CAP. XIX.

[96] Gelanor gieng also auch vom Fenster hinweg und gieng hinunter in das Haus, da stund der Hausknecht und weinte bittere Zähren, Eurylas, der dabey war, fragte was ihm zu Leide geschehen wäre. Ach ihr Herren, sagte er, soll ich nicht über mein Unglück Thränen vergiessen? Da wollen alle Leute an mir die Schuh wischen, O wer sich nur solte ein Leid anthun! gedenckt nur wie mirs geht! da ist meine Frau in die Wochen kommen, und hat einen jungen Sohn bracht. Nun soll ich ja vor allen Dingen drauf dencken, wie ich des jungen Heydens los werde, und einen neuen Christen davor[96] kriege. Aber ihr Herren, ihr wist es selber, das Werck läst sich nit thun, ich muß ehrliche Leute zu Gevattern haben. Gleichwohl geht mirs so närrisch, daß ich flugs möchte davon lauffen. Da ist ein Kerle, dem hab ich in diesem Gasthoffe wohl sechstausend Gläser Bier eingeschenckt, den wolt ich bey diesem Ehrenwercke gerne haben, wegen der alten Bekandschafft. Aber er hat mir den Gevatterbrieff zurück geschickt auß Ursachen, weil ich ihn nicht Edler, Wohl-Ehrenvester titulirt. Eurylas fragte weiter, wer es denn wäre, ob es ein vornehmer Mann sey, der den Titel verdienet habe? der Knecht gab zur Antwort, er wisse nicht wie hoch einer vor dem andren geschoren sey; doch sagten alle Leute, der Kerle sey im Kriege bey einem Obersten ein Bißgen vornehmer als ein Schuhputzer gewesen; so habe der Herr Rector (also ward der Præceptor Classicus genant, der Cantor, Baccalarius, und infima & suprema Collega zugleich war) gemeint, es sey genug wenn er schriebe Ehrenwohlgeachter. Nun sey der Groschen vergebens außgegeben, da der Steiß-Paucker vor das Geld hätte Edel und Wohl-Ehrenvest können hinschreiben. Eurylas sprach ihm Trost zu, er solte sich zu frieden geben, wenn es ja an Gevattern mangelte, so hätten sie einen Mahler bey sich, der das Christliche Werck auf sich nehmen könte. Der Hausknecht wolte sich noch nicht zu frieden geben, biß er einen andren Brieff geschrieben, und seinen außerlesenen Gevatter versöhnet hätte; da nam Eurylas den Mahler und dictirte ihm folgenden Brieff.


Edler, Wohl-Ehrenvester, Großachtbarer, Hochbenahmter, Hoch- und Wohl-Mannhaffter, Hoch- Ehren-Wohlgeachter und Hocherbarer Herr.


Eurer Edlen und Wohl-Ehrenvesten Herrligkeit kan ich nicht bergen, daß meine Tugendsame Hausehre die Christliche Kirche mit einer Männlichen Person vermehret. Wenn ich denn auß tragendem väterlichen Ampte mich nach vornehmen Paten ümbsehen muß, Und aber Eure Edle Wohl-Ehrenveste Herrligkeit mir iederzeit mit guter Affection zugethan gewesen. Als ist an Eure obgedachte Edle Wohl-Ehrenveste Herrligkeit mein gehorsamstes Bitten,[97] dieselbe wolle geruhen, durch dero Edle und Wohl-Ehrenveste Præsenz die Christliche Versammlung zu vermehren, und das arme Kind in dero Edle und Wohlehrenveste Affection auf- und anzunehmen. Solche Edle und Wohlehrenveste Wohlthat werde ich in meiner Niedrigkeit nicht allein erkennen: sondern werde auch in dessen Edlen und Wohlehrenvesten Diensten zu leben und zu sterben befliessen seyn.

E. Edl. und Wohlehrenv. Herrligk.

Unterthäniger Haus-Knecht

Steffen Leipeltz.


Solchen Brieff gab Eurylas dem Haus-Knechte, und weil er nicht lesen konte, laß er ihm was anders vor, daß der gute Tropff gar wohl mit zu frieden war, damit schickte er die Kindfrau fort. Nun gefiel dem neuen Herr Gevatter die Außschrifft sehr wohl, daß er die Frau gar freundlich abfertigte, allein das inwendige fuhr ihm in der Nase auf wie Pfeffer. Er schickte also fort nach dem Hausknechte, und fragte ihn, wer diesen Brieff gestellet hätte? der Knecht besorgte sich nichts Böses, und sagte die rechte Wahrheit: da fieng der Fincken-Ritter an, ich sehe es, du bist ausser Schuld, denn du kanst nicht lesen, da hastu ein Goldgülden Patengeld, unser Haus-Knecht soll vor mich stehen, aber morgen will ich zu euch zum Biere kommen, und da will ich dem Schreiber seine Arbeit gesegnen. Der Knecht referirte solches dem Eurylas, der war unerschrocken, und vexierte unterdessen den Mahler, als welchem immer leid war, daß man ihn in der Patschke stecken lasse. Denn ob sie zwar nicht Willens gewesen, sich an dem Orte lang auf zu halten, war doch ein Pferd vernagelt worden, daß sie also wieder ihren Willen dem Thiere seine Ruh gönnen musten. Der morgende Tag kam, das Mittagsmahl war fertig, als sich der Edle Wohl-Ehrenveste Herr Ober Stiefel Inspector einstellete. Er hatte eine braune Kappe an, und ein elend Camisol darunter, das hieb und stich frey war: an der Seite hieng eine breite Blötze, damit er auf einen Hieb sieben Krautköpfe hätte können abhauen. Ein Junge muste ihm einen Säbel nachtragen, der so schrecklich außsah, daß einem[98] von dem ersten Anblicke hätte mögen der Kopff vor die Füsse fallen.

Mit einem Worte alles zu begreiffen, dem Eurylas war zu muthe, als wenn ihm die Türcken und Tartarn wären zu gleich ins Land gefallen. Gelanor und Florindo stellten sich gantz unbekant, und assen vor sich fort, ingleichen machte Eurylas auch nicht viel Wesens. Nun war dem guten Stümper, welcher vor dießmal Horribilicribrifax heissen mag, immer leid, die Gäste möchten etwan nicht wissen, wer er wäre, und möchten dannenhero vor seinem Zorne nicht gar zu hoch erschrecken: Gleichwohl aber wolte sich kein Discurs fügen, dabey er seine Heldenmässige Thaten hätte angebracht. Darum muste er sich mit des Wirths Sohn einlassen, der sich auf der nechsten Schule sonsten auffhielt und dazumal zu dem Hr. Vater in patriam verreiset war: Junge sagte er zu seinem Serviteur, wo hast du meinen Säbel, bring ihn nur in der Scheide her, zeuch ihn nicht auß, du möchtest Schaden thun. Hiemit wandte er sich zu dem jungen Lappen, der viel wuste, was der Krieg vor ein Ding wäre, und sagte: Das ist ein Säbel, der mir im Polnischen Kriege Dienste gethan hat. Ich wolte ihm so viel Ducaten gönnen, so viel als Tartar-Köpffe davor abgeflogen sind. Ich ward bey der köstlichen Klinge des Blutvergiessens so gewohnt: daß ich offt mit meinen besten Freunden anfieng, nur damit ich Händel kriegte, und einem ein Zeichen geben kunte. Sie wustens auch alle, darum schickten sie mich mehrentheils auf die Parthey, nur daß sie im Quartier unbeschädigt blieben. Ja Czarnetzky hatte Glücke, daß er mir auß den Händen entwischte, ich hatte ihm, soll mich der und jener, schon die Charpe vom Leibe weggehauen: doch man weiß wohl, was die Pohlnischen Klöpper vor Kröten seyn, wie sie durch gehen: Sonst hätte es geheissen, Bruder, gib eine Tonne Goldes Rantzion, oder ich haue dich, daß dir die Caldaunen am Sattelknopffe hängen bleiben. Ach das war ein Leben: drey Teutsche, sieben Pohlen, zehen Cosacken, vierzehn Tartarn, und ein halbschock Muscowitter waren mir als ein Morgenbrod. Ich achte sie offt nicht so gut, daß ich[99] auf sie loßgeschlagen hätte, biß mir die Hunde sagten, ob ihrer nicht mehr wären. Aber ich wuste, daß ich mich auf mein Gewehr verlassen konte. Hätte ich meinen Bachmatt, der mir in der Schlacht vor Warschau erschossen ward, nur ein halb Jahr eher kriegt, ich wolte funffzigtausend Thaler reicher seyn. Er gieng in einem Futter dreyssig Meylen hin und her, als wenn ihm nichts drum wäre. Ein Morast, der nicht breiter war, als etliche Acker, war seine Lust, daß er drüber springen solte. Einmahl jagte ich den Pohlen nach, biß in ein Städgen, da schlossen sie das Thor zu, und meynten sie hätten mich gar gewiß. Aber da sie zu Rathe giengen, wie sie mir beykämen, setzte ich über die Stadtmauer weg, und stellte mich ins blancke Feld: der Hencker hätte die Kerlen geritten, daß sie mir wären nachkommen. Ein andermahl umbringte mich eine gantze Compagnie Tartarn, aber ich sprengte über die gantze Schwadrone weg, und schmieß mit dem Förderbeine den Rittmeister, mit den Hinterbeinen den Cornet, vor die Köpffe, daß sie wohl ihres Parteygehens vergessen haben. Ich möchte mir wohl so viel dergleichen Pferde wünschen, als ich mit diesem eintzigen durch die Weichsel und durch den Dnieper geschwummen bin. Und was das beste war, das Thier hatte einen Verstand, als ein Mensch, es legte sich flugs auf die Streu zu mir, und schlieff die gantze Nacht mit. Hatte ich Meet oder Brandtewein, das Pferd soff so einen dichten Rausch, als ein Kerl. Ewig Schade war es, daß es so liederlich solte drauff gehen, und ich solte es nicht außstopffen, oder zum wenigsten begraben lassen. Ja wohl, es ist eine brave Sache umb den Krieg, wenn einer courage hat, und weiß sie recht zu gebrauchen. Doch wolte ich es keinem rathen, daß er sich so übel verwahrte, als ich. Mein Oberster, bey dem ich war, wuste, daß er sich auf mich verlassen kunte, drum verhinderte er mich an meinem Glück, daß ich bey allen Officir-Stellen, die mir angetragen wurden, darneben hingieng. Nun giebt sich noch ein Krieg an, mein Säbel soll mir noch eine Graffschafft erwerben, du ehrlicher Säbel, hastu nichts zu thun, möchtestu nicht einmahl einem guten Freunde eine[100] Schmarre über den Kopff hauen, daß ein Bachmatt, wie meiner war, darauß sauffen könte? Ja fürwar, du hast ein Lüstgen. Nun sey zu frieden, wo dich dürst, ich will dir bald zu trincken geben.

Der Mahler hatte sich dazumahl müssen mit zu Tische setzen, dem war nun Angst und bange, was auß dem Blutvergiessen werden solte, und ob er nicht auch etwas von Cinnober darzu spendiren müste. Eurylas hingegen, dem sonst mehr solche Praler bekant waren, lachte heimlich, und wolte nur sehn, ob sich der Kerl an den Mahler reiben würde, doch als seine Auffschneiderey zu lange währte, trunck er ihm eins zu, und sagte: Mein Herr, ich höre, er ist in dem Polnischen Kriege gewesen, hat er nicht den Obristen Widewitz gekennt, der die alte Timmertze oberhalb der Weichsel eingenommen hat? Der gute Kumpe verstund die Wörter nicht, doch meynte er, es wäre ihm schimpfflich, wenn ihm etwas in Pohlen solte unbekant seyn. Darumb sagte er, er sey ihm gar wohl bekant, und habe er offt im Namen seines Obersten Brieffe hin zu bestellen gehabt. Eurylas hatte ihn auf dem rechten Wege, darumb fragte er weiter, ob er nicht gehöret hätte, daß derselbige Obriste einen Hirsch durch das lincke Ohr und durch die rechte Pfote mit einer Kugel zugleich geschossen hätte? Ja sagte er, ich kam gleich darzu, wie der Schuß geschehen war. Eurylas wieß hiermit auf den Mahler, und fragte ob er denn diesen guten Freund nicht kennte, er hätte eben über demselben Stücke das Weidmesser kriegt. Der ehrliche Horribilicribrifax wuste nicht, wie er dran war, doch wickelte er sich wieder herauß, er wäre gleich fortgeritten, und hätte nicht observirt, was sonst passirt wäre. Eurylas sagte weiter, gleichwohl hätte sich dieser rechtschaffene Kerle über ihn beschwert, als wäre er sein Verräther gewesen, und wenn es wahr wäre, so wolte er diesen nicht mehr vor seinen Compagnon erkennen, wo er den Schimpf nicht revengirte. Horribilicribrifax versetzte, er wüste nichts davon, doch wolte er es keinem rathen, daß er sich an ihn machte, wenn er nicht sein Leben in Gefahr setzen wolte. Eurylas kriegte hierauff den Mahler bey dem Flügel,[101] und sagte, wie sitzt ihr da, als wenn ihr eure drey Pfund allein behalten wollet, macht fort, und schmeist euren Verräther an den Hals, oder der kleinste Junge, den ich auf der Gasse finde, soll euch Nasenstüber geben. Habt ihr ihm gestern zur Bravade einen Brieff schreiben können, so trettet ihm auch heute unter das Gesichte. Indem sich nun der Mahler besann, ob er sich in Leib- und Lebens Gefahr wagen wolte, gieng der andere mit rechten Bachmattß-Schritten zu der Stube hinauß. Und wie der Hausknecht erzehlte, hatte er vorgegeben, er wäre übermannet gewesen, und wüste wohl, wie hoch ein Todschlag gestraffet würde, wenn man ihn noch so raisonable begangen hätte; doch solte ihm einer auß der gantzen Compagnie im Kriege begegnen, er wolte ihm den Säbel zu kosten geben. Ho, ho! sagte Eurylas, haben wir so lang noch Zeit, so vexiren wir den Moscowiter noch einmahl. Damit redte einer dieß, der ander das von dem elenden närrischen Auffschneider: Etliche verwunderten sich über die ungereimten Lügen: Andere lachten darüber, daß mancher so streng über solchen Tituln hielte, die er kaum halb verdient hätte. Aber Gelanor machte nicht viel Wunders, was ist es nun mehr, sagte er, daß ein Kerl etwas liberal im reden ist, wenn er seine Reputation dadurch bestätigen soll. Thut es doch die gantze Welt, was rühmen die Gelehrten nicht von ihren sonderlichen Meinungen, die Medici von ihren arcanis, die Juristen von ihren Exceptionibus, die Philologi von ihren Manuscriptis, die Kauffleute von ihren Wahren, die Schäffer von ihrer Keule, und was des Pralens mehr ist? Hat es nun der gute Schöps zu mercklich gemacht, was kan er davor, daß er den Schalck nicht so wohl verbergen und vermänteln kan, als die andern? Auch was die Titul betrifft, warumb soll er eben der Narr alleine seyn, da sich so viel Leute umb die Narrenkappe schlagen und schmeissen wollen, und da nunmehr die gantze Brieffschreiberey in dieser Zierligkeit besteht, daß man die Eminentzen, Exellentzen, Reverentzen und Pestilentzen fein nach der Tabulatur herschneiden kan. Darumb dürffen wir den guten Menschen nicht außlachen, oder wenn[102] wir solches thun wollen, haben wir nicht Ursache, daß wir vornehmere Leute vorbey gehen, und bey dieser elenden Creatur den Anfang machen wollen. Und dieß war dazumahl das Lied vom Ende.

Quelle:
Christian Weise: Die drei ärgsten Erznarren in der ganzen Welt. Halle an der Saale 1878, S. 96-103.
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