Ueber abscheiden

[133] »Ach, süße seel, muß ich dich dan verlieren,

jetz, da ich stark zu halten dich gedacht?

darf ich dan nu nicht länger triumfieren,

verringert sich dan meiner schönheit macht?

ach nein! vil mehr will deine lieb sich enden,

dan wahre lieb kan sich von lieb nicht wenden.


Was soll ein fürst mehr macht und vortheil haben,

dan Amor selbs, der grösten götter got?

wird dan der krieg dich mit blut mehr erlaben,

dan diese küß, dan mein mund süß und rot?

ach nein! mein herz; laß krieg und fürsten fahren,

ein buhler soll nur seiner lieb willfahren.
[133]

Was hilft es dir, nach ehr und lob zu streben,

wan ich allein ohn hofnung zagen solt?

vil besser ist, der seinem freind das leben,

dan der dem feind den tod mittheilen wolt.

mein herz ohn dich kan keinen ruhm vermehren,

ohn mich dein herz soll keinen ruhm begehren.«


Also thät sich die zarte Myrt beklagen,

da Filodor, auch seufzend, jämerlich

sprach: »laß uns doch der götter zorn ertragen;

du hast mein herz, mein Myrt, dein herz hab ich.

und wie sehr uns das scheiden nu verletzet,

so sehr und mehr die widerkunft ergetzet.«

Quelle:
Georg Rodolf Weckherlin: Gedichte, Leipzig 1873, S. 133-134.
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