Zweite Szene


[781] Der Rhein färbt sich vom immer stärker erglühenden Morgenrot. – Hagen macht eine zuckende Bewegung. – Siegfried tritt plötzlich, dicht am Ufer, hinter einem Busche hervor.


SIEGFRIED.

Hoiho! Hagen!

Müder Mann!

Siehst du mich kommen?


Siegfried ist in seiner eigenen Gestalt; nur den Tarnhelm hat er noch auf dem Haupte; diesen zieht er jetzt ab und hängt ihn, während er hervorschreitet, in den Gürtel.


HAGEN erhebt sich gemächlich.

Hei! Siegfried![781]

Geschwinder Helde!

Wo brausest du her?

SIEGFRIED.

Vom Brünnhildenstein:

dort sog ich den Atem ein,

mit dem ich dich rief, –

so schnell war meine Fahrt.

Langsamer folgt mir ein Paar;

zu Schiff gelangt das her!

HAGEN.

So zwangst du Brünnhild?

SIEGFRIED.

Wacht Gutrune?

HAGEN in die Halle rufend.

Hoiho! Gutrune!

Komm heraus!

Siegfried ist da:

was säumst du drin?

SIEGFRIED sich zur Halle wendend.

Euch beiden meld ich,

wie ich Brünnhild band.


Gutrune tritt ihm aus der Halle entgegen.


Heiß mich willkommen,

Gibichskind!

Ein guter Bote bin ich dir.

GUTRUNE.

Freia grüße dich

zu aller Frauen Ehre!

SIEGFRIED.

Frei und hold

sei nun mir Frohem!

Zum Weib gewann ich dich heut.

GUTRUNE.

So folgt Brünnhild meinem Bruder?

SIEGFRIED.

Leicht ward die Frau ihm gefreit.

GUTRUNE.

Sengte das Feuer ihn nicht?

SIEGFRIED.

Ihn hätt es auch nicht versehrt;

doch ich durchschritt es für ihn, –

da dich ich wollt' erwerben.

GUTRUNE.

Doch dich hat es verschont?

SIEGFRIED.

Mich freute die schwelende Brunst.

GUTRUNE.

Hielt Brünnhild dich für Gunther?

SIEGFRIED.

Ihm glich ich auf ein Haar:

der Tarnhelm wirkte das,

wie Hagen tüchtig es wies.

HAGEN.

Dir gab ich guten Rat.

GUTRUNE.

So zwangst du das kühne Weib?

SIEGFRIED.

Sie wich – Gunthers Kraft.

GUTRUNE.

Und – vermählte sie sich dir?

SIEGFRIED.

Ihrem Mann gehorchte Brünnhild

eine volle bräutliche Nacht.[782]

GUTRUNE.

Als ihr Mann doch galtest du?

SIEGFRIED.

Bei Gutrune weilte Siegfried.

GUTRUNE.

Doch zur Seite war ihm Brünnhild?

SIEGFRIED auf sein Schwert deutend.

Zwischen Ost und West der Nord:

so nah – war Brünnhild ihm fern.

GUTRUNE.

Wie empfing Gunther sie nun von dir?

SIEGFRIED.

Durch des Feuers verlöschende Lohe.

im Frühnebel vom Felsen

folgte sie mir zu Tal;

dem Strande nah,

flugs die Stelle

tauschte Gunther mit mir:

durch des Geschmeides Tugend

wünscht ich mich schnell hierher.

Ein starker Wind nun treibt

die Trauten den Rhein herauf.

Drum rüstet jetzt den Empfang!

GUTRUNE.

Siegfried! Mächtigster Mann! –

Wie faßt mich Furcht vor dir!

HAGEN vom Ufer her rufend.

In der Ferne seh ich ein Segel!

SIEGFRIED.

So sagt dem Boten Dank!

GUTRUNE.

Lasset uns sie hold empfangen,

daß heiter sie gern hier weile! –

Du, Hagen, minnig

rufe die Männer

nach Gibichs Hof zur Hochzeit!

Frohe Frauen

ruf ich zum Fest,

der Freudigen folgen sie gern.


Nach der Halle zuschreitend, wendet sie sich wieder um.


Rastest du, schlimmer Held?

SIEGFRIED.

Dir zu helfen – ruh ich aus.


Er reicht ihr die Hand und geht mit ihr in die Halle. – Hagen hat einen Felsstein in der Höhe des Hintergrundes erstiegen: dort setzt er jetzt sein Stierhorn zum Blasen an.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 781-783.
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