Zwei Gemäldeschilderungen

[173] Ein schönes Bild oder Gemälde ist, meinem Sinne nach, eigentlich gar nicht zu beschreiben; denn in dem Augenblicke, da man mehr als ein einziges Wort darüber sagt, fliegt die Einbildung von der Tafel weg, und gaukelt für sich allein in den Lüften. Drum haben die alten Chronikenschreiber der Kunst mich sehr weise gedünket, wenn sie ein Gemälde bloß: ein vortreffliches, ein unvergleichliches, ein über alles herrliches nennen; indem es mir unmöglich scheint, mehr davon zu sagen. Indessen ist es mir beigefallen, ein paar Bilder einmal auf die folgende Art zu schildern, wovon ich die zwei Proben, die mir von selbst in den Sinn gekommen sind, um der eignen Art willen, ohne daß ich diese Art für etwas sehr Vorzügliches halten mag, doch zu jedermanns Ansicht hersetzen will.[173]



Die heilige Jungfrau mit dem Christuskinde,
und der kleine Johannes

Maria

Warum bin ich doch so überselig,

Und zum allerhöchsten Glück erlesen,

Das die Erde jemals tragen mag?

Ich verzage bei dem großen Glücke,

Und ich weiß nicht Dank dafür zu sagen,

Nicht mit Tränen, nicht mit lauter Freude.

Nur mit Lächeln und mit tiefer Wehmut

Kann ich auf dem Götterkinde ruhen,

Und mein Blick vermag es nicht, zum Himmel,

Und zum gütgen Vater aufzusteigen.

Nimmer werden meine Augen müde,

Dieses Kind, das mir im Schoße spielet,

Anzusehn mit tiefer Herzensfreude.

Ach! und welche fremde, große Dinge,

Die das unschuldvolle Kind nicht ahndet,

Leuchten aus den klugen blauen Augen,

Und aus all den kleinen Gaukeleien!

Ach! ich weiß nicht, was ich sagen soll!

Dünkt michs doch, ich sei nicht mehr auf dieser Erde,

Wenn ich in mir recht lebendig denke:

Ich, ich bin die Mutter dieses Kindes.


Das Jesuskind

Hübsch und bunt ist die Welt um mich her!

Doch ists mir nicht wie den andern Kindern,

Doch kann ich nicht recht spielen,

Nichts fest angreifen mit der Hand,

Nicht lautjauchzend frohlocken.

Was sich lebendig[174]

Vor meinen Augen regt und bewegt,

Kommt mir vor, wie vorbeigehend Schattenbild

Und artiges Blendwerk.

Aber innerlich bin ich froh,

Und denke mir innerlich schönere Sachen,

Die ich nicht sagen kann.


Der kleine Johannes

Ach! wie bet ich es an, das Jesuskindlein!

Ach wie lieblich und voller Unschuld

Gaukelt es in der Mutter Schoß! –

Lieber Gott im Himmel, wie bet ich heimlich zu Dir,

Und danke Dir,

Und preise Dich um Deine große Gnade,

Und flehe Deinen Segen herab auch für mich!


Zweites Bild
Die Anbetung der drei Weisen aus dem Morgenlande

Die drei Weisen

Siehe! aus dem fernen Morgenlande

Kommen wir, vom schönen Stern geführet,

Wir, drei Weisen aus dem fernen Lande,

Wo die Sonn' in ihrer Pracht hervorgeht.

Lange Jahre haben wir nach Weisheit,

Nach der Weisheit Urquell hingetrachtet,

Haben viel erdacht in unserm Geiste;

Und dabei hat uns der Herr der Dinge

Kron' und Zepter gnädiglich verliehen,

Und bei unsrer langen Geistesarbeit

Uns mit silberweißem Haupt gesegnet.

Doch, wir kommen jetzt dahergezogen,[175]

Aus dem Lande, wo die Sonn' emporsteigt,

Um die ganze Weisheit unsrer Jahre,

Unsre ganze Wissenschaft und Kenntnis,

Ach! vor Dir, du wunderbares Kindlein,

Demutvoll hier in den Staub zu legen,

Und in unsern goldnen Königsmänteln,

Und mit unsern silberweißen Häuptern,

Ehrfurchtsvoll uns hier vor Dir zu beugen,

Hier zu huldigen und anzubeten.

Und zum Zeichen unsrer tiefen Ehrfurcht

Bringen wir Dir Myrrhen, Gold und Weihrauch,

Als ein würdig Opfer unsrer Andacht,

Wie wir es zu geben nur vermögen.


Maria

Ach! preise, meine Seele, den Herrn!

Daß er mich so herrlich gemacht hat,

So hoch erhoben vor allem Volke!

Daß ich das Kindlein geboren habe,

Das mir im Schoße spielet,

Das die Weisen anzubeten

Aus dem fernen Morgenlande herziehn!

Ach! mein Auge vermags nicht zu ertragen,

Und mein Herz bricht!

Alle tiefe Weisheit ihrer Jahre

Legen sie vor dem Kindlein in den Staub:

Ihre Kniee gebeugt,

Ihre Häupter zur Erde geneigt,

Und am Boden liegen die goldnen Königsmäntel.

Gold, und Weihrauch, und Myrrhen

Bringen sie zum Opfer;

Ach! dem Kind ein groß und herrlich Opfer! –

O wie selig ist die Mutter innerlich!

Aber ich vermag den weisen Männern

Nicht für ihre große Huld zu danken,[176]

Nicht den Blick zum Himmel aufzuheben.

Aber herrliche und große Dinge

Stehen innerlich mir im Gemüte.


Das Jesuskindlein

Schön muß wohl das ferne Land sein,

Wo die helle Sonn' emporsteigt;

Denn wie herrlich sind die Männer!

Aber wie so alt und prächtig?

Ach! das ist die tiefe Weisheit,

Daß sie goldne Königsmäntel,

Silberweiße Häupter haben.

Und recht wunderbare Dinge

Haben sie mir hergetragen!

Und doch knien sie vor mir nieder, –

Seltsam scheinen mir die Männer,

Und ich weiß mir nicht zu sagen,

Wie ich sie recht nennen soll.


Quelle:
Wilhelm Wackenroder: Werke und Briefe. Berlin und München 1984, S. 173-177.
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