X. Die Ewigkeit der Kunst

[299] Es geschieht nicht selten, daß Leute unsern Enthusiasmus dadurch zu hemmen suchen, daß sie uns die Nichtigkeit und Vergänglichkeit aller menschlichen Dinge vor die Augen stellen. Vielen Gemütern ist es eigen, daß ihre Phantasie schon unwillkürlich die Bilder von Tod und Ewigkeit erweckt, um der etwanigen Begeisterung ein bestimmtes Ziel zu setzen. Auf diese Geschicklichkeit setzen sie einen hohen Wert, und meinen, daß nur das sogenannte Unvergängliche und Unsterbliche ihrer Anbetung würdig sei.

Wenn wir die Zahl der Gestirne betrachten und erwägen, den Lauf der Zeit, die schon über so manche Vergangenheit hinübergeschritten ist, wenn wir uns dann in die bodenlose Tiefe der Ewigkeit verlieren, so erzittert der Mensch oft in sich selber, und sagt zu sich: Wie kannst du den Preis dieser kleinen Gegenwart[299] so hoch anschlagen, da sie sich wie ein unbemerkter Punkt in dem unermeßlichen Ozean verläuft? Was kann deine innige Verehrung verdienen, da du nicht sicher bist, ob nicht blinde Vergessenheit alle deine Götter einmal verschlingt?

Wenn nun vor dem Bilde eines Helden, eines großen Künstlers unsre Seele in wollüstigen Schauern zittert, wenn wir gleichsam die ganze Welt und alle ihre Menschen in diesen einen Moment, in diese eine Anbetung zusammenpressen möchten, und wie das innerste Rad eines Uhrwerks allen übrigen Seelen denselben Schwung mitteilen wollten: so lächelt ein andrer oft wehmütig und mit stiller Größe über unsern lautschallenden Hymnus, und zeigt auf die tiefen Abgründe der Vergangenheit, auf die unbekannte ewige Zukunft, wir scheuen ihn wie törichte Kinder, und er möchte uns gar zu gern wieder das Gefühl der allgemeinen Unbedeutenheit mitteilen.

Gern möchtest du uns dadurch alles Große und Edle alltäglich machen, durch den schwarzen Schatten des Todes strebst du allen Glanz zu verlöschen. Du bildest dir ein, die bloße Vorstellung der Vernichtung, das blinde Ungeheuer Zeit dürften über unsere höchste und reinste Liebe triumphieren, unbekannten Götzenbildern müsse alles sich neigen, und desto furchtbarer sei die Gewalt, je rätselhafter und unverständlicher sie sei.

Wenn wir in reicher, frischer Lebensgegenwart unbefangene Blicke auf die Welt und in unser Inneres werfen, wenn wir den hohen Gang der edelsten Geister wahrnehmen und alle ihre Taten, Gesinnungen und Kunst ganz nahe an unsern Herzen fühlen, dann erscheinen uns die Phantome trüb und leer, die sonst unsre Phantasie gar zu leicht mit Entsetzen und Ehrfurcht erfüllen, wir empfinden es lebendigst, wie unsre Liebe ewig sei, wie kein Tod sie beschatten könne, kein Bild der Ewigkeit sie unbedeutend machen dürfe.

Wir haben uns an die Vorstellung gewöhnt, Ewigkeit nur unter dem Bilde der zukünftigen Zeit zu denken, so mit schwindelndem Blick in die ungemeßne Länge künftiger Jahre hinabzuschauen, und uns den wiederkehrenden Kreislauf von[300] Begebenheiten und Ereignissen dazuzudenken. Eine lange Reihe unkenntlicher Gestalten zwingt uns eine blinde Ehrfurcht ab, wir entsetzen uns vor einem trüben Bilde unsrer eignen Phantasie, wir fürchten uns vor uns selber. Ist es denn die majestätische Unvergänglichkeit, die auf uns zukömmt? Wir vergessen, daß die Gegenwart ebensogut ewig zu nennen sei, daß die Ewigkeit sich in den Umfang einer Handlung, eines Kunstwerks zurückziehn könne, nicht deswegen, weil sie unvergänglich daure, sondern weil jene groß, weil dieses vollendet ist. Statt nach außen geht hier die Ewigkeit gleichsam nach innen, in einem Fruchtkorn sieht man nicht die Entwicklung der Felder und Saaten, sondern in Saat und Pracht des Gefildes das ehemalige Korn.

Alles, was vollendet, das heißt, was Kunst ist, ist ewig und unvergänglich, wenn es auch die blinde Hand der Zeit wieder auslöscht, die Dauer ist zufällig, Zugabe; ein vollendetes Kunstwerk trägt die Ewigkeit in sich selbst, die Zeit ist ein zu grober Stoff, als daß es aus ihr Nahrung und Leben ziehn könne.

Wenn daher auch Geschlechter, Erden und Welten vergehn, so leben doch die Seelen aller großen Taten, aller Dichtungen, aller Kunstwerke. – In der Vollendung der Kunst sehen wir am reinsten und schönsten das geträumte Bild eines Paradieses, einer unvermischten Seligkeit. Gemälde verbleichen, Gedichte verklingen; – aber Verse und Farben waren es auch nicht, die ihnen ihr Dasein schufen. In sich selbst trägt die Gegenwart der Kunst ihre Ewigkeit, und bedarf der Zukunft nicht, denn Ewigkeit bezeichnet nur Vollendung.

Darum ist es ein unkünstlerischer Geist, der die trüben Schatten des Todes und der Vergänglichkeit auf alle glänzende Lebensstellen wirft. Tod und Bild der zukünftigen Ewigkeit sind der wahren Kunst entgegengesetzt, sie heben sie auf und zerstören sie, denn sie schieben dem Geistigsten, in sich Fertigsten einen groben Stoff als notwendige Bedingung unter, da die Kunst in sich keine Bedingungen kennt, und ihr Ganzes keine Teile hat.

Dergleichen Art, den Tod jedem Leben beizumischen, ist überhaupt manierierte Poesie, es sind Striche und Linien, die innerhalb[301] des Rahmens groß und keck scheinen mögen, die aber, neben einem andern wahrhaft großen Gemälde gesehn, verschwinden, und nur eine gewisse, bestimmte Geschicklichkeit des Meisters verraten.

Lasset uns darum unser Leben in ein Kunstwerk verwandeln, und wir dürfen kühnlich behaupten, daß wir dann schon irdisch unsterblich sind.[302]

Quelle:
Wilhelm Wackenroder: Werke und Briefe. Berlin und München 1984, S. 299-303.
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