CAP. XLII.

[197] Florindo hätte gern gehört, was die Weibergen vor eine Antwort würden gegeben haben, doch der Wirth kam in die Stube, und empfieng sie, brachte auch hernachmahls andere Fragen auf die Bahne, daß der præcedenz mit keinem Worte mehr gedacht ward. Es lieff auch in seiner Stube etwas vor, daß er abgehalten ward ferner zu zuhören. In etlichen Tagen aber begab sich ein possierlicher Casus, denn Florindo mochte den künstlichen Schlittenfahrer einen gedoppelten Berenheuter geheissen haben, und solches war dem Kerlen durch den Haußknecht hinterbracht worden. Drumb weil er sich mit dem Degen nicht erkühnete alles außzuführen, gieng er zu einem Notario publico, und ließ sich eine Klage auffsetzen, übergab solche dem Stadtrichter, welcher auch auß obliegendem Ampt dieselbe alsobald insinuiren ließ, mit Begehren, mit der Gegen-Nothdurfft bey Straff Ungehorsams ehistes einzukommen. Florindo zeigte die Klage dem Gelanor, welche folgender Massen eingerichtet war.


Hochweise Herren Stadt-Gerichten.


E. Hochw. bey dieser heil. und hochfeyerl. Zeit zu belästigen, hab ich auß hochdringender Noth nicht Umbgang nehmen können. Indem ein junger von Adel, der sich Florindo nennet, und im Gasthoffe zum güldenen Kachelofen zur Herberge liegt, mich verschiehenen 25. Decembr. halb vier Uhr nach Mittage, ohne alle meine Schuld und Verbrechung einen doppelten Berenheuter gescholten. Wenn ich denn solche grausame und unverdiente Injurie mir nicht allein, wie einem ehrlichen Menschen zusteht, gebührender Massen ad animum revocirt, sondern auch in Primo motu iracundiæ so sehr erbittert worden, daß ich auß Zorn in meiner Stuben zwey Fenster eingeschmissen, hernach drey Venedische Gläser vom Simmse geworffen, endlich auch mit einem grossen Stocke einen Schieffer-Tisch in Stücken geschlagen, dadurch ich, leichtlichem Ermessen nach, in grossen und hauptsächlichen Schaden bin gesetzt worden. Als gelanget an E. hochw. mein unterdienstliches Bitten und Suchen, sie wollen obgedachten [198] Florindo auß Obrigkeitlicher Macht und Gewalt, krafft welcher sie über alle Einheimische und Einquartierte gleich zu gebieten haben, aufferlegen, mir nicht allein vor meinen erlittenen Schaden, welcher sich auf eilff Gülden siebenzehen Groschen acht Pfennige belauffen thut: sondern auch vor allen Dingen, wegen des angethanen Schimpffes, welchen ich auff eilff tausend siebenhundert und acht und viertzig Gülden ex legitimâ affectione, qvam famæ meæ debeo schätzen und æstimiren wil, gebührende und vollkömmliche satisfaction zu geben. Wenn auch uber alles Vermuthen, offterwehnter Florindo sich auf die Klage nicht einlassen, und so lang in possession verbleiben wolte, daß ich ein gedoppelter Berenheuter sey, biß ich solches in petitorio außgeführet hätte; Als will ich alles in sein Christliches Gewissen zur endlichen Eröffnung geschoben haben. Und weil er alsdenn solches nicht wird leugnen können, versehe ich mich bey E. Hochw. einer gerechten decision und verbleibe etc.

Florindo wuste nicht, ob er lachen oder fluchen solte, doch ruffte er überlaut, halt du Cujon, ich will in possess bleiben, daß du ein doppelter etc. bist, und deiner funffzehen sollen mich nicht herauß setzen, du solst mit mir in das petitorium, und da will ich dir sehen lassen, daß ich die leges besser versteh, als du, und dein kahler Concipient: doch Gelanor dachte den Sachen besser nach und sagte:


Hoc scio pro certo, quoties cum stercore certo;

Vinco seu vincor, semper ego maculor.


Ließ also den Wirth kommen, hielt ihm die Klage für, und bat er möchte den Stadtrichter dahin disponiren, daß sie als fremde nicht ohn Ursach discommodirt würden, und an höheren Orten Hülffe suchen müsten. Doch war dieser kaum auß dem Haus, so kam der Stadtrichter selbst, der mit dem Gelanor auf Universitäten wohl bekand gewesen, und auf solche Masse mit ihm suchte wieder in Freundschafft zu treten. Da lieff die gantze action auf eine sonderliche Lustigkeit hinauß, daher Florindo leicht abnehmen kunte, daß er bey seiner ruhigen possess wol würde geschützet werden. Absonderlich delectirten sich alle[199] an der schönen Klage, die so artig war auffgesetzt worden; Doch hatte der Richter noch etliche Inventiones bey sich, welche noch besser kamen, und daran sich Florindo am besten besänfftigen ließ.


Die Erste verhielt sich also:


P.P.


Vor N. erscheinet N. mit Vorbehalt aller rechtlichen Wolthaten: Insonderheit sich zu keinem überflüssigen Beweiß, denn so viel ihm zu bestätigung seiner Gerechtigkeit von nöthen seyn wird, zu verstricken und zu verbinden, bestellet und setzet seine Klage nicht in Form eines zierlichen libells, sondern schlechter Narration kürtzlich sagende, daß ob wohl im Rechten deutlich versehen, daß ein iedweder ehrlicher Biederman in seinem Hause ruhig und unmolestirt wohnen solle, dessen allen dennoch ungeacht, beklagter N. sich gelüsten lassen bey Nächtlicher Weile vor klägers Hause vorbey zu gehen, und einen grossen abscheulichen Wind, salva reverentia, streichen zu lassen. Weil demnach solche unmenschliche Injurien ungerochen nicht dürffen hingehen, als bittet Kläger im Rechten zu erkennen und außzusprechen, daß Beklagter den Staupenschlag verwircket, und nebenst demselben vier tausend Reichsthaler in specie Klägern wegen des erlittenen Schimpffs außzuzahlen schuldig sey. Rufft hierüber das richterliche Ampt an, und bittet ihm Gerechtigkeit mit zu theilen, und Beklagten durch ordentliche Mittel dahin zu zwingen und anzuhalten, damit sowohl der hochheiligen Justitz als zuförderst ihm Klägern satisfaction geschehen möge. Solches etc.


Die Andere lautete also.


P.P.


Kläger erscheinet, und giebt mit wehmüthigen Klagen zu verstehen, daß Beklagter N. sein Nachbar einen Birnbaum habe, der mit etlichen Zweigen in seinen Klägers Hoff hinnüber reiche. Ob nun wohl Beklagter gewust, daß hierdurch alle Birnen, so auf den hinüber hangenden Zweigen wachsen, ihm als Nachbarn verfallen wären: Auch keine Mittel gesehen, wie er sich solcher Birnen theilhafftig[200] machen könte: hat er doch auß unchristlichem boßhafftigen Gemüthe bey dunckler Nacht-Zeit offt erwehnte Birnen, mit Gunst und reverenz zu melden, mit Menschen-Koth beschmieret, und hierdurch Anlaß gegeben, daß, als er folgendes Tages eine abgeschlagen und essen wollen, ihm ein hefftiger Eckel zugestanden, der wohl gar in ein hitzig Fieber hätte degeneriren können, wenn ihm nicht durch kräfftige medicamenta wäre begegnet worden. Weil denn solch freventliches Beginnen andern zu mercklichem Abscheu muß gestraffet werden; Als bittet Kläger im Rechten außzusprechen, daß er schuldig sey, eben eine solche beschmierte Birne mit Haut und Haar auffzufressen. Und gleich wie es einem hochweisen Richterlichen Ammte an Mitteln nicht ermangelt, ihn auf vorhergegangene Wegerung dahin an zuhalten, also verspricht Kläger etc.

Mehr dergleichen schöne libelli kamen vor, die der Richter, als ein sonderlicher Liebhaber dergleichen Händel colligirt hatte. Einer klagte den Nachbar an, er habe einen Schweinsdarm mit einem Ende an den Röhrkasten und mit dem andern in sein Kellerloch geleget, dadurch der Keller voll Wasser worden, und als er solches per legitimam retorsionem wollen nachthun, sey er mit allen Haußgenossen herauß gefallen und habe ihm Schläge darzu gegeben. Der Andere beschwerte sich über Titium, er habe einen Churfürstlichen Reichsthaler in ein Schnuptuch gebunden, und solchen an die Decke gehangen, mit Versprechen, wer ihn mit dem Maule erschnappen würde, der solte ihn behalten. Allein als er Kläger solchen gefangen, sey ein Kuhfladen an statt des Thalers darinne gewesen; bitte derhalben Beklagten anzuhalten, daß er ihm geschehener Abrede nach, den Rthl. zahlen solte. Der Dritte klagte, Sempronius habe eine Kugel von assa fœtida in seinen Taubenschlag geschossen, dadurch ihm 600. Paar Tauben vertrieben worden, und weil er hiermit über 20. Ducaten gefähret worden, vermeinte er, Beklagter hätte den Galgen wohl verdienet, und was die anderen Possen mehr waren. Kurtz, der Abend ward mit solchen lustigen Rechts-Sachen passirt.

Quelle:
Christian Weise: Die drei ärgsten Erznarren in der ganzen Welt. Halle an der Saale 1878, S. 197-201.
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