Abwesenheit

[67] Recht gleich wie diese erd

mit finsternus wird überspreitet,

wan Phöbus seine pferd

hat in den nidergang beleitet;

also ist mein gesicht verblichen,

weil meine Myrt, mein Liebelein,

und meines herzens diebelein

von mir hinweggewichen.


Gleich wie, wan sich die son

in ihr westhaus zu nacht verstecket,

mit sternen klar der mon

das weite firmament bedecket;

also bin ich mit leid umfassen,

weil meine Myrt, mein Nymfelein,

mein tröstelein, mein schimpfelein,

mich hinder ihr gelassen.


Gleich wie Apollons pracht

mit dem rotlecht vergüldten morgen

vertreibet bald die nacht

und mit der nacht die finstre sorgen;

also wird mein schmerz weggenommen,

wan meine Myrt, mein herzelein,

mein wohnelein, mein scherzelein

wird wider zu mir kommen.


Gleich wie der sonnen kraft

auf erden alle ding ergetzet[67]

und die gewächs mit saft

mit blumen alles feld besetzet;

also soll ich mehr lusts genießen,

wan meine Myrt, mein schätzelein,

mein herzkützlendes schmätzelein,

mich küssend wird begrüßen.

Quelle:
Georg Rodolf Weckherlin: Gedichte, Leipzig 1873, S. 67-68.
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