Zweite Szene

[802] MANNEN außerhalb der Szene.

Hoiho! Hoiho!

SIEGFRIED antwortend.

Hoiho! Hoiho! Hoihe!


Hagen kommt auf der Höhe hervor, Gunther folgt ihm.


HAGEN Siegfried erblickend.

Finden wir endlich

wohin du flogest?

SIEGFRIED.

Kommt herab! Hier ist frisch und kühl!


Die Mannen kommen alle auf der Höhe an und steigen nun, mit Hagen und Gunther, herab.
[802]

HAGEN.

Hier rasten wir,

und rüsten das Mahl!


Jagdbeute wird zuhauf gelegt.


Laßt ruhn die Beute,

und bietet die Schläuche!


Schläuche und Trinkhörner werden hervorgeholt. Alles lagert sich.


Der uns das Wild verscheuchte,

nun sollt ihr Wunder hören,

was Siegfried sich erjagt.

SIEGFRIED.

Schlimm siebtes um mein Mahl:

von eurer Beute

bitte ich für mich.

HAGEN.

Du beutelos?

SIEGFRIED.

Auf Waldjagd zog ich aus, –

doch Wasserwild zeigte sich nur:

war ich dazu recht beraten,

drei wilde Wasservögel

hätt ich euch wohl gefangen,

die dort auf dem Rhein mir sangen,

erschlagen würd ich noch heut.


Er lagert sich zwischen Gunter und Hagen. – Gunther erschrickt und blückt düster auf Hagen.


HAGEN.

Das wäre üble Jagd,

wenn den Beutelosen selbst

ein lauernd Wild erlegte.

SIEGFRIED.

Mich dürstet!

HAGEN indem er für Siegfried ein Trinkhorn füllen läßt und es diesem dann darreicht.

Ich hörte sagen, Siegfried,

der Vögel Sangessprache

verstündest du wohl: –

so wäre das wahr?

SIEGFRIED.

Seit lange acht ich

des Lallens nicht mehr.


Er erfaßt das Trinkhorn und wendet sich damit zu Gunther. Er trinkt und reicht das Horn Gunther hin.


Trink, Gunther, trink:

dein Bruder bringt es dir!


Gunther blickt mit Grausen in das Horn.


GUNTHER dumpf.

Du mischtest matt und bleich: –


Noch gedämpfter.


dein Blut allein darin!

SIEGFRIED lachend.

So misch es mit dem deinen!


[803] Er gießt aus Gunthers Horn in das seinige, so daß dieses überläuft.


Nun floß gemischt es über: –

der Mutter Erde

laß das ein Labsal sein!

GUNTHER mit einem heftigen Seufzer.

Du überfroher Held!

SIEGFRIED leise zu Hagen.

Ihm macht Brünnhilde Müh?

HAGEN leise zu Siegfried.

Verstünd er sie so gut,

wie du der Vögel Sang!

SIEGFRIED.

Seit Frauen ich singen hörte,

vergaß ich der Vöglern ganz. –

HAGEN.

Doch einst vernahmst du sie?

SIEGFRIED sich lebhaft zu Gunther wendend.

Hei! Gunther,

grämlicher Mann!

Dankst du es mir,

so sing ich dir Mären

aus meinen jungen Tagen.

GUNTHER.

Die hör ich gern.


Alle lagern sich nahe um Siegfried, welcher allein aufrecht sitzt, während die Anderen tiefer gestreckt liegen.


HAGEN.

So singe, Held!

SIEGFRIED.

Mime hieß

ein mürrischer Zwerg;

in des Neides Zwang

zog er mich auf,

daß einst das Kind,

wann kühn es erwuchs,

einen Wurm ihm fällt im Wald,

der lang schon hütet einen Hort.

Er lehrte mich schmieden

und Erze schmelzen;

doch, was der Künstler

selber nicht konnt,

des Lehrlings Mute

mußt es gelingen:

eines zerschlag'nen Stahles Stücken

neu zu schweißen zum Schwert.

Des Vaters Wehr

fügt ich mir neu,

nagelfest

schuf ich mir Nothung.

Tüchtig zum Kampf

dünkt er dem Zwerg;[804]

der führte mich nun zum Wald:

dort fällt' ich Fafner, den Wurm. –

Jetzt aber merkt

wohl auf die Mär:

Wunder muß ich euch melden.

Von des Wurmes Blut

mir brannten die Finger,

sie führt ich kühlend zum Mund: –

kaum netzt ein wenig

die Zunge das Naß, –

was da die Vöglein sangen,

das konnt ich flugs verstehn.

Auf den Ästen saß es und sang: –

»Hei! Siegfried gehört nun

der Niblungen Hort!

Oh –! fand in der Höhle

den Hort er jetzt!

Wollt er den Tarnhelm gewinnen,

der taugt ihm zu wonniger Tat!

Doch wollt er den Ring sich erraten,

der macht ihn zum Walter der Welt!«

HAGEN.

Ring und Tarnhelm

trugst du nun fort?

EIN MANNE.

Das Vöglein hörtest du wieder?

SIEGFRIED.

Ring und Tarnhelm

hatt ich gerafft: –

da lauscht ich wieder

dem wonnigen Laller;

der saß im Wipfel und sang: –

»Hei! Siegfried gehört nun

der Helm und der Ring.

Oh! Traute er Mime,

dem treulosen nicht!

Ihm sollt er den Hort nur erheben;

nun lauert er listig am Weg;

nach dem Leben trachtet er Siegfried:

oh, traute Siegfried nicht Mime!«

HAGEN.

Er mahnte dich gut?

VIER MANNEN.

Vergaltest du Mime?

SIEGFRIED.

Mit tödlichem Tranke

trat er zu mir;

bang und stotternd

gestand er mir Böses:[805]

Nothung streckte den Strolch!

HAGEN grell lachend.

Was nicht er geschmiedet

schmeckte doch Mime! –


Er läßt ein Trinkhorn neu füllen und träufelt den Saft eines Krautes hinein.


ZWEI MANNEN nacheinander.

Was wies das Vöglein dich wieder?

HAGEN.

Trink erst, Held,

aus meinem Horn:

ich würzte dir holden Trank,

die Erinnerung hell dir zu wecken,


Er reicht Siegfried das Horn.


daß Fernes nicht dir entfalle!

SIEGFRIED blickt gedankenvoll in das Horn und trinkt dann langsam

In Leid zu dem Wipfel

lauscht ich hinauf; –

da saß es noch und sang: –

»Hei! Siegfried erschlug nun

den schlimmen Zwerg!

Jetzt wüßt ich ihm noch

das herrlichste Weib:

auf hohem Felsen sie schläft,

Feuer umbrennt ihren Saal:

durchschritt er die Brunst,

weckt er die Braut, –

Brünnhilde wäre dann sein!« –

HAGEN.

Und folgtest du

des Vögleins Rate?

SIEGFRIED.

Rasch ohne Zögern

zog ich nun aus: –


Gunther hört mit immer größerem Erstaunen zu.


Bis den feurigen Fels ich traf: –

die Lohe durchschritt ich,

und fand zum Lohn –


In immer größere Verzückung geratend.


schlafend ein wonniges Weib

in lichter Waffen Gewand.

Den Helm löst ich

der herrlichen Maid;

mein Kuß erweckte sie kühn: –

oh! wie mich brünstig da umschlang

der schönen Brünnhilde Arm![806]

GUNTHER im höchsten Schrecken aufspringend.

Was hör ich!


Zwei Raben fliegen aus einem Busche auf, kreisen über Siegfried und fliegen dann, dem Rheine zu, davon.


HAGEN.

Errätst du auch

dieser Raben Geraun?


Siegfried fährt heftig auf und blickt, Hagen den Rücken zukehrend, den Raben nach.


Rache rieten sie mir.


Hagen stößt seinen Speer in Siegfrieds Rücken. Gunther und die Mannen stürzen sich über Hagen. Siegfried schwingt mit beiden Händen seinen Schild hoch empor, um ihn nach Hagen zu werfen: die Kraft verläßt ihn; der Schild entsinkt ihm rückwärts; er selbst stürzt über dem Schild zusammen.


VIER MANNEN welche vergebens Hagen zurückzuhalten versucht.

Hagen, was tust du?

ZWEI ANDERE.

Was tatest du?

GUNTHER.

Hagen, – was tatest du?

HAGEN.

Meineid rächt sich!


Hagen wendet sich ruhig zur Seite ab und verliert sich dann über die Höhe, wo man ihn langsam durch die anbrechende Dämmerung von dannen schreiten sieht. – Gunther beugt sich, schmerzergriffen, zu Siegfrieds Seite nieder. – Die Mannen umstehen teilnahmvoll den Sterbenden.


SIEGFRIED von zwei Männern sitzend erhalten, schlägt die Augen glanzvoll auf

Brünnhilde!

Heilige Braut!

Wach auf! Öffne dein Auge!

Wer verschloß dich

wieder in Schlaf?

Wer band dich in Schlummer so bang?

Der Wecker kam: –

er küßt dich wach; –

und aber – der Braut

bricht er die Bande: –

da lacht ihm Brünnhildes Lust. –

Ach! Dieses Auge –

ewig nun offen!

Ach, dieses Atems

wonniges Wehen!

Süßes Vergehen, –

seliges Grauen!

Brünnhild – bietet mir Gruß! –


[807] Er sinkt zurück und stirbt. – Regungslose Trauer der Umstehenden. Die Nacht ist hereingebrochen. – Auf die stumme Ermahnung Gunthers erheben die Mannen Siegfrieds Leiche und geleiten sie, mit dem Folgenden, in feierlichem Zuge über die Felsenhöhle langsam von dannen. – Der Mond bricht durch die Wolken und beleuchtet immer heller den die Berghöhe erreichenden Trauerzug. Aus dem Rheine sind Nebel aufgestiegen und erfüllen allmählich die ganze Bühne, auf welcher der

Trauerzug bereits unsichtbar geworden ist, bis nach vorn, so daß diese, während des Zwischenspiels, gänzlich verhüllt bleibt. – Die Nebel verteilen sich wieder, bis endlich die Halle der Gibichungen, wie im ersten Aufzuge, immer erkennbarer hervortritt.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 802-808.
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