[46] 1.
Kommt ihr Leute kommt und schauet
Mein betrübt Exempel an,
Seht wie einer fallen kan
Welcher auff die Liebe bauet,
Vnd sein Leben auff das Spiel
Eitler Wollust gründen wil.
2.
Wär ich vor so klug gewesen
Als ich itzo worden bin,
Hätte mein betrogner Sinn
Wol was bessers außerlesen,
Aber ach ich armes Kind
War an beyden Augen blind!
3.
Die beliebten Purpur-Wangen
Nahmen mir das Leben ein,
Und erregten durch den Schein
Alles Hoffen und Verlangen,
Biß ich alles was ich fand
Ihr und ihrer Gunst verband.
4.
Was ich dichte, was ich machte,
War auff sie allein gericht,
Sie, mein Engel, war mein Liecht,
Und wann ich an sie gedachte,[46]
Lieff das Blut in einem nu
Dem verliebten Hertzen zu.
5.
Wann ich gleich in einem Tag
Kaum ein halbes Blickgen sah,
Gieng mir doch der Strahl so nah,
Daß ich ausser aller Klage,
Gleichsam als zu grossem Danck
Manch erfreutes Lust-Lied sang.
6.
Aber nun bin ich verdorben,
Seit mir die Gelegenheit
Zu der gleichen Freundlichkeit
Unverhofft ist abgestorben,
Und mein Hertze keine Statt
Mehr in ihrem Hertzen hat.
7.
Alle Lust ist mir zuwider,
Was ich sehn und hören muß,
Bringt mir lauter Uberdruß,
Und die allerschönsten Lieder
Von der Liebe kommen mir
Abgeschmackt und alber für.
8.
Wann ich ja bißweilen schertze,
Und mein altes Freuden-Spiel
Wiederum verneuen will,
Ach so rufft mein schwaches Hertze
Mitten in der süssen Ruh
Meinem Schmertzen wieder zu.
9.
Zwar ich sehe schon von weiten
Daß die Zeit mich trösten kan,
Doch wiewohl ist der daran,
Welcher solchen Eitelkeiten
Seine Seele nicht ergiebt,
Oder doch gelücklich liebt.
Buchempfehlung
Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.
286 Seiten, 12.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro