CAP. XXVI.

[126] Uber dem essen gedachte Gelanor an den alten Gänse-Glauben, welchen er an dem Schneider observiret, und belustigte sich trefflich mit der Einfalt der Menschen. Doch hörte er, daß dergleichen Aberglauben sowohl bey vornehmen, als gemeinen Leuten in dem Schwange gingen. Denn da war ein fremder von Adel, der erzehlte folgendes. Mein Herr, sagte er, wird hier zu Lande nicht viel bekandt seyn, denn sonst würde er von solchen Albertäten etwas erfahren haben: Indem die Leute auf die lauteren Einbildungen mehr halten, als auf GOttes Wort. Da geht mancher und will GOttes Befehl zur schuldigen Folge in die Kirche gehn. Doch weil ihm eine alte Frau begegnet, so muß GOttes Befehl nachbleiben, warumb? Es ist nicht gut. Da liesse sich mancher eher erschlagen, ehe er durch zwey Weibes Personen durch gienge: Ein ander zeucht sein weiß Hembde am Montage an, und gienge lieber nackend, als daß er sich am Sonntage solte weiß anziehen: etliche halten den Tag, auf welchen der ehrliche Sanct Velten gefällig ist, durch das gantze Jahr vor Fatal, und nehmen an demselben nichts vor: ich kenne Leute, die stehn in der Meynung, wenn sie nicht an der Aschermittwoche gelbe Muß, am Grünendonnerstage ein grün Kraut von neunerley Kräutern, an der Pfingstmitwoche Schollen mit Knobloche fressen, so würden sie noch dasselbe Jahr vor Martini zu Eseln. Und was soll ich sagen von Braut und Bräutigam, waß sie mehrentheils vor Sachen mercken müssen. Da sollen sie dicht zusammen treten, wann sie sich trauen lassen, daß niemand durch sehen kan: da sollen sie den Zapffen vom ersten Bier- oder Weinfasse in acht nehmen: da sollen sie zugleich in das Bette steigen, ja was das Possirlichste ist, da soll sich der Bräutigam wohl gar in einer Badeschürtze trauen lassen. Mit einem[126] Worte der Händel sind so viel, daß man ein groß Buch davon schreiben könte.

Gelanor fragte, was doch solche Aberglauben müsten vor einen Ursprung haben? Dieser sagte, ich habe den Sachen offt mit verwunderung nachgedacht, und befinde zwar, daß etliche auß blossen Possen vorgebracht, und hernach von einfältigen Leuten im Ernste verstanden worden: Da nähme mancher nicht viel Geld und wüschte das Maul an das Tischtuch, denn es heisst: wer das Maul an das Tischtuch wischt, der wird nicht satt. Ja wohl möchte ein Narr hundert Jahr wischen, er solte doch vom wischen nicht satt werden. Ingleichen sprechen sie, es sey nicht gut, wenn man das Kleid am Leibe flicken liesse. Und mancher lieffe lieber durch ein Feuer, als daß er sich einen Stich liesse am Leibe thun: doch ist es nicht Thorheit, wenn es gut wäre, dürffte man es nicht flicken. Was vor Händel geglaubt werden, wie man thun solle, wenn ein Wolff oder ein Hase über den Weg läufft, ist verhoffentlich bekandt: denn wenn der Wolff davon läufft, ist es ein besser Zeichen, als wenn er da bleibt. Aber läufft der Hase davon, so ist es ein böse Zeichen, daß er nicht soll in der Schüssel liegen. Ingleichen ist an etlichen Orten der Brauch, daß sie das Brod, welches zu letzt in den Backoffen geschoben wird, sonderlich zeichnen, und es den Wirth nennen, da halten sie davor, so lange der Wirth im Hause sey, mangele es nicht am Brodte, und glauben derwegen, wenn das gezeichnete Brod vor der Zeit angeschnitten würde, so müste theuer Zeit erfolgen. Doch es sind Thorheiten, so lange das Brod da ist, mangelt es nicht. Wie jener liesse sich einen Zweyer in die Hosen einnehen, und rühmte sich er hätte stets Geld bey sich. Doch darff man alle Aberglauben auf solche possirliche Außlegungen nicht führen. Das meiste kommt meines erachtens daher, weil die Eltern ihren Kindern ein und ander Morale haben wollen beybringen, und haben ihrem Kindischen Verstande nach eine Ursache beygefüget, welche doch hernachmals vor wahr angenommen und in der Welt als eine sonderliche Weisheit fort gepflantzet worden. Zum Exempel, es steht unhöflich, wann man auf alles[127] mit den Fingern weiset. Drumb hat ein Vater ungefehr wider sein Kind gesagt, bey leibe weise nicht mit dem Finger, du erstichst einen Engel. Solches ist von dem Kinde auffgefangen, und auf die Nachkommen gebracht worden, daß ietzund mancher nit viel Geld nehme, und wiese mit dem Finger in die Höh, wenn es auch die höchste Noth erforderte. Ingleichen weiß ein iedweder, wie gefährlich es ist, wenn man das Messer auf den Rücken legt, denn es kan ein ander leicht drein greiffen, und sich Schaden thun, drum hat der Vater gesagt, liebes Kind, lege das Messer nicht so, die lieben Engel treten sich hinein. Nun ist der Glaube so eingerissen, daß ich einen Priester in einer vornehmen Stadt kenne, der in einem Gastgebot offentlich gesagt, wenn man zugleich ein Kind im Feuer und ein Messer auf dem Rücken liegen sähe, solte man eher dem Messer, als dem Kinde zulauffen, und hätte ein solcher Kerl nit verdient, daß man ihn mit blossem Rücken in die heisse Asche setzte, und liesse ihn so lange zappeln, biß man ein Messer zur Ruhe gelegt hätte. Noch eins zu gedencken. Es ist nicht fein, daß man die Becher oder Kannen überspannt, denn es kan dem Nachbar ein Eckel entstehen, wenn man alles mit den Fäusten betastet: so hat der Vater gesagt, mein Kind, thue es nicht, wer darauß trinckt, bekömmt das Hertzgespann. Nun sind die Leute so sorgfältig darbey, daß auch keine Magd im Scheuern über die Kanne spannen darff. Mehr könte ich anführen, wenn es von nöthen wäre. Gleich bey diesen Worten kam der Schneider, und fragte, ob es Zeit wäre in den Laden zu gehen. Sie liessen ihn etwas nieder sitzen, und fragte Eurylas, wie stehts, Meister Fabian, ist euch keine alte Frau begegnet? Der Schneider war fix mit der Antwort; Ja, sagte er, es begegnete mir eine, sie kam mir bald vor, wie des Herrn erste Liebste. Florindo wolte wissen, warumb er nicht zurücke gangen? doch versetzte dieser, er hätte sie noch vor eine reine Jungfer gehalten. Und in Warheit ie mehr sie fragten, ie possirlicher kam die Antwort herauß, daß sie endlich gewahr wurden, daß sich dieser Schneider nicht eine alte Frau, sondern irgends ein gutes[128] Frühstück abhalten lassen: drumb lachten sie wohl über die Entschuldigung, und giengen hierauff in den Laden.

Quelle:
Christian Weise: Die drei ärgsten Erznarren in der ganzen Welt. Halle an der Saale 1878, S. 126-129.
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