Erste Szene


[760] Die Halle der Gibichungen am Rhein.


Diese offen. Den Hintergrund selbst nimmt ein freier Uferraum bis zum Flusse hin ein; felsige Anhöhen umgrenzen das Ufer. – Gunther und Gutrune auf dem Hochsitze zur Seite, vor welchem ein Tisch mit Trinkgeräte steht; davor sitzt Hagen.


GUNTHER.

Nun hör, Hagen;

sage mir, Held:

sitz ich herrlich am Rhein,

Gunther zu Gibichs Ruhm?

HAGEN.

Dich echt genannten

acht ich zu neiden;

die beid uns Brüder gebar,

Frau Grimhild ließ mich's begreifen.[760]

GUNTHER.

Dich neide ich;

nicht neide mich du.

Erbt ich Erstlings Art,

Weisheit ward dir allein:

Halbbrüder Zwist

bezwang sich nie besser.

Deinem Rat nur red ich Lob,

frag ich dich nach meinem Ruhm.

HAGEN.

So schelt ich den Rat,

da schlecht noch dein Ruhm;

denn hohe Güter weiß ich,

die der Gibichung noch nicht gewann.

GUNTHER.

Verschwiegst du sie,

so schelt auch ich.

HAGEN.

In sommerlich reifer Stärke

seh ich Gibichs Stamm,

dich, Gunther, unbeweibt, –

dich, Gutrun', ohne Mann.


Gunther und Gutrune sind in schweigendes Sinnen verloren.


GUNTHER.

Wen rätst du nun zu frein,

daß unsrem Ruhm es frommt?

HAGEN.

Ein Weib weiß ich,

das herrlichste der Welt;

auf Felsen hoch ihr Sitz;

ein Feuer umbrennt ihren Saal:

nur, wer durch das Feuer bricht,

darf Brünnhildes Freier sein.

GUNTHER.

Vermag das mein Mut zu bestehn?

HAGEN.

Einem Stärk'ren noch ist's nur bestimmt.

GUNTHER.

Wer ist der streitlichste Mann?

HAGEN.

Siegfried, der Wälsungen Sproß,

der ist der stärkste Held. –

Ein Zwillingspaar,

von Liebe bezwungen,

Siegmund und Sieglinde

zeugten den echtesten Sohn.

Der im Walde mächtig erwuchs, –

den wünscht ich Gutrun' zum Mann.

GUTRUNE schüchtern beginnend.

Welche Tat schuf er so tapfer,

daß als herrlichster Held er genannt?

HAGEN.

Vor Neidhöhle

den Niblungenhort

bewachte ein riesiger Wurm:[761]

Siegfried schloß ihm

den freislichen Schlund,

erschlug ihn mit siegendem Schwert.

Solch ungeheurer Tat

enttagte des Helden Ruhm.

GUNTHER im Nachsinnen.

Vom Niblungenhort vernahm ich:

er birgt den neidlichsten Schatz?

HAGEN.

Wer wohl ihn zu nützen wüßt,

dem neigte sich wahrlich die Welt.

GUNTHER.

Und Siegfried – hat ihn erkämpft?

HAGEN.

Knecht sind die Niblungen ihm.

GUNTHER.

Und Brünnhild' gewänne nur er?

HAGEN.

Keinem andren wiche die Brunst.

GUNTHER erhebt sich unwillig vom Sitz.

Was weckst du Zweifel und Zwist?

Was ich nicht zwingen soll,

darnach zu verlangen

machst du mir Lust?


Er schreitet bewegt in der Halle auf und ab. Hagen, ohne seinen Sitz zu verlassen, hält Gunther, als dieser wieder in seine Nähe kommt, durch einen geheimnisvollen Wink fest.


HAGEN.

Brächte Siegfried

die Braut dir heim,

wär dann nicht Brünnhilde dein?

GUNTHER wendet sich wieder zweifelnd und unmutig ab.

Was zwänge den frohen Mann

für mich die Braut zu frein?

HAGEN wie vorher.

Ihn zwänge bald deine Bitte –

bänd ihn Gutrun' zuvor.

GUTRUNE.

Du Spötter, böser Hagen!

Wie sollt ich Siegfried binden?

Ist er der herrlichste

Held der Welt,

der Erde holdeste Frauen

friedeten längst ihn schon.

HAGEN sich vertraulich zu Gutrune hinneigend.

Gedenk des Trankes im Schrein;


Heimlicher.


vertraue mir, der ihn gewann:

den Helden, des du verlangst,

bindet er liebend an dich.


Gunther ist wieder an den Tisch getreten und hört, auf ihn gelehnt, jetzt aufmerksam zu.
[762]

Träte nun Siegfried ein,

genöß er des würzigen Tranks –

daß vor dir ein Weib er ersah,

daß je ein Weib ihm genaht,

vergessen müßt er des ganz.

Nun redet:

wie dünkt euch Hagens Rat?

GUNTHER lebhaft auffahrend.

Gepriesen sei Grimhild',

die uns den Bruder gab!

GUTRUNE.

Möcht ich Siegfried je ersehn!

GUNTHER.

Wie fänden ihn wir auf?


Ein Horn klingt aus dem Hintergrund von links her. Hagen lauscht.


HAGEN.

Jagt er auf Taten

wonnig umher,

zum engen Tann

wird ihm die Welt:

wohl stürmt er in rastloser Jagd

auch zu Gibichs Strand an den Rhein.

GUNTHER.

Willkommen hieß ich ihn gern.


Horn näher, aber immer noch fern. Beide lauschen. Hagen eilt nach dem Ufer.


Vom Rhein her tönt das Horn.

HAGEN späht den Fluß hinab und ruft zurück.

In einem Nachen Held und Roß! –

Der bläst so munter das Horn!


Gunther bleibt auf halbem Wege lauschend zurück.


Ein gemächlicher Schlag –

wie von müßiger Hand,

treibt jach den Kahn

wider den Strom:

so rüstiger Kraft

in des Ruders Schwung

rühmt sich nur der,

der den Wurm erschlug.

Siegfried ist es, sicher kein Andrer!

GUNTHER.

Jagt er vorbei?

HAGEN ruft durch die hohlen Hände nach dem Flusse zu.

Hoiho! Wohin,

du heit'rer Held?

SIEGFRIEDS STIMME aus der Ferne.

Zu Gibichs starkem Sohne.

HAGEN.

Zu seiner Halle entbiet ich dich. –


[763] Siegfried erscheint im Kahn am Ufer.


Hieher! Hier lege an!


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 760-764.
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