Myrta beklaget sich über Filodors reis

[159] Ach, dises ist der böse tag,

tag? nein, die tödlich schwere plag,

was? soll ich sagen deines scheidens?

nein, Filodor, es ist die nacht,

und unverhinderliche macht,

tag, plag, nacht, macht meines verscheidens.


Mit deinem scheiden scheidet sich

von mir mein herz und geist, und ich,

ich? nein, mein körper soll umschweben.

doch kan gewiß mein körper nicht,

verlierend sein herz, seel, gesicht,

umschweben, weil er nicht kan leben.


Doch deine bildnus und gestalt

ist all der trost, den ich behalt

in meinem schwachen haupt und herzen:

wan anderst allen trost von mir

nicht senden stracks nach und mit dir

mein übergroßes leid und schmerzen.


Doch dein vilfältige zusag,

vermischet stets mit meiner klag,

uns kürzlich wider umzufangen,

bezaubert wunderlich in mich[159]

die hofnung, daß sie alsbald sich

vermählen darf mit dem verlangen.


Daher dan kan sich der verdruß

erleichtern, daß die finsternus

des scheidens mög nicht allzeit wehren,

wan du mich oftmal deiner schrift,

die wider des abwesens gift

mich kan erquicken, wirst gewehren.


Bis nach wunsch deine widerkunft

uns beed wird wider mit vernunft

freud und glückseligkeit erlaben,

alsdan werd durch der sonnen schein

ich von der nacht gefreiet sein,

in die mich dises leid begraben.


Doch solt du mich hernach nicht mehr

für deines königs gunst und ehr

durch reis betrüben noch verlassen,

dan ich will dich mit solcher brunst,

daß aller fürsten macht umsunst

zu scheiden uns sein soll, umfassen.

Quelle:
Georg Rodolf Weckherlin: Gedichte, Leipzig 1873, S. 159-160.
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