Passagier zugewendet hat.«

Baker fing an zu lachen.

»Na, sagte er, den Passagier möchte ich auch erst kennen lernen!

– Fragen Sie nur Alicen, riet ihm Dolly.

– Fragen Sie nur Dolly! empfahl ihm die Marquise.

– Wie?... Sie... Sie selbst! rief Baker mit höchstem Erstaunen. Sie wären das gewesen?... Welchen Grund konnten Sie aber haben, einem solchen[484] Possenreißer aufzuhelfen? Hat er sich nicht über Sie eben so lustig gemacht wie über alle andern? Hat er seine Versprechungen nicht ganz leichtfertig gebrochen? Was hat denn noch daran gefehlt, daß er uns bald umkommen, so ein bißchen ertrinken ließ? Daß er uns auf San Miguel fast zermalmen, in São-Thiago vom Fieber fast verderben und in Afrika von den Mauren fast erschossen werden oder von der Sonne verbrennen ließ?

– Das Glück hat ihn genarrt, sagten beide Schwestern.

– Wenn nun aber seine Rundreise besser organisiert gewesen wäre, sagen Sie mir, wäre ich heute eine Gräfin? fragte Dolly, verständnisvoll ihren Gatten anlachend, der ihr mit einem entschieden zustimmenden Kopfnicken antwortete.

– Ja, und wäre ich denn Marquise?« setzte Alice mit einem innigen Blick auf Gramon, den dieser erwiderte, hinzu.

Baker wußte hierauf nichts zu antworten. Trotz aller ihm angegebenen Gründe blieb er unzufrieden, das sah man ihm schon von weitem an. Nur mit vieler Überwindung verzieh er es seinen Freunden, durch ihre sentimentale Barmherzigkeit nicht wenig die Folgen seiner Rache, die er sich gründlicher gewünscht hätte, abgeschwächt zu haben.

»Nun ja: so sind einmal die Frauen!« knurrte er nur zwischen den Zähnen.

Eine Zeitlang schwieg er dann noch und murmelte hierauf unverständliche Worte. Offenbar konnte er die ihm gemachte Mitteilung, wie man sagt, nicht recht verdauen.

»Na, gleichviel, platzte er endlich heraus, eine merkwürdige Geschichte war es doch. Wie denken Sie darüber, Kapitän?«

Der so geradezu um sein Urteil angerufene Kapitän kam etwas in Verlegenheit. Seine Pupillen wichen unter seiner inneren Erregung auseinander. Er schielte leicht, aber unverkennbar.

Eine Gewohnheit lockt ja meist die zweite hervor und die wieder eine dritte. Nachdem er geschielt hatte, zwickte sich der Kapitän – heute aber nur sanft – an der Nase, und nachdem er der zweiten süßen Gewohnheit gefröhnt hatte, stellte sich die dritte ein: er drehte sich auf dem Stuhle um und wollte schon geschickt ins Meer spucken. Das Meer war aber etwas fern und an dessen Stelle breitete sich unter ihm ein Teppich mit Blumenmustern auf weißem Grunde aus. Bei diesem Anblick wurde der Kapitän irre und verlor ganz das Verständnis für das, was eben gesprochen worden war. Statt Baker zu antworten,[485] hielt er es für klug und weise, einzig und allein Artimon mit dem, was er dachte, bekanntzumachen. Er beugte sich also unter den heitern Blicken seiner Freunde zu dem Hunde nieder.

»Beim Barte meiner Mutter, Master, das ist doch eine höllische Überraschung, nicht wahr, Master?« sagte er nachdrücklich zu dem braven Tiere, das, ihm schon im voraus zustimmend, die langen Ohren schüttelte.


Ende.

Quelle:
Michel Verne: Das erstaunliche Abenteuer der Expedition Barsac. Zürich 1978.
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