XVI.

[397] Schon am Tage nach unserer Ankunft in Kopenhagen hatten wir dem französischen Ministerresidenten und dem Kanzler der Gesandtschaft einen Besuch abgestattet. Beide empfingen uns ungemein freundlich und versprachen, auf unsere Einladung, auch einmal an Bord des, »Saint Michel« zu kommen.

Da wir voraussetzten, es werde den Herren angenehm sein, eine kleine Spazierfahrt zu unternehmen, sorgten wir am verabredeten Tage dafür, daß unser Schiff Dampf hatte, als sie an Bord stiegen.

Nach einer kurzen Besichtigung der Yacht selbst, welche nach allen Seiten ihren Beifall fand, schlug mein Bruder vor, auf die Rhede hinaus zu dampfen, was mit Vergnügen angenommen wurde.

Unverzüglich wurden die Taue gelöst, und eine Viertelstunde später lag der, »Saint Michel« wenige Kabellängen neben dem englischen Admiralschiffe »Herkules«.

Alle Schiffe des Geschwaders hatten mit Ausnahme eines einzigen – der Grund hierzu ist mir unbekannt geblieben – festlich geflaggt. Der »Herkules« führte am Großmasttopp die königliche Standarte Englands, welche nur in außerordentlichen Fällen gehißt wird.

Um die verwandtschaftliche Verbindung mit Dänemark anzudeuten, flatterte daneben der Danebrog lustig in der Luft.

Der König von Dänemark war in dieser Stunde bei dem Herzog von Edinburgh zu Gaste. Christian IX. erwiderte dem Sohne der britischen Königin den Besuch, den dieser am Tage vorher dem Schlosse Amalienborg abgestattet hatte. Für den Fall, daß diese Visite nicht zu lange währte, wollten wir die Wiederabfahrt des Königs, dessen Schaluppe einige Kabellängen vom »Herkules« lag, und den Königssalut abwarten, den das englische Geschwader zu diesem Moment abgeben mußte.

Es macht dieses Salutschießen einen großartigen Eindruck, wenn es von zahlreichen, mit grobem Geschütz armirten Fahrzeugen geschieht. Jedes Schiff feuert, gleichzeitig mit dem Admiralschiffe, eine Salve von einundzwanzig Schuß ab, während die Besatzung des Schiffes auf den Raaen steht und mit kräftigen Stimmen ein neunfaches: »Hip! Hip! Hip! Hurrah!« ruft.

[398] Dieses interessante Schauspiel ist übrigens ziemlich selten und wir hatten von viel Glück zu sagen, ihm gerade beiwohnen zu können.

Bald setzt sich die Yacht des Königs in Bewegung und nimmt eine halbe Kabellänge vom »Herkules« Aufstellung, dem sich auch der »Saint Michel« immer dicht hinter der Geschwaderlinie, bei der Panzerfregatte »Warrior«, genähert hat.

Einige Minuten verstreichen. Da erscheint Christian IX., begleitet von dem Erbprinzen und noch mehreren Mitgliedern der königlichen Familie an der geöffneten Schanzkleidung des »Herkules«.

Der König steigt, nach einem mit dem Herzoge von Edinburgh gewechselten Händedrucke, nach seinem Boote hinab und begiebt sich, in Begleitung vieler, das Gefolge tragenden Boote nach seiner Yacht.

In diesem Augenblicke bricht zum ersten Male die Wolkendecke des Himmels. Ein Sonnenstrahl schießt herab und funkelt an den glänzenden Uniformen der dänischen Officiere der Escorte. Das Purpurzelt auf dem Hintertheile des königlichen Bootes erscheint von goldigen Reflexen geschmückt, und um die Personen, welche es enthält, schlingt sich ein blendender Lichtkranz.

Als merkwürdigen Gegensatz zeigen die massiven dunklen englischen Schiffskolosse an jeder Schießluke ihre mächtigen Geschütze, ihre schrecklichen Verheerungswerkszeuge; wie um diesen beklemmenden Eindruck vergessen zu machen, flattern Flaggen und Wimpel in allen Farben bunt durcheinander bis zur Spitze der hohen Maste und prägen dem großartigen Bilde den Stempel einer friedlichen Festlichkeit auf.

Doch Achtung! Auf den Ton einer Pfeife haben sich die englischen Matrosen schnell auf den Raaen vertheilt. Jetzt erklingt ein Hornsignal. Das »Hip! Hip! Hip! Hurrah!« ertönt weit schallend aus den soliden Brustkästen John Bull's. Noch ein zweites Signal... und das Salutschießen beginnt.

In einem Augenblicke liegt der »Saint Michel« in dichtem Pulverdampfe verhüllt. Nach der vorher herrschenden Ruhe ist jetzt die Hölle losgebrochen. Trotz dem Krachen der Geschütze hört man das scharfe »Hip! Hip! Hip!« der Matrosen, das sich wie ein durchdringender Diskant neben der tiefen Baßstimme der Kanonen bemerkbar macht. Unsere Yacht lag so nahe am »Warrior«, daß sie bei jedem Schusse desselben bis zum Kiel hinab erzitterte, während die, durch die Explosionen rasch verdrängte Luft uns, wie von einem Orkan gejagt, in's Gesicht schlug.

[399] Die ganze Sache hat einen eigenthümlichen Reiz. Zuerst fühlt man sich bei dem entsetzlichen Krachen etwas beklommen; bald gewöhnt man sich jedoch daran, und zuletzt wünschte man es lieber noch etwas stärker.

In diesem Monstre-Concert ist freilich nicht die Spur von Musik zu entdecken. Jetzt klingt zuweilen – eine Folge der verschiedenen Rohrweiten – etwas wie eine erweiterte Terz hindurch. Wenn Richard Wagner einmal alle Hilfsmittel der Orchestration erschöpft und so große Kupferinstrumente angegeben haben wird, daß man ein Dutzend Bläser auf einmal braucht, um denselben einen Ton zu entlocken, so erkennt er vielleicht in den Dreißig-, Fünfzig- oder gar Hundert-Tonnenkanonen noch recht schätzenswerthe Hilfstruppen. Diese modernen Instrumente würden ihm von desto größerem Nutzen sein, als seine vollkommen taub gemachten Zuhörer im blinden Vertrauen seine oft genug gewagten Harmonien beklatschen würden.

Aber Thomas Pearkop hätte man während dieser ganzen Ceremonie beobachten müssen! Er strahlte; die Augen traten ihm aus dem Kopfe und unartikulirte Töne drangen aus der breiten Brust; ja, es fehlte nicht viel, so hätte er das »Hip! Hip! Hip!« aus Leibeskräften mitgerufen.

Der wackere Mann war so glückselig, daß er vielleicht – ich betone freilich dieses Wort – bevor wir aus dem Hafen liefen, auf jeden ihm unvortheilhaften Vorschlag eingegangen wäre, wenn wir ihm etwa folgendermaßen zugesetzt hätten:

»Pearkop! Das englische Geschwader, Euer Geschwader, auf das Ihr so stolz seid, wird Se. Majestät den König von Dänemark mit dem großen Salut begrüßen. Wir wollen diesem großartigen Schauspiele beiwohnen; da kommt uns aber eben Eure Lootsenrechnung in die Hände – dreißig Pfund ist wirklich etwas gepfeffert – und wir werden Euch nicht auf die Rhede hinaus mitnehmen, wenn Ihr nicht auf der Stelle zustimmt, genannte Forderung auf zwanzig Pfund herabzusetzen, und das ist immer noch anständig genug bezahlt. Weigert Ihr Euch, so werdet Ihr während unseres Ausfluges an's Land gehen und der Festlichkeit nicht beiwohnen. Nun, entscheidet Euch!«

Darauf würde er, in Anbetracht seiner Vaterlandsliebe und des gerechten Stolzes, der ihn beim Anblick seines Geschwaders erfüllte, sowie der Bewunderung, die er für seine mächtigen Panzer empfand, gezaudert, gefeilscht haben, aber endlich doch wohl fähig gewesen sein... Nein, das sicherlich nicht; zehn Pfund Sterling zu opfern? – Nimmermehr.

[400] Bei dieser Gelegenheit gestatte man mir auszusprechen, daß viele Dänen, hier und in den ehemaligen Herzogthümern, das fast vollständige Fehlen der französischen Flagge in der Ostsee lebhaft beklagen.

England sorgt dafür, sich überall immer wieder in Erinnerung zu bringen. Außer seinen zahlreichen Handelsschiffen, welche die Nord- und die Ostsee durchkreuzen, hat es dieses Jahr (1881) ein Panzergeschwader nach Kopenhagen, Petersburg und Kiel entsendet. Es würde Frankreich ein Leichtes sein, dasselbe, ja vielleicht noch mehr zu leisten, und des wärmsten Empfanges könnte es ohne [401] Zweifel sicher sein. Die englische Flotte, welche auf der Rhede von Kopenhagen erschien, bestand in der That nur aus alten Schiffen ohne großen Werth. Man bemerkte hier den »Warrior«, das erste, von England etwa gleichzeitig mit dem französischen »Gloire« erbaute Panzerfahrzeug. Das einzige modernere Schiff war das Admiralsschiff »Herkules«, doch steht auch dessen Armirung hinter der, der neueren Schlachtschiffe Frankreichs weit genug zurück.


Der König begiebt sich nach seiner Yacht. (S. 399.)
Der König begiebt sich nach seiner Yacht. (S. 399.)

Wollten wir England ausstechen, so genügte die Entsendung einer Flottendivision, unter der sich die »Dévastation« mit ihren Fünfzig-Tonsgeschützen, der »Admiral Duperré«, der »Redoutable« und als Kreuzer der »Duquesne« oder der »Tourville« befänden, welch' letztere eine Geschwindigkeit von achtzehn bis neunzehn Knoten erreichen.

Freilich könnten uns die Engländer ihr Schiff, den »Inflexible« mit seinen Achtzig-Tonsgeschützen gegenüberstellen. Dieses Fahrzeug aber ist nach den, im englischen Unterhause öffentlich ausgesprochenen Urtheilen keineswegs frei von Fehlern. Es ist nur in der Mitte gepanzert, und man fragt sich mit Recht, was die Folge sein würde, wenn sich seine, von mächtigen Geschossen durchlöcherten Endstücken mit Wasser anfüllten.

Quelle:
Paul Verne: Von Rotterdam nach Kopenhagen an Bord der Dampfyacht »Saint Michel«. In: Die Jangada. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXXIX– XL, Wien, Pest, Leipzig 1883, S. 353–404, S. 397-402.
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