Der lieb unzähliche zahl

[68] Nachdem die Nymf aus Albion,

der fromkeit und der tugend kron,

hat ihrer diener wert erwegen;

zog sie ihren landshirten vor

den fremdling, welcher Filodor

genant ist, seiner tugend wegen.


Fieng demnach an (für seine pein

und pure treu dankbar zu sein)

mit gleicher lieb ihm zu begegnen,

daß er bald seines leidens stand

auch Amors tyrannei und brand

und stralen nu anfieng zu segnen.


Also ihr beeder schmerz und scherz

wurd gleich, gleich wurd ihr will und herz,

gleichwol verdrüßlich den landsleuten:

geliebet lieben sie so sehr,

daß all ihr sorg ist, welches mehr

das ander lieben kan, zu streiten.


Einmal nu an des meers gestad

sprach er zu ihr: »O deren gnad

und lieb mich ewiglich verbinden!

für dich hab ich mehr qual und müh,

dan man kan körnlein sands alhie

und tropfen in dem meere finden.«
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Myrta gab ihm hierauf antwort:

»o meiner seelen süßer hort,

ich trag zu dir in meinem herzen

mehr lieb dan augenblick im jahr;

mehr, dan stern hat der himmel klar,

leid ich für dich liebreiche schmerzen.«


Alsdan der hirt mit großem lust

zog dise wort aus seiner brust:

»Laß so vil süßigkeit uns fühlen,

mit wie vil blumen sich das feld,

mit wie vil laub sich auch die wäld

bereichen, so vil laß uns spielen.«


Darauf mit schmollend süßem mund

sprach sie zu ihm von herzensgrund:

»So laß einmütiglich uns lieben,

und laß uns nu für tausend pein,

daß gleich dem leid die freud mög sein,

mit tausend küssen auch enttrüben.«

Quelle:
Georg Rodolf Weckherlin: Gedichte, Leipzig 1873, S. 68-69.
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