[779]


Erste Szene

ALBERICH leise.

Schläfst du, Hagen, mein Sohn? –

Du schläfst und hörst mich nicht,

den Ruh und Schlaf verriet?

HAGEN leise, ohne sich zu rühren, so daß er immerfort zu schlafen scheint, obwohl er die Augen starr offen hat.

Ich höre dich, schlimmer Albe:

was hast du meinem Schlaf zu sagen?

ALBERICH.

Gemahnt sei der Macht,

der du gebietest,

bist du so mutig,

wie die Mutter dich mir gebar!

HAGEN immer wie zuvor.

Gab mir die Mutter Mut,

nicht mag ich dir doch danken,

daß deiner List sie erlag: –

frühalt – fahl und bleich,

haß ich die Frohen,

freue mich nie! –

ALBERICH wie zuvor.

Hagen, mein Sohn!

Hasse die Frohen!

Mich Lustfreien,

Leidbelasteten,

liebst du so wie du sollst.

Bist du kräftig,

kühn und klug,

die wir bekämpfen

mit nächtigem Krieg,

schon gibt ihnen Not unser Neid.

Der einst den Ring mir entriß,

Wotan, der wütende Räuber, –

vom eig'nen Geschlechte

ward er geschlagen:

an den Wälsung verlor er

Macht und Gewalt;

mit der Götter ganzer Sippe

in Angst ersieht er sein Ende.

Nicht ihn fürcht ich mehr:

fallen muß er mit Allen! –

Schläfst du, Hagen, mein Sohn?

HAGEN bleibt unverändert wie zuvor.

Der Ewigen Macht, –

wer erbte sie?

ALBERICH.

Ich – und du![779]

Wir erben die Welt, –

trüg ich mich nicht

in deiner Treu,

teilst du meinen Gram und Grimm.

Wotans Speer

zerspellte der Wälsung,

der Fafner, den Wurm,

im Kampfe gefällt,

und kindisch den Reif sich errang;

jede Gewalt

hat er gewonnen:

Walhall und Nibelheim

neigen sich ihm.


Immer heimlich.


An dem furchtlosen Helden

erlahmt selbst mein Fluch;

denn nicht kennt er

des Ringes Wert,

zu nichts nützt er

die neidliche Macht.

Lachend, in liebender Brunst,

brennt er lebend dahin.

Ihn zu verderben,

taugt uns nun einzig! –

Schläfst du, Hagen, mein Sohn?

HAGEN wie zuvor.

Zu seinem Verderben

dient er mir schon.

ALBERICH.

Den gold'nen Ring,

den Reif – gilt's zu erringen!

Ein weises Weib

lebt dem Wälsung zulieb:

riet es ihm je,

des Rheines Töchtern, –

die in Wassers Tiefen

einst mich betört, –

zurückzugeben den Ring:

verloren ging mir das Gold, –

keine List erlangte es je.

Drum, ohne Zögern

ziel auf den Reif!

Dich Zaglosen

zeugt ich mir ja,[780]

daß wider Helden

hart du mir hieltest.

Zwar – stark nicht genug,

den Wurm zu bestehn,

was allein dem Wälsung bestimmt, –

zu zähem Haß doch

erzog ich Hagen;

der soll mich nun rächen,

den Ring gewinnen,

dem Wälsung und Wotan zum Hohn! –

Schwörst du mir's, Hagen, mein Sohn?


Von hier an bedeckt ein immer finsterer werdender Schatten wieder Alberich. Zugleich beginnt das

erste Tagesgrauen.


HAGEN immer wie zuvor.

Den Ring soll ich haben; –

harre in Ruh!

ALBERICH.

Schwörst du mir's, Hagen, mein Held?

HAGEN.

Mir selbst schwör' ich's; –

schweige die Sorge!


Wie mit dem Folgenden Alberichs Gestalt immer mehr dem Blicke entschwindet, wird auch seine Stimme immer unvernehmbarer.


ALBERICH.

Sei treu, Hagen, mein Sohn!

Trauter Helde – sei treu!

Sei treu! – Treu! –


Alberich ist gänzlich verschwunden. Hagen, der unverändert in seiner Stellung verblieben, blickt regungslos und starren Auges nach dem Rhein hin, auf welchem sich die Morgendämmerung ausbreitet.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 779-781.
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