CAP. XLV.

[210] Florindo hätte weiter gelesen, doch er ward verstört, und muste zu Tische gehn, und ob er gleich den Vorsatz hatte, noch weiter drine zu lesen, schob er es doch in die lange Banck, biß nichts drauß ward. Nun begunte unsrer Compagnie die Zeit allmählich lang zu werden, indem sie auff des Florindo Besserung so lang gewartet, und nun wegen des unfreundlichen Winterwetters nicht fort kunte, doch es halff nichts, sie musten verziehen biß auff Fastnacht. Und da gab es so ein Land voll Narren, daß der Mahler furchte es möchte an Farben mangeln, wo er alle abschildern solte. Der Priester hatte zwar den Sontag zuvor nicht allein erinnert, daß man um die heilige Zeit der gleichen Heidnisches Unwesen unterlassen, und sich zu einer Christlichen und bußfertigen Fasten schicken solte; sondern er hatte auch auß des blinden Bartimæi Worten: Herr, daß ich sehen möge, sehr schön angeführt, was vor ein edel thun es wäre so wohl umb das Gesichte des Leibes, als vornehmlich umb das Gesichte des Gemühtes oder umb die Klugheit: und wie unverantwortlich sich dieselben bezeigten, welche als blinde und närrische Leute, ihren Verstand gleichsam verleugneten. Doch die Predigt hatte so viel gewirckt, als sie gekönnt. Unterdessen blieb es bey der alten Gewonheit, man muste die heilige Fastnacht feyern, drumb sagte auch Gelanor, er wolte nit viel Geld nehmen, und einen unter dem Hauffen einen Narren heissen, da doch alle mit einander sich vor Narren angezogen, und nichts anders als Narrenpossen vornehmen. Einen lächerlichen Possen gab es, denn es war eines vornehmen Mannes Sohn zum Mahler gelauffen, hatte sich da liederlich angezogen, und hatte begehrt, er solte ihm das Gesichte gantz schwartz mahlen: denn unter der Masque könte er nicht sauffen, der Mahler war auch mit seinen Farben vor ihn getreten; aber er[210] hatte die Pinsel nur in klar Wasser gesteckt, und ihn über und über naß gemacht, der gute Kumpe meinte, nun solte ihn niemand kennen und lieff herum als ein unsinnig Mensch. Endlich gerieth er an eine Magd, die rieff, Herr Frantze, seyd ihr ein Narr? da erschrack er und machte sich auff die Seite, doch die Sache war verrathen, und durffte er in einem vierthel Jahre seinem Herrn Vater nicht vor die Augen kommen.

Bey solcher Gelegenheit erinnerte Florindo seinen Hofmeister, ob es nicht bald Zeit wäre nach Hause zu reisen. Es wären ja Narren gnung hin und wieder betrachtet worden, daß man leicht die drey grösten herauß lesen, und abmahlen könte. Doch Gelanor war gantz einer andern Meynung. Der sagte: Mein Freund, wir haben noch nicht gantz Deutschland durchwandert, und solten nun von der gantzen Welt urtheilen, wir müssen weiter gehen, In Franckreich, Spanien, Engeland, Polen. Ja absonderlich in Italien wird auch etwas auffzuzeichnen seyn. Florindo machte zwar ein saur Gesichte: Allein Gelanor trotzte auf seine Instruction, also daß der gute untergebene sich wegen der Liebste noch keine süsse Gedancken durffte ankommen lassen. Derhalben bat er auch, man möchte an einem Orte die Zeit nicht so vergebens verlieren; sondern ehe heute als morgen sich zur Reyse schicken, wiewohl Gelanor trauete der ungesunden Lufft nicht, und blieb biß gegen Ostern still liegen, immittelst kam etliche mahl Post, dabey Florindo Brieffe von seiner Liebsten erhielt, doch kunte er alles so verbergen, daß man so eigentlich nicht wuste, in was vor terminis die Sache bestehen möchte, zu grossem Versehen, hatte er den Schlüssel am Reiß-Kuffer stecken lassen, und war zu einem guten Freunde gangen, da er allem Vermuthen nach, sobald nicht gedachte wieder zu kommen, drumb ließ sich Gelanor die Curiosität verleiten, den Brieffen nach zu suchen, wiewohl er fand keinen, als den neulichsten, welcher dieses Inhalts war:


Liebster Besitzer meiner verliebten Gedancken.


Nachdem ich die Bitterkeit der Liebe sattsam empfunden, wäre es Zeit, daß ich durch einige Süssigkeit erfreuet[211] würde. Wie lange ist es, daß ich mein Hertz und meine Seele in fremden Ländern herumb schweben lasse? und wie lange soll ich meine Hoffnung noch auffschieben. Ach mein Kind! weist du was mir vor Gedancken einfallen? Ach die Liebe ist furchtsam, drumb halt mir auch meine Furcht zu gute, denn es scheinet, als wäre die versprochene und mit so vielen Eydschwüren bekräfftigte Liebe, etwas kaltsinnig worden. Wäre es so wohl in meiner Gewalt, dir zufolgen, als du Gelegenheit hast mich zu suchen, ach ich wolte den Adlern die Flügel abborgen, und zu dir eylen. Nun bleibst du an einem Orte, da du erweisest, daß du ohne mich vergnügt leben kanst. Wir armen Weibesbilder lassen uns die Leichtgläubigkeit offt übel belohnen, der gütige Himmel helffe, daß ich solches nicht durch mein Exempel bestätigen müsse. Doch komm Ende, komm Tod, und verzehre mich zu vor, ehe ich solches erleben, und mein süsses Kleinot einer andern Besitzerin überlassen solle, doch mein Hertz, ich traue dir solche Falschheit nicht zu. Erkenne du nur auß dieser Furcht meine Beständigkeit, und wo du Lust hast mich bey dem Leben zu erhalten, so komm der Kranckheit zuvor, welche sich durch nichts wird erquicken lassen, als durch deine höchstverlangte Gegenwart. Und diese wird mir das Glücke ertheilen, daß ich noch ferner heissen kan


Deine

lebendige und treuverbund.

Dienerin

Silvia.


Gelanor sagte zu Sigmunden, das Frauen-Zimmer hat das Ansehen, als wenn sie ihre Brieffe mehr auß Alamode-Büchern, als auß dem Hertzen schrieben. Rechte Liebe braucht andere Reden, welche mehr zu Hertzen gehen. Und wer weiß, wo sie einen Tröster hat, der diesen Brieff zu erst auffgesetzet. Sigmund war nicht sonderlich darwider, doch suchten sie weiter, und fanden seine Antwort, die er ehistes Tages fortschicken wolte, und darinn er sich bemühet hatte, den Senecam, Tacitum, Curtium und andere zuverteutschen oder doch zu imitiren[212]


Mein Hertz, meine Seele, meine Göttin.


Deine Furcht tödtet mich, deine Liebe erquicket mich, ich sterbe über deinem Mißtrauen, und erhalte mich bey meinem guten Gewissen. Meine Liebste rufft mir, und mein Verhängniß hält mich zu rücke. Ich wil etwas, und darff nicht sagen, was ich will. O mein liebstes Hertz, vergib deinem diener, daß er so verwirrt schreibt, darauß solst du meine verwirrte Seele erkennen und beklagen lernen, ach wie gern wäre ich zu Hause! hätte mir mein Unstern nicht einen Hoffmeister zugeführet, der seine Lust in der Welt suchte, unter dem Vorwand, mir zu Nutzen, da ich doch den Mittelpunct aller meiner Nutzbarkeit in die Feste gestellet habe, du bist meine Reise, dahin ich meine Gedancken abfertige, wenn gleich der Leib sichtbarlicher Weise anderswo gefangen lebt. Ich weiß du bist dem Schweren feind; sonst wolte ich alles zu Zeugen anruffen, daß ich so wohl äusserlich, als im Hertzen stets dahin getrachtet zu verbleiben

Meiner lieb-werthesten Silvie

unbefleckter und unveränderter

Florindo.


Gelanor schüttelte zwar etlichmahl den Kopff darüber, doch wuste er, daß ein Liebhaber nicht allzeit verbunden wäre, die Warheit zu schreiben, und schloß derhalben den Kuffer gar höfflich wieder zu, mit vorbehalt, daß er bey erster Gelegenheit solches auffmutzen wolte.

Also vergieng die Zeit biß auf Ostern, da sie keinen sonderlichen Narren angetroffen, mit dem sich es der Müh verlohnet, daß sie ihn auffgezeichnet. Zwar sie waren nicht nachlässig, und liessen sich in dem benachbarten Walde das neuangelegte Bergwerck gefallen. Da sie denn allerhand Spiele der Natur abmerckten, welche wohl so annehmlich waren, als die Narrenkuckerey.

Quelle:
Christian Weise: Die drei ärgsten Erznarren in der ganzen Welt. Halle an der Saale 1878, S. 210-213.
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