Dritter Auftritt

[210] Waldberg, Marie.


MARIE etwas verlegen. Verzeihen Sie, sie meint es gut.

WALDBERG. Ich habe um Verzeihung zu bitten, daß ich mich in dem Augenblick der herzlichsten Ergießung zwischen Mutter und Tochter dränge. Aber ich suche Aufklärung über Manches, die nur Sie mir geben können.

MARIE. Ich?

WALDBERG. Die Töchter der Baroninn hängen sehr an Ihnen.

MARIE. Sehr.

WALDBERG. Seit ich Sie sah, begreife ich, wie diese[210] Kinder, bey einer solchen Mutter, dennoch so einfach, so gut geblieben sind.

MARIE. Ihre Herzen –

WALDBERG. Lehrten Sie fühlen.

MARIE schnell. O nein, sie selbst!

WALDBERG. Daß sie alles, was sie sind, durch Sie sind, daran zweifle ich nun nicht mehr. Wie aber eine Frau, wie die Baroninn ihren Töchtern eine solche Erzieherinn geben konnte, das begreife ich nicht.

MARIE. Wie, mein Herr?

WALDBERG. Noch weniger begreife ich, wie eine solche Erzieherinn eine Behandlung erdulden kann, die den Forderungen so ganz entgegen ist, die Sie bey Ihren Verdiensten machen könnten. Man läßt Sie hier fühlen, daß Sie dienen.

MARIE für sich. O Gott! er hält mich –

WALDBERG. Die Baroninn sollte Sie als eine Freundinn behandeln, welche Pflichten übt, die sie nicht kennt. Nicht mit Geld lohnt man solche Dienste.

MARIE sehr bewegt. O nein, o nein!

WALDBERG. Nur mit Achtung, Liebe, und Vertrauen – das vermissen Sie.

MARIE. Ich vermisse nichts.

WALDBERG. Suchten Sie selbst diese Stelle?

MARIE. Ja.

WALDBERG. Und behalten sie trotz dieser Behandlung?

MARIE schwer. Ja.

WALDBERG. Unbegreiflich! Ihre alte Mutter scheint dürftig zu seyn. Erlauben Sie dem fremden Manne einen Blick in Ihre Verhältnisse. Bey Gott, nicht Neugierde,[211] Theilnahme macht mich zudringlich. Die Baroninn wich gestern allen meinen Fragen aus, Ihre Schülerinnen waren mit der Gesellschaft beschäftigt, ich nahm mir vor, mir von Ihnen selbst Aufschluß zu erbitten. Geben Sie mir ihn; es sieht ein redlicher Mann vor Ihnen, er verdient Ihr Vertrauen. Was hält Sie in diesem Hause?

MARIE nach einer Pause. Mein Herz.

WALDBERG. Trotz dieser Behandlung?

MARIE wehmüthig. Es ging mir einst sehr gut in diesem Haus, sehr gut.

WALDBERG. Da muß sich der Charakter der Baroninn sehr geändert haben, denn jetzt ist diese Frau –

MARIE schnell einfallend. Verzeihen Sie; in welchen Verhältnissen Sie mich auch in diesem Hause sehen, und glauben, meine Lage ist so, daß ich die Baroninn nicht darf tadeln hören. Auch trägt sie weniger Schuld, als es dem fremden Auge, welches auf den ersten Blick nicht alle Ursachen wahrnimmt, scheinen mag. Die Baroninn ist nicht mit den Grundsätzen zufrieden, die ich meinen Schwe – Stockt. Zöglingen beygebracht. Die große Welt, in der sie lebt, läßt sie nicht ahnen, daß es Freuden in ihrem Hause gibt, die nicht Aufwand und Prunk gewähren, die der genügsame Mensch aus sich selbst schöpft. Auf diesen Reichthum machte ich ihre Töchter aufmerksam. Sie genießen in meinem Umgang ein stilles Glück, indeß die Mutter sie für die große Welt gebildet wünschte, in der sie durch meine Schuld nicht glänzen. Mag seyn, daß mein Weg, den ich sie führe, glücklicher macht, aber da wir ihn gegen den Willen der Mutter betreten, sind wir in ihren Augen doch strafbar. Je mehr Sie[212] glauben daß meine Erziehung in diesem Hause Gutes gestiftet, je mehr müssen Sie die Baroninn entschuldigen, die vielleicht in ihrer Jugend keinen Führer fand, der sie auf die Straße leitete, wo wir uns finden konnten.

WALDBERG. Aber warum dulden Sie von dieser stolzen Frau –

MARIE. Herr von Waldberg, kein Wort mehr über meine Verhältnisse in diesem Hause, oder ich muß Sie verlassen. Das zarte Gewebe meines Schicksals duldet nicht die Berührung einer fremden Hand. Dem guten Menschen, dem ich vielleicht nicht sorgsam genug mein nasses Auge verbarg, gab ich Aufschluß; er beruhige sich mit der Versicherung, daß ich zufrieden – ja – daß ich auch manchmahl glücklich bin.

WALDBERG. Nur manchmahl?

MARIE. Welcher Mensch ist es immer?

WALDBERG. O Sie verdienen –

MARIE. Genug –

WALDBERG. Ich schweige, und bitte nur noch um Erlaubniß von mir zu sprechen. – Ich soll eine Tochter der Baroninn heirathen. Ihrer Sorgfalt danke ich, daß ich den Wunsch meines zweyten Vaters mit froher Aussicht auf künftiges Glück er fülle, denn eine Frau, die Sie gebildet haben, muß einen Mann glücklich machen.

MARIE. Herr von Waldberg –

WALDBERG. Beyde sind gut – beyde schön. Welche die schönste ist, kann wohl mein Auge unterscheiden, aber ich möchte die beste wählen, und dazu brauch' ich Sie.

MARIE. Mein Herz kann keiner einen Vorzug geben. Beyde sind gut, beyde verdienen das höchste Glück.[213]

WALDBERG. Lassen Sie mich offen handeln. Ein brüderliches Gefühl habe ich für beyde, aber – noch keine Liebe. Darum leiten Sie meinen Entschluß. Die Baroninn dringt darauf, daß ich mich heute noch erkläre.

MARIE. Hier muß nicht kalte Vernunft, hier muß das Herz entscheiden. Eine Ehe ohne Liebe – Gott behüte Sie vor dieser Hölle! Jede, die Sie aus meinen Armen reißen, wird meinem Herzen eine tiefe Wunde schlagen. Ach, diese Wesen sind ja die einzigen Bande, die mich an dieses Leben knüpfen. Darum machen Sie Ihre Gattinn glücklich; jede gute Nachricht von ihr wird ein Sonnenblick in meinem düstern Leben seyn.

WALDBERG. Könnten Sie sich entschließen, uns zu folgen?

MARIE. Nein.

WALDBERG. Warum nicht?

MARIE. Die hier bleibt, bedarf meiner.

WALDBERG. Diese Anhänglichkeit an fremde Kinder –

MARIE. Fremd?

WALDBERG. Noch einmahl, erlauben Sie mir einen tiefern Blick in Ihre Verhältnisse.

MARIE. Was soll Ihnen die düstre Verkettung meiner Schicksale? Ihr Auge strahlt freundlich in das Leben, Freude strahle ihm zurück! Nicht jede Thräne kann der Menschenfreund mit Theilung seines Uberflusses trocknen; es gibt Leiden, die aus der Seele quillen, an unserem Herzen nagen, bis es bricht. Sucht sich zu fassen. Forschen Sie bey niemand in diesem Hause nach meinem Schicksal, wenigstens jetzt nicht. Wählen Sie bald, aber[214] mit Liebe; machen Sie Ihre Gattinn glücklich, dann haben Sie alles für mich gethan.

WALDBERG. Und kann nichts Sie bewegen, uns zu folgen?

MARIE. Nichts.

WALDBERG. Auch nicht, wenn beyde dieses Haus verlassen?

MARIE. Beyde?

WALDBERG. Mir scheint, Grünau fühlt für Nina, in dem Fall –

MARIE lebhaft. Mein Segen folget beyden.

WALDBERG. Und Sie?

MARIE. Ich bleibe hier.

WALDBERG. Wer bedarf dann Ihrer?

MARIE. Eine kinderlose Mutter.

WALDBERG. Fühlt das die Baroninn?

MARIE. Sie wird es fühlen.

WALDBERG. Wird sie diese Treue lohnen?

MARIE. Wenn uns schon alles hier vergolten würde, welche Hoffnung bliebe uns für jenseits? mein stilles Bewußtseyn sey mein Lohn, und die Achtung edler Menschen. Verneigt sich und geht ab.

WALDBERG allein. Was ist das? – Nie hat ein Auge so mein Herz getroffen, keine Stimme so mein Ohr berührt. Warum pocht es hier so heftig? Gilt das nur der leidenden Gestalt? dem thränenvollen Blick? der unterdrückten Unschuld? – nein, nein, das ist mehr! das ist – was sträub' ich mich, das Wort zu sagen, da das Gefühl in meinem Busen brennt. Nur Liebe kann so plötzlich uns[215] ergreifen; die hohe Sanftmuth und die stille Größe, mit der sie Kränkung duldet, und sie mit keinem vorwurfsvollen Blick erwiedert – ja, hier ist Tugend, hier ist Liebe, hier ist Lebensglück. Ein solches Weib, und eine Hand voll Erde, die mir und ihr nur dürft'ge Nahrung gibt, dann schwelgt ihr Götter dieser Erde in Pallästen – in meiner Hütte wohnt das wahre Glück.


Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neue Schauspiele. Band 2, Wien 1817, S. 210-216.
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