VIII. Ein paar Worte über Billigkeit, Mäßigkeit und Toleranz

[290] Viele werden es mir übel deuten und mitleidig lächeln, daß ich immer wieder auf Raffael zurückkomme, und mich in meinen Worten über ihn nicht mehr zu mäßigen trachte. Sie werden mich tadeln, daß ich stets von ihm so ohne alle Einschränkung spreche, nicht eine billige Begeisterung abmesse, und auch den übrigen ihr Recht widerfahren lasse. Ohne daß ich seinen Namen suche, fällt er mir bei, wenn von der Kunst der Malerei die Rede ist; er dient mir zum festen Maßstabe alles Großen und Schönen, zum erläuternden Bilde.

Wer vom Erhabenen gerührt wird, wem sich die Wunder des Schönen aufschließen, dessen ganze Seele wird durch den Enthusiasmus fest hineinverwachsen, und ihm wird es unmöglich sein, sich mit kalten, abgemessenen Lobsprüchen zu begnügen. Können wir denn die Göttlichkeit der Kunst, das Höchste, was die menschliche Seele hervorbringen kann, nach[290] der Elle des Kaufmanns messen, oder nach Goldgewichten abwägen? Die wahre Schöne, die Größe der Kunst ist unergründlich, sie zieht unser Herz, wo wir sie wahrnehmen, magnetisch an sich, wir fühlen bis in die innersten Tiefen unsre ewige Verwandtschaft, es zuckt wie mit Blitzesschlägen durch unsern Geist, wir erkennen das Göttliche, und ringen im schönsten Kampfe darnach, wir streben ein Zeichen von uns zu geben, eine Vergeltung, ein Band, das unzerreißbar die verwandte Erhabenheit an uns ketten soll, und so ergießt sich unsre Sprache in begeisterter Rede, weil wir dermalen noch durch Organe uns kundgeben müssen, und die Kraft der Seele nicht unmittelbar zu den goldenen Ätherbildern emporsteigen kann.

Der Enthusiasmus (von dem falschen, erheuchelten darf ich hier nicht sprechen) ist kein Lobpreisen des fremden Geistes, sondern ein schönes Bekenntnis unsrer eignen Größe, von der echten Kunst sollte nie ohne Enthusiasmus gesprochen werden. Auf ähnliche Weise, wenn wir die Naturkräfte um uns her wirken fühlen, wenn die wohltätige, majestätische Sonne aufgeht, und rings die Geister schaffend durch die tausendfältigen Naturen dringen, und wir vom Berge her, vom Tal herauf das verwandte Leben, die freundlichen Kräfte vernehmen und fühlen, uns im Einklange mit der sichtbaren und unsichtbaren Welt, so sprechen wir gern diese Wonne aus, wir möchten ein Andenken an das hohe Bewußtsein unsrer selbst stiften, und so entsteht das Gebet, der Gedanke an Gott. Wem das glühende Gefühl einmal so weit den Busen dehnt, wer wird da noch seine Worte meistern und zählen, wer denkt daran, in seinem Hymnus auf den Höchsten sich zu mäßigen, und Kreaturen außer jenem ihr Recht widerfahren zu lassen?

Ich komme von meiner Vergleichung, die mir nicht so kühn dünkt, als sie den meisten erscheinen wird, zurück. Gar viele Leute meinen immer, ihr eignes Verdienst, oder ein andres, das sie meist selbst nicht deutlich denken, werde geschmälert, wenn man irgendeins als das Höchste, Vortrefflichste, Vollendetste lobpreist. Als wenn nicht jedes Große und Schöne in einer eignen[291] Welt, in eignen Elementen lebte, sich durch sich selbst ernährt und erhält. Keine feindselige Gewalt kann hier hereinbrechen und zerstören, ewig begründet wie die Welt, auf sich selber ruhend, undurchdringlich, bewegt sich jede Schönheit in ihren eignen Kreisen, und jeder, der es versuchte, nicht wagte zu verfolgen, erscheint so albern und mitleidswürdig, nicht hassenswert, als der es unternimmt, mit schwacher Zunge Gott zu lästern. Es ist kein Wagestück, es ist ein Verkennen seiner selbst.

Aber sie fühlen es, die meisten, wie ihr zu irdischer Busen nicht dafür gebaut ist, die glorreiche Flamme des Enthusiasmus zu beherbergen. Sie erschrecken vor dem Gefühl, wenn sie es nur aus der Ferne auf sich zukommen sehn, denn die Torheiten, die Albernheiten, ihre gemeine Freude ist im Begriff zu entschwinden, alles, was ihnen wert ist, wovor sie eine heilige, ehrende Furcht hegen, will sie verlassen, das Glück der Häuslichkeit, ihr kleiner Stolz auf ihre Vortrefflichkeit. Ein Wasser, das sie nur als Quell dulden, breitet sich in ein großes, glänzendes Meer aus, und will sie und all ihr Wissen verschlingen. Da retten sie sich gern und ihre Armut, und gestehn lieber ihre Dürftigkeit, daß sie zu schwach sind, den Gott zu beherbergen, daß es ihnen leid tue, daß er sich nicht mit der kläglichen Ehre und Genugtuung begnügen wolle, die sie ihren andern Götzen mit Selbstzufriedenheit gern bringen. Darum verlästern sie die Begeisterung, weil sie ihnen Verfolgung dünkt, sie holen die Bilder ihrer Lieblinge, ihrer Künstler, die vor dem Angesichte der hohen Kunst vernichtet werden, und stellen sie als Mauern und Schanzen um sich her. Die Feinde wollen unsern Gottesdienst zerstören! unser Heiligstes uns entreißen! So entsteht ein Geschrei, und alle versammelt der blinde Lärm, denn niemand achtet ihrer, die Kunst fährt mit ihren Lieblingen auf einem Triumphwagen vorüber, und lächelt über die Waffenrüstungen, über die vermeintliche Not, über den eingebildeten Religionskrieg der Ohnmächtigen.

Andre sind, die sich überaus weise dünken, weil sie an sich selbst blutarme Erfahrungen gemacht haben. Sie führen ein Leben, wie einen Traum, es fängt an, es endet ohne Ursache und[292] hat keinen Mittelpunkt. Sie werden hin- und hergetrieben, bald von Laune, bald von kleinlicher Leidenschaft regiert. Sie hören von der Größe, von den Heroen, von der Poesie, und meinen, alles sei dieselbe Torheit, die sie treiben, nur daß sie dergleichen Schwachheit noch an sich selber nicht erlebt haben. Es fügt sich wohl, daß eine Liebhaberei an Gemälden, an Dichtern, den ersten besten, die sich finden, sie berührt: sie kommen in leidenschaftliche Hitze, sie zanken, streiten, und meinen sie bewundern, sie tauschen diese Torheit ohne Bedauern gegen eine andre, die ihnen die Welle auf dem Lebensstrome entgegenbringt. Unter ewigen unsteten Abwechslungen führen sie ihr Dasein, jeder erscheint ihnen ein Tor, der sich ein edles, festes Ziel setzen will, dem er trotz Wind und Wogen mutig entgegenrudert. Sie lächeln der Begeisterung, und sind versichert und schwören, daß diese Aufwallung noch heute und spätestens morgen vorübergehn werde, daß man heute dieses hitzig lobe, und morgen das, was man in dieser Stunde verachte. Diese rechnen uns immer ihr Ungefühl für Billigkeit und Mäßigkeit an: sie meinen die Welt und alles darin von gar vielen Seiten zu betrachten, wenn sie sich mit blinden Augen dem spielenden Zufalle überlassen, und bald hier, bald dort in einer leeren Gegenwart mit allen ihren Wünschen ankern.

Was soll ich aber von jenen sagen, die mir immer am verdrießlichsten gefallen sind und die meiste Langeweile erregt haben? – Die als Knaben mit unnützer Hitze und wilder Eitelkeit über Kunst und Wissen fielen und alles wie Blumen pflückten und rissen, um sich damit zu putzen; die als Jünglinge noch Knaben blieben, und sich bald mutlos dem Eigennutze, der Sorge für ihre dürftige Wohlfahrt überließen, die sie ihr Schicksal, ihr Verhängnis nannten? – Immer tiefer in das Leben hineingelebt, fällt es wie Mauern hinter jedem ihrer Schritte, den sie zurückgelegt haben; sie sehn auch nur vorwärts, ihrem Gewinne, ihren Titeln, ihrer Ehrerbietung entgegen, die ihnen andre bezeigen, immer enger wird ihr Weg zu beiden Seiten, immer mehr schrumpft ihr Herz zusammen, und das, woran sie leiden, ist ihr Stolz, ihre[293] Krankheit ist ihr Glück, die sie Erfahrung und Weisheit nennen. Sie billigen mit einschränkendem Bedauern die Begeisterung, weil sie sie für das Jünglingsfeuer halten, an dem sie sich als Kinder auch verbrannten, um sich nachher desto mehr davor zu hüten: sie behandeln den Enthusiasten gern wie einen jüngern unmündigen Bruder, und sagen ihm, wie mit den Jahren alles, alles schwindet, und wie er dann das eigentliche Leben, die eigentliche Wahrheit kennenlernt. So unterweist der Schmetterling den Adler, und will, daß er sich doch auch einmal, wie er getan, einspinnen soll, und dem Fluge und der tändelnden Jugend ein Ende machen.

So wahr ist es, daß viele in der Unerfahrenheit der Jugend noch am besten sind, daß die Klugheit der Jahre sie erst mit dem dichtesten Nebel überhängt, und daß sie dann den Glanz der Sonne leugnen.

Wie aber lobst du, Unmündiger, deine schwachen Götter, wenn du alle preisest? Nenne das Wort Toleranz nicht, denn du verstehst es nicht: Du verfolgst, entwürdigst das Höchste, um nur das Unbedeutende, Flache und Schlechte dulden zu können, du verdammst den Heiland und bittest für den Schächer.

Tolerant und duldend ist der, der die Kunst mit wahrem Enthusiasmus liebt, er will, daß alles nach seinem Maße in seinem Kreise ein eignes Leben führe, sogar das Alberne und Abgeschmackte, nur will er nicht, daß man das Gemeine an seine Götter reihe; ertragen will er alles, lieben und anbeten aber nur das Höchste.

Quelle:
Wilhelm Wackenroder: Werke und Briefe. Berlin und München 1984, S. 290-294.
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