Anakreontisch

[160] Die Natur hat jedes thier

mit sonderbarer gab und zier

sorgfältiglich so wol versehen,

daß ihrer jedes mag, billich

vernüget, dessen rühmen sich

und neben andern wol bestehen.


Ein horn dem einhorn auf das hirn,

dem stier zwei hörner auf die stirn,[160]

dem hirsch ist ein geweih gesetzet;

die vögel hat sie durch den flug

und die füchs mit list und betrug

zu ihrer sicherheit ergetzet.


Der fisch kan schwimmen, und das pferd

ist wegen guten hufs mehr wert,

die löwen haben zähn und klauen,

das laufen ist der hasen pfand,

der man hat götlichen verstand;

was haben dan die zarte frauen?


Die frauen seind mit der lieb pracht

und mit der schönheit höchsten macht

so unvermeidenlich gezieret,

daß ihr holdselige gestalt

allein regierend, ohn gewalt,

über die herzen triumfieret.

Quelle:
Georg Rodolf Weckherlin: Gedichte, Leipzig 1873, S. 160-161.
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