Erste Szene

[630] GERHILDE zu höchst gelagert, dem Hintergrunde zurufend, von wo ein starkes Gewölk herzieht.

Hojotoho! Hojotoho!

Heiaha! Heiaha!

Helmwige! Hier!

Hierher mit dem Roß!

HELMWIGES STIMME im Hintergrunde.

Hojotoho! Hojotoho!

Heiaha!


In dem Gewölk bricht Blitzesglanz aus; eine Walküre zu Roß wird in ihm sichtbar: über ihrem Sattel hängt ein erschlagener Krieger. Die Erscheinung zieht, immer näher, am Felsensaume von links nach rechts vorbei.


GERHILDE, WALTRAUTE UND SCHWERTLEITE der Ankommenden entgegenrufend.

Heiaha! Heiaha!


Die Wolke mit der Erscheinung ist rechts hinter dem Tann verschwunden.


ORTLINDE in den Tann hineinrufend.

Zu Ortlindes Stute

stell deinen Hengst:

mit meiner Grauen

grast gern dein Brauner.

WALTRAUTE hineinrufend.

Wer hängt dir im Sattel?

HELMWIGE aus dem Tann auftretend.

Sintolt, der Hegeling![630]

SCHWERTLEITE.

Führ deinen Braunen

fort von der Grauen:

Ortlindes Mähre

trägt Wittig, den Irming!

GERHILDE ist etwas näher herabgestiegen.

Als Feinde nur sah ich

Sintolt und Wittig!

ORTLINDE springt auf.

Heiaha! Heiaha! Die Stute

stößt mir der Hengst!


Sie läuft in den Tann. – Gerhilde, Helmwige und Schwertleite lachen laut auf.


GERHILDE.

Der Recken Zwist

entzweit noch die Rosse!

HELMWIGE in den Tann zurückrufend.

Ruhig, Brauner!

Brich nicht den Frieden!

WALTRAUTE auf der Höhe, wo sie für Gerhilde die Wacht übernommen, nach rechts in den Hintergrund rufend.

Hojoho! Hojoho!

Siegrune hier!

Wo säumst du so lang?


Sie lauscht nach rechts.


SIEGRUNES STIMME von der rechten Seite des Hintergrundes her.

Arbeit gab's. –

Sind die Andren schon da?

SCHWERTLEITE UND WALTRAUTE nach rechts in den Hintergrund rufend.

Hojotoho! Hojotoho!

Heiaha!

GERHILDE.

Heiaha!


Ihre Gebärden sowie ein heller Glanz hinter dem Tann zeigen an, daß soeben Siegrune dort angelangt ist. Aus der Tiefe hört man zwei Stimmen zugleich.


GRIMGERDE UND ROSSWEISSE links im Hintergrunde.

Hojotoho! Hojotoho!

Heiaha!

WALTRAUTE.

Grimgerd' und Roßweiße!

SCHWERTLEITE.

Sie reiten zu zwei!


In dem blitzerglänzenden Wolkenzuge, der von links her vorbeizieht, erscheinen Roßweiße und Grimgerde, ebenfalls auf Rossen, jede einen Erschlagenen im Sattel führend. – Helmwige, Ortlinde und Siegrune sind aus dem Tann getreten und winken vom Felsensaume den Ankommenden zu.


HELMWIGE, ORTLINDE UND SIEGRUNE.

Gegrüßt! Ihr Reisige!

Roßweiß' und Grimgerde![631]

ROSSWEISSE UND GRIMGERDES STIMMEN.

Hojotoho! Hojotoho!

Heiaha!


Die Erscheinung verschwindet hinter dem Tann.


DIE SECHS ANDEREN WALKÜREN.

Hojotoho! Hojotoho!

Heiaha! Heiaha!

GERHILDE in den Tann rufend.

In Wald mit den Rossen

zu Rast und Weid!

ORTLINDE ebenfalls in den Tann rufend.

Führet die Mähren

fern voneinander,

bis unsrer Helden

Haß sich gelegt!


Die Walküren lachen.


HELMWIGE während die anderen lachen.

Der Helden Grimm

büßt schon die Graue!


Die Walküren lachen.


ROSSWEISSE UND GRIMGERDE aus dem Tann tretend.

Hojotoho! Hojotoho!

DIE SECHS ANDEREN WALKÜREN.

Willkommen! Willkommen!

Willkommen!

SCHWERTLEITE.

Wart ihr Kühnen zu zweit?

GRIMGERDE.

Getrennt ritten wir,

und trafen uns heut.

ROSSWEISSE.

Sind wir alle versammelt,

so säumt nicht lange:

nach Walhall brechen wir auf,

Wotan zu bringen die Wal.

HELMWIGE.

Acht sind wir erst:

Eine noch fehlt.

GERHILDE.

Bei dem braunen Wälsung

weilt wohl noch Brünnhild'.

WALTRAUTE.

Auf sie noch harren müssen wir hier;

Walvater gäb uns

grimmigen Gruß,

säh ohne sie er uns nahn!

SIEGRUNE auf der Felswarte, von wo sie hinausspäht.

Hojotoho! Hojotoho!


In den Hintergrund rufend.


Hieher! Hieher!


Zu den anderen.


In brünstigem Ritt

jagt Brünnhilde her.[632]

DIE ACHT WALKÜREN alle oben auf der Warte.

Hojotoho! Hojotoho!

Brünnhilde! hei!


Sie spähen mit wachsender Verwunderung.


WALTRAUTE.

Nach dem Tann lenkt sie

das taumelnde Roß.

GRIMGERDE.

Wie schnaubt Grane

vom schnellen Ritt!

ROSSWEISSE.

So jach sah ich nie

Walküren jagen!

ORTHILDE.

Was hält sie im Sattel?

HELMWIGE.

Das ist kein Held!

SIEGRUNE.

Eine Frau führt sie.

GERHILDE.

Wie fand sie die Frau?

SCHWERTLEITE.

Mit keinem Gruß

grüßt sie die Schwestern!

WALTRAUTE hinabrufend.

Heiaha! Brünnhilde,

hörst du uns nicht?

ORTLINDE.

Helft der Schwester

vom Roß sich schwingen!

HELMWIGE, GERHILDE, SIEGRUNE, ROSSWEISSE.

Hojotoho! Hojotoho!

ORTLINDE, WALTRAUTE, GRIMGERDE, SCHWERTLEITE.

Heiaha!

Heiaha!


Gerhilde und Helmwige stürzen in den Tann. – Siegrune und Roßweiße laufen ihnen nach.


WALTRAUTE in den Tann blickend.

Zu Grunde stürzt

Grane, der Starke!

GRIMGERDE.

Aus dem Sattel hebt sie

hastig das Weib.

ORTLINDE, WALTRAUTE, GRIMGERDE UND SCHWERTLEITE.

Schwester! Schwester!

Was ist geschehn?


Alle Walküren kehren auf die Bühne zurück; mit ihnen kommt Brünnhilde, Sieglinde unterstützend und geleitend.


BRÜNNHILDE atemlos.

Schützt mich, und helft in höchster Not!

DIE ACHT WALKÜREN.

Wo rittest du her

in rasender Hast?

So flieht nur, wer auf der Flucht!

BRÜNNHILDE.

Zum erstenmal flieh ich,

und bin verfolgt:

Heervater hetzt mir nach.[633]

DIE ACHT WALKÜREN heftig erschreckend.

Bist du von Sinnen?

Sprich! Sage uns!

Verfolgt dich Heervater?

Fliehst du vor ihm?

BRÜNNHILDE wendet sich ängstlich, um zu spähen, und kehrt wieder zurück.

O Schwestern, späht

von des Felsens Spitze!

Schaut nach Norden,

ob Walvater naht.


Ortlinde und Waltraute springen auf die Felsspitze zur Warte.


Schnell! Seht ihr ihn schon?

ORTLINDE.

Gewittersturm

naht von Norden.

WALTRAUTE.

Starkes Gewölk

staut sich dort auf!

DIE WEITEREN SECHS WALKÜREN.

Heervater reitet

sein heiliges Roß!

BRÜNNHILDE.

Der wilde Jäger,

der wütend mich jagt:

er naht, er naht von Norden!

Schützt mich, Schwestern!

Rettet dies Weib!

SECHS WALKÜREN ohne Ortlinde und Waltraute.

Was ist mit dem Weibe?

BRÜNNHILDE.

Hört mich in Eile:

Sieglinde ist es,

Siegmunds Schwester und Braut: –

gegen die Wälsungen

wütet Wotan in Grimm;

dem Bruder sollte

Brünnhilde heut

entziehen den Sieg:

doch Siegmund schützt ich

mit meinem Schild,

trotzend dem Gott; –

der traf ihn da selbst mit dem Speer:

Siegmund fiel;

doch ich floh

fern mit der Frau;

sie zu retten,

eilt ich zu euch –

ob mich Bange auch


[634] Kleinmütig.


ihr berget vor dem strafenden Streich!

SECHS WALKÜREN ohne Ortlinde und Waltraute.

Betörte Schwester,

was tatest du?

Wehe! Brünnhilde! Wehe!

Brach ungehorsam

Brünnhilde

Heervaters heilig Gebot?

WALTRAUTE von der Warte.

Nächtig zieht es

von Norden herab.

ORTLINDE ebenso.

Wütend steuert

hierher der Sturm.

ROSSWEISSE, GRIMGERDE, SCHWERTLEITE.

Wild wiehert Walvaters Roß!

HELMWIGE, GERHILDE UND SIEGRUNE.

Schrecklich schnaubt es daher.

BRÜNNHILDE.

Wehe der Armen,

wenn Wotan sie trifft:

den Wälsungen allen

droht er Verderben! –

Wer leiht mir von euch

das leichteste Roß,

das flink die Frau ihm entführ?

SIEGRUNE.

Auch uns rätst du

rasenden Trotz?

BRÜNNHILDE.

Roßweiße, Schwester,

leih mir deinen Renner!

ROSSWEISSE.

Vor Walvater floh

der fliegende nie.

BRÜNNHILDE.

Helwige, höre!

HELMWIGE.

Dem Vater gehorch ich.

BRÜNNHILDE.

Grimgerde! Gerhilde!

Gönnt mir eu'r Roß!

Schwertleite! Siegrune!

Seht meine Angst!

O seid mir treu,

wie traut ich euch war:

rettet dies traurige Weib!

SIEGLINDE die bisher finster und kalt vor sich hingestarrt, fährt, als Brünnhilde sie lebhaft – wie zum Schutze – umfaßt, mit einer abwehrenden Gebärde auf.

Nicht sehre dich Sorge um mich:[635]

einzig taugt mir der Tod. –

Wer hieß dich Maid

dem Harst mich entführen?

Im Sturm dort hätt ich

den Streich empfahn

von derselben Waffe,

der Siegmund fiel:

das Ende fand ich

vereint mit ihm!

Fern von Siegmund –

Siegmund, von dir! –

O deckte mich Tod,

daß ich's denke!

Soll um die Flucht

dir Maid ich nicht fluchen,

so erhöre heilig mein Flehen: –

stoße dein Schwert mir ins Herz!

BRÜNNHILDE.

Lebe, o Weib,

um der Liebe willen!

Rette das Pfand,

das von ihm du empfingst:


Stark und drängend.


ein Wälsung wächst dir im Schoß!

SIEGLINDE erschrickt zunächst heftig; sogleich strahlt aber ihr Gesicht in erhabener Freude auf.

Rette mich, Kühne!

Rette mein Kind!

Schirmt mich, ihr Mädchen,

mit mächtigstem Schutz!


Immer finsteres Gewitter steigt im Hintergrunde auf.


WALTRAUTE auf der Warte.

Der Sturm kommt heran!

ORTLINDE ebenso.

Flieh, wer ihn fürchtet!

DIE SECHS ANDEREN WALKÜREN.

Fort mit dem Weibe,

droht ihm Gefahr!

Der Walküren keine

wag ihren Schutz!

SIEGLINDE auf den Knien vor Brünnhilde.

Rette mich, Maid!

Rette die Mutter!

BRÜNNHILDE mit lebhaftem Entschluß hebt Sieglinde auf.

So fliehe denn eilig –

und fliehe allein!

Ich bleibe zurück,

biete mich Wotans Rache:

an mir zögre ich[636]

den Zürnenden hier,

während du seinem Rasen entrinnst.

SIEGLINDE.

Wohin soll ich mich wenden?

BRÜNNHILDE.

Wer von euch Schwestern

schweifte nach Osten?

SIEGRUNE.

Nach Osten weithin

dehnt sich ein Wald:

der Niblungen Hort

entführte Fafner dorthin.

SCHWERTLEITE.

Wurmes Gestalt

schuf sich der Wilde;

in einer Höhle

hütet er Alberichs Reif!

GRIMGERDE.

Nicht geheu'r ist's dort

für ein hilflos Weib.

BRÜNNHILDE.

Und doch vor Wotans Wut

schützt sie sicher der Wald:

ihn scheut der Mächt'ge

und meidet den Ort.

WALTRAUTE auf der Warte.

Furchtbar fährt

dort Wotan zum Fels!

SECHS WALKÜREN.

Brünnhilde, hör

seines Nahens Gebraus!

BRÜNNHILDE drängend.

Fort denn eile,

nach Osten gewandt!

Mutigen Trotzes

ertrag alle Müh'n. –

Hunger und Durst,

Dorn und Gestein;

lache, ob Not,

ob Leiden dich nagt! –

Denn Eines wiss'

und wahr es immer: –

den hehrsten Helden der Welt

hegst du, o Weib,

im schirmenden Schoß!


Sie zieht die Stücken von Siegmunds Schwert unter ihrem Panzer hervor und überreicht sie Sieglinde.


Verwahr ihm die starken

Schwertesstücken;

seines Vaters Walstatt

entführt ich sie glücklich.[637]

Der neu gefügt

das Schwert einst schwingt,

den Namen nehm er von mir:

Siegfried erfreu sich des Siegs!

SIEGLINDE in größter Rührung.

O hehrstes Wunder!

Herrlichste Maid!

Dir Treuen dank ich

heiligen Trost!

Für ihn, den wir liebten,

rett ich das Liebste:

meines Dankes Lohn

lache dir einst!

Lebe wohl!

Dich segnet Sieglindes Weh!


Sie eilt rechts im Vordergrunde von dannen. – Die Felshöhe ist von schwarzen Gewitterwolken umlagert; furchtbarer Sturm braust aus dem Hintergrunde daher, wachsender Feuerschein rechts daselbst.


WOTANS STIMME.

Steh, Brünnhild'!


Brünnhilde, nachdem sie eine Weile Sieglinde nachgesehen, wendet sich in den Hintergrund, blickt in den Tann und kommt angstvoll wieder vor.


ORTLINDE UND WALTRAUTE von der Warte herabsteigend.

Den Fels erreichten

Roß und Reiter!

ALLE ACHT WALKÜREN.

Weh, Brünnhild!

Rache entbrennt!

BRÜNNHILDE.

Ach Schwestern helft,

mir schwankt das Herz!

Sein Zorn zerschellt mich,

wenn euer Schutz ihn nicht zähmt.

DIE WALKÜREN flüchten ängstlich nach der Felsenspitze hinauf; Brünnhilde läßt sich von ihnen nachziehen.

Hieher, Verlorne!

Laß dich nicht sehn,

schmiege dich an uns,

und schweige dem Ruf!


Sie verbergen Brünnhilde unter sich und blicken ängstlich nach dem Tann, der jetzt von grellem Feuerschein erhellt wird, während der Hintergrund ganz finster geworden ist.


Weh!

Wütend schwingt sich[638]

Wotan vom Roß!

Hierher rast

sein rächender Schritt!


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 630-639.
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