Von der vorigen antwort: Weiß ich nicht

[60] Wie lang ich mich hab zu beklagen,

und wie lang ich hilflos zu zagen,

weiß ich nicht:

daß aber ich in meinem herzen

die von euch rührend große schmerzen

leid, lieb und lob, ist kein gedicht.


Was ihr, mich allzeit zu bekränken,

nur mit stillschweigen thut gedenken,

weiß ich nicht;

daß aber, wie ich euch erkoren,

ich also auch allein geboren

zu lieben euch, ist kein gedicht.


Warum ihr, meine lieb zu nähren,

nicht wöllet meinem trauren wehren,

weiß ich nicht;

daß aber gar kein schmerz zu finden,

der meine lieb bald mög entgründen

und ändern, ist gar kein gedicht.


Ob andre euch so sehr zu lieben

sich mit warhaftem leid betrüben,

weiß ich nicht;

daß aber ich hab keinen gleichen

und alle buhler mir weit weichen

an treu und lieb, ist kein gedicht.


Wie, einiger trost meiner seelen,

ihr mich so trostlos möget quälen,

weiß ich nicht;

daß aber sich stets, euch zu ehren,

mein leid und lieb zugleich vermehren,

gelob ich euch, ist kein gedicht.
[61]

Und wan ihr wolt, mein leid zu enden,

euch, mein herzlieb, zu mir einst wenden,

weiß ich nicht;

daß aber ich durch lieb muß sterben,

wan ich dieselb nicht kan erwerben,

gelob ich euch, ist kein gedicht.

Quelle:
Georg Rodolf Weckherlin: Gedichte, Leipzig 1873, S. 60-62.
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