IX.

[380] Die Kieler Bucht, in der unsere Yacht mit wieder ausgeschobenem Bugspriet gegen sechs Uhr Abends vor Anker ging, ist ohne Zweifel eine der schönsten und sichersten von ganz Europa. In diesem geräumigen Wasserbecken könnten alle Flotten der Erde Schutz suchen und sogar manövriren. Kiel selbst liegt (vom Land aus) links am Ende des Hafens mit einem Hintergrunde von üppigem Grün. An der anderen Seite befindet sich das von der Stadt völlig getrennte und mit hohen Mauern umfriedigte Arsenal.

[380] Da wir nicht wieder, wie in Wilhelmshaven, in die Lage kommen wollten, das von Seiten des Gouverneurs wahrscheinlich zu erwartende Angebot einer telegraphischen Nachfrage im Berliner Ministerium höflich abzulehnen, beschränkten wir uns darauf, von dem Kieler Arsenal nur das zu sehen, was man von außen davon wahrzunehmen vermag. Von einer dicht dabei emporsteigenden Anhöhe, dem sogenannten Dockberge, kann man nämlich die ganze Anlage bequem und ziemlich genau überblicken. Außer den zahlreichen Werkstätten lagen an jenem Tage darin vier große Panzerschiffe mit je vier Schornsteinen, von denen eines, in Folge des oben erwähnten Unfalles, in Reparatur war. Diese Panzer schienen mir mit je vier groben Geschützen, zum Feuern über die Bank, ausgerüstet. Ferner ankerten hier mehrere Kanonenboote mit je einem Vierundzwanzigcentimeter-Geschütz auf dem Vorderdeck.

Wir hatten auf dem Wege nach Kiel gehofft, daselbst den größten Theil der deutschen Panzerflotte vereinigt zu sehen, fanden diese Hoffnung aber leider getäuscht. Es ankerte hier nur, mit der Hafenwache beordert, der Holzdampfer »Arcona« mit der Viceadmiral-Flagge am Vortopp.

Wenn ich mich recht entsinne, war es die Fregatte »Arcona«, welche während des Krieges 1870 einen ihr erst von der französischen Fregatte »la Surveillante« und dann von der Corvette »la Belliqueuse« auf der Rhede von Funchal, Madeira, angebotenen Kampf ablehnte und deshalb bis zum Ende des Krieges an jener Insel liegen bleiben mußte.

Kiel, schon unter der früheren dänischen Oberhoheit ein blühender Handelsplatz, ist seit dem Anschlusse an das deutsche Reich in raschem Aufschwunge begriffen und zählte 1871 gegen 32.000,1875 über 37.000 und 1880 über 43.000 Einwohner.

Wunderbarer Weise ist seit dem Kriege ein französisches Consulat in Kiel nicht mehr geduldet worden, die Erklärung dafür sacht man in der Befürchtung, daß ein solcher Consul über die fortschreitende Entwickelung der deutschen Kriegsmarine Bericht erstatten könnte; als Wiedervergeltung hat man in Frankreich dafür die deutschen Consulate in Cherbourg und Toulon aufgehoben.

Der Kieler Busen ist von einem dichten Rahmen herrlicher Bäume eingefaßt. Ulmen, Buchen, Kastanien und Eichen, welche oft bis zum Strande herabgehen, erreichen hier eine kaum glaubliche Größe.

Zahlreiche Landhäuser schimmern auf den die Bucht umgebenden Hügeln lachend aus dem dunklen Grün hervor, während die verschiedenen Punkte des[381] Hafens durch flinke kleine Dampfer in bequeme Verbindung gesetzt sind. Man kann sich kaum einen freundlicheren erquickenderen Anblick denken, als den jener Häuschen von oft phantastischer Bauart, welche das schöne, wechselreiche Ufergestade schmücken. Ohne Zweifel entwickelt sich dieses bevorzugte Stückchen Erde in nicht ferner Zeit zum Stelldichein der vornehmen deutschen Gesellschaft, zu einem Brighton Norddeutschlands, aber einem unendlich viel grüneren, schattigeren, waldesduftigeren Platze als jenes Brighton an der englischen Küste, das, von der See aus gesehen, durch seine einförmige Dürre der Landschaft eher abschreckt.

Wir brauchen wohl nicht besonders zu bemerken, daß der Kieler Busen sorgsam und zweckmäßig befestigt ist. Die sehr enge Einfahrt zu demselben wird von furchtbaren Batterien beherrscht, welche jene über's Kreuz bestreichen. Die berühmte Kanone – von Preußen 1867 zur Internationalen Pariser Ausstellung geschickt – welche ein Geschoß von zehn Centnern schleudert, ist auf einer Bastion an der engsten Stelle des Hafeneinganges aufgestellt. Ein feindliches Schiff, das diesen Weg zu forciren versuchte, würde zweifelsohne binnen wenigen Minuten zerschmettert sein.

Die Stadt Kiel selbst ist offen, doch geht man mit dem Gedanken um, sie mit detachirten Forts zu umgürten. So viel ich weiß, sind die vorgängigen Terrainuntersuchungen schon beendet, und man wird, wie es bei der deutschen Regierung Sitte zu sein pflegt, dem Worte rasch genug die That folgen lassen.

Quelle:
Paul Verne: Von Rotterdam nach Kopenhagen an Bord der Dampfyacht »Saint Michel«. In: Die Jangada. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXXIX– XL, Wien, Pest, Leipzig 1883, S. 353–404, S. 380-382.
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