Die achtunddreißigste Fabel.

Vom Habich und Gutzgauch.

[215] Der habich spottet den gutzgauch

Und sprach: »Sihe zu, nun bistu auch

Schier in derselben größ wie ich

Und mir auch fast an federn gleich,

Und fürst doch so ein armlich wesen:

Die kleinen würmlin tust auflesen,

Die da kriechen auf der erden;

Es möcht dir doch wol beßer werden,

Hettestu einen bherzten mut

Wie ich, du möchtest vöglin gut

Eßen allzeit nach deinem lust.

Den hastu nit, darumb du must

Im kat da bei der erden bleiben,

Mit solcher speis dein zeit vertreiben.«

Nit lang darnach floh der habich

Nach einer tauben; bgab es sich,

Daß er vom bauren ward gefangen.

Der band in an ein lange stangen,

Setzt in zum scheuzel hoch aufs dach.

Sobald der gutzgauch das ersach,

Er sprach: »Freund, gut wers gwesen,

Daß du die würmlin hettest glesen

Und fremde vögel laßen fliegen,

So het man dich nit kont betriegen.

Ich wil mich mit den würmlin laben,

Ich sihe wol, gnesch wil schlege haben.«

Guten fried und ein rusam leben

Haben, die sich zu frieden geben

In irem bruf mit einem gringen.

Denselben tut auch baß gelingen

Denn denen, die ir haut und har

Umb geldes willn setzen in far.

Den gets, wie hie dem habich gschicht,

Wie man in allen hendeln sicht,[216]

Daß, der da ringt nach großer hab,

Erlanget nichts und bleibt schabab.

Der ander sitzt daheim gar stille

Und richtet sich nach Gottes willen:

Dem wird von Gott so vil beschert,

Daß er sich dennocht auch ernert.

Quelle:
Burkard Waldis: Esopus. Erster und zweiter Theil, Band 1, Leipzig 1882, S. 215-217.
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