Ueber den frühen tod der jungfrau E.T.

[251] Stände.


Der wahren tugend glanz, der klar in dem aufgang

dich mehr, dan der mittag in andern wolte zieren,

bezeugte, daß dein lauf ganz löblich und nicht lang

solt, wie ein schöner tag, schnellflüchtig fort passieren.


Die blumen, welche sich erzeigen reif zu früh,

die werden von dem frost bald welk und weggenommen,

und kein zu frühe frucht kan, wan man schon mit müh

sie lang behalten wolt, den winter überkommen.


Dan der natur gesatz, das der mensch halten muß,

gebeut, daß nichts alhie glückselig lang soll wehren,

und daß was herrlich ist, gleichsam zu einer buß

soll, die welt nicht zu lang zu ehren, bald aufhören.


So deine jugend zart mit arbeit, ehr und zucht,

mit weisheit und gotsforcht, wissenschaft viler zungen,

mit deiner schönheit blust, mit deines verstands frucht,

zog billich dich herfür bei alten und bei jungen.


Daher der freche tod, sehend, wie deine seel

war mit vernunft und kunst des alters selbs geschmücket,

hat als ein reife frucht dich, frei von allem fehl,

mit ganz gnadloser hand, noch blühend, abgezwicket.


Ob aber wol der tod dir, unbefleckte blum

durch seiner sichel streich den fall zu früh gegeben:

so blühet allzeit doch frisch deiner tugend ruhm,

weil die leben lang gnug, die recht und wol gnug leben.
[251]

Wan dan, o süße seel, dein leben und dein tod

und deines heils gewin und unsern verlust weisen,

so mögen billich wir got klagen unsre not,

doch also, daß wir ihn auch für dein leben preisen.

Quelle:
Georg Rodolf Weckherlin: Gedichte, Leipzig 1873, S. 251-252.
Lizenz:
Kategorien: