Von des todes gewißheit und der tugend

[48] An Hans Hartman von Botzheim.


Man findet nichts vollkommen in der welt:

wir menschen seind mit sorgen, pein und plagen[48]

all ort und zeit, in stäten, auf dem feld,

von himmel, luft, mer und uns selbs geschlagen:

ja auch der götter macht

hat ihren sitz vollkommen

und selig nicht gemacht;

wer hat nicht wargenommen,

wie sonn und mon gemein

verfinstern ihren schein,

und wie des himmels zeichen

(oft mangelhaft) verbleichen?


Mit wie vil angst, gefahren, müh und not

seind ohn ablaß wir menschen umgegeben!

des einen list ist oft des andern tod,

des andern herz verkrieget selbs sein leben:

der ein aus vil verdruß

und trauren will verderben;

der ander, elend, muß

in der gefängnus sterben;

ein andrer die armut

verfluchet, suchet gut

und seinen geiz versinket,

wan er im mer verdrinket.


Der ein mit gift, schwert, wasser oder strick

darf über sich ein urteil selbs aussprechen,

und rettend sich von druckendem unglück

vermeinet er sich wider sich zu rächen:

vil kommen auch mit zwang

in dieses lebens leiden,

und findend den ausgang

all andre müh vermeiden;

auch vil sich in ihr grab,

eh daß sie eine gab

des tags und lichts genießen,

in mutterleib beschließen.


Es klopfet ja der tod mit einem bein

an die palläst und wolkenhohe schlösser

und armer leut sorglose hüttelein,

und ist für beed nicht böser und nicht besser:[49]

den leib ein tod allein

mit wunderbaren plagen,

unmeidenlicher pein,

undienstlich langen klagen

betrübet tag und nacht,

und die seel wird gebracht

für Minos, der kein flehen

mehr pfleget anzusehen.


Breit ist der weg zu des todes finsterm haus,

ohn thür das thor, da man stets hinein gehet,

sich aber (wert) zu ziehen noch daraus,

hierauf die müh, hierauf das werk bestehet.

der tugend weg ist schmal,

mit dornen wol verschlossen,

gering auch deren zahl,

die mutig, unverdrossen

sich durch der götter gunst

und durch der tugend kunst,

dem pöfel fern entzogen,

zu dem gestirn geflogen.


Der, dessen herz mit tugend armiert ist,

mein Botzheim, wie dein edles herz zu sehen,

der kan des glücks zorn, wankelmut und list

vest wie ein fels, unzaghaft widerstehen;

er ist stets groß, forchtlos,

nicht ab dem stral verblichen,

sein herz durch weisheit groß

ist sigreich, unverglichen;

er, dem für seinen lohn

gehört des himmels kron,

nichts irdischem nachstrebet

und sich selbs überlebet.

Quelle:
Georg Rodolf Weckherlin: Gedichte, Leipzig 1873, S. 48-50.
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