XIV.

[394] Am folgenden Morgen schifften wir uns auf einem der Schraubendampfer ein, welche von dem ausgedehnten Holzquai in Kopenhagen nach Helsingör abgehen. Diese schnellen, ausschließlich zum Küstendienste bestimmten Schiffe bieten den Passagieren alle erdenkliche Bequemlichkeit. Ihre Salons sind geräumig, gefällig decorirt, und das, das ganze Hintertheil einnehmende Spardeck ermöglicht den Reisenden eine leichte Umschau nach allen Seiten, und vorzüglich nach der wahrhaft reizenden dänischen Küste zwischen Kopenhagen und dem nördlichen Ende der Meerenge.

Helsingör ist eine kleine Stadt von neuntausend Einwohnern, in der sich die meisten, den Sund passirenden Segler verproviantiren. Es hat einen räumlich beschränkten, aber tiefen und hübsch gelegenen Hafen, dem der von Helsingborg, an der anderen, schwedischen Seite des Sundes, gegenüber liegt.

[394] Nachdem wir um neuneinhalb Uhr hier angelangt, begaben wir uns nach dem Hôtel Oeresund, das dem Reisenden Alles bietet, was das Herz und – der Magen begehrt. Nach dem eingenommenen Frühstück brach unsere kleine Gesellschaft sofort nach dem Schlosse Kronborg, dem interessanten Ziel dieses Ausflugs, auf. Die Schloßkapelle hier ist der Beachtung wirklich werth und verdient einen nicht zu eiligen Besuch. Von dem Innern des gewaltigen Bauwerkes ist an sich nicht viel zu sagen. Eine Zimmerflucht enthält eine nicht besonders werthvolle Gemäldesammlung. Die Aussicht von den Fenstern aber, und vorzüglich von der Plattform eines viereckigen Thurmes an einer Ecke des Schlosses aus, ist in der That überraschend schön.

Ueberall ist der hier nur vier Kilometer breite Sund von Fahrzeugen jeder Größe, von Galioten, Goëletten, Dreimastern, Briggs und Dampfern, welche auf-oder abwärts fahren, belebt. Ich schätze die Anzahl verschiedener Fahrzeuge, welche wir auf dem friedlichen Wasser auf einmal erblickten, auf wenigstens fünfhundert englische, schwedische, dänische, norwegische und deutsche Schiffe. Weder der Busen von Neapel, oder der Eingang zum Bosporus, noch die Meerenge von Messina, von Taormine aus gesehen, übertreffen an Schönheit diese Einfahrtsstelle in den Oeresund. Im Norden dehnt sich das Kattegat mit seinen blauen Fluthen und dem pittoresken Ausleger der schwedischen Küste, den Kullabergen, über Sehweite hin aus. Nach den anderen Richtungen hin ergötzt sich das Auge an der sattgrünen Landschaft der Umgebung. Man kann sich schwerlich einen harmonischeren Gesammteindruck denken, und nur mit schmerzlichem Bedauern wendet man einem so herrlichen Bilde den Rücken.

Um den Abgang des Schiffes nach Kopenhagen nicht zu versäumen, mußten wir uns jedoch beeilen. Da erschien am Horizont des Kattegats eine dunkle Rauchwolke, unter welcher man bald zwei große dunkle Massen unterscheiden konnte.

»Seht da, rief ich, sieht das nicht aus wie ein Geschwader, das unter vollem Dampf in den Sund einfährt?

– Das ist ohne Zweifel ein Theil der englischen Flotte, erwiderte Robert Godefroy. Ich las in den Zeitungen, daß ein solches Geschwader unter dem Commando des Herzogs von Edinburgh Portsmouth verlassen habe, um nach Kopenhagen zu segeln.

– Dann wird das schnelle Schiff, meinte mein Bruder, das gestern salutirte, während Ihr auf der Frelserkirche ward, wahrscheinlich ein Bote [395] desselben gewesen sein, der die Ankunft des englischen Geschwaders in Kopenhagen anmeldete.

– Was meinst Du, laß uns den Abgang des ersten Dampfers versäumen, sagte ich zu meinem Bruder, um dafür der Einfahrt der englischen Schiffe in den Sund beizuwohnen.«

Etwa eine Stunde später defilirte die aus acht Panzern bestehende Flottenabtheilung vor Helsingör, jedes Schiff in vorschriftsmäßigem Abstande und der Admiral an der Spitze.

Dieses Schauspiel wog gewiß eine Stunde Verzögerung auf.

Um vier Uhr gingen wir wieder an Bord eines Dampfers, der gegen sechs Uhr in Kopenhagen eintrifft, und passirten da in kurzer Entfernung die englischen Schiffe, welche ihres großen Tiefganges wegen der Citadelle gegenüber vor Anker gegangen waren.

Quelle:
Paul Verne: Von Rotterdam nach Kopenhagen an Bord der Dampfyacht »Saint Michel«. In: Die Jangada. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXXIX– XL, Wien, Pest, Leipzig 1883, S. 353–404, S. 394-396.
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