XVII.

[402] Unsere schon festgesetzte Abreise von Kopenhagen wurde durch eine Einladung zur Tafel bei dem französischen Ministerresidenten um zwei Tage verzögert. Wir gewannen dadurch Zeit, den herrlichen Park von Frederiksberg, jetzt eine Vorstadt der vergrößerten Residenz, zu besuchen.

Am folgenden Morgen, Sonntags den 26. Juni, schlug der »Saint Michel« nach Ausschiffung unseres Freundes Robert Godefroy, der diese Reise über Malmö, Stockholm und Christiania ausdehnte, von dort aber nach Finnmarken bis Hammerfest und zum Nordcap gehen wollte, wieder den Cours nach Süden ein und ging, nachdem wir nochmals die Eider passirt, vier Tage später auf der Rhede bei den Dünen vor Deal vor Anker.

[402] Wir waren somit wieder in Thomas Pearkop's Heimat. Hier sollte er im besten Wohlsein, gut gemästet und bereichert um ein weiteres, anerkennendes Zeugniß für die Kenntnisse und Fähigkeiten des Pilot for the North sea seiner Familie wiedergegeben werden.

Selbstverständlich nahm Thomas Pearkop auch seinen berühmten Sack mit nach Hause.

Aber dieser unvergleichliche Theertuchsack, der schon eine ganze Welt enthielt und kaum noch eine Stecknadel aufzunehmen fähig schien, dieser Wundersack war doch noch größer und schwerer geworden, als Thomas Pearkop den »Saint Michel« verließ. Er umfaßte jetzt noch weiter vier Flaschen seinen Wein, zwei Flaschen Liqueur und noch verschiedene Victualien, welche wir dem Lootsen aus Mitleid für die schon seit zwei Jahren fast hoffnungslos darniederliegende Mistreß Pearkop mitgegeben hatten.

Mich verwunderte es freilich ein wenig, daß Mistreß Pearkop solche Stärkungsmittel nöthig haben sollte. Mögen ihr die, welche ihr Mustergatte mit heimbrachte, recht gute Dienste leisten! Ich stehe aber gar nicht dafür ein, daß diese den rechten Weg verfehlt und unnöthiger Weise den »Gentleman« gestärkt haben mögen, zum großen Nachtheile seiner schöneren Hälfte, wenn diese etwa auf Wiedererlangung ihrer Gesundheit durch dieselben rechnete.

Wir hatten nun noch die Lootsenrechnung für einmonatlichen Dienst in der Nordsee abzumachen, was ohne Schwierigkeiten vor sich ging.

Das Honorar belief sich auf eine ziemlich beträchtliche Summe, an der nicht gemäkelt wurde. Thomas Pearkop, der zuerst für ein halbes Pfund Sterling auf eine halbe Stunde an Bord des »Saint Michel« kam, war hier siebenundzwanzig Tage lang für den Preis von dreißig Pfund geblieben.

Diese Summe wurde also auf den Tisch des Speisesaales in schönen, blanken Louisd'ors aufgezählt – das englische Pfund zu 25 Frcs. 25 Cent. gerechnet – und durch etwas englische Scheidemünze bis auf den Pfennig vollgemacht.

Thomas Pearkop's Augen leuchteten heller auf; dann verschwand Alles, unter Dankesbezeugungen des Empfängers, in der ungeheuren Hosentasche.

Gleichzeitig war das kleine Boot klar gemacht worden. Der, »Gentleman« stieg hinab und begab sich nach dem Hafendamm von Deal, von dem unsere Yacht nur eine Kabellänge entfernt lag.

[403] Da trat der Schiffsjunge auf meinen Bruder zu.

»Herr Verne, begann er höchst erregten Tones.

– Um Gottes Willen, was ist geschehen?

– Herr Verne, er hat in seinem Sack ein Stück Seife vom Schiffe mitgenommen.

– Aber, Junge, erwiderte mein Bruder scherzend, das ist doch nicht hübsch und verwundert mich von einer so grundehrlichen Haut, wie unser wackerer Thomas Pearkop!

– Halt, nicht so schnell verurtheilt! rief ich, auch von diesem Vorwurfe wird er sich reinigen! Da kehrt das Boot zurück mit Thomas Pearkop darin, der uns das Stückchen Seife wieder überliefern wird.«

Das Boot legte am Bord an und der »Gentleman« machte uns ein Zeichen mit der Hand.

Thomas Pearkop stand hinten in dem Boote und wollte schon auf mich sprechen, als ich ihm zuvorkam.

»Aber, guter Freund, sagte ich, das war doch unnöthig, wegen solcher Kleinigkeit umzukehren.

– Kleinigkeit? erwiderte Thomas Pearkop im einschmeichelndsten Englisch, aber mein Herr, Sie haben ja das Pfund zu 25 Frcs. 25 Cent. gerechnet.

– Gewiß, antwortete ich, etwas erstaunt über diese unerwarteten Worte. Entspricht das nicht dem Tagescours?

– Nicht genau, belehrte mich der ›Gentleman‹, das Pfund steht jetzt 25 Frcs. und 26 Cent.; sie schulden mir also noch drei Pence!

– Drei Pence! Sechs Sous! Hier sind sie, wackerer Pearkop, und nun sind wir quitt, nicht wahr?

All right, meine Herren.

All right

Quelle:
Paul Verne: Von Rotterdam nach Kopenhagen an Bord der Dampfyacht »Saint Michel«. In: Die Jangada. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXXIX– XL, Wien, Pest, Leipzig 1883, S. 353–404, S. 402-405.
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