Sechster Auftritt

[60] Die Mutter, Hortensia, Marie, Vorige.

Wie sie auf der Bühne sind, schreit das Volk.


Tod – allen Weißen Tod – sie müssen sterben.[60]

MARIE Aengstlich an die Mutter sich schmiegend.

O Mutter, Mutter – bist Du noch bei mir?

MUTTER.

Nur ruhig Kinder – bald ist es vollbracht.

DIAKUE rauh.

Du Wittwe St. Janvier, tritt nah zu mir,

daß ich an Deinen Qualen mich ergötze.

MUTTER erblickt ihn.

Ist's möglich, Diakue?

DIAKUE schnell einfallend.

Dein strenger Richter,

wie Deines Mannes ärgster, größter Feind.

Ihn nahm man mir, doch Du entgehst mir nicht.

MUTTER.

Noch einmal Diakue – Du kannst –

DIAKUE läßt sie nicht ausreden.

Mich rächen.

MUTTER schreit.

Nein, nein, es ist nicht möglich, nein, Du warst, Du bist –

DIAKUE.

Vollstrecker der Befehle meines Herrn.

MUTTER.

Nein ruf ich, nein, es kann nicht, kann nicht sein.

DIAKUE.

Schweig, Rasende, vermehr' nicht meine Wuth.

Ein jedes Wort, das Deine Zunge spricht,

sollst Du mir schwer bereu'n, verstehst Du mich


Zum Volk.


Tritt näher, Lieutenant, gieb mir die Sentenz.


Ein Offizier giebt sie ihm.
[61]

Ruh, ich gebiete Ruh, verstummt und hört!

Durch mich spricht Dessalines, mein General.


Reißt die Sentenz auf; nachdem er gelesen.


Wie? ist das möglich? warum so gelinde?

Ist das die Rache die er mir verhieß?

Sein zärtlich Weib hat die Sentenz dicktirt,

nicht Dessalines, der groß und schrecklich ist.


Zerreißt die Sentenz.


Nein, so gelind rächt sich der Schwarze nicht.


Zum Offizier.


Du eilst zu ihm – sag ihm, das Volk verlangt's,

sie müssen gräßlich sterben, fürchterlich,

so wie er Diakue es heiß gelobt.


Zu ihrer Wache.


Führt sie zurück, sie werden nicht gerichtet,

bis Dessalines ein strenger Urtheil fällt.

MUTTER für sich mit Hoffnung.

Ha – ich verstehe Dich.

DIAKUE.

Führt sie zurück.

DAS VOLK.

Laß' uns das Urtheil hören.

DIAKUE.

Schweigt, zurück.

EINIGE.

Wie lautet die Sentenz – wir wollen wissen –

DIAKUE.

Führt die Gefangnen fort, dann sag ich Euch –

VOLK.

Sie bleiben.[62]

ANDRE.

Sprich, das Volk muß alles wissen

BAPTIST.

Auch ohne die Sentenz weiß ich zu richten.


Durchbohrt Mad. St. Janvier.


So räch' ich mich –

MUTTER sinkt.

weh mir! o meine armen Kinder –

DIAKUE.

Ha – wer that das?

HORTENSIA.

Sie stirbt –

MARIE.

O unsre Mutter stirbt!

HORTENSIA.

Ermord' auch mich, ich kann nicht länger leben.

MARIE.

Auch mich, mit unsrer Mutter laß uns sterben.

BAPTIST.

Für Euch ist er ja wohl noch scharf genug?


Will sie erstechen.


DIAKUE Durchbohrt ihn mit dem Degen.

Verdammter Hund, empfange Deinen Lohn.


Gemurr im Volk.


EINIGE.

Was ist gescheh'n?

ANDRE.

Die Weißen sollen sterben.

DIAKUE.

Sie sollen, ja – doch meines Hassens werth![63]

VOLK.

Jetzt tödte sie

EINIGE.

Jetzt gleich, daß wir es sehen.

ALLE.

Tod! allen Weißen Tod!


Sie drängen vor.


DIAKUE.

Zurück, zurück!


Reißt beide Mädchen an sich.


Mein sind sie, hört ihr, mein. Ich morde sie

nach Herzenslust in tagelanger Qual.

In heißer Schlacht hab' ich mein Blut verspritzt.

Frei seyd Ihr, und gerächt; nun laßt auch mich

den heißen Durst nach blut'ger Rache kühlen.

Macht Platz – macht Platz, kein Mensch berühre sie.


Fürchterlich.


Zur Höhle schleppt der Tieger seine Beute,

wer tritt ihm in den Weg? Wer nimmt sie ihm?

Ich habe Lohn verdient, er werde mir! –

Und größern Lohn kann ich nicht mehr begehren,

als daß nun diese Kinder mein gehören.

Nur dies Gefühl durchbebt jezt meine Brust.

Sich so zu rächen, das ist Himmelslust.

Durch alle Straßen laßt es jubelnd schallen,

die lezten Weißen sind durch mich gefallen,

und schreiet, – brüllt – lang lebe Dessalines!

DAS VOLK.

Und Diakue – lang lebe Diakue!


Die Wache zieht ab, man hört die Trommel: alles stürzt nach.


Ende des dritten Akts.
[64]

Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neueste Schauspiele. Band 9, Berlin 1821, S. 60-65.
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