Vierter Abschnitt.

[155] Sobald der kummervolle Zug in die Burg trat, gingen ihm Hippolite und Matilde entgegen, die Isabelle, durch einen vorausgesandten Bedienten, von ihrer Ankunft benachrichtigt hatte. Die Damen ließen Friedrich in das nächste Zimmer tragen, und begaben sich weg, während die Wundärzte seine Wunden untersuchten. Matilde erröthete, Isabellen und Theodoren bey einander zu sehn: doch suchte[155] sie es zu verbergen, indem sie jene umarmte, und ihr Beyleid an dem Unfall ihres Vaters bezeugte. Bald berichteten die Aerzte der Fürstin, von des Markgrafen Wunden sey keine gefährlich; auch wünsche er seine Tochter und die Prinzessinnen zu sehn. Theodor konnte dem innern Triebe, Matilden zu folgen, nicht widerstehn, und gab vor, er müsse seine Freude an den Tag legen, daß er nicht länger besorgen dürfe, Friedrichen im Zweykampf erlegt zu haben. Aber Matildens Augen senkten sich so oft, wenn sie den seinigen begegneten, daß Isabelle, die ihn eben so aufmerksam beobachtete, als er Matilden anstarrte, bald errieth, wer der Gegenstand seiner Neigung sey, dessen er in der Höhle gegen sie erwähnte. – Während dieses stummen Auftrittes, fragte Hippolite den Markgrafen: warum er diesen geheimnißvollen Weg eingeschlagen sey, seine Tochter zurückzufordern? und streute bey der Gelegenheit verschiedene Gründe ein, die ihren Gemahl entschuldigen sollten, daß er eine Eheverbindung zwischen ihren beyderseitigen Kindern gesucht habe. Friedrich war wohl wider Manfred aufgebracht, aber darum nicht unempfindlich gegen Hippolitens[156] Höflichkeit und Wohlwollen. Mehr noch rührte ihn Matildens liebliche Gestalt. Weil er sie an seinem Lager zu verweilen wünschte, berichtete er Hippoliten seine Geschichte. Er war, so erzählte er, bey den Ungläubigen gefangen, als ihm träumte, seine Tochter, von der er seit seiner Gefangennehmung nichts erfahren hatte, sey in eine Burg gesperrt, wo sie das allerschrecklichste Unglück bedrohe: und würde er in Freyheit gesetzt, so solle er sich in einen Wald neben Joppe begeben, dort werde ihm mehr offenbart. Der Traum beunruhigte ihn, er konnte der Anweisung, die er ihm gab, nicht gehorchen, seine Ketten drückten ihn schwerer als zuvor. Indem er aber hin und her überlegte, wie er es anstellen müsse, seine Freiheit zu erlangen, erhielt er die angenehme Nachricht, daß die verbündeten, in Palästina kriegführenden Fürsten, sein Lösegeld bezahlt hätten. Sogleich brach er auf zu dem Walde, welchen sein Traum bezeichnet hatte. Zwey Tage lang wanderten er und seine Gefährten durch den Forst, ohne eine menschliche Gestalt zu entdecken. Am Abend des dritten kamen sie zu einer Zelle, wo sie einen ehrwürdigen Einsiedler mit dem Tode[157] ringend fanden. Durch die Hülfe köstlicher Herzstärkungen, gaben sie dem heiligen Manne die Sprache wieder. Kinder, sprach er, ich dank' euch um eurer Barmherzigkeit willen. Aber sie kann mir nicht helfen. Ich gehe in die ewige Ruhe. Ich sterbe zufrieden, da ich den Willen des Himmels erfülle. Als ich mich zuerst in diese Einsamkeit begab, da ich mein Vaterland eine Beute der Ungläubigen sah – seit ich dieses fürchterlichen Auftrittes Zeuge ward, sind leider funfzig Jahr verflossen – erschien mir, der heilige Niklas, ein Geheimniß zu offenbaren, das er, vor meinem Todeskampfe, keinem sterblichen Manne zu entdecken gebot. Dies ist die furchtbare Stunde, und ohne Zweifel seyd ihr die auserwählten Krieger, denen ich das anvertraute Geheimniß entdecken soll. Sobald diesem armseligen Leichnam der letzte Dienst erwiesen ist, grabt unter dem siebenten Baume nach, der zur linken dieser dürftigen Höhle steht, und eure Mühe – Herr, mein Gott, nimm meinen Geist auf! Dies war der letzte Seufzer des frommen Mannes. Bey Tagesanbruch, fuhr Friedrich fort, verscharrten wir seine heiligen Gebeine[158] in die Erde, und gruben an der Stäte, die er uns angegeben hatte. – Wie groß war unser Erstaunen, als wir in einer Tiefe von ungefähr sechs Fuß, das ungeheure Schwerd entdeckten, das jetzt in Ihrem Hofe liegt. Auf der Klinge, die damals zum Theil ausser der Scheide war, obgleich wir sie nachher hereinstiessen, um das Ganze fortbringen zu können, lasen wir folgende Zeilen – Gnädige Frau, sagte der Markgraf, und wandte sich gegen Hippolite, es ist besser ich wiederhole sie nicht. Ich ehre Ihr Geschlecht und Ihren Rang, und mag Ihr Ohr nicht durch Ausdrücke kränken, die das beleidigen, was Ihnen theuer seyn muß. Er schwieg. Hippolite zitterte. Sie zweifelte nicht, der Himmel habe Friedrichen bestimmt, das Geschick zu vollführen, welches ihr Haus zu bedrohen schien. Mit zärtlicher Angst sah sie auf Matilden, eine geheime Zähre schlich sich über ihre Wangen. Aber sie erholte sich, und sprach: Reden Sie weiter, mein Fürst. Der Himmel thut nichts umsonst. Wir Menschen müssen seine göttlichen Gebote, in Demuth und Unterwürfigkeit annehmen. Uns geziemt es, seinen Zorn abzubitten, oder uns vor seinem Rathschluß[159] zu beugen. Wiederholen Sie sein Urtheil, gnädiger Herr, wir sind auf alles gefaßt. Friedrich war bekümmert, so weit gegangen zu seyn. Hippolitens Würde und geduldige Festigkeit erfüllten ihn mit Ehrfurcht, und die zarte schweigende Liebe, mit der sich die Fürstin und ihre Tochter ansahen, erweichte ihn fast zu Thränen. Doch fürchtete er, sie noch mehr zu beunruhigen, wenn er länger anstände nachzugeben, und so wiederholt' er, mit leiser stammelnder Stimme, folgende Zeilen.


Wo sich dies Schwerd zu seinem Helm gesellet,

wird deiner Tochter fährlich nachgestellet:

Alfonso's Blut ist ihr zum Schutz beschieden,

und beut dem Geist des Ahnherrn endlich Frieden.


Was gehn die Fürstinnen diese Reime an? fragte Theodor ungeduldig. Musten sie durch eine geheimnißvolle Zurückhaltung erschreckt werden, die so wenig Grund hat? Das sind harte Worte, junger Mann, sprach der Markgraf. Wem das Schicksal einmal günstig war – Mein theurer Vater, sprach Isabelle, empfindlich über Theodors Hitze, die wie sie wohl merkte, ihren Grund in seinen Gefühlen[160] für Matilde hatte, werden Sie nicht ungehalten über die Anmerkungen eines Bauern Sohns; er vergißt die Achtung, die er Ihnen schuldig ist; er war nie gewohnt – Hippolite bekümmert, daß sich Heftigkeit ins Spiel mische, mißbilligte Theodors Dreistigkeit, doch mit einem Blick, der seinem Eifer Gerechtigkeit wiederfahren ließ, und fragte Friedrich, um das Gespräch zu verändern, wo er ihren Gemahl verlassen habe? Der Markgraf wollte antworten, als man draussen ein Geräusch vernahm. Da man aufstand, nach der Ursache zu fragen, traten Manfred, Geronimo, und ein Theil des Gefolges, die von dem, was vorgegangen war, etwas unbestimmtes vernommen hatten, in das Zimmer. Manfred ging eilig auf Friedrichs Lager zu, sein Beyleid über dessen Unfall zu bezeugen, und sich nach den Umständen des Gefechtes zu erkundigen, fuhr aber mit einem Ausbruch des Schreckens und Entsetzens zurück, und rief: Wer bist du, fürchterliches Gespenst? Ist meine Stunde gekommen? – Theurester, gütigster Gemahl! schrie Hippolite, und schloß ihn in ihre Arme, was sehn Sie? Worauf starren Ihre Augen? – Wie? sprach Manfred[161] athemlos, siehst du nichts, Hippolite? Ist dies scheußliche Schreckenbild mir allein gesendet? Warum mir? Ich habe dich nicht – Um Gottes Barmherzigkeit willen! sprach Hippolite. Besinnen Sie sich, mein Fürst! Fassen Sie sich! Hier ist niemand als wir, Ihre Freunde. Ist das nicht Alfonso? rief Manfred. Siehst du ihn nicht? Ist es ein bloßes Traumbild meines Gehirns? Dies, mein Gebieter? antwortete Hippolite. Dies ist Theodor. Der unglückliche Jüngling – Theodor! sprach Manfred traurend, und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Theodor oder eine Traumgestalt, er hat Manfreds Seele aus ihren Fugen gerissen. Wie kommt er hieher? Wer kleidete ihn in Waffen? Er ging, glaub' ich, Isabellen zu suchen, antwortete Hippolite. Isabellen! rief Manfred mit erneuerter Wuth. Ja, ja, daran ist kein Zweifel! Aber wie entrann er aus dem Gefängnisse, worin ich ihn zurückließ? Setzte Isabelle ihn in Freiheit, oder dieser alte pfäffische Heuchler? Ist ein Vater strafbar, gnädiger Herr, fragte Theodor, der sein Kind zu retten wünscht? Geronimo erstaunte, sich ohne Grund von seinem eignen Sohn gleichsam angeklagt[162] zu hören, und wuste nicht was er denken sollte. Er konnte nicht begreifen wie Theodor entronnen, wie er bewafnet, und mit Friedrich zusammengekommen sey. Dennoch wollte er nicht wagen, nach dem zu fragen, was Manfreds Wuth gegen seinen Sohn vielleicht vermehren würde. Geronimo's Schweigen überzeugte Manfred, er habe Theodors Befreyung bewirkt. Alter undankbarer Mann! sprach er zu dem Mönch, lohnst du so meine Wohlthaten und Hippolitens? Ist es dir nicht genug, den innigsten Wunsch meines Herzens zu bestreiten? bewaffnest du auch deinen Bastart, und bringst ihn in meine eigne Burg mir Hohn zu sprechen? Gnädiger Herr, sagte Theodor, Sie thun meinem Vater Unrecht. Weder er noch ich sind im Stande, einem Gedanken gegen Ihren Frieden Raum zu geben. Sprech' ich Ihrer Hoheit Hohn, wenn ich mich Ihr übergebe? fügte er hinzu, und legte sein Schwerd ehrfurchtsvoll zu Manfreds Füßen. Hier ist meine Brust, durchbohren Sie die, gnädiger Herr, wenn Sie glauben, daß ein rebellischer Gedanke darin wohnt. Mein Herz hegt keine andre Empfindung, als Verehrung gegen Sie und die Ihrigen. Der[163] Anstand und das Feuer, mit denen Theodor diese Worte sprach, nahmen jeden Anwesenden zu seinem Vortheil ein. Selbst Manfred war gerührt; daß er aber Alfonso so ähnlich sah, mischte geheimes Grausen in seine Bewunderung. Steh auf, sprach er, ich verlange deinen Tod nicht, aber entdecke mir deine Geschichte, und wie du mit diesem verrätherischen Greise zusammenhängst. Gnädiger Herr, sprach Geronimo eifrig – Schweig, Betrüger! gebot ihm Manfred. Ihm soll nicht eingeblasen werden! Auch bedarf ich keines Beystandes, gnädiger Herr, sprach Theodor. Meine Geschichte ist sehr kurz. Ich war fünf Jahr alt, als Seeräuber meine Mutter und mich von der Küste Siciliens nach Algier entführten. Meine Mutter starb in weniger als Jahresfrist vor Gram. – Geronimo's Augen entstürzten Thränen, tausend marternde Gefühle standen auf seinem Gesicht. Ehe sie starb, fuhr Theodor fort, band sie einen pergamentenen Zettel um meinen bloßen Arm, welcher besagte, ich sey der Sohn des Grafen Falconara. – Es ist wahr! seufzte Geronimo. Ich bin der unglückliche Vater! – Kann ein Pfaff niemals schweigen?[164] sagte Manfred. Weiter! Ich blieb in der Sclaverey, sprach Theodor; bis vor zwey Jahren, da ich meinen Herrn auf einer Kreuzfahrt begleitete, ein christliches Schiff den Corsaren überwand. Der Hauptmann, dem ich mich entdeckte, war so großmüthig, mich in Sicilien an Land zu setzen; aber ach! ich fand meinen Vater nicht. Sein Gut lag am Ufer des Meeres. Die nemlichen Räuber, die mich und meine Mutter wegführten, hatten es verwüstet; das Schloß war bis auf den Grund abgebrannt. Mein Vater verkaufte bey seiner Zurückkunft, was ihm übrig geblieben war, und begab sich in ein Kloster des Königreichs Neapel, in welches, konnte mir niemand nachweisen. Verlassen und freundlos, arm an Hofnung je das Entzücken einer väterlichen Umarmung zu genießen, ergrif ich die erste Gelegenheit, nach Neapel zu segeln. Von dorther wandert' ich, seit sechs Tagen in dieser Provinz, und nährte mich von meiner Hände Arbeit. Bis gestern Morgen glaubt' ich, der Himmel habe mir kein andres Loos beschieden, als Seelenruhe und Zufriedenheit in Armuth. Dies, gnädiger Herr, ist Theodors Geschichte. Ich bin über Hoffen gesegnet, daß ich[165] meinen Vater finde; ich bin über Verdienst unglücklich, daß ich mir Ihrer Hoheit Mißfallen zugezogen. Er schwieg. Unter seinen Zuhörern erhob sich ein freundliches Geflüster des Beyfalls. Das ist nicht alles, sprach Friedrich. Meine Ehre befiehlt mir hinzu zu setzen, was er verschweigt. Seine Bescheidenheit fordert mich auf, gerecht zu seyn. Er ist einer der tapfersten jungen Männer, auf christlichem Grund und Boden. Er ist heftig; aber wie kurze Zeit ich ihn auch kenne, verbürg' ich seine Wahrhaftigkeit. Wäre das, was er erzählt, nicht wahr, er würd' es nicht sagen. Junger Mann, ich ehre diese Freimühigkeit, die Ihrer Geburt geziemt. Sie haben mich eben beleidigt: aber das edle Blut Ihrer Adern mag wohl aufsprudeln, wenn es so neulich erst seine Quelle entdeckt hat. Kommen Sie, mein Fürst, (er wandte sich gegen Manfred) kann ich ihm verzeihen, so mögen Sie es noch viel leichter. Es ist des Jünglings Schuld nicht, daß Sie ihn für ein Gespenst hielten. Dieser herbe Stich erbitterte Manfreds Seele. Vermögen, antwortete er hochherzig, Wesen aus einer andern Welt meine Sinnen mit[166] Schauder zu erfüllen, so steht das in keines lebenden Mannes Macht. Mir würde des Knaben Arm – Mein Gemahl, unterbrach ihn Hippolite, Ihr Gast bedarf Erholung. Wollen wir ihn nicht seiner Ruhe überlassen? So sprach sie, ergrif Manfreds Hand, nahm Abschied von Friedrich, und führte die Gesellschaft fort. Dem Fürsten that es nicht leid, eine Unterredung abzubrechen, welche die Aeußerung seiner geheimsten Gefühle in Anregung brachte. Er ließ sich in sein Gemach zurückführen, und erlaubte Theodoren, seinem Vater ins Kloster zu folgen. Doch muste er versprechen, am nächsten Morgen zur Burg zurück zu kehren; und der junge Mann ließ sich diese Bedingung gern gefallen. Matilde und Isabelle waren mit ihren eignen Gedanken zu beschäftigt, zu wenig eine mit der andern zufrieden, als daß sie gewünscht haben solten, diesen Abend länger zusammen zu bleiben. Jede ging in ihr Zimmer. Sie schieden mit mehr Ausdrücken der Höflichkeit und weniger Zuneigung von einander, als seit ihrer Kindheit unter ihnen obgewaltet hatten.[167]

Waren sie ohne Herzlichkeit von einander gegangen, so suchten sie sich desto ungeduldiger auf, sobald der Morgen graute. Ihre Seelen befanden sich in einer Stimmung, die keinen Schlaf zuließ, und jeder fielen tausend Fragen ein, die sie der andern gern noch über Nacht vorgelegt hätte. Matilde überlegte, Theodor habe Isabellen zweymal aus einer so kritischen Lage gerettet, daß mehr als Zufall dabey obzuwalten scheine. Freilich waren seine Augen in Friedrichs Zimmer einzig auf Matilden gerichtet gewesen; aber das hatte er vielleicht gethan, um seinem und Isabellens Vater seine Neigung zu verbergen. Es wäre gut, das aufzuklären. Sie wünschte die Wahrheit zu erfahren, um ihrer Freundin kein Unrecht zu thun, und eine Leidenschaft gegen Isabellens Liebhaber zu nähren. So flüsterte Eifersucht ihr zu, und lieh eine Entschuldigung von der Freundschaft, um ihre Neugier zu rechtfertigen.

Isabelle blieb nicht minder schlaflos. Ihr Argwohn war besser gegründet. Denn Theodors Zunge und Augen hatten ihr gesagt, sein Herz sey gefesselt. Aber vielleicht erwiederte Matilde[168] seine Neigung nicht? Sie schien immer unempfindlich gegen die Liebe. Ihr Tichten und Trachten ging zum Himmel. Warum sprach ich ihr dagegen? fragte Isabelle sich selbst. Jetzt leid' ich für meine Großmuth. Aber wo fanden sie sich? wann? Es ist unmöglich, ich muß mich irren. Vielleicht sahn sie sich diesen Abend zum erstenmal. Ein andrer Gegenstand beschäftigt seine Gefühle. Wenn das ist, so bin ich minder unglücklich, als ich besorgte! Wenn es nur meine Freundin Matilde nicht ist! Und ich kann mich herablassen, die Liebe eines Mannes zu begehren, der so unhöflich und ohne Noth mir sagte, ich sey ihm gleichgültig? in eben dem Augenblick mir es sagte, wo alltägliche Lebensart wenigstens Ausdrücke der Achtung erfordert? Ich will zu meiner theuren Matilde gehn, sie wird mich in dem Stolz unterstützen, der mir zukommt. Das Männergeschlecht ist falsch. Wir wollen beyde ins Kloster. Sie wird sich freuen, mich in dieser Stimmung zu finden. Ja, ich sag' ihr, daß ich ihrem heiligen Beruf nicht länger widerspreche. In dieser Gemüthsverfassung, und entschlossen, ihr ganzes Herz vor Matilden auszuschütten, trat sie in das[169] Zimmer der Prinzessin, die sie ganz gekleidet fand, nachdenkend auf ihren Arm gelehnt. Diese Stellung entsprach Isabellens eignen Gefühlen, erweckte ihren Argwohn von neuem, und zerstörte das Vertrauen, das sie ihrer Freundin zu beweisen sich vorgenommen hatte. Sie errötheten, da sie gegen einander über standen, und waren zu sehr Neulinge, ihre Empfindungen geschickt zu verstellen. Nach einigen unbedeutenden Reden und Antworten, befragte Matilde Isabellen, um die Ursache ihrer Flucht. Diese hatte Manfreds Leidenschaft fast vergessen, so gänzlich war sie mit der ihrigen beschäftigt, und glaubte, Matilde meine ihre letzte Entfernung aus dem Kloster, welche die Begebenheiten des vergangenen Abends veranlaßte. Darum erwiederte sie: Martelli sagte einigen Klosterleuten, Ihre Frau Mutter sei gestorben. – O! unterbrach sie Matilde, das Mißverständniß hat Bianca veranlaßt. Sie sah mich in Ohnmacht fallen, und rief: die Prinzessin ist todt! Martelli holte grade sein Allmosen aus der Burg. – Warum fielen Sie in Ohnmacht? fragte Isabelle, der das übrige nichts anging. Matilde erröthete, und stammelte. Mein Vater saß zu[170] Gericht – über einen Verbrecher. – Ueber welchen Verbrecher? fragte Isabelle hastig. – Ueber einen Jüngling, antwortete Matilde, über den – über den nemlichen – Ueber Theodor? fragte Isabelle. Ja, antwortete sie. Ich hatte ihn nie zuvor gesehn, ich weiß nicht, was er gegen meinen Vater verbrochen haben mag – da er Ihnen aber einen Dienst leisten können, so freut es mich, daß der Fürst ihm verziehn hat. – Mir einen Dienst? rief Isabelle. Nennen Sie das mir einen Dienst leisten, daß er meinen Vater verwundete, und fast an seinem Tode schuld ist? Freylich bin ich nur seit gestern so glücklich, meinen Vater zu kennen; aber ich hoffe, Sie halten mich kindlicher Zärtlichkeit nicht so entfremdet, daß ich der Kühnheit dieses verwegenen Jünglings nicht zürnen sollte? Wie soll ich jemals Zuneigung gegen den empfinden, der sich erfrecht, seinen Arm gegen den Urheber meines Daseyns zu erheben? Nein, Matilde, mein Herz verabscheut ihn: und bewahren Sie mir noch die Freundschaft, die Sie mir von Kindheit an gelobten, so werden Sie einem Menschen fluchen, der im Begrif war, mich auf ewig zu verderben. Matilde[171] senkte ihr schönes Haupt, und antwortete: Ich hoffe, meine theure Isabelle bezweifelt ihrer Matilde Freundschaft nicht. Ich sah den Jüngling gestern zum erstenmal. Er ist mir völlig fremd. Die Wundärzte aber sprechen, Ihr Herr Vater sey außer aller Gefahr. Darum hegen Sie keine lieblose Empfindlichkeit gegen einen Mann, der, wie ich überzeugt bin, nicht wuste, daß Ihnen der Markgraf verwandt sey. Sie reden recht warm für einen Fremden, sprach Isabelle. Ich muß mich sehr irren, wenn er Ihre Liebe nicht vergilt. Was meinen Sie? fragte Matilde. Nichts, antwortete Isabelle, der es leid that, Matilden einen Wink von Theodors Zuneigung zu ihr gegeben zu haben. Darauf änderte sie das Gespräch, und fragte Matilden: wie Manfred Theodoren für ein Gespenst halten können? Gott sey mir gnädig! antwortete Matilde, bemerkten Sie nicht, wie außerordentlich er dem Bildniß Alfonso's gleicht, in der Gallerie? Ich erwähnte es gegen Bianca, noch ehe ich ihn in Waffenrüstung sah, aber mit dem Helm auf dem Haupt, ist er das wahre Ebenbild des Gemäldes! Ich achte nicht viel auf Gemälde, sprach Isabelle,[172] und noch weniger hab' ich den jungen Mann so aufmerksam betrachtet, als Sie gethan zu haben scheinen. Ach, Matilde! Ihr Herz ist in Gefahr. Lassen Sie sich freundschaftlich warnen. Er hat mir gestanden, er sey verliebt. In Sie kann er nicht verliebt seyn, Sie beyde sahn sich ja gestern zum erstenmal. Nicht wahr? Allerdings! versetzte Matilde; aber warum schließt meine theure Isabelle aus einem Wort, das ich verlohren habe, ich – sie hielt ein; dann fuhr sie fort: Sie sah er zuerst, und ich bin nicht so eitel, zu glauben, meine wenigen Reize könnten ein Herz gewinnen, das Ihnen gewidmet ist. Seyn Sie glücklich, Isabelle, aus Matilden werde was da will! Isabellens Herz war zu ehrlich, einem so liebevollen Ausdruck zu widerstehn. Meine liebliche Freundin, sprach sie, Sie bewundert Theodor; ich seh' es; ich bin davon überzeugt; und ein Gedanke an mein eignes Glück soll mich nie dahin bringen, dem Ihrigen in den Weg zu treten. Diese Offenheit brachte die sanfte Matilde zu Thränen. Die Eifersucht, die für einen Augenblick, Kälte unter diese liebenswürdigen Geschöpfe ausgestreut hatte, wich jetzt der angebohrnen[173] Aufrichtigkeit und Unbefangenheit ihrer Seelen. Jede gestand der andern den Eindruck, den Theodor auf sie gemacht hatte, und auf dieses Geständniß folgte ein Wettstreit der Großmuth; jede wollte ihrer Freundin ihre Ansprüche aufgeben. Endlich erinnerte die Würde der Tugend Isabellen, Theodor habe ihrer Nebenbuhlerin den Vorzug gegeben. Sie entschloß sich, ihre Leidenschaft zu überwinden, und den geliebten Gegenstand ihrer Freundin abzutreten.

Noch dauerte der freundschaftliche Zwist, als Hippolite in das Zimmer ihrer Tochter trat. Fräulein, sprach sie zu Isabellen, Sie haben so viel Zuneigung für Matilden, und nehmen so freundschaftlichen Theil an unser unglückliches Haus, daß ich keine Geheimnisse für mein Kind haben kann, die Sie nicht anhören dürften. Die Prinzessinnen schwiegen mit ängstlicher Aufmerksamkeit. Wissen Sie also, Fräulein, fuhr Hippolite fort, und du, meine theure Matilde, alle Begebenheiten dieser beyden letzten schrecklichen Tage überzeugen mich, es ist der Wille des Himmels, daß der Scepter von Otranto aus Manfreds Hand in die des Markgrafen[174] Friedrich übergehe. Vielleicht giebt mir die Vorsehung den Gedanken ein, unser gänzliches Verderben, durch Vereinigung unsrer feindlichen Geschlechter abzuwenden. In dieser Rücksicht hab' ich meinem Gemahl vorgeschlagen, dieses theure Kind Ihrem Vater Friedrich zur Gemahlin zu geben. – Ich, die Gemahlin Friedrichs! rief Matilde. Gerechter Himmel! o meine gütige Mutter! Haben Sie mit meinem Vater schon davon geredet? Das hab' ich, antwortete Hippolite. Er ließ sich meinen Vorschlag wohl gefallen, und ist hingegangen, ihn dem Markgrafen zu eröfnen. Ach! unglückliche Fürstin! was haben Sie gethan? rief Isabelle. Welches Verderben hat Ihre unbedachtsame Güte über Sie, über Matilde, über mich gebracht! Verderben von mir, über Sie und mein Kind? fragte Hippolite. Was soll das bedeuten? Ach, sagte Isabelle, die Reinheit Ihres Herzens hindert Sie, die Verderbtheit andrer zu bemerken. Manfred, Ihr Gemahl, ist so Gottes vergessen – Halten Sie ein, Fräulein, sprach Hippolite. Sie dürfen nicht in meiner Gegenwart alle Achtung gegen Manfred vergessen. Er ist mein Fürst und mein Gemahl. –[175] Er wird es nicht lange bleiben, antwortete Isabelle, wenn ihm sein boshaftes Vorhaben gelingt. Ich erstaune über diese Sprache, sagte Hippolite. Ihre Aufwallungen sind lebhaft, Isabelle; aber bis diesen Augenblick hab ich Sie nicht unbescheiden werden sehn. Welche von Manfreds Thaten berechtigt Sie, ihn als einen Räuber, als einen Meuchelmörder zu behandeln? Tugendhafte, leichtgläubige Fürstin, erwiederte Isabelle, er sucht nicht Ihren Tod, aber Ihre Entfernung. Er will sich scheiden. – Er will sich von mir scheiden! Von meiner Mutter scheiden! riefen Hippolite und Matilde zu gleicher Zeit. Ja, das will er, sprach Isabelle; und um das Maas seines Frevels voll zu machen, will er – ich kann es nicht aussprechen! Was ist schlimmer, als Sie bereits gesagt haben? rief Matilde. Hippolite schwieg. Der Schmerz erstickte ihre Sprache, und die Erinnerung an Manfreds neuerliche zweydeutige Reden bekräftigte, was sie gehört hatte. Theure, vortrefliche Frau! Fürstin! Mutter! rief Isabelle, und umarmte ihre Knie in einem Ausbruch des Gefühls. Trauen Sie mir, glauben Sie mir, ich will tausendmal lieber[176] sterben, als einwilligen, Ihnen Unrecht zu thun, als in einen so verhaßten Antrag willigen! – Dies geht zu weit, sprach Hippolite. So leitet ein Fehltritt zum andern. Stehn Sie auf, liebe Isabelle, ich zweifle an Ihrer Tugend nicht. Matilde, dieser Schlag ist zu schwer für dich! Weine nicht, mein Kind, murre nicht, ich befehl' es dir. Erinnere dich, er bleibt dein Vater. Aber Sie sind meine Mutter, erwiederte lebhaft Matilde, und Sie sind tugendhaft, Sie sind schuldlos. O, muß ich nicht, muß ich nicht klagen? Du mußt nicht, sprach Hippolite. Komm, alles wird gut gehn. Manfred war bestürzt über den Tod deines Bruders; er wuste nicht, was er sprach. Vielleicht verstand ihn Isabelle unrecht. Sein Herz ist gut. Mein Kind, du weißt nicht alles. Ein Verhängniß schwebt über uns, die Hand der Vorsicht ist ausgestreckt. Könnt' ich nur dich aus dem Schiffbruch retten! Ja! sprach sie mit festerem Ton, vielleicht wird meine Aufopferung für alle büßen. Ich gehe, und erbiete mich selbst zu dieser Trennung. Was aus mir wird, daran ist nichts gelegen. Ich will mich in das nahgelegene Kloster[177] einschließen, und den Ueberrest meines Lebens mit Gebeten und Thränen hinbringen, für mein Kind und – den Fürsten! Sie sind viel zu gut für diese Welt, sagte Isabelle, wie Manfred zu schlecht ist. Aber glauben Ihre Hoheit nicht, daß Ihre Nachgiebigkeit mich bestimmen wird. Hier schwör' ich, vor allen Heiligen. – Ich beschwöre Sie, halten Sie ein! rief Hippolite. Bedenken Sie, daß Sie nicht von sich selbst abhängen, daß Sie einen Vater haben, – Mein Vater ist zu gottselig, und zu edelmüthig, unterbrach sie Isabelle, eine ruchlose That zu befehlen. Solte er sie aber befehlen; hat er ein Recht, mich zum Fluch zum zwingen? Ich war mit dem Sohn verlobt, kann ich den Vater heyrathen? Nein, gnädige Frau, nein! Keine Gewalt reißt mich zu Manfreds verhaßtem Lager. Er ist mir zuwider, er ist mir abscheulich! Göttliche und menschliche Gesetze entfernen mich von ihm! Und kann ich meiner Freundin, kann ich meiner theuersten Matilde zarte Seele verwunden, und ihre angebetete Mutter beleidigen? Meine Mutter! – ich habe nie eine andre gekannt. O! sie ist unser beyder Mutter! rief[178] Matilde. Wir können sie nie genug verehren! Geliebte Kinder, sprach gerührt Hippolite, eure Zärtlichkeit überwältigt mich – aber ich darf ihr nicht nachgeben. Uns kommt es nicht zu, für uns zu wählen. Der Himmel, unsre Väter, unsre Ehemänner, entscheiden über uns. Gebt Geduld, bis ihr erfahren werdet, was Manfred und Friedrich beschlossen haben. Nimmt der Markgraf Matildens Hand an, so weiß ich, sie wird willig gehorchen. Gott vermittle und verhüte das Uebrige. Was will mein Kind? fuhr sie fort, als sie Matilden in sprachloser Thränenflut zu ihren Füßen fallen sah. Antworte mir nicht, meine Tochter; ich darf kein Wort gegen den Willen deines Vaters vernehmen. O zweifeln Sie nicht an meinem Gehorsam, an meinem fürchterlichen Gehorsam gegen ihn und Sie! sprach Matilde. Aber kann ich, o verehrteste unter allen Frauen, kann ich diese Zärtlichkeit, diese ungemeine Güte erproben, und der besten Mutter einen Gedanken verhehlen? Was wollen Sie sagen? sprach Isabelle zitternd. Besinnen Sie sich, Matilde. Nein, Isabelle, antwortete die Prinzessin, ich verdiene diese unvergleichliche Mutter nicht,[179] so lange im innersten Winkel meiner Seele ein Gedanke wider ihre Erlaubniß verweilt. Ja, ich habe sie beleidigt; ich habe eine Leidenschaft sich in mein Herz schleichen lassen, die nicht von ihr gebilligt ward: aber hier entsag' ich ihr, hier gelob' ich dem Himmel und ihr – Kind, Kind, sagte Hippolite, was muß ich hören? Welche neuen Unfälle thürmt das Schicksal über uns auf? Du nährst eine Leidenschaft? Du, in dieser Stunde der Zerstörung? O! ich fühle meine ganze Schuld, sprach Matilde. Ich verabscheue mich selbst, wenn ich meine Mutter betrübe. Sie ist mein theuerstes Gut auf der Welt. Ich will ihn niemals wie der sehn! Isabelle, sagte Hippolite, Sie wissen um dieses unglückliche Geheimniß. Es sey was es wolle, reden Sie. Wie? rief Matilde, hab' ich meiner Mutter Liebe so ganz verlohren, daß sie mich selbst über meine Fehler nicht mehr hören will? So ist es aus mit mir, so muß ich sterben. Sie sind zu grausam, gnädige Frau, sprach Isabelle zu Hippoliten. Können Sie ihre tugendhafte Seele so beängstigt sehn, und sich ihrer nicht erbarmen? Ich solte mich meines Kindes nicht erbarmen?[180] sprach Hippolite, und schloß ihre Tochter in ihre Arme. O! ich weiß, sie ist gut, sie ist ganz Tugend, ganz Zärtlichkeit und Gehorsam. Ich vergebe dir, meine trefliche, meine einzige Hofnung! Darauf entdeckten die Prinzessinnen Hippoliten ihre beiderseitige Neigung zu Theodoren, und Isabellens Entschluß, ihn an Matilde abzutreten. Hippolite tadelte ihre Unvorsichtigkeit, und bewies ihnen, wie unwahrscheinlich es sey, daß einer ihrer Väter seine Erbin einem so armen Mann, obgleich von edler Geburt, zusagen würde. Einigen Trost gab es ihr, ihre Leidenschaft so jung zu finden, und zu erfahren, daß Theodor sich von keiner so etwas gewärtigen könne. Sie befahl ihnen, allen Umgang mit ihm aufs sorgfältigste zu vermeiden. Matilde versprach es eifrig. Isabelle schmeichelte sich, sie denke an nichts, als seine Verbindung mit ihrer Freundin zu befördern; konnte folglich den Entschluß nicht fassen, ihm auszuweichen, und antwortete nicht. Ich will ins Kloster gehn, sprach Hippolite, und neue Seelenmessen besprechen, um uns von diesen Uebeln zu erlösen. O meine Mutter, rief Matilde, Sie wollen uns verlassen! Sie wollen[181] an heiliger Stäte bleiben, und meinem Vater Gelegenheit geben, sein verderbliches Vorhaben auszuführen! Ach! ich beschwöre Sie auf meinen Knien, bleiben Sie bey uns! Lassen Sie mich nicht in Friedrichs Hände fallen! Ich folge Ihnen in das Kloster! Sey ruhig, mein Kind, versetzte Hippolite. Ich komme gleich zurück. Ich will dich nie verlassen, bis ich erfahre, es sey der Wille des Himmels, und dein Bestes. Hintergehn Sie mich nicht, sprach Matilde. Ich werde nie Friedrichs Gemahlin, bis Sie es mir befehlen. Ach! was wird aus mir werden? Warum fragst du das? sprach Hippolite. Ich verspreche dir, ich komme wieder. O bleiben Sie, Mutter, versetzte Matilde, und retten Sie mich vor mir selbst! Ihr Kummer vermag mehr über mich, als alle Strenge meines Vaters. Ich habe mein Herz weggegeben. Sie allein können machen, daß ich es wieder gewinne! Kein Wort mehr, sprach Hippolite; du must nicht zurückgehn, Matilde. Ich kann Theodoren verlassen, sagte sie; muß ich aber die Gattin eines andern werden? Ich will Sie an den Altar begleiten, und mich selbst vor der Welt auf ewig[182] verschließen. Dein Schicksal hängt von deinem Vater ab, sprach Hippolite. Meine Zärtlichkeit war übel angebracht, wenn sie dich lehrte, irgend etwas höher zu ehren, als ihn. Leb wohl, Kind, ich gehe für dich zu beten.

Hippolitens wirklicher Vorsatz war, Geronimo zu fragen, ob sie nicht mit gutem Gewissen in die Ehescheidung willigen könne. Oft schon drang sie in Manfred, dem Fürstenthum zu entsagen, dessen Besitz ihrem zarten Gefühl eine stündliche Last war. Diese Zweifel trugen dazu bey, ihr eine Trennung von ihrem Gemahl weniger schrecklich scheinen zu lassen, als sie ihr in jeder andern Lage vorgekommen seyn würde.

Da Geronimo am Abend die Burg verließ, forderte er strenge von Theodor, ihm zu sagen, warum er ihn gegen Manfred beschuldigt habe, daß er Theil an seiner Flucht genommen? Theodor gestand, er habe das aus der Absicht gethan, zu verhindern, daß nicht Manfreds Argwohn auf Matilde fallen mögte; und setzte hinzu: Geronimo's heiliges Leben und Amt sey ja vor dem Zorn des Tyrannen gedeckt. Es that Geronimo herzlich weh, seines[183] Sohnes Neigung für die Prinzessin zu entdecken; er überließ ihn der Ruhe, und versprach, ihm am nächsten Morgen wichtige Gründe mitzutheilen, warum er seine Leidenschaft überwältigen müsse. Theodor war, wie Isabelle, mit dem väterlichen Ansehn zu kurze Zeit bekannt, um dessen Entscheidungen gegen die Triebe seines Herzens gelten zu lassen; wenig neugierig, die Gründe des Klosterbruders zu erfahren, und noch weniger gestimmt, ihnen zu gehorchen. Die liebliche Matilde hatte stärkeren Eindruck auf ihn gemacht, als kindliche Zuneigung. Die ganze Nacht ergötzte er sich an Träumen der Liebe, und lange nach dem Morgengebet erinnerte er sich erst, daß der Mönch ihn an Alfonso's Grab beschieden habe.

Jüngling, sprach Geronimo, da er ihn ansichtig ward, dein Zaudern mißfällt mir. Haben die Befehle eines Vaters schon so wenig Gewicht? Theodoren wolten die Entschuldigungen nicht recht glücken; er schob seine Verspätung darauf, daß er zu lange geschlafen habe. Hast du nicht auch geträumt? fragte der Mönch mit strengem Ton. Sein Sohn erröthete. Unbesonnener! fuhr der Klosterbruder[184] fort, dem darf nicht also seyn. Reiß diese schuldige Leidenschaft aus deinem Herzen. – Schuldige Leidenschaft! rief Theodor. Wohnt die Schuld, bey schöner Unschuld und sittsamer Tugend? Es ist Sünde, erwiederte der Mönch, die zu lieben, die der Himmel zum Verderben verdammt. Das Geschlecht des Tyrannen wird von der Erde vertilgt, bis ins dritte und vierte Glied. Kann der Himmel die Missethat der Frevler an den Reinen heimsuchen? sprach Theodor. Die reizende Matilde hat Tugenden genug – Dich unglücklich zu machen, unterbrach ihn Geronimo. Hast du sobald vergessen, daß der wilde Manfred zweymal dein Todesurtheil sprach? Ich habe eben so wenig vergessen, erwiederte Theodor, daß seiner Tochter Erbarmen mich aus seiner Hand erlöste. Unrecht kann ich vergessen, Gutthaten niemals. Das Unrecht, welches Manfreds Geschlecht dir erwiesen, sprach der Mönch, übersteigt deine Begriffe. – Antworte nicht, sondern blick auf dies geweihte Denkmal. Unter diesem Marmor ruht die Asche Alfonso des Guten. Er war ein Fürst mit jeglicher Tugend geschmückt, der Vater seines Volks, die Freude der Menschen,[185] Knie nieder vor ihm, halsstarriger Jüngling, und horch auf. Dein Vater soll dir ein grausenvolles Geheimniß enthüllen, das jedes Gefühl aus deiner Seele treiben wird, nur den Vorsatz gottgefälliger Rache nicht. Alfonso! höchstbeleidigter Fürst! Möge dein unbefriedigter Schatten, Ehrfurcht gebietend, mich im Schauer dieser Luft umschweben, daß meine zitternden Lippen – Ein Fußtritt naht sich! Wer ist da? Die unglücklichste der Frauen, antwortete Hippolite, und trat in das Chor. Darf ich näher kommen? Warum kniet dieser junge Mann? Was seht ihr beyde so bleich und grauenvoll? Was bringt euch zu diesem verehrten Grabe? Ist ein Geist euch erschienen? Wir hatten uns vor dem Himmel niedergeworfen, antwortete der Mönch ganz verwirrt, ihn anzuflehn, daß er den Plagen dieses jammervollen Landes ein Ende mache. Verbinden Sie sich mit uns, gnädige Frau. Vielleicht erhält Ihre makellose Seele eine Ausnahme von dem Gericht, das die Schreckenszeichen dieser Tage, nur zu sprechend, über Ihr Haus verkündigen. Ich bitte Gott inbrünstig, es abzuwenden, sprach die fromme Fürstin. Sie wissen, ich habe mein Leben[186] hingebracht, Segen für meinen Gemahl und für meine schuldlosen Kinder zu erbitten. Ach! mein Sohn ist von mir genommen! Höre nur der Himmel mein Gebet für die arme Matilde! Ehrwürdiger Vater, reden Sie für die. – Jedes Herz muß sie segnen! rief Theodor mit Entzücken. – Schweig, vorlauter Jüngling, sprach Geronimo. Liebevolle Mutter, lehnen Sie sich nicht gegen die Rathschläge des Himmels auf. Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Nahme des Herrn sey gelobt! Ich lobe ihn jeden Augenblick, sprach Hippolite. Aber wird er meines einziges Trostes nicht verschonen? Muß auch Matilde sterben? Ach, ehrwürdiger Vater, ich kam – aber entlassen Sie Ihren Sohn. Was ich noch zu sagen habe, darf kein sterbliches Ohr vernehmen, als das Ihrige. Trefliche Fürstin! sagte Theodor, indem er sich entfernte, Gott wolle alles gewähren, was Ihre Hoheit begehrt! Geronimo sah finster aus. Darauf entdeckte Hippolite ihrem Gewissensrath, welchen Vorschlag sie Manfred angegeben habe; daß er ihn gebilligt, und jetzt hingegangen sey, Matilde Friedrichen anzubieten. Geronimo konnte nicht verbergen,[187] wie sehr ihm der Anschlag misfiel; er versteckte sich aber hinter dem Vorwand, es sey ihm unwahrscheinlich: daß Friedrich, Alfonso's nächster Blutsverwandter, der sein Erbtheil zu fordern hergekommen, mit dem unrechtmäßigen Besitzer seines Eigenthums sich verschwägern würde. Aber nichts glich der Bestürzung des Klosterbruders, als ihm Hippolite gestand, sie finde sich bereit, der Ehescheidung nichts in den Weg zu legen, und ihn um seine Meinung fragte, ob sie sich bey ihrer Nachgiebigkeit beruhigen könne? Da war der Mönch sehr eifrig, den Rath zu ertheilen, den sie von ihm begehrte, und ohne zu erklären, warum er der vorhabenden Heirath zwischen Manfred und Isabellen so abgeneigt sey, schilderte er Hippoliten die Sündlichkeit ihrer Einwilligung mit den allerbeunruhigendsten Farben, drohte Gottes Gericht, wenn sie nachgäbe, und befahl ihr auf das strengste, jeden Vorschlag dieser Art, mit ausgezeichnetem Unwillen zu verwerfen.

Unterdessen hatte Manfred Friedrichen zugesprochen, und ihm die gedoppelte Verbindung vorgeschlagen. Dieser schwache Fürst war von Matildens[188] Reizen bezaubert, und ließ sich das Anerbieten nur zu gern gefallen. Er vergaß seine Feindschaft gegen Manfred, welchen mit Gewalt aus seinem Besitz zu setzen, er wenig Hofnung vor sich sah. Vielleicht, schmeichelte er sich, werde die Verbindung seiner Tochter mit dem Tyrannen keinen Nachfolger hervorbringen, und so sey ihm, durch seine Vermählung mit Matilden, die Erbnahme erleichtert. Er wandte also nicht viel gegen den Antrag ein, und stellte sich nur zum Schein, als könne er nicht zusagen, bis Hippolite ihre Beystimmung zur Ehescheidung gegeben habe. Dies nahm Manfred über sich. Entzückt über diesen glücklichen Erfolg, und ungeduldig, sich in den Fall zu setzen, wo er Söhne erwarten könne, eilte er in das Zimmer seiner Gemahlin, entschlossen, ihr Gefälligkeit abzudringen. Unwillig erfuhr er, sie sey ins Kloster gegangen. Sein Gewissen gab ihm ein, Isabelle habe sie wahrscheinlich von seinem Vorsatz unterrichtet. Es fiel ihm bey, sie möchte sich vielleicht ins Kloster begeben, um dort zu bleiben, bis sie ihrer Scheidung Hindernisse in den Weg legen könne. Geronimo war ihm immer verdächtig gewesen; daher besorgte[189] er, der Klosterbruder werde nicht nur seinen Absichten widerstehn, sondern habe auch Hippoliten den Entschluß eingeflößt, sich an heilige Stäte zu verfügen. Ungeduldig, dies Räthsel zu lösen, und jenen Wirkungen entgegen zu arbeiten, eilte Manfred ins Kloster, und kam grade an, als der Mönch die Fürstin aufs eifrigste ermahnte, der Ehescheidung niemals Raum zu geben.

Was suchen Sie hier, Fürstin? sprach Manfred. Warum konnten Sie nicht warten, bis ich vom Markgrafen zurückkam? Ich ging hieher, versetzte Hippolite, Ihrer Hoheit Rathschlüssen Segen zu erflehen. Meine Rathschläge bedürfen keiner pfäffischen Vermittelung, sprach Manfred. Giebt es denn unter allen Menschenkindern keinen Vertrauten für Sie, als diesen grauen Verräther? Sie lästern, gnädiger Herr, sprach Geronimo. Sie treten zum Altar, um die Diener des Altars zu verhöhnen. Aber Manfreds ruchlose Plane liegen am Tage. Der Himmel kennt sie, und diese tugendhafte Fürstin. Zornige Blicke schrecken mich nicht, gnädiger Herr. Die Kirche verachtet Ihre Drohungen. Der Kirche Donner sprechen lauter[190] als Manfreds Wuth. Wagen Sie es, Ihr verfluchtes Vorhaben der Ehescheidung weiter zu betreiben, bis der heilige Vater in Rom darüber entschieden hat, so werfe ich seinen Bannstrahl auf Ihr Haupt. Vermeßner Rebell! sprach Manfred, und gewann es über sich, den Schauder zu verbergen, womit ihn die Worte des ehrwürdigen Geistlichen erfüllten; darfst du dich erfrechen, deinen rechtmäßigen Fürsten zu bedrohn? Sie sind kein rechtmäßiger Fürst, sagte Geronimo, Sie sind kein Fürst! Gehn Sie, Ihre Ansprüche gegen den Markgrafen zu bewähren, und ist das geschehn, – Es ist geschehn, versetzte Manfred. Friedrich erwählt Matilden zur Gemahlin, und ist zufrieden, seine Ansprüche aufzugeben, wenn ich männliche Nachkommenschaft erhalte. – Da er diese Worte sprach, ließ die Bildsäule Alfonso's drey Tropfen Bluts aus ihrer Nase fallen. Manfred erblaßte. Die Fürstin sank auf ihre Knie. Sehn Sie, sprach der Mönch; erkennen Sie an diesem wunderbaren Zeichen, daß Alfonso's Blut sich mit dem Blute Manfreds nie vermischen will. O mein Gemahl, sprach Hippolite, lassen Sie uns dem Himmel[191] unterworfen seyn. Nicht, daß Ihre immer gehorsame Gattin sich gegen Ihr Ansehn empört. Sie will nichts, als was Sie wollen und die Kirche. Dieser ehrwürdige Richterstuhl entscheide über uns. Wir dürfen ja die Bande, die uns vereinigen, nicht auflösen. Billigt die Kirche die Auflösung unsrer Ehe, so geschehe sie. Ich habe nur wenig kummervolle Jahre zu leben. Wo kann ich sie so gut verbringen, als am Fuß dieses Altars, als in Gebeten für Ihr Heil und Matildens? – Aber bis dahin dürfen Sie nicht hier bleiben, sagte Manfred. Folgen Sie mir in die Burg. Dort werd' ich an die gehörigen Mittel denken, eine Ehescheidung zu bewirken. Der pfäffische Zwischenträger kommt dort nicht hin! Mein gastfreyes Dach soll keinen Verräther beschützen. Und deiner Wohlehrwürden Sprößling, fuhr er fort, verbann' ich aus meinen Landen. Er ist, meyn' ich doch, keine heilige Person, und steht nicht unter dem Schutz der Kirche. Wer auch Isabellens Gemahl wird, es ist nie der Sohn, der dem Bruder Falconara über Nacht aufgeschossen ist. Die sind über Nacht aufgeschossen, antwortete der Mönch, die man unversehens auf[192] dem Sitze rechtmäßiger Fürsten gewahr wird; aber sie verwelken, wie eine Blume auf dem Felde, und ihre Stäte kennet sie nicht mehr. Manfred warf einen verächtlichen Blick auf den Klosterbruder, und führte Hippoliten hinaus; aber an der Kirchthüre raunte er einem seiner Diener ins Ohr, sich in der Nachbarschaft des Klosters zu verstecken, und ihm augenblicklich Nachricht zu bringen, wenn jemand aus der Burg sich dahin begeben würde.

Quelle:
Walpole, Horace: Die Burg von Otranto. Berlin 1810, S. 155-193.
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