Dritte Szene


[770] Der Vorhang wird wieder aufgezogen. –

Die Felsenhöhe, wie im Vorspiel. –


Brünnhilde sitzt am Eingang des Steingemaches, in stummem Sinnen Siegfrieds Ring betrachtend. Von wonnigen Erinnerungen ergriffen, bedeckt sie den Ring mit ihren Küssen. Ferner Donner läßt sich vernehmen; sie blickt auf und lauscht. – Sie wendet sich wieder zu dem Ringe. Ein feuriger Blitz. Brünnhilde lauscht von neuem und späht nach der Ferne, von woher eine finstere Gewitterwolke dem Felsensaume zuzieht.


BRÜNNHILDE.

Altgewohntes Geräusch

raunt meinem Ohr die Ferne.

Ein Luftroß jagt

im Laufe daher;

auf der Wolke fährt es

wetternd zum Fels –

Wer fand mich Einsame auf?

WALTRAUTES STIMME aus der Ferne.

Brünnhilde! Schwester!

Schläfst oder wachst du?

BRÜNNHILDE fährt vom Sitze auf.

Waltrautes Ruf,

so wonnig mir kund! –


In die Szene rufend.


Kommst du Schwester?

Schwingst dich kühn zu mir her?


Sie eilt nach dem Felsrande.


Dort im Tann –

– dir noch vertraut –

steige vom Roß

und stell den Renner zur Rast!


Sie stürmt in den Tann, von wo ein starkes Geräusch, gleich einem Gewitterschlage, sich vernehmen läßt. Brünnhilde[770] kommt in heftiger Bewegung mit Waltraute zurück; sie bleibt freudig erregt, ohne Waltrautes ängstliche Scheu zu beachten.


Kommst du zu mir?

Bist du so kühn,

magst ohne Grauen

Brünnhild bieten den Gruß?

WALTRAUTE.

Einzig dir nur

galt meine Eil.

BRÜNNHILDE in höchster freudiger Aufgeregtheit.

So wagtest du, Brünnhild' zulieb,

Walvaters Bann zu brechen? –

Oder wie – o sag! –

wär wider mich

Wotans Sinn erweicht? –

Als dem Gott entgegen

Siegmund ich schützte,

fehlend – ich weiß es –

erfüllt ich doch seinen Wunsch.

Daß sein Zorn sich verzogen,

weiß ich auch.

Denn verschloß er mich gleich in Schlaf,

fesselt' er mich auf dem Fels,

wies er dem Mann mich zur Magd,

der am Weg mich fänd und erweckt –

meiner bangen Bitte

doch gab er Gunst:

mit zehrendem Feuer

umzog er den Fels,

dem Zagen zu wehren den Weg.

So zur Seligsten

schuf mich die Strafe:

der herrlichste Held

gewann mich zum Weib!

In seiner Liebe

leucht und lach ich heut auf!


Sie umarmt Waltraute unter stürmischen Freudenbezeigungen, welche diese mit scheuer Ungeduld abzuwehren sucht.


Lockte dich Schwester mein Los?

An meiner Wonne

willst du dich weiden,

teilen, was mich betraf?

WALTRAUTE heftig.

Teilen den Taumel,

der dich Törin erfaßt? –[771]

Ein Andres bewog mich in Angst,

zu brechen Wotans Gebot.


Brünnhilde gewahrt hier erst mit Befremdung die wild aufgeregte Stimmung Waltrautes.


BRÜNNHILDE.

Angst und Furcht

fesseln dich Arme?

So verzieh der Strenge noch nicht?

Du zagst vor des Strafenden Zorn?

WALTRAUTE düster.

Dürft ich ihn fürchten,

meiner Angst fänd ich ein End!

BRÜNNHILDE.

Staunend versteh ich dich nicht.

WALTRAUTE.

Wehre der Wallung,

achtsam höre mich an!

Nach Walhall wieder

treibt mich die Angst,

die von Walhall hierher mich trieb.

BRÜNNHILDE erschreckt.

Was ist's mit den ewigen Göttern?

WALTRAUTE.

Höre mit Sinn, was ich dir sage!

Seit er von dir geschieden,

zur Schlacht nicht mehr

schickte uns Wotan:

irr und ratlos

ritten wir ängstlich zu Heer;

Walhalls mutige Helden

mied Walvater.

Einsam zu Roß,

ohne Ruh noch Rast,

durchschweift er als Wandrer die Welt. –

Jüngst kehrte er heim;

in der Hand hielt er

seines Speeres Splitter, –

die hatte ein Held ihm geschlagen,

Mit stummem Wink

Walhalls Edle

wies er zum Forst,

die Weltesche zu fällen.

Des Stammes Scheite

hieß er sie schichten

zu ragendem Hauf

rings um der Seligen Saal.

Der Götter Rat

ließ er berufen;

den Hochsitz nahm[772]

heilig er ein:

ihm zu Seiten

hieß er die Bangen sich setzen,

in Ring und Reih

die Hall erfüllen die Helden. –

So sitzt er,

sagt kein Wort,

auf hehrem Sitze

stumm und ernst,

des Speeres Splitter

fest in der Faust;

Holdas Äpfel

rührt er nicht an.

Staunen und Bangen

binden starr die Götter.

Seine Raben beide

sandt er auf Reise;

kehrten die einst

mit guter Kunde zurück, –

dann noch einmal,

– zum letzten Mal! –

lächelte ewig der Gott.

Seine Knie umwindend

liegen wir Walküren, –

blind bleibt er

den flehenden Blicken:

uns alle verzehrt

Zagen und endlose Angst.

An seine Brust

preßt ich mich weinend;


Zögernd.


da brach sich sein Blick,

er gedachte, Brünnhilde, dein.

Tief seufzt er auf, –

schloß das Auge, –

und wie im Traume

raunt er das Wort:

»Des tiefen Rheines Töchtern

gäbe den Ring sie wieder zurück, –

von des Fluches Last

erlöst wär Gott und die Welt!« –

Da sann ich nach: –

von seiner Seite,[773]

durch stumme Reihen

stahl ich mich fort;

in heimlicher Hast

bestieg ich mein Roß,

und ritt im Sturme zu dir.

Dich, o Schwester,

beschwör ich nun:

was du vermagst,

vollend es dein Mut;

ende der Ewigen Qual!


Sie hat sich vor Brünnhilde niedergeworfen.


BRÜNNHILDE ruhig.

Welch banger Träume Mären

meldest du Traurige mir!

Der Götter heiligem

Himmelsnebel

bin ich Törin enttaucht;

nicht faß ich, was ich erfahre.

Wirr und wüst

scheint mir dein Sinn:

in deinem Aug,

so übermüde,

glänzt flackernde Glut.

Mit blasser Wange,

du bleiche Schwester,

was willst du Wilde von mir?

WALTRAUTE heftig.

An deiner Hand, der Ring –

er ist's; hör meinen Rat:

für Wotan wirf ihn von dir!

BRÜNNHILDE.

Den Ring – von mir?

WALTRAUTE.

Den Rheintöchtern gib ihn zurück!

BRÜNNHILDE.

Den Rheintöchtern – ich – den Ring?

Siegfrieds Liebespfand?

Bist du von Sinnen?

WALTRAUTE.

Hör mich, hör meine Angst!

Der Welt Unheil

haftet sicher an ihm.

Wirf ihn von dir,

fort in die Welle,

Walhalls Elend zu enden,

den verfluchten wirf in die Flut!

BRÜNNHILDE.

Ha! weißt du, was er mir ist?

Wie kannst du's fassen,

fühllose Maid! –[774]

Mehr als Walhalls Wonne,

mehr als der Ewigen Ruhm

ist mir der Ring:

ein Blick auf sein helles Gold,

ein Blitz aus dem hehren Glanz

gilt mir werter,

als aller Götter

ewig währendes Glück.

Denn selig aus ihm

leuchtet mir Siegfrieds Liebe, –

Siegfrieds Liebe! –

O, ließ sich die Wonne dir sagen! –

Sie wahrt mir den Reif. –

Geh hin zu der Götter

heiligem Rat!

Von meinem Ringe

raune ihnen zu:

Die Liebe ließe ich nie,

mir nähmen nie sie die Liebe,

stürzt auch in Trümmern

Walhalls strahlende Pracht!

WALTRAUTE.

Dies deine Treue?

So in Trauer

entlässest du lieblos die Schwester?

BRÜNNHILDE.

Schwinge dich fort,

fliehe zu Roß!

Den Reif entführst du mir nie!

WALTRAUTE.

Wehe! Wehe!

Weh dir, Schwester!

Walhalls Göttern weh!


Sie stürzt fort. – Bald erhebt sich unter Sturm eine Gewitterwolke aus dem Tann.


BRÜNNHILDE während sie der davonziehenden hell erleuchteten Gewitterwolke, die sich bald gänzlich in der Ferne verliert, nachblickt.

Blitzend Gewölk,

vom Wind getragen,

stürme dahin:

zu mir nie steure mehr her!


Es ist Abend geworden. Aus der Tiefe leuchtet der Feuerschein allmählich heller auf. Brünnhilde blickt ruhig in die Landschaft hinaus.
[775]

Abendlich, Dämmern

deckt den Himmel;

heller leuchtet

die hütende Lohe herauf.


Der Feuerschein nähert sich aus der Tiefe. Immer glühendere Flammenzungen lecken über den Felsensaum auf.


Was leckt so wütend

die lodernde Welle zum Wall?

Zur Felsenspitze

wälzt sich der feurige Schwall.


Man hört aus der Tiefe Siegfrieds Hornruf nahen. Brünnhilde fährt entzückt auf.


Siegfried!

Siegfried zurück!

Seinen Ruf sendet er her!

Auf! Auf! Ihm entgegen!

In meines Gottes Arm!


Sie eilt in höchstem Entzücken dem Felsrande zu. Feuerflammen schlagen herauf: aus ihnen springt Siegfried auf einen hoch ragenden Felsenstein empor, worauf die Flammen sogleich wieder zurückweichen und abermals nur aus der Tiefe heraufleuchten. Siegfried, auf dem Haupte den Tarnhelm, der ihm bis zur Hälfte das Gesicht verdeckt und nur die Augen frei läßt, erscheint in Gunthers Gestalt.


Verrat! –


Brünnhilde weicht voll Entsetzen zurück, flieht bis in den Vordergrund und heftet von da aus, in sprachlosem Erstaunen, ihren Blick auf Siegfried.


Wer drang zu mir?


Siegfried, im Hintergrunde auf dem Steine verweilend, betrachtet Brünnhilde, regungslos auf seinen Schild gelehnt. Langes Schweigen.


SIEGFRIED mit verstellter (rauherer) Stimme.

Brünnhild! Ein Freier kam, –

den dein Feuer nicht geschreckt.

Dich werb ich nun zum Weib:

Du folge willig mir!

BRÜNNHILDE heftig zitternd.

Wer ist der Mann,

der das vermochte,

was dem Stärksten nur bestimmt?

SIEGFRIED unverändert wie zuvor.

Ein Held, der dich zähmt,

bezwingt Gewalt dich nur.

BRÜNNHILDE von Grausen erfaßt.

Ein Unhold schwang sich[776]

auf jenen Stein!

Ein Aar kam geflogen,

mich zu zerfleischen! –

Wer bist du, Schrecklicher!


Langes Schweigen.


Stammst du von Menschen?

Kommst du von Hellas

nächtlichem Heer?

SIEGFRIED wie zuvor, mit etwas bebender Stimme beginnend, alsbald aber wieder sicherer fortfahrend.

Ein Gibichung bin ich, –

und Gunther heißt der Held,

dem, Frau, du folgen sollst!

BRÜNNHILDE in Verzweiflung ausbrechend.

Wotan! Ergrimmter,

grausamer Gott!

Weh! Nun erseh ich!

der Strafe Sinn!

Zu Hohn und Jammer

jagst du mich hin!

SIEGFRIED springt vom Steine herab und tritt näher heran.

Die Nacht bricht an:

in deinem Gemach

mußt du dich mir vermählen!

BRÜNNHILDE indem sie den Finger, an welchem sie Siegfrieds Ring trägt, drohend ausstreckt.

Bleib fern! Fürchte dies Zeichen!

Zur Schande zwingst du mich nicht,

so lang der Ring mich beschützt.

SIEGFRIED.

Mannesrecht gebe er Gunther:

durch den Ring sei ihm vermählt!

BRÜNNHILDE.

Zurück, du Räuber!

Frevelnder Dieb!

Erfreche dich nicht mir zu nah'n!

Stärker als Stahl

macht mich der Ring:

nie raubst du ihn mir!

SIEGFRIED.

Von dir ihn zu lösen,

lehrst du mich nun.


Er dringt auf sie ein. Sie ringen miteinander. Brünnhilde windet sich los, flieht und wendet sich um, wie zur Wehr. Siegfried greift sie von neuem an. Sie flieht; er erreicht sie. Beide ringen mit einander. Er faßt sie bei der Hand und entzieht[777] ihrem Finger den Ring. Brünnhilde schreit heftig auf. Als sie, wie zerbrochen, in seinen Armen niedersinkt, streift ihr Blick bewußtlos die Augen Siegfrieds. – Siegfried läßt die Machtlose auf die Steinbank vor dem Felsengemache niedergleiten.


Jetzt bist du mein.

Brünnhilde, Gunthers Braut, –

gönne mir nun dein Gemach!

BRÜNNHILDE starrt ohnmächtig vor sich hin, matt.

Was könntest du wehren,

elendes Weib!


Siegfried treibt sie mit einer gebietenden Gebärde an. Zitternd und wankenden Schrittes geht sie in das Gemach. – Siegfried zieht sein Schwert.


SIEGFRIED mit seiner natürlichen Stimme.

Nun, Nothung, zeuge du,

daß ich in Züchten warb.

Die Treue wahrend dem Bruder,

trenne mich von seiner Braut!


Er folgt Brünnhilde nach.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 770-778.
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