10.

[64] Sei still, du sollst nicht traurig sein!

Ich laß die Saiten klingen,

Ich will von Brandeliedelein

Und Parzival dir singen.


Ich will dir bis um Mitternacht

In bunt phantast'schen Bildern

Entfernter Länder Lust und Pracht

Und grüne Meere schildern.


Ich führe dich durchs Hügelland

Hinaus zum blauen Strome,

Wo Burgen ragen übern Strand

Und steingehaune Dome.


Zur Alpe, wo der Adler kreist,

Dem Tannenforst entstiegen,

Zur Stadt, die man Venedig heißt,

Wo prächt'ge Gondeln liegen.


Ich zeige dir im Mondenstrahl

Die Inseln der Hellenen;

Ich will dich mit ins Blumental

Zu frommen Völkern nehmen.


Du sollst dich wiegen auf der Flut

Mit einem schönen Schwane,

Du sollst dich sonnen in der Glut

Erzitternder Vulkane.
[64]

Ich will im düstern Lorbeerwald

Das Grab der Dichter sprengen,

Daß die Provence widerhallt

Von tönenden Gesängen.


Du sollst die ew'ge Roma sehn,

Mit Tempeln wild zerrissen;

Du sollst hoch in den Pyrenän

Ein spanisch Mädchen küssen!


Und willst du dennoch traurig sein?

Wohlan, du deutsch Gemüte,

So nimm doch diesen Becher Wein

Und diese Rosenblüte!


Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1, Berlin 1956/57, S. 64-65.
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