31. Rundgesang für die Treuen des Zirkels

[266] 7. April 1787.


Wir trinken, kühl umschattet,

Den Rebensaft;

Und Seel' an Seele gattet

Magnetenkraft!

Rundum, wie Klett' an Klette,

Schlingt fest die Zauberkette!

Ach unterm Mond ist mancherlei,

Wovon nichts träumt die Träumerei

Filosofei!
[266]

Magnetisch braust im Glase

Der Wein, und perlt,

Von schwindelnder Ekstase

Wie umgequerlt!

Schlürft ein; und süßer Wirbel

Durchdröhn' uns bis zur Zirbel!

Ach unterm Mond ist mancherlei,

Wovon nichts träumt die Träumerei

Filosofei!


Das Wasser selbst macht trunken

Von Seligkeit,

Hat Glaubenshand den Funken

Hineingestreut;

Doch weiht sie Wein, dann höht er

Wie Blitz den Geist zum Äther!

Ach unterm Mond ist mancherlei,

Wovon nichts träumt die Träumerei

Filosofei!


Frech magst du schrein und lästern,

Du Atheist!

Trotzt, Brüder, trotzt, ihr Schwestern,

Dem Antichrist!

Wir hegen Lieb' und Glauben,

Einfältig gleich den Tauben!

Ach unterm Mond ist mancherlei,

Wovon nichts träumt die Träumerei

Filosofei!


Schmäht's immer hyperbolisch,

Ihr Herrn, und klafft!

Uns dünkt sie apostolisch,

Die Wunderkraft!

Wir sind, wie echte Beter,

In Demut Wunderthäter![267]

Ach unterm Mond ist mancherlei,

Wovon nichts träumt die Träumerei

Filosofei!


Ihr träumt; wir sehn in Klarheit!

Dank, Meßmer, dir!

Wir sehn mit Gaßner Wahrheit,

Und Püysegür!

Wir traun auf deine Bude,

Cagliostro, ew'ger Jude!

Ach unterm Mond ist mancherlei,

Wovon nichts träumt die Träumerei

Filosofei!


Zeugt's, Schwestern, sanft bekrabbelt

Um Hüft' und Brust,

Wie hold ihr zuckt und rabbelt

Vor Seelenlust!

Wie drängt euch wahrzusagen

Der sechste Sinn im Magen!

Ach unterm Mond ist mancherlei,

Wovon nichts träumt die Träumerei

Filosofei!


Ihr guckt euch bis zum Zwinger

Der Seel' hinein,

Und lest mit zartem Finger,

Nur nicht Latein;

Ihr heilt, und meßt die Dauer,

Und blinzt durch Thür' und Mauer!

Ach unterm Mond ist mancherlei,

Wovon nichts träumt die Träumerei

Filosofei!


Ha, schaut! wie Regenbogen,

Blüht Zauberglanz,

Magnetisch hergezogen,

Um unsern Kranz![268]

Trinkt aus, ihr Glaubensjünger!

Und auf den Mund den Finger!

Ach unterm Mond ist mancherlei,

Wovon nichts träumt die Träumerei

Filosofei!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 266-269.
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