Sechstes Bild

[112] Hügelige Waldlandschaft auf der Insel Rhodus. Im Hintergrund rechts ein Kirchturm, links auf einer Anhöhe ein Schloß, vor dem zwei Kaninchen grasen. In der Mitte der Bühne befindet sich ein breites, marmornes Brunnenbecken, dessen Außenseite mit Skulpturen geschmückt ist. Die Skulpturen zeigen spielende Kinder, die einen Triumphzug und eine Stäupung vor dem Schandpfahl darstellen.

Veit Kunz tritt in reicher mittelalterlicher Tracht aus dem Wald. Er trägt langen, wallenden Bart und dünne, graue Perücke.


VEIT KUNZ.

Pietro Aretino war ein Spötter,

Und trotzdem hat ihn Tizian gemalt.[112]

Auch ich bin meinem Vaterland kein Retter.

Ich kämpfe nur, solang man mich bezahlt.

Wenn die vorhandnen Gelder nicht genügen,

Dann such' ich einfach mein Privatvergnügen.

In diesem Fall dreht sich's für mich darum,

Des Herzogs Festspiel auf den Kopf zu stellen,

Dem Dichter seine Freude zu vergällen.

Deshalb verkünd' ich dir, o Publikum:

Der Inhalt unsres Stücks voll Spott und Hohn

Ward unsern Gegnern früh genug verraten.

Noch weiß ich nicht, was sie zur Abwehr taten.

Uns auf der Fährte sind sie sicher schon.

So spiel' ich, um das Spiel zu hintertreiben,

Den eitlen Festrausch gründlich zu vereiteln.

Schon grollt das Wetter über unsern Scheiteln,

Und wird nicht lang mehr unentladen bleiben.

In der Theatersprache würd' es heißen:

Ich wirke mit, um den Erfolg zu schmeißen.

Hat der Skandal den Gipfelpunkt erreicht,

Dann werd' ich wiederum vor euch erscheinen,

Um einige dicke Tränen mitzuweinen,

Derweil ihr tief beschämt nach Hause schleicht.


Ab.

Franziska in mittelalterlichem Frauenkleid, mit breitem Halsausschnitt, einen Blumenkranz im Haar, die Hände in Handschuhen, eine halb gefüllte geschlossene Glasschale tragend, tritt[113] aus dem Wald. Ihr zur Seite geht ein Kind mit nackten Armen und Beinen.


DAS KIND.

Warum bist du so traurig?

FRANZISKA.

Weil ich schwer

An dieser kleinen Last zu tragen habe.

Wie oft schon wünscht' ich mir die Schale leer.

Statt dessen birgt sie von der seltnen Labe

Tagtäglich einen winz'gen Tropfen mehr. –

Auf dieses Brunnens Rand will ich mich setzen,

Mich etwas auszuruhn. Du kannst derweil

Im Gras mit Blumenpflücken dich ergötzen.

Nie ward als Kind mir solch ein Glück zuteil.

DAS KIND.

Von wem hast du den Kranz in deinem Haar?

FRANZISKA danach tastend.

Den Blumenkranz? – Den hatt' ich fast vergessen.

Ich weiß nicht, wer ihn mir ins Haar gedrückt.

Nie sah ich mich bekränzt. Ob er mich schmückt,

Läßt sich wohl aus dem Spiegel nur ermessen

DAS KIND taucht die Hand in den Brunnen.

Das Wasser ist so still, so rein, so klar,

Daß man den blauen Himmel drin erblickt.[114]

FRANZISKA beugt sich über den Brunnen.

Ich seh' mein Bild und bin von ihm entzückt.

Wie kommt es, daß ich in den schönsten Jahren

An Leid soviel, an Freude nichts erfahren?

Das Wasser wallt empor. Ein heller Schein

Taucht nah und näher aus der tiefsten Tiefe.

Kein Wunder, wenn der Brunnen überliefe.

Was mag das für ein Zauberwesen sein?


Gislind, nur mit einem weißen Schleier um die Hüften bekleidet, taucht aus dem Brunnen.


GISLIND.

Was führt, geliebte Schwester, dich zu mir?

Aus luft'gen Höhen hört' ich deine Stimme

Und eilte, daß ich dir entgegenschwimme.

Wem bringst du die kristallne Schale hier?

FRANZISKA.

Den Menschen bring' ich diesen heiligen Trank.

An seiner Glut erquicken sich Millionen,

Die meine Mühe nur mit Undank lohnen.

GISLIND sich auf den Brunnenrand setzend.

Mir ward für meine Fröhlichkeit ihr Dank

In reichstem Maß zuteil. Auch eine Schale

Mit schimmernd bunten Farben wunderbar

Geziert wie deine, brachten sie mir dar.

Wir tranken draus bei manchem lust'gen Mahle.[115]

Stets schwimmt sie obenauf. Sie wiegt so leicht!

Wer weiß, ob sie nicht gleich mein Arm erreicht.


Sie taucht den Arm in den Brunnen und hebt eine flache Kristallschale heraus.


FRANZISKA.

Du Glückliche, zeig' mir die Schale her!

Beneidenswerte Schwester! Sie ist leer!


Sie stellt die Schale neben Gislind auf den Brunnenrand.


GISLIND.

Dafür lang' ich mir aus der Flut ein Feuer,

Das nie in deiner vollen Schale glüht!


Sie nimmt eine rauchende Kapsel aus dem Brunnen und hält sie in ihrer Rechten hoch.


DAS KIND kniet vor Gislind anbetend nieder.

Dich hab' ich lieb!

GISLIND.

Wer ist der kleine Schreier,

Der unerwartet mir zu Füßen kniet?

FRANZISKA.

Ich glaube gar, mir will er untreu werden.

DAS KIND zu Gislind.

So schön wie du ist niemand sonst auf Erden!


Ein zweiköpfiger, vierfüßiger Drache stürmt bellend und grunzend aus dem Wald und stellt sich mitten vor den Brunnen. Er hat[116] einen Hundekopf und einen Schweinekopf. Die Tiermasken lassen die Gesichter völlig frei, so daß die Deutlichkeit der Sprache durch nichts beeinträchtigt ist. Franziska flieht nach rechts. Gislind flieht mit dem Kinde nach links.


GISLIND.

Wie kommt der Drache in den heiligen Hain?

FRANZISKA.

Den Drachen halt' ich für ein Löwenschwein.

Mich zu verschlingen, gähnt sein schwarzer Schlund.

GISLIND.

Der Drache, scheint mir, ist ein Schlangenhund.

Mit gift'gem Geifer dringt er auf mich ein!

DAS KIND.

Ist nicht der Drache nur ein Hundeschwein?

DER HUNDEKOPF bellt, darauf zu Franziska.

Unzucht, Laster, Ketzerei

Schleppst du im Gefäß herbei,

Um die Tugend zu vergiften,

Zu Verbrechen anzustiften,

Sie um Scham und Ehr' zu bringen –

Wart'! Nun werd' ich dich verschlingen!

FRANZISKA.

Was karg sich in die Schale mir ergossen,

Ist heilige Wahrheit, ewig dir verschlossen![117]

DER SCHWEINEKOPF grunzt, darauf zu Gislind.

Unzucht, Laster, Völlerei

Führst du schamentblößt herbei!

Um die Jugend zu vergiften,

Zu Verbrechen anzustiften,

Zwingst du sie, dich anzubeten.

Wart'! Jetzt werd' ich dich zertreten!

GISLIND.

Du drohst mit Taten, die du nie vollendest.

Die heilige Nacktheit stirbt, eh' du sie schändest.

DER HUNDEKOPF bellt, darauf zu Franziska.

Ich verlier' ob der Gewinnung

Deiner Wahrheit die Besinnung!

Durch den Trug der teufelsklugen

Wahrheit geh' ich aus den Fugen!

Wahrheit raubt mir den Verstand,

Bringt mich außer Rand und Band!

Wenn du auch die Schuld bekennst,

Bist du doch dem Heil verloren,

Hast den Herrgott abgeschworen,

Weil du Wahrheit – heilig nennst!

FRANZISKA.

Verkünd' uns nur, eh' du dich heiser bellst,

Die Lügen erst, die du für Wahrheit hältst![118]

DER SCHWEINEKOPF grunzt, darauf zu Gislind.

Mir verekelt die Beschauung

Deiner Nacktheit die Verdauung!

Schmutz hält warm, ist treu und ehrlich.

Nacktheit macht gemeingefährlich.

Nacktheit lockt die Pest herbei,

Nacktheit treibt zur Raserei.

Wenn du nackt zur Schau dich stellst,

Lästerst du die Schöpfung Gottes

Durch die Krönung deines Spottes,

Daß du nackt für heilig hältst!

GISLIND zu Franziska hinüberrufend.

Hilf, Schwester, mir, dem Drachen zu entfliehn.

Ich stehe ungeschützt, drum fürcht' ich ihn.

DAS KIND vor Gislind kniend.

Ich kann dem bösen Hundeschwein nicht glauben.

Dich, Schöne, Reine, soll mir niemand rauben!


Der Herzog tritt in Ritterrüstung mit blankem Schwert aus dem Wald.


HERZOG zum Publikum.

Der heilige Georg bin ich, entflammt,

Die Welt von Ungeheuern zu befreien,

Dem Schwachen meines Schwertes Schutz zu leihen.[119]

Die hohe Obrigkeit jedoch verdammt

Den Kampf. Aus Angst, daß Aberwitz und Zoten

Aussterben könnten, hat sie ihn verboten.

Wer eines Drachens Sieger worden,

Den straft der Ordensgeneral

Dafür, daß er des Volkes Qual

Gemildert, mit Ausstoßung aus dem Orden.

Doch da ich Sankt Georg, der Ritter bin,

Kämpf' ich nach Gottes und nach meinem Sinn!

DER HUNDEKOPF nach wildem Gebell.

Du führst deinen Adelstitel auf Borg.

Nicht du, sondern ich bin der heilige Georg!

DER SCHWEINEKOPF nach wütendem Grunzen.

Du Teufel kommst her, dich hier zu beweiben,

Mit deinen zwei Hexen Unzucht zu treiben!

HERZOG reicht Franziska die Hand und geleitet sie zu Gislind hinüber.

Du Holde, nimm dich treu der Schwester an.

In jenes Land führ' sie mit kundigen Schritten,

In dem ihr hochgeehrt und gern gelitten.

Von diesem Gauch wird euch kein Leid getan.


Franziska, Gislind und das Kind treten in den Wald zurück.


HERZOG zum Drachen.

Du Schweinehund! – Wie einst im Paradiese[120]

Nacktheit geehrt war, ehrt sie hier das Kind.

Und Menschen, die von Gott begnadet sind

Mit Gaben, die ich dir vergeblich priese,

Mit Einklang, Bildung, Friede, Seelengröße,

Verehren Gott in seiner Schöpfung Blöße.

Nur du, dir selbst der widerlichste Spott,

Durch Ungehorsam gegen dich und Gott

In gift'ge Zwietracht mit dir selbst geraten,

Du Hundsfott, Schweinehund und Teufelsbraten,

Willst uns das Heiligenbild, zu dem wir beten,

Aus Dummheit, Roheit, Neid zu Schmutz zertreten!

DER HUNDEKOPF stößt ein wütendes Gebell aus und sprich.

Die Hexen mit ihrem Höllengebräu

Werd' ich hindern, ihr Gift zu verspritzen!

Zu mir fleht die Menschheit mit Jammergeschrei,

Sie vor Tod und Verderben zu schützen.

HERZOG.

Den Mut vor Hunden muß die Wahrheit dämpfen.

Denn wer kein süßres Labsal kennt

Als seines Herren Exkrement,

Mit dem läßt sich nicht um die Wahrheit kämpfen.

Der Nacktheit denk' ich strengstens einzuschärfen:

Du sollst deine Nacktheit nicht vor die Säue werfen![121]

DER SCHWEINEKOPF stößt ein wüstes Gegrunze aus und spricht.

O Scheußlichkeit, von keinem Hirn zu fassen,

Daß ich mich soll als Schwein beschimpfen lassen!

HERZOG.

Bei Gott, mir steht es nicht ritterlich an,

Mit Worten Euch zu bekehren,

Denn wer die Nacktheit nicht sehen kann,

Der kann auch die Wahrheit nicht hören.

Dem Kinde mag die Nacktheit heiliger sein.

Für Wahrheit setzt der Mann sein Leben ein!

Dem Schwert gereicht es nicht zur Freude.

Zu plump ist's gegen den dickhäutigen Molch.

Doch diesen spitzgeschliffenen starren Dolch,

Den bohr' ich tödlich dir ins Eingeweide!


Der Herzog dringt mit dem Dolch auf den Drachen ein. Es folgt ein längerer Kampf. – Der Rotenburger

Polizeipräsident, in schwarzem Gehrock, ein Kettchen mit Orden auf der Brust, tritt rasch aus dem Wald.


POLIZEIPRÄSIDENT zum Herzog. Lassen Sie augenblicklich den Vorhang fallen! Ich verbiete Ihnen, weiterzuspielen!

HERZOG. Mensch, wo haben Sie Ihr Kostüm? Als Ordensmeister des Johanniterordens auf Rhodus treten[122] Sie auf! Da kommen Sie mit den paar lumpigen Orden! Krämpfe kriegt man!

POLIZEIPRÄSIDENT rot vor Zorn. Ich verbitte mir den Ton! Ein Wort noch und ich verhafte Sie!

HERZOG. Aber in Versen, mein Lieber! In Versen! Sie sollen mich in Versen verhaften! Mein Stück ist in Versen geschrieben. Haben Sie das vollständig vergessen?! Zum Drachen. Sein Ausdruck ist bewundernswürdig! Da arbeite ich mich auf den Proben tagelang vergeblich mit dem Künstler ab, und bei der Vorstellung trifft er plötzlich den einzig richtigen Ton und tritt dafür in einem ganz unglaublichen Kostüm auf! Das ist die moderne Schauspielkunst!


Der Drache bellt und grunzt beifällig.


POLIZEIPRÄSIDENT. Unverschämtes Benehmen! In diesem Drachen, den Sie eben töten wollten, verspotten Sie das Publikum, das da unten sitzt. Des halb zum letztenmal: Vorhang herunter!

HERZOG. Das Publikum da unten ist mir größtenteils unbekannt. Wen's juckt, der kratze sich![123]

POLIZEIPRÄSIDENT. Besteht das Publikum da unten vielleicht aus Paradieseskindern? Nein! Besteht das Publikum aus lauter Geistesgrößen? Nein! Der normale Staatsbürger kann nun einmal die Wahrheit nicht hören und die Nacktheit nicht sehen, ohne außer Rand und Band zu geraten, ohne gemeingefährlich zu werden. Solange ich Herzoglicher Polizeipräsident in Rotenburg bin, lasse ich solch eine rohe Verhöhnung nicht zu. Meine Aufgabe ist es, die öffentliche Meinung zu schützen. Auch in einem monarchischen Staate kann sich eine Regierung nicht gegen die öffentliche Meinung behaupten. Und glauben Sie vielleicht, ich gestatte Anspielungen wie: Wer kein süßeres Labsal kennt, als seines Herren Exkrement? Wenn jetzt der Vorhang nicht fällt, sind Sie verhaftet!

HERZOG. Eine Sekunde noch. Rennen Sie denn Ihren Herren überhaupt?

POLIZEIPRÄSIDENT. Das geht Sie gar nichts an! Meinen hohen Herren kenne ich bei stockfinsterer Nacht durch ein sieben Zoll dickes Brett hindurch. So blödsinnig wie Sie sieht er jedenfalls nicht aus!

HERZOG. Vielleicht ist es aber doch nur meine Maske, die Ihnen so blödsinnig erscheint?[124]

POLIZEIPRÄSIDENT. Maske hin, Maske her! Machen Sie keine Fisematenten! Ich bin Herzoglich Rotenburgischer Polizeipräsident. Sie werden gleich merken, was das heißt!

HERZOG. Verzeihung! Dem Gesetze habe ich mich natürlich zu fügen. Für sich. Das störende Verhängnis, das über meinen Theaterstücken schwebt! Er ruft in die Kulisse. Vorhang!


Die Herzogin, im Gesellschaftskleid, Franziska an der Hand führend, kommt aus dem Wald.


HERZOGIN. Diese Dame ist der Geist, mit dem mein Gemahl abends den Philosophenweg entlang zum heiligen Hain lustwandelt!


Gislind tritt, in einen Mantel gehüllt, aus dem Wald.


GISLIND entsetzt. Mit dem Weib? Im heiligen Hain?

HERZOG. Das ist kein Weib.

HERZOGIN lachend. Natürlich ist's keins! Zu Franziska. Sind Sie vielleicht ein Engel?[125]

HERZOG. Für mich bist du ein Genius.

GISLIND in Verzweiflung. Weib? Engel? Genius? – Dazu reicht mein Verstand nicht aus! Dazu bin ich zu dumm!

HERZOG springt ihr bei. Gislind!

GISLIND. Ich bin zu armselig für dich! Gib mir den blitzenden Schmuck! Der Schmuck gehört mir! Ich will ihn tragen!


Sie reißt dem Herzog den Dolch aus der Hand, stößt ihn sich in die Brust und sinkt zusammengekauert zu Boden.


HERZOGIN. Seine erste Regierungstat!

HERZOG. Niemand berühre die Waffe! – Man muß sie so ins Schloß tragen.

POLIZEIPRÄSIDENT zum Herzog. Hoheit! Nur die härteste Bestrafung gibt mir meine Menschenwürde zurück. Hoheit sehen mich in Verzweiflung darüber ersterben, daß es vor tiefster Zerknirschung nicht gelang, das Unglück rechtzeitig zu verhindern.[126]

GISLIND den blutigen Dolch in der Hand, hebt langsam den Oberkörper. Wer bedauert mich? Gibt es ein höheres Glück – als auf offener Bühne – vor Zuschauern – nackt zu sterben? Sie fällt tot auf den Rücken.

HERZOG vernichtet. Jetzt zeigt sich's, daß ich gegen Wahnsinn versichert bin.


Veit Kunz, ohne Bart und Perücke, geleitet zwei Reitknechte herein, die eine Bahre neben der Leiche niedersetzen.


VEIT KUNZ. Legt sie auf die Bahre und tragt sie ins Schloß. – Sie starb als Blutzeugin. Sie starb im Kampf um Seelenadel.


Die Reitknechte tragen Gislind hinaus. Alle folgen der Bahre bis auf Veit Kunz und den Polizeipräsidenten.


POLIZEIPRÄSIDENT. Das eine Blutzeugin?

VEIT KUNZ. Andere werden ihr folgen.

POLIZEIPRÄSIDENT. Auch die höchste Kunst kann die Nacktheit nicht rechtfertigen.

VEIT KUNZ. Die Kunst nicht, aber die Religion. Es handelt sich nur darum, daß Nacktheit sittlich ist und nicht unsittlich.[127]

POLIZEIPRÄSIDENT. Von Kunst halten Sie also auch nicht viel?

VEIT KUNZ. Sie ist unsere treueste Dienerin. Wann wird die Kirche endlich wieder so klug sein, die Nacktheit heilig zu sprechen?

POLIZEIPRÄSIDENT. Ihnen rate ich auf jeden Fall, mit ihrem Schützling möglichst rasch aus den Grenzen unseres Herzogtums zu verschwinden.

VEIT KUNZ. Wie konnten Sie denn aber nicht wissen, daß Königliche Hoheit das Stück selber geschrieben haben und selber als Darsteller darin auftreten?

POLIZEIPRÄSIDENT. Ein Herzoglich Rotenburgischer Polizeipräsident, mein lieber Herr, hat nicht die Verpflichtung, allwissend zu sein![128]

Quelle:
Wedekind, Frank: Franziska. Ein modernes Mysterium in fünf Akten, München 1912, S. 112-129.
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