Die Bildnisse der Maler

[214] Die Muse tritt mit einem jungen Künstler in den Gemäldesaal


Die Muse

Wandle hier mit stillem, heiterm Ernste,

Freundlich beigesellt den großen Meistern,

Die mit Liebe deinen Busen füllen:

Ruhe hier, nach ihren teuren Werken,

Im Beschauen ihrer Häupter aus.


Der Jüngling

Wie fühl ich mich hingezogen!

Wie pocht mein Herz[214]

Den süßen, labenden Blicken entgegen!

Ach! wie demütigt ihr mich,

Daß ihr alle so ernst nach mir,

Wie nach einem Mittelpunkte schaut.

Wie fühl ich mich verwandt zu euch,

Und wie entfremdet!

Kühn möcht ich jetzt den Pinsel fassen,

Und herrliche, große Gestalten

Mit fester Hand, mit dreisten Farben zeichnen: –

Und dennoch wag ichs kaum,

Den großen Ahnherrn hier ins Angesicht zu blicken.

Wie unter Geistern bin ich festgebannt, –

Und wunderbare Lichter fallen

Von allen Bildern hier

In meinen dämmernden, ahndungsvollen Sinn. –

Wie nannte sich dieser Greis,

Der mit freundlichen Blicken

Gedankenschwer in seiner eignen Größe ruht?


Die Muse

Diese teuren langen Silberhaare,

Die so schön ins Haar des Bartes fallen,

Zierten einst den alten weisen Maler

Aus Toskana, meinen Leonardo,

Der die große Schule dort gegründet.


Der Jüngling

Gepriesen sei die Hand, die uns dies teure Haupt

In emsger Arbeit aufbewahrt.

Er ists! Ich seh ihn, wie er sinnt,

Und freundlich in die große weite Natur schaut,

Und wie er rastlos wieder

Nach neuer Erkenntnis trachtet. –

Doch wer ist dieser Mann,[215]

In Blick und Stellung ihm fast ähnlich,

Doch ernst, und tiefer in sich selbst verschlossen?


Die Muse

Albrecht Dürer, der sich mir ergeben,

Heilig betend sich an mich gedränget,

Als im fernen wüsten Norden keiner

Mich und meine Kunst geachtet: fromm und

Einfach war sein Wandel, Kindern ähnlich.

Wie er selbst, sind alle seine Bilder.


Der Jüngling

Ja, ich erkenne den stillen Fleiß,

Die heilige Demut des Hochbelobten,

Die innere Arbeit des tätigen Geistes. –

Doch deute mir den Namen dieses,

Vor dessen wildem Blick ich heimlich im Innern

Zusammenschaudre, wenn ihn mein Auge trifft!




Die Muse

Dieser ist der Stolz des Vaterlandes,

Schönstes Kleinod von Toskana, – Staunen

Seiner Nachwelt: sieh die Kraft des großen

Michelangelo Buonarroti.


Der Jüngling

Ha! der Gewaltige, stark wie ein Löwe!

Der mit Erhabenheiten, mit dem Grausen spielte. –

Aber die Sehnsucht drängt mich fern und ferner, –

Rastlos irr ich mit meinem Blick umher,

Und immer find ich nicht, was ich suche.

Keine Stirn ist edel und so begeistert,

Kein Auge ernst genug und tief – erforschend: –

Abseits und einsam, mit langem Barte,

Wunderbarem Heiligenschein um graue Locken,

Hängt vielleicht der göttliche Raffael.
[216]


Die Muse

Dieser Jüngling hier war Raffael.


Der Jüngling

Dieser Jüngling? – Unerforschlich, Gott!

Sind deine Wege,

Unerforschlich die tiefen Wunder der Kunst!

Dieses heitre, unbefangne Auge

Sah auf selbsterschaffne Christusbilder,

Madonnen, Heilige und Apostel,

Und alte Weisen, und wilde Schlachten! –

Ach! er scheint nicht älter als ich selber.

Über kleine frohe Spiele scheint er sinnend,

Und das Sinnen wieder scheint ihm Spiel.

Wie ich mich ihm so nah, ach! so vertraulich fühle!

Wie kein Ernst, kein hoher Greisesstolz

Mich Armen rückwärts hält, – wie ich ihm an die Brust

Mit Weinen sinken möchte, und in Freude vergehn!

Ach! er würde mich gern in seine Arme nehmen,

Und freundlich mich über meine Bewunderung,

Über mein Glück zu trösten suchen. –

Nein, ich lasse den Tränen ihren Lauf; –

In der schönsten Bildung hat sich in dir

Die himmlische Kunst den Menschenkindern offenbart. –


Quelle:
Wilhelm Wackenroder: Werke und Briefe. Berlin und München 1984, S. 214-217.
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