33. An Agnes Gräfin zu Stolberg

[213] 1784.


Ob wir dein noch gedenken, du Freundliche? Ja, es umschwebet

Deine süße Gestalt, ach der Entfernten, uns stets.

Hier und dort, wo wir gehn: in der blauen Stub' und der gelben,

Wo dein Kanapee stand, wo du im Sopha geruht;

Oder im grünen Gemach, wo wir nachts vom Lager im Mondlicht

Blühender Rosen uns freu'n, die wir ins Fenster gebeugt;

Zwischen den Blumenbeeten an rosendurchschimmerter Fruchtwand,

Wo uns zuletzt des Aprils wärmende Sonne beschien;

Unten im Dunkel der Laube, wo Silberrosen mit Erdbeern

Und Maililien blühn, die du so emsig gepflegt,

Wo wir unter die Schatten der Lind' und des zarten Ligusters

Geisblattranken gepflanzt, wie du uns scheidend befahlst!

Und auf der traulichen Bank des beschatteten Agneswerders,

Also nannten wir ihn, gegen die Insel des Sees:[213]

Wo du fröhlich mit uns in des Sommers Schwüle den Seewind

Atmetest, unter des Rohrsperlinges hellem Gesang;

Oft die schwebende Mewe betrachtetest, lachend des Freundes,

Welchen der weiße Schein mähender Männer betrog;

Oder in sonniger Flut des Fischleins Spiele belauschtest,

Welches aus falbem Moos perlend die Fläche durchglitt,

Aber schnell vor dem Schatten der blumigen Mümmelchenblätter

Stutzte, da weit in den See kräuselnd ein Wind sie erhob;

Ach an dem lieblichen Orte, wohin du im Schimmer des Abends

Noch zu guter Letzt schweigend am Arme mir gingst,

Dort noch einmal den See im Glanz vielfarbiger Wolken

Sahst, und des grünen Gesträuchs zitternde Schemen umher,

Lächelnd riefst: »O wie schön! Vergeßt nicht meiner, ihr Lieben!«

Und an des Freundes Brust schluchzend dein Antlitz verbargst:

Überall gedenken wir dein, und erzählen uns wieder,

Was du gesagt und gethan, sinnen und senken den Blick!

Wallte nicht jüngst dein Herz von zärtlicher Freud' und Wehmut,

Daß dir heller der Tag schimmerte, grüner die Flur?

Wir Verlassenen feirten der trautesten Freundin Gedächtnis,

Deren süße Gestalt uns, wo wir gehen, umschwebt.

Dort am buschigen Ufer des kleinen Sees, wo wir ehmals

Froher gingen mit euch, gingen wir Einsamen froh;

Sahn, wie des Dorfes Schar mit Karst und Schaufel den Rasen

Ebnete, künftig das Grab deiner Bewohner, Eutin:

Wo auch unser Gebein zur Seite des schlummernden Sohnes

Ruhen wird, an des Sees vögelumschwirrtem Geräusch;

Und im Gespräche von Tod und Trennungen, pflückten wir emsig

Blaue Vergißmeinnicht unten am sumpfigen Bord;

Wandelten heim, und reihten die Blumen rings in der Schale:

Und mit Wasser erfrischt, hob sich ein blühender Kranz.

Diesen trugen wir froh in den schönen Saal mit der Aussicht

Über Garten und See, welchen dein Bildnis verschönt;

Stellten, mit herzlichem Gruße, den blauen Kranz vor dein Bildnis,

Und betrachteten stumm, Agnes, dein holdes Gesicht,

Lange betrachteten wir's: und von inniger Lieb' und Wehmut

Bebend, umarmten wir uns heftig mit bräutlichem Kuß.[214]

Ob wir dein noch gedenken, du Freundliche: straf' ihr, o Stolberg,

Für dies schalkhafte Wort küssend den lächelnden Mund:

Wie, wenn sie, schöner von Freud', auf den blühenden Säugling hinabblickt,

Der, mit dem Busentuch spielend, in Schlummer sich lallt;

Und dann mütterlichstolz, voll unaussprechlicher Anmut

Seitwärts schielend, dich fragt: »Trautester, hast du mich lieb?«


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 213-215.
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