Lezter Auftritt

[102] Soudry, Judith, Hortensia, Marie, Wache.


SOUDRY.

So ruf' ich mit, und fei're dieses Fest

mehr als Ihr alle, weil ich für Euch wache.

Ihr wähnt das weiße Unkraut ausgerottet?

Zwei üpp'ge Sprößlein bring' ich Euch hier mit.

Schaut her, schaut her, die Töchter St. Janvier.


Die Wache tritt auf sein Zeichen zurück. Man sieht jetzt erst Hortensia und Marie, die sich in Todesangst an Judithe klammern.


JULIA schreit.

Sie sind's – barmherz'ger Gott – o Dessalines!


[102] Diakue steht betroffen, dann faßt er sich und nimmt den nächsten Offizier bedeutend bei der Hand, er giebt in der Folge den um ihn stehenden Truppen Winke, wo er es unbemerkt thun kann.


DESSALINES nach einer Pause des Erstaunens wendet er sich zu Diakue, und sagt fürchterlich.

Das Diakue – das hast Du mir gethan?

Mich so getäuscht – die Nattern nicht getödtet?

DIAKUE entschlossen.

Ich konnt es nicht – Ihr Vater war mein Freund,

aus Mörderhänden hat er mich gerettet,

in seinen Kindern wollt' ich dankbar sein.

DESSALINES wüthend.

Dem Weißen dankbar – treulos gegen mich?

Verruchter! Ha – doch nein, ich danke Dir

daß Du mir diese Wonne aufgespart.


Höhnisch.


Du wolltest dankbar sein? So sei es denn,

und laß' die eig'nen Truppen auf sie feuern.

Dort stellt sie hin – dort – daß ich sie erblicke,

mich an dem Schauspiel letzen, weiden kann.


Fürchterlich.


Dort stellt sie hin!

JULIA.

O Dessalines – halt ein –

Erbarmen!

DESSALINES.

Schweig![103]

JULIA.

Du bist kein Mensch, ein Mörder –

DESSALINES.

Schweig, fürchte meinen Zorn –

JULIA.

Ich fürchte nichts.

Das Blut der Unschuld schrei't um Rache!

Ich rufe Rache, Rache über Dich!

DESSALINES.

Sie treffe Dich Verweg'ne! Fesselt sie!

JULIA.

Tyranu, ich schütze sie mit meinem Leben.


Stürzt auf die Kinder hin.


DESSALINES wüthend.

Reißt sie zurück! Soldaten eure Pflicht.


Soudry reißt sie weg.


JULIA.

Weh mir! – Weh Euch! –

DESSALINES nach einer Pause höhnisch.

Wie wird es nun so still!

Ha ha ha ha Dein schwaches Rachgeschrei

soll mir den Fluch des Himmels näher bringen?

Du siehst – er schützt sie nicht, sie bleiben mein,

und keine Wolke läßt sich auf sie nieder,

die meinem Strafgericht sie schnell entzieht.


Zu Diakue gebieterisch.


Wie wird es General? Das Zeichen gieb.

Sträubt sich das schwache Herz? Stockt Dir das Wort.

Wir sind am Ende – wie? Du zögerst noch?[104]

DIAKUE schnell.

Nein, nun nicht mehr. –


Zu den drei Soldaten, die schon früher auf Diakues Befehl hervor traten.


Richt Euch – schlagt an – gebt Feuer.


Sie schlagen auf Dessalines an, der auf die Kinder sah, die im Vordergrund knieen, und sich fest umschlungen halten. Soudry hat Judithe von ihnen gerissen. Julia verbirgt ihr Gesicht, und lehnt sich auf ihre Frauen.

Dessalines fällt. Gleich treten von Diakues Wachen einige vor und umgeben schützend die Kinder.

Pause des Erstaunens.


SOUDRY.

Ha Dessalines – er fiel, er ist ermordet!

VOLK.

Wie? Dessalines?

DIAKUE steigt auf das Gerüst.

Liegt hier in seinem Blut.

SOUDRY.

Ha! Wer that das?

GOFFIER UND OPKU.

Sprich, wer hat das gethan?

DIAKUE schreit.

Ich – hört es alle, ich hab' Euch befreit!

VOLK.

Reißt ihn herab! –

SOUDRY.

Ergreifet, fesselt ihn![105]

SOLDATEN widersetzen sich dem Andringen des Volks.

Ha wagt es nicht! – Er ist in unserm Schutz!

DIAKUE.

Zurück ihr Wachen! – Laßt sie! Dringt heran! –

Zu Eurer Rettung hab' ich das gethan.

Ich fällte einen Baum vom Blitz entzündet,

daß seine Flamme nicht den Wald verzehrt:

ihr seid die Stämme die sie bald ergriffen;

wähnt Ihr, er wollt' Euch frei und glücklich machen?

Der Ehrgeiz trieb ihn und Tyrannen – Wuth.

Auf unsern Rücken stieg er hoch empor,

und wollt' uns wie Gewürm in Staub zertreten.

Das fordert Rache –

SOLDATEN.

Heiße, blut'ge Rache!

DIAKUE.

Durch meine Hand hat sie ihn hier ereilt,

das Werkzeug war ich einer höh'ren Macht.

Wer legt nun Hand an mich? Er komm heran.

Zurück Soldaten, Ihr sollt mich nicht schützen.


Wirft den Degen weg.


Auch keine Waffe führ' ich gegen Euch.

Mit dem Bewußtsein, daß ich Recht gethan,

gab' ich mich stolz als seinen Mörder an,

und fordre kühn für meine That den Lohn.

OFFIZIERE.

Er werde ihm, er steig' auf Haitis Thron!

SOLDATEN.

Beherrsche uns!

OFFIZIERE.

Wir schwören Treue Dir![106]

DIAKUE springt herab.

Nein, nimmermehr – ich bin, und bleib' Euch gleich.

Nicht Ehrgeiz hat mich zu der That verleitet,

nein, Dankbarkeit und meine Bürgerpflicht.

Sie ist erfüllt, im Blut schwimmt der Tyrann. –

Vernehmt nun Brüder, was mich lohnen kann.


Reißt die Kinder an sich.


Das ist der Lohn, den ich von Euch begehre,

die Kinder gebt mir frei. – O fürchtet nichts,

auf Haiti soll Euch keines Weißen Leben

zu neuer Furcht und Klage Anlaß geben.

Ein Schiff liegt schon bereit, sie segeln fort,

Gott leite sie in einem sichern Port.

ALLE.

Ja – nimm sie hin! –

OFFIZIERE.

Dein sind sie, Dein, und frei.

HORTENSIA schreit.

Frei?


Sinkt mit Marien dankend auf die Knie.


DIAKUE.

Judith – Julia – doch stille, still,

noch kann sie Eure Rettung nicht erfreuen,

ehrt ihren Schmerz, und scheidet ernst und still.


Deutet auf Judith.


Hier, diese Mutter bleibt Euch treu zur Seite,

bis Euch das Schiff aus ihrem Arm empfängt.

Und seh'n wir es in blauer Ferne schweben,

dann ruf' ich jubelnd, Mutter! Sieh, sie leben,

gerettet sind sie. Kühn ward es vollbracht,

nun schützt sie der, der über alles wacht.[107]

HORTENSIA UND MARIE.

O Dank Euch – Dank!

HORTENSIA.

Ich habe keine Worte –

DIAKUE.

Nun fort, schnell fort!

JULIA ruft.

Hortensia. –

HORTENSIA.

Sie ruft!

Laß' uns zu Deinen Füßen –

JULIA.

Nein, an mein Herz.


Umarmt Beide.


Nun fort, schnell fort! – Gott sei mit Euch!

HORTENSIA UND MARIE zu Allen.

Lebt wohl!


Alles ruft.


Glück auf!

OFFIZIERE.

Wir sind nun frei!

VOLK.

Ein freies Volk!

OFFIZIERE.

Durch ihn, durch Diakue, lang lebe Diakue!


Ende des Stücks.


Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neueste Schauspiele. Band 9, Berlin 1821, S. 102-108.
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