Dritte Szene

[171] Breitenbach. Die Vorigen.


BREITENBACH eintretend. Sonderlich freundlich wird man hier nicht empfangen. Guten Tag, Veit Kunz! Ich habe mich verspätet. Ich wollte vor dir da sein, aber auf der Bahn traf ich natürlich jemand, der es auch nicht verschmerzen kann, daß ich mich nicht mit Weltverbesserungen befasse.

FRANZISKA im Begriffe, sich zu entfernen. Es ist sicher das richtigste, wenn ich die Herren allein lasse.

BREITENBACH. Verzeihen Sie! Seit mehreren Jahren erhalte ich alle paar Monate eine Vorladung von einem sogenannten Vormundschaftsgericht. Darüber wollte ich gerne mit Ihnen sprechen.[171]

FRANZISKA. Ich wurde als Zeugin vernommen, und man forderte mir einen Eid ab. Darauf konnte ich nicht schweigen.

BREITENBACH. Mich haben Sie als Vater Ihres Kindes bezeichnet.

VEIT KUNZ. Mich! Mich! Ich erhielt die gleichen Vorladungen.

FRANZISKA. Was haben die Herren geantwortet?

BREITENBACH. Ich habe meine Aussage verweigert.

VEIT KUNZ. Ich tat dasselbe.

BREITENBACH. In Wirklichkeit kann doch schließlich nur einer der Vater sein.

VEIT KUNZ. Das war auch meine Ansicht.

BREITENBACH. Zwei Väter zu einem Kind, das ist einfach unsittlich. Dann schon lieber gar keiner.

FRANZISKA. Das war mein sehnlichster Wunsch! Ich habe mich weiß Gott nach keinem umgesehen.[172]

VEIT KUNZ. Immerhin finde ich es weniger unsittlich, von zwei Männern ein uneheliches Kind zu haben, als von einem zwei.

FRANZISKA. Warum denn? Eine Mutter, die mit der Welt im Einklang lebt, versteht sicher mehr von Erziehung, als ein Elternpaar, das sich täglich in den Haaren liegt.

VEIT KUNZ. Als Kriminalbeamter bedaure ich, daß wir uns über diese Frage nicht vor einem hohen Gerichtshof auseinandersetzen können. Das Gesetz zieht jeden einzelnen Fall in Betracht, der im Leben überhaupt möglich ist. Dir dürfte es mit deiner anmaßenden Behauptung aber schwerlich recht geben.

BREITENBACH. Sicherlich nicht! Wenn heute der Hexenhammer noch in Anwendung gebracht würde, dann weiß ich jemand, dessen Asche längst in die vier Winde zerstreut worden wäre!

VEIT KUNZ. Die Hexenverbrennungen waren die erste gesunde Auflehnung gegen alles das, was heute als Frauenemanzipation die sittliche Weltordnung auf den Kopf stellen möchte.[173]

FRANZISKA. Wenn zwei Männer, wie ihr es seid, sich gehörig ins Zeug legen, dann gelingt es euch vielleicht auch heute noch, mich als Hexe verurteilen zu lassen.

BREITENBACH. Mal' den Teufel nicht an die Wand! Es käme auf den Versuch an!

VEIT KUNZ. Was ich dir in dieser Welt allenfalls noch gerne sein möchte, alle näheren Beziehungen natürlich ausgeschlossen, habe ich dir genau gesagt. Auf väterliche Gefühle für dein Kind bitte ich unter keinen Umständen bei mir zu rechnen. Deine himmelschreiende Untreue hat in mir auf Lebenszeiten jedes Verlangen nach einem innigen Einvernehmen mit dir getötet. Jetzt weißt du, wie du mit mir dran bist. Er will gehen.

BREITENBACH. Ich kann dich noch nicht begleiten, lieber Freund. Ich habe noch ein Wort unter vier Augen mit der Dame zu sprechen.


Veit Kunz ab.[174]


Quelle:
Wedekind, Frank: Franziska. Ein modernes Mysterium in fünf Akten, München 1912, S. 171-175.
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