[98] Soudry mit Wache.
MARIE.
Er ist's – er ist's.
JUDITH.
Gerechter Gott! Zurück!
Will die Kinder in's Zimmer führen.
SOUDRY.
Halt da! – Ihr seid ertappt, könnt nicht entrinnen;
zum zweitenmal entschlüpft die Schlange nicht.
Nun – hab' ich recht gesehen? War ich betrunken?
Jetzt Diakue – jezt kann ich Dir vergelten.
Man hört Trompeten.
Hört Ihr! Der Zug beginnt; ha Dessalines,
zwei Perlen bring' ich Dir in deine Krone,
und räche mich an einen falschen Freund.
Zu den Wachen.
Ergreift sie, bindet sie, und schleppt sie fort.
Die Wachen ergreifen sie.
MARIE schreit.
Hortensia – sie reißen mich von Dir –[98]
HORTENSIA stürzt auf sie zu und umschlingt sie.
O trennt uns nicht, so tödtet uns nur schnell.
SOUDRY.
Das Volk soll sich an Euren Qualen weiden.
JUDITH.
Mensch – hab' Erbarmen, gieb die Kinder frei,
sie sind von meinem Gatten mir vertraut.
SOUDRY.
Er ward wie Du am Volke zum Verräther,
Euch trifft gleiches Loos.
HORTENSIA.
Barmherz'ger Gott!
JUDITH.
So wisse denn – er selbst, er wollte selbst
dem Dessalines heut dieses Schauspiel geben,
dazu hat er die Kinder aufbewahrt.
SOUDRY sieht sie an.
Ha – schlau gewendet. – Gut es mag so sein,
nur das kann Dir und ihm das Leben retten.
HORTENSIA schnell.
Das kann sie retten? Ja – er wollt' uns tödten.
Auch sie haßt uns, sie wollte uns ermorden.
O glaube mir, sie hat uns oft gedroht,
schon oft den Dolch auf uns're Brust gezückt.
SOUDRY.
So thu' es Heldin – da nimm meinen Dolch,
und tödte sie wenn ich Dir glauben soll;
dann führ ich im Triumph Dich durch die Straßen,
gerettet seid Ihr, Du und Diakue. –[99]
HORTENSIA leise.
O tödte uns – wir wollen gerne sterben:
Du rettest Dich und ihn. –
JUDITH sieht sie einen Augenblick an, dann wirft sie den Dolch weg.
Ich kann nicht, nein,
ich kann nicht morden, schleppt die Opfer fort,
schützt Gott uns nicht, so sind wir jezt verloren.
Da, nimm uns hin – sie sterben nicht allein,
ich will im Tode noch den Armen Mutter sein.
Ermorden müßt Ihr sie in meinen Armen;
kommt Kinder kommt – bei Gott ist nur Erbarmen.
Alle ab.
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