Vierte Szene


[786] Gunther steigt mit Brünnhilde aus dem Kahne: die Mannen reihen sich ehrerbietig zu ihrem Empfange. Während des Folgenden geleitet Gunther Brünnhilde feierlich an der Hand.


DIE MANNEN.

Heil dir, Gunther!

Heil dir, und deiner Braut!

Heil sei Gunther dir

und deiner Braut!

Willkommen!


Sie schlagen die Waffen tosend zusammen.
[786]

GUNTHER Brünnhilde, welche bleich und gesenkten Blickes ihm folgt, den Mannen vorstellend.

Brünnhild, die hehrste Frau,

bring ich euch her zum Rhein.

Ein edleres Weib

ward nie gewonnen.

Der Gibichungen Geschlecht,

gaben die Götter ihm Gunst,

zum höchsten Ruhm,

rag es nun auf!

DIE MANNEN schlagen feierlich an ihre Waffen.

Heil dir,

glücklicher Gibichung!


Gunther geleitet Brünnhilde, welche nie aufblickt, zur Halle, aus welcher jetzt Siegfried und Gutrune, von Frauen begleitet, heraustreten.


GUNTHER hält vor der Halle an.

Gegrüßt sei, teurer Held;

gegrüßt, holde Schwester!

Dich seh ich froh ihm zur Seite,

der dich zum Weib gewann.

Zwei sel'ge Paare

seh ich hier prangen:


Er führt Brünnhilde näher heran.


Brünnhild und Gunther,

Gutrun und Siegfried! –


Brünnhilde schlägt erschreckt die Augen auf und erblickt Siegfried: wie in Erstarrung bleibt ihr Blick auf ihn gerichtet. Gunther, welcher Brünnhildes heftig zuckende Hand losgelassen hat, sowie alle Übrigen zeigen starre Betroffenheit über Brünnhildes Benehmen.


EINIGE MANNEN.

Was ist ihr? Ist sie entrückt?


Brünnhilde beginnt zu zittern.


SIEGFRIED geht einige Schritte auf Brünnhilde zu.

Was müht Brünnhildens Blick?

BRÜNNHILDE kaum ihrer mächtig.

Siegfried ... hier? Gutrune ...?

SIEGFRIED.

Gunthers milde Schwester,

mir vermählt,

wie Gunther du.

BRÜNNHILDE furchtbar heftig.

Ich ...? Gunther ...? Du lügst! –


Sie schwankt und droht umzusinken; Siegfried stützt sie.


Mir schwindet das Licht ...


Sie blickt in seinen Armen matt zu ihm auf.


Siegfried ... kennt mich nicht?[787]

SIEGFRIED.

Gunther, deinem Weib ist übel! –


Gunther tritt hinzu.


Erwache, Frau!

Hier steht dein Gatte.

BRÜNNHILDE erblickt am ausgestreckten Finger Siegfrieds den Ring und schrickt mit furchtbarer Heftigkeit auf.

Ha! ...Der Ring ...

an seiner Hand! –

Er ...? Siegfried ...?

EINIGE MANNEN.

Was ist? Was ist?

HAGEN aus dem Hintergrund unter die Mannen tretend.

Jetzt merket klug,

was die Frau euch klagt!

BRÜNNHILDE sucht sich zu ermannen indem sie die schrecklichste Aufregung gewaltsam zurückhält.

Einen Ring sah ich

an deiner Hand ...;

nicht dir gehört er,

ihn entriß mir –


Auf Gunther deutend.


dieser Mann.

Wie mochtest von ihm

den Ring du empfah'n?

SIEGFRIED betrachtet aufmerksam den Ring an seinem Finger.

Den Ring empfing ich

nicht von ihm.

BRÜNNHILDE zu Gunther.

Nahmst du von mir den Ring,

durch den ich dir vermählt,

so melde ihm dein Recht,

ford're zurück das Pfand!

GUNTHER in großer Verwirrung.

Den Ring? ... Ich gab ihm keinen:

doch – kennst du ihn auch gut?

BRÜNNHILDE.

Wo bärgest du den Ring,

den du von mir erbeutet?


Gunther schweigt in höchster Betroffenheit. Brünnhilde fährt wütend auf.


Ha! – Dieser war es,

der mir den Ring entriß:

Siegfried, der trugvolle Dieb!


Alles blickt erwartungsvoll auf Siegfried, welcher über der Betrachtung des Ringes in fernes Sinnen verloren ist.
[788]

SIEGFRIED.

Von keinem Weib

kam mir der Reif, –

noch war's ein Weib,

dem ich ihn abgewann:

genau erkenn ich

des Kampfes Lohn,

den vor Neidhöhl einst ich bestand,

als den starken Wurm ich erschlug.

HAGEN zwischen sie tretend.

Brünnhild, kühne Frau!

kennst du genau den Ring?

Ist's der, den du Gunther gabst,

so ist er sein, –

und Siegfried gewann ihn durch Trug,

den der Treulose büßen sollt!

BRÜNNHILDE in furchtbarstem Schmerze aufschreiend.

Betrug! Betrug!


Mit diesen wiederholten Versuchen scheint sie den versagenden Atem bewältigen zu wollen.


Schändlichster Betrug!

Verrat! Verrat!

Wie noch nie er gerächt!

GUTRUNE.

Verrat? An wem?

MANNEN.

Verrat? Verrat?

FRAUEN.

Verrat? An wem?

BRÜNNHILDE.

Heil'ge Götter,

himmlische Lenker!

Rauntet ihr dies

in eurem Rat?

Lehrt ihr mich Leiden,

wie keiner sie litt?

Schuft ihr mir Schmach,

wie nie sie geschmerzt?

Ratet nun Rache,

wie nie sie gerast!

Zündet mir Zorn,

wie noch nie er gezähmt!

Heißet Brünnhild,

ihr Herz zu zerbrechen,

den zu zertrümmern,

der sie betrog!

GUNTHER.

Brünnhild, Gemahlin!

Mäß'ge dich!

BRÜNNHILDE.

Weich' fern, Verräter![789]

Selbst verrat'ner!

Wisset denn Alle: –

nicht ihm, –

dem Manne dort

bin ich vermählt.

FRAUEN.

Siegfried? Gutruns Gemahl?

MANNEN.

Gutruns Gemahl?

BRÜNNHILDE.

Er zwang mir Lust

und Liebe ab.

SIEGFRIED.

Achtest du so

der eig'nen Ehre?

Die Zunge, die sie lästert,

muß ich der Lüge sie zeihen?

Hört, ob ich Treue brach! –

Blut-Brüderschaft

hab ich Gunther geschworen.

Nothung, das werte Schwert,

wahrte der Treue Eid:

mich trennte seine Schärfe

von diesem traur'gen Weib. –

BRÜNNHILDE.

Du listiger Held,

sieh wie du lügst,

wie auf dein Schwert

du schlecht dich berufst!

Wohl kenn ich seine Schärfe,

doch kenn auch die Scheide,

darin so wonnig

ruht an der Wand

Nothung, der treue Freund,

als die Traute sein Herr sich gewann.


Die Mannen und Frauen treten in lebhafter Entrüstung zusammen.


DIE MANNEN.

Wie? Brach er die Treue?

Trübte er Gunthers Ehre?

FRAUEN.

Brach er die Treue?

GUNTHER zu Siegfried.

Geschändet wär ich,

schmählich bewahrt,

gäbst du die Rede

nicht ihr zurück!

GUTRUNE.

Treulos, Siegfried,

sannest du Trug?

Bezeuge, daß Jene

falsch dich zeiht![790]

DIE MANNEN.

Reinige dich,

bist du im Recht!

Schweige die Klage!

Schwöre den Eid!

SIEGFRIED.

Schweig ich die Klage,

schwör ich den Eid,

wer von euch wagt

seine Waffe daran?

HAGEN.

Meines Speeres Spitze

wag ich daran:

sie wahr in Ehren den Eid!


Die Mannen schließen einen Ring um Siegfried und Hagen. Hagen hält den Speer hin; Siegfried legt zwei Finger seiner rechten Hand auf die Speerspitze.


SIEGFRIED.

Helle Wehr,

heilige Waffe:

hilf meinem ewigen Eide!

Bei des Speeres Spitze

sprech ich den Eid: –

Spitze, achte des Spruchs!

Wo Scharfes mich schneidet,

schneide du mich;

wo der Tod mich soll treffen,

treffe du mich:

klagte das Weib dort wahr,

brach ich dem Bruder den Eid.

BRÜNNHILDE tritt wütend in den Ring, reißt Siegfrieds Hand vom Speere hinweg und faßt dafür mit der ihrigen die Spitze.

Helle Wehr!

Heilige Waffe!

Hilf meinem ewigen Eide!

Bei des Speeres Spitze

sprech ich den Eid: –

Spitze, achte des Spruchs!

Ich weihe deine Wucht,

daß sie ihn werfe!

Deine Schärfe segne ich,

daß sie ihn schneide!

Denn, brach seine Eide er all,

schwur Meineid jetzt dieser Mann.

DIE MANNEN im höchsten Aufruhr.

Hilf, Donner!

Tose dein Wetter,

zu schweigen die wütende Schmach![791]

SIEGFRIED.

Gunther! Wehr deinem Weibe,

das schamlos Schande dir lügt. –

Gönnt ihr Weil und Ruh,

der wilden Felsenfrau,

daß ihre freche Wut sich lege,

die eines Unholds

arge List

wider uns Alle erregt! –

Ihr Mannen, kehret euch ab,

laßt das Weibergekeif!

Als Zage weichen wir gern,

gilt es mit Zungen den Streit.


Er tritt dicht zu Gunther.


Glaub, mehr zürnt es mich als dich,

daß schlecht ich sie getäuscht;

der Tarnhelm, dünkt mich fast,

hat halb mich nur gehehlt.

Doch Frauengroll

friedet sich bald;

daß ich dir es gewann,

dankt dir gewiß noch das Weib! –


Er wendet sich wieder zu den Mannen.


Munter, ihr Mannen!

Folgt mir zum Mahl!


Zu den Frauen.


Froh zur Hochzeit

helfet, ihr Frauen!

Wonnige Lust

lache nun auf!

In Hof und Hain,

heiter vor Allen,

sollt ihr heute mich sehn.

Wen die Minne freut,

meinem frohen Mute

tu es der Glückliche gleich!


Siegfried schlingt, in ausgelassenem Übermut, seinen Arm um Gutrune und zieht sie mit sich in die Halle fort: die Mannen und Frauen, von seinem

Beispiele hingerissen, folgen ihm nach. – Die Bühne ist leer geworden. Nur Brünnhilde, Gunther und Hagen bleiben zurück. – Gunther hat sich, in tiefer Scham und furchtbarer Verstimmung, mit verhülltem Gesichte abseits niedergesetzt. Brünnhilde, im Vordergrunde stehend,[792] blickt Siegfried und Gutrune noch eine Zeitlang schmerzlich nach und senkt dann das Haupt.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 786-793.
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